Kriegsdienstverweigerung

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1. Geschichte

Historisch begegnet die K. als die individuelle Entscheidung, aus Gründen des (religiösen) Gewissens nicht an Kriegshandlungen teilzunehmen bzw. den Militärdienst nicht anzutreten bzw. zu beenden. Ein entspr.es Recht bestand bis ins 19. Jh. hinein nicht, vielmehr wurde das Sichentziehen vom Militärdienst als Befehlsverweigerung bzw. Desertion sanktioniert.

Erste Ansätze einer organisierten K. finden sich im 17./18. Jh. bei den Quäkern. Deren „Friedenszeugnis“ (Peace Testimony) von 1661 verpflichtete zur politischen Friedsamkeit, ab 1742 explizit auch in Form der Verweigerung des Militärdienstes. Wer diesen gleichwohl leistete, wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Während der Befreiungskriege erlangten die Quäker, Mennoniten und Wiedertäufer in Preußen durch Kabinetts-Order die Befreiung von jeglichem Militärdienst. Nach zwischenzeitlich restriktiverer Praxis wurde das Privileg 1830 für die Rheinprovinz, Westfalen und Brandenburg bekräftigt. Allerdings hatten die Befreiten eine Zwangsabgabe zu leisten und verloren ihre bürgerlichen Rechte. Politische Bedeutung erlangte die K. ab dem späten 19. Jh. durch die Verbindung von Friedens- und Arbeiterbewegung.

Bei den Beratungen zur Paulskirchenverfassung 1848 wurde eine generelle Regelung zur K. zwar erörtert, aber verworfen. Für die WRV stellte sich das Problem infolge der durch den Versailler Vertrag untersagten allg.en Wehrpflicht nicht. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sahen die süddeutschen Länder in ihrer Gesetzgebung das Recht der K. vor, woraufhin die SPD-Fraktion 1948 im Parlamentarischen Rat dessen Aufnahme auch im GG beantragte. Gegen die vehemente Ablehnung des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss (FDP), der die allg.e Wehrpflicht als „das legitime Kind der Demokratie“ (Heuss 2007: 447) bezeichnete und „im Ernstfall einen Massenverschleiß des Gewissens“ (Wolfram 2010: 1326) befürchtete, wurde die Vorlage mehrheitlich beschlossen. Auch die Befürworter der Regelung betonten den Ausnahmecharakter des Rechts auf K., sie wollten kein „Recht zur Drückebergerei“ (Wolfram 1993: 420) einführen (so der SPD-Abgeordnete Georg August Zinn), vielmehr den Kreis der Betroffenen „durch eine Art Prüfungsverfahren sehr eng“ (Wolfram 1993: 420) halten.

2. Grundgesetzliche Regelung

In Art. 4 Abs. 3 GG („Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“) räumt die Verfassung der höchstpersönlichen Gewissensentscheidung, nicht an kriegerischen Handlungen teilnehmen und dabei andere Menschen töten zu wollen, den Vorrang vor dem staatlichen Interesse am Selbsterhalt ein. Obgleich das GG die Grundentscheidung für eine wirksame militärische Landesverteidigung getroffen hat und überdies nur „gerechte Kriege“ zulässt (Art. 26, 87a Abs. 1), ist das Recht auf K. prinzipiell unbegrenzt und auch nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar.

Das Recht steht jedem zu, wer aufgrund Wehrpflicht oder freiwilliger Entscheidung bewaffneten Dienst in den Streitkräften leistet. Entgegen dem Wortlaut der Norm („Kriegsdienst“) erstrecken BVerfG und herrschende Meinung im Schrifttum Art. 4 Abs. 3 GG auch auf den Wehrdienst in Friedenszeiten. Der dann zu leistende zivile Ersatzdienst (Art. 12a Abs. 2 GG) kann indes nicht unter Berufung auf Art. 4 Abs. 3 GG verweigert werden.

Das GG gewährt kein Wahlrecht zwischen Wehr- und Ersatzdienst, geschützt ist allein die K. aus Gründen des „Gewissens“. Ob solche vorliegen, bemißt sich nach den allg.en Kautelen der Gewissensfreiheit (Gewissen, Gewissensfreiheit). Demgegenüber restriktiver, verlangt das BVerfG eine Gewissensentscheidung „gegen den Waffendienst schlechthin“ (BVerfGE 12, 45 [357], 48, 127 [163 f.], 69, 1 [23]), um so eine „situationsbedingte K.“ (Kriege gegen bestimmte Gegner, unter bestimmten Umständen, unter Einsatz bestimmten Waffen) auszuschließen.

Der in Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG enthaltene Regelungsvorbehalt bezweckt, das Grundrecht praktikabel zu machen. V. a. ist sicherzustellen, dass nur derjenige es in Anspruch nimmt, den tatsächlich sein Gewissen am Dienst mit der Waffe hindert. Da der innere Vorgang einer Gewissensentscheidung einem Beweis im Rechtssinn nicht zugänglich ist, muss der Betreffende die ihn leitenden Umstände benennen und darlegen. Der Staat wiederum hat die vorgetragenen Gewissensgründe auf ihre Kohärenz und Plausibilität zu prüfen. In der Vergangenheit hatte der Gesetzgeber dafür verschiedene Ansätze vorgesehen: eine „Gewissensprüfung“ (mündliche Anhörung des Verweigerers, so von 1956–77), eine bloße „Gewissensprobe“ (längere Dauer des Ersatzdienstes, welche die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung indizieren sollte, so die – für verfassungswidrig erklärte – Gesetzesnovelle von 1977) sowie eine Kombination beider Elemente (i. d. R. schriftliche, ggf. auch mündliche Anhörung sowie längere Dauer des Ersatzdienstes, so seit 1983).

Mit dem KDVG 2003 hat der Gesetzgeber de facto ein (vom GG gerade nicht vorgesehenes) Wahlrecht zwischen Wehr- und Ersatzdienst eingeräumt. Die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 hat das Problem für die Praxis weitgehend entschärft. Seither betrifft die K. allein diejenigen, die freiwillig in den Streitkräften Waffendienst leisten und sich erst nach ihrem Eintritt aus Gewissensgründen an dessen Fortsetzung gehindert sehen. Die Zahlen bewegen sich auf niedrigem Niveau (von 2014–16: 431 Anerkennungen und 160 Ablehnungen).

3. Rechtsvergleichende Hinweise

Nahezu alle europäischen Länder haben das Recht auf K. in ihren Verfassungen oder wenigstens auf gesetzlicher Ebene verankert. Wie in Deutschland, hat die Problematik infolge der Abschaffung der Wehrpflicht vielfach an Brisanz verloren (allerdings sehen nur Großbritannien und die Niederlande keine Beschränkung des Rechts auf Wehrpflichtige vor).

Weder die UN-Menschenrechtspakte noch die EMRK enthalten eine explizite Garantie der K. (wohl aber seit 2009 Art. 10 Abs. 2 EuGRC, der indes allein auf die einzelstaatlichen Gesetze verweist). In jüngerer Zeit haben sowohl der UN-Menschenrechtsausschuss wie der EGMR unter Berufung auf die living instrument-Doktrin das Recht auf K. als Unterfall der Gewissensfreiheit anerkannt (EGMR, Urteil vom 7.7.2011, Fall Bayatyan v Armenien).