Symbol

  1. I. Soziologisch
  2. II. Philosophisch

I. Soziologisch

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Menschliches Verhalten und Handeln (Handeln, Handlung) – sei es nicht-sprachlicher oder sprachlicher Art – ist von und für Menschen interpretierbar, weil es neben vielen anderen Eigenschaften immer auch die der Zeichenhaftigkeit aufweist. Von der Geste bis zum „signifikanten“ S. (Mead 1973: 86), von Anzeichen und Symptomen bis zum konstruierten und eindeutig definierten, mathematischen Zeichen, vom Körper- und Gesichtsausdruck bis zur Kleidung, vom Natureindruck bis zu menschlichen Erzeugnissen, ordnen wir uns und unserer Umwelt Zeichenqualitäten zu und entwerfen damit den menschlichen Deutungshorizont.

Anders als die in der Mathematik gebräuchliche S.-Definition (Vertretungssymbolik) zeichnet sich die in der menschlichen Interaktion, in Religion und in den Künsten vorherrschende S.-Verwendung dadurch aus, dass es sich hier beim S. nicht um ein „arbiträres“, durch konventionelle Setzung fundiertes Zeichen (Ferdinand de Saussure), sondern um den Ausdruck einer Relation zwischen

a) symbolischem Ausdruck,

b) symbolisch repräsentierten Phänomenen und

c) S.-Benutzern handelt.

Dabei sind zwei Formen der S.-Verwendung zu unterscheiden: die „Realsymbolik“ und die „Transparenzsymbolik“. Bei Ersterer wird das S. nicht mehr als „Zeichen für“ gesehen, sondern es wird selbst zur Realität: Der Wein „ist“ das Blut, und das Brot „ist“ das Fleisch Christi; bei der zweiten „scheint“ das Wesen des Symbolischen durch das S. hindurch: Die Farbharmonie des Regenbogens der Sintflut verweist auf die Versöhnung; die Taube mit dem Ölzweig des Olivenbaumes zeigt das Ende der Sintflut an.

Das symbolon als das – im griechischen Wortsinn – Zusammengesetzte setzt sich nicht willkürlich zusammen. Es bildete urspr. eine Einheit (Muschel, Ring, Münze), die zerbrach, neu zusammengesetzt und so zum Erkennungszeichen werden konnte für die soziale Zusammengehörigkeit und Verbundenheit der Besitzer der jeweiligen Hälften. Die Betonung des S.s im Bereich des Sakralen verweist sowohl auf die Zusammengehörigkeit der Mitglieder einer Gemeinschaft als auch auf das diese Gemeinschaft zugl. Einende und Übergreifende: auf die Transzendenz und deren Gegenwart in der sakralen Handlung. S.e wirken präsentisch. Sie weisen weder die reflexive Distanz des „künstlich“ ausgestalteten Allegorischen noch die des analytischen Diskurses und des Vernunftargumentes auf. Wo das S. seine Wirklichkeit postuliert, zielt es darauf ab, dem Argument das Recht und der alltäglichen Wirklichkeit deren Pragmatik abzusprechen. Es postuliert seine eigene Realität und setzt seinen Wirklichkeitsakzent im Außeralltäglichen: Im S. soll dem „nicht wirklich“ Präsenten die eigentliche Präsenz in der Erfahrung zukommen. Es beansprucht „eine momentane Totalität, die in der Intuition, im mystischen Augenblick, als der dem Symbol gemäßen Zeitdimension erfasst wird“ (Scholem 1980: 30).

Das S. führt aber nicht nur Getrenntes wieder zusammen und verbindet Alltägliches mit Außeralltäglichem, sondern es steht zugl. auch für die Arbeit am Widerspruch. In seiner Traumanalyse hat Sigmund Freud gezeigt, dass S.e nicht lediglich mehrdeutig, sondern widersprüchlich sind. Dies gilt sowohl für die individuell geprägte Symbolik als auch für die Kollektivsymbolik: Das Kreuz als S. sowohl des Todes als auch der Auferstehung, der Erniedrigung und der höchsten Verehrung, des Galgens und des heiligen Zeichens ist ein gutes Beispiel für die unmittelbare, präargumentative Artikulation und zugl. Vereinigung von Widersprüchen. Durch diese vermittelnde Funktion schaffen Kollektiv-S.e das Gefühl von Gemeinschaft ebenso, wie sie deren (Kollektiv-)Bewusstsein und Fortbestehen zu sichern helfen.

Die entscheidende Bedeutung eines Kollektiv-S.s besteht im gemeinschaftlichen Erleben einer außeralltäglichen Situation und der darauffolgenden sozialen Reaktion: in seinem Einfluss auf die gemeinschaftliche Wahrnehmung und Orientierung sowie auf kollektives Handeln. Es stiftet für die symbolisch zusammengeschlossene Gemeinschaft eine „gefühlte Einheit“, die – vorreflexiv – als Totalität einer Gemeinschaftsempfindung erlebt wird. Kurz: Ein Kollektiv-S. bündelt, vereint, konfrontiert und organisiert urspr. divergierende, individuelle Stimmungen, Gefühle und Haltungen zu einer gemeinschaftlichen Reaktion, Erlebnis- und Gefühlseintönung. Die figurative Gestalt der Kollektiv-S.e belebt die sozialen Welten nach dem Bild (den Bildern) ihrer jeweiligen Gesellschaften. Émile Durkheim hat die Kraft, aus der diese Belebung der Welt gespeist wird, den „anthropomorphen Instinkt“ (Durkheim 1981: 316) genannt.

Analytisch können die Entstehung und Tradierung von Kollektiv-S.en als Antworten auf Krisensituationen (Krise) interpretiert werden, deren Widersprüche und Bedrohungen sie zu überwinden versuchen durch die Harmonisierung und Überhöhung der sie stützenden Gemeinschaften. Individuelles wie auch kollektives symbolisches Handeln ist die Antwort auf Paradoxie, Widersprüchlichkeit und Grenzerfahrungen: ein – oft zweifelhaftes – Rezept gegen die Kapitulation vor erlebter Sinnlosigkeit, Sinninflation und Orientierungsverlust. Ihre unmittelbare und kaum zu kontrollierende Wirkung erzielen Kollektiv-S.e dadurch, dass sie „Gemeinschaft ohne Kommunikation“ (Jaspers 1980: 231) stiften. Sie verleihen dem argumentativ oder diskursiv nicht Mitteilbaren eine eigene Sprache. Dennoch sind sie nicht extrakommunikativ, sondern sie stellen einen spezifisch präsentischen Kommunikationstypus für außergewöhnliche Problem- und Grenzsituationen dar. Auf den Verlust gewohnter Ordnungen antworten sie mit der Formung und Herstellung der präkausalen Ordnung „symbolischer Formen“ (Cassirer 1953), einer Ordnung eigener Rationalität: der symbolischen Form des „Mythos“, der „selbst […] ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos ist“ (Blumenberg 1979: 18).

Die aus seiner unmittelbaren Wirkung entspringende Überzeugungskraft macht die Stärke, zugl. aber auch die Gefahr symbolischen Handelns aus: S.e vermögen zu überzeugen wider alle Vernunft. Sie sind imstande, eigene Welten zu konstituieren, die sich der Kontrolle und Überprüfung der reflektierenden Vernunft (Vernunft – Verstand) entziehen, die also auch Wahnwelten erzeugen und stabilisieren können. Eine Hermeneutik der S.e, ihrer Entstehung, Wirkung und Funktion ist gerade deshalb unverzichtbar.

II. Philosophisch

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Das Wort „S.“ ist heute ein Reflexionswort, mit dem wir in allg.ster Weise auf nichtnatürliche Zeichen in einem kanonisch eingerichteten S.-System verweisen. Gemäß dem Ursprungssinn des griechischen Wortes symballein „zusammenwerfen“ und „zusammenfügen“ ist ein symbolon erstens eine Übereinkunft, zweitens ein Erkennungszeichen, am Anfang wortwörtlich so, dass die Passung verschiedener Teile wie der beiden Hälften eines irgendwie geteilten Ringes (bzw. von Schlüssel und Schloss) eine Zusammengehörigkeit ihrer Besitzer beweist, was dann auch durch ein Emblem wie dem des Fisches im frühen Christentum oder durch ein Losungswort demonstriert werden kann: Die Menschen zeigen einander an, dass sie zusammengehören. Im Verstehen von symbolischen Handlungen muss sich entspr. das Verständnis (also das Handeln [ Handeln, Handlung ]) der Sprecher und Hörer (kooperativ) so zusammenfügen, wie es die vage Rede über ihre Bedeutung verlangt. In metaphorischer Ausweitung wird das S. heute auch zum Sinnbild, zur verdichteten Expression von komplexen Inhalten oder zur Manifestation von nicht unmittelbar in der Anschauung Zeigbarem. In neueren psychologischen Kontexten ist das Symbolische auch Ausdruck von Unbewusstem.

Englischsprachige Wörterbücher erläutern den Begriff des S.s in der Regel über seine Repräsentationsfunktion. Immanuel Kant spricht von „indirecten Darstellungen […] nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck […] bloß ein Symbol für die Reflexion enthält“ (Kant 1913: 352), also nur figurativ oder tropisch gebraucht wird und es ist für ihn „alle unsere Erkenntniß von Gott bloß symbolisch“ (Kant 1913: 353), also metaphorisch oder allegorisch.

Manche neueren Erläuterungen kennen S.e aber nur noch als „künstliche Zeichen mit genau festgelegten Gebrauchskonventionen“ (Kambartel/Gräfrath 1996: 158). Allerdings sind diese Schriftzeichen Bestandteile mathematischer Notationen und gehören gar nicht zu einem weltbezogenen Sprechen, zumal die schematischen Schlussregeln jeder „symbolischen Logik“ nur für ideale Gegenstandsbereiche gelten, in denen für eine Klasse von repräsentierenden Ausdrücken oder „Benennungen“ exakte Gleichungen und Ungleichungen wie in der Arithmetik schematisch definiert oder wie in der reinen Mengentheorie fiktiv unterstellt sind. Für den Gebrauch des Wortes „S.“ in anderen Kontexten lassen sich nur die wichtigsten Kernfälle allg. explizit machen, etwa in Identifikation mit oder in Differenzierung zu den Wörtern „Zeichen“, „Signal“, „Bild“, auch „Ausdruck“ und „Emblem“.

Wie später auch Herbert Paul Grice unterscheidet schon Ernst Cassirer mit explizitem Bezug auf Edmund Husserl ein „echt symbolisches Zeichen“ (Cassirer 1994: 377) von einem bloßen Anzeichen und dann auch von einem primitiven Signal. S.e sind reproduzierbare und wiedererkennbare Laut- oder Schriftgestalten, die als Aktualisierungen äußerer Formen in Trägerhandlungen eines verstehbaren kommunikativen Handelns auf eine Weise vorkommen, dass ihre Kontraste für das rechte Verstehen wesentlich sind.

Wie Thomas Hobbes in seiner (partiell selbstwidersprüchlichen) Ablehnung metaphorischer Rede wertet auch noch I. Kant eine „bloße [symbolische] Vorstellungsart“ (Kant 1913: 353) gegenüber einer vermeintlich wörtlichen „[d]iscursiven“ (Kant 1913: 352) Erkenntnis ab und nennt als Beispiel bezeichnenderweise die Analogie von monarchischem Staat und beseeltem Körper, während schon Johann Wolfgang von Goethe eine Lanze für Analogien und Allegorien bricht, soweit wir umsichtig, vorsichtig und reflektiert genug mit ihnen umgehen.

Das Symbolisieren ist demnach ein allg.es Verfahren, Handlungen zu Trägerhandlungen und ihre Spuren zu S.en für kommunikative Handlungen zu machen, die in einer entspr. vorgebildeten Gruppe von Personen als typische Kommunikationsversuche eines konkret eingrenzbaren Inhalts verstehbar sind. Beispielhaft dafür sind zunächst explizit abgesprochene, dann aber auch sich praktisch selbsterklärende Gesten. So stellt z. B. ein Wegweiser eine Art eingefrorenes Zeigen dar. Eine Verdinglichung droht dort, wo man das Symbolische (und damit das Verstehen) nicht an die Handlungen und deren wiedererkennbare Formen, sondern unmittelbar an Dinge (auch Wörter oder Sätze) knüpft. Irreführende Naturalisierungen entstehen sogar schon dann, wenn subjektive Befriedigungen eines Begehrens (als „Intention“ in einem extrem weiten Sinn) und nicht die gemeinsam beurteilten Erfüllungen kooperativer Handlungsformen als Kriterien des Verstehens angesehen werden.

Reaktionsformen etwa von Lebewesen auf natürliche Zeichen, für welche Rauch Feuer „bedeuten“ oder dunkle Wolken ein Anzeichen für Regen sein können, sind von ganz anderer Form als die kooperativen Formen symbolischen Handelns. Noch die „Signalsprache“ bei Tieren und Menschen unterscheidet sich als bloßes Mittel zur Koordination des präsentischen Verhaltens in einer „Gruppe“ (von Lebewesen) prinzipiell von einer wahren S.-Sprache bzw. von einer echten kommunikativen Praxis des (Sprech-)Handelns. Intentionale Handlungen setzen immer schon eine Symbolisierung der Ziele als Endzwecke oder Mittel voraus.

Als fundamentale Sinndifferenz zwischen Signal und S., die beide unter dem Oberbegriff „Zeichen“ gefasst werden, ergibt sich: Signale koordinieren Verhaltensreaktionen, S.e repräsentieren generische Unterscheidungs- und Schlussformen und ermöglichen über ihre gemeinsam kontrollierbaren Erfüllungsbedingungen eine nicht bloß präsentische Differenzierung zwischen möglichen Situationen bzw. Ereignissen und dann auch die Hervorhebung eines wirklichen Geschehens aus einem symbolisch repräsentierbaren Reich von bloß möglichen Geschehensabläufen.