Tierschutz

  1. I. Rechtliche Aspekte
  2. II. Bereichsethik im Umbruch

I. Rechtliche Aspekte

Abschnitt drucken

1. Einleitung

T. ist die Gesamtheit der rechtlichen und praktischen Bestrebungen und Maßnahmen, um nachteilige Einwirkungen auf Tiere, die v. a. von Menschen ausgehen, zu verhindern und abzumildern. Anhand der drei sich überlappenden Hauptmotive wird der anthropozentrische, ethisch fundierte und religiöse T. unterschieden.

In Zeiten der Globalisierung, Postindustrialisierung und Digitalisierung sind die meisten lebenden Tiere nur ein Glied in transnationalen Wertschöpfungsketten. Der Wettbewerb in den tierverarbeitenden Branchen und der Standortwettbewerb der Staaten provozieren eine immer intensivere Tierausbeutung und bergen die Gefahr einer Abwärtsspirale der Schutzstandards. Zeitgemäße T.-Bestrebungen sollten deshalb auf globale Mindestnormen gerichtet werden, die allerdings bottom-up aus lokalen ethischen Vorstellungen heraus entwickelt werden müssen.

2. Tierschutzrecht

Zum T.-Recht im weiteren Sinne gehören alle Rechtsnormen, die ein verbindliches Minimum des Schutzes bei der Tiernutzung anordnen, einschließlich der Vorschriften in Rechtsgebieten wie Jagdrecht, Agrarrecht oder Lebensmittelrecht. Beginnend mit einem englischen Gesetz aus dem Jahr 1822 haben mittlerweile 84 Staaten (der insgesamt 193 Staaten der Welt) T.-Gesetze erlassen und/oder verbieten zumindest Tierquälerei.

Vertreter der kritischen Tierrechtswissenschaften (legal animal studies) sehen im herkömmlichen Recht primär ein Tiernutzrecht oder bestenfalls ein Tierleidminimierungsrecht, das die institutionalisierte Gewalt gegen Tiere verstetigt. In neuster Zeit ist das „Tierwohl“ zum Leitbegriff der Rechtssetzung avanciert (z. B. die Querschnittsklausel des Art. 13 AEUV). Die Begriffsverschiebung zeigt einen Perspektivenwechsel an: Während T. das ist, was Menschen mit Tieren machen, ist Tierwohl das, was Tiere brauchen. Tierwohl wird heute auf drei sich überlappende Dimensionen bezogen: auf die grundlegende Gesundheit und körperliche Funktionsfähigkeit des Tieres, seine affektiven Zustände und sein artgerechtes Leben (vgl. die Legaldefinition in Art. 3 lit. b) Schweizer Tierschutzgesetz vom [16.12.2005 16.12.2005]).

Das tierliche Wohlbefinden ist also das zentrale Schutzgut des Rechts. Eine Besonderheit des deutschen und österreichischen Rechts ist der grundsätzliche Lebensschutz (§§ 1 und 17 TierSchG; § 1 österreichisches Tierschutzgesetz). Im deutschen GG findet sich außerdem seit 2002 das Staatsziel (Staatszielbestimmungen) „Tierschutz“ (Art. 20a GG). Im schweizerischen Recht wird weitergehend die „Würde der Kreatur“ geschützt (Art. 120 BV, Art. 1 und 3 lit. a) Schweizer Tierschutzgesetz). Die Tierwürde ist nicht absolut, sie schützt (nur) vor „übermäßiger Instrumentalisierung“ (Art. 3 lit. a).

Die Zielsetzung des T.es und der ihm dienenden Rechtsnormen hat sich im Lauf der Geschichte gewandelt. In neueren Gesetzen wird die Mitgeschöpflichkeit des Tieres (§ 1 TierSchG; § 1 österreichisches Tierschutzgesetz) oder der „intrinsische Wert“ der Tiere genannt (EU RL 2010/63, Erwägungsgrund 12). Diese Formulierungen kennzeichnen den „ethisch begründeten Tierschutz“, so die deutsche ständige Rechtsprechung (z. B. BVerfGE 101,1, Rdnr. 136; BVerfGE 104,337, Rdnr. 36; BVerwG 3 C 30.05, Urteil vom 23.11.2006, Rdnr. 12).

Das T.-Recht ist durch unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichnet. So verbietet § 1 des deutschen TierSchG die Zufügung von Leiden, Schmerzen oder Schäden „ohne vernünftigen Grund“. Andere Rechtsakte verbieten die Verursachung von „unnötigem Leiden“ (Art. 3 EU-Tiertransport-VO Nr. 1/2005 vom 22.12.2004, ABl.EU 2005 L 3/1; Art. 3 der EU-Nutztier-RL 98/58/EG vom 20.7.1998, ABl.EG 1998 L 221/23; Art. 445.1. § 1 a) des kanadischen Strafgesetzbuchs [1985]) oder „vermeidbarem“ Leiden (Art. 4 Abs. 2 des belgischen Tierschutzgesetzes vom 14.8.1986). Diese Begriffe sind Einfallstore für die Abwägung zwischen Tierleid und menschlichen Nutzungszwecken. Sie könnten theoretisch dynamisch durch Auslegung in Richtung von strengerem T. entwickelt werden. In der Praxis führen sie jedoch meist zu einer Rechtfertigung des Tierleids.

Im Rahmen des Europarates wurden seit 1968 bisher fünf Abkommen (teilweise mit Änderungsprotokollen) erarbeitet. Themen sind Tiertransporte, landwirtschaftliche Tierhaltung, Schlachttiere, Tierversuche und Heimtiere. Die EU hat mehrere Richtlinien und Verordnungen zu landwirtschaftlichen Nutztieren, einzelnen Tierarten und Nutzungsaspekten (Transporte, Schlachtung, Tierversuche) erlassen und vereinzelte Importverbote (Hunde- und Katzenfelle, Robbenprodukte). 2017 wurde eine EU-Tierwohlplattform gegründet, die v. a. die Anwendung des EU-Rechts (Europarecht) verbessern soll. Obwohl das WTO-Streitbeilegungsgremium das Tierwohl als „weltweit anerkannte Angelegenheit“ qualifizierte (Panelberichte WT/DS400/R u. WT/DS401/R vom 25.11.2013, Rdnr. 7.420), fehlt auf der globalen Ebene bisher ein verbindliches internationales T.-Recht. Die Organisation Internationale des Epizooties (OIE) verfolgt seit 2017 das Ziel, internationale Tierwohlstandards zu entwickeln.

In den letzten Jahrzehnten haben die Zivilrechtsgesetzbücher einiger Staaten festgestellt, dass Tiere keine Sachen sind (Österreich [1988], Deutschland [1990], Aserbaidschan [1999], Moldawien [2002], die Schweiz [2002], Liechtenstein [2003], die Niederlande [2015]). Die progressivere Variante ist die Beschreibung von Tieren als „fühlende Wesen“ (EU seit 1997, Frankreich [2015], Portugal [2016], Kolumbien [2016]). Alle diese Vorschriften führen dazu, dass die Rechtsvorschriften des Sachenrechts nur noch nachrangig – vorbehaltlich von Sonderregeln – angewendet werden können.

Tiere könnten weitergehend in die Kategorie der „Personen“ im Rechtssinne aufgenommen werden und würden damit rechtsfähig (s. z. B. zur Schimpansin Cecilia: Tercer Juzgado de Garantías Mendoza, P-72.254/15 vom 3.11.2016).

Solange Tieren keine subjektiven Rechte zuerkannt werden, ist das Durchsetzungsdefizit des T.-Rechts vorprogrammiert. Denn Tiere können nicht (mit Hilfe von Rechtsvertretern) ein Mehr an T. einklagen (VG Hamburg, Beschl. vom 22.9.1988 – 7 VG 2499/88, „Robbenklage“). Die Rechts- und damit „Waffenungleichheit“ gegenüber Tierhaltern und -nutzern, die gegen mehr T. klagen können, ist durch die Einrichtung von Tieranwälten, Tierombudspersonen (Ombudswesen) oder Verbandsklagerechten ansatzweise ausgleichbar.

II. Bereichsethik im Umbruch

Abschnitt drucken

T.-Praktiken sind epochen- und kulturabhängig. Im 19. Jh. wurden verschiedene T.-Gesetze erlassen. Verstärkt wurden theoretische Begründungen des T.es durch Charles Darwins Evolutionstheorie (Evolution), die eine Abstammung heute lebender Affenarten und des Menschen von gemeinsamen Vorfahren begründete, weil insb. zwischen höheren Säugetieren und dem Menschen nur graduelle Unterschiede bestünden. Der Eigenwert von Tieren bis hin zum Postulat einer Tierperson in der Tierethik als Grundlage für Tierrechte sollten den T.-Gedanken aufwerten und philosophisch-ethisch begründen, um den traditionell pragmatisch begründeten T. zu hinterfragen. Dieser orientiert den Schutz von Tieren nach Nutzungsinteressen von Menschen und teilt Tiere ein in Wild-, Nutz- und Heimtiere.

1. Philosophische Tierethik – Ansatz und Grenzen

Tierethik ist eine philosophische Disziplin, welche im Rahmen einer Systematik Begründungsansprüche stellt und überwiegend theoretischer Natur ist. Insgesamt lässt sich von einem Überangebot an tierethischen Arbeiten unterschiedlichster Ansätze sprechen, die immer weniger Orientierung bieten. In der philosophischen Tierethik herrscht häufig immer noch eine Dominanz moralisch-ethischer Prinzipien vor, ohne die evolutionäre Entwicklung tierischer Kompetenzen sozialer Verhaltensweisen sowie mögliche Interessen von Organismen zu berücksichtigen. Anthropozentrik, Pathozentrik und Biozentrik beurteilen den Umfang der Schutzfunktion unterschiedlich. Die Reichweite moralischer Relevanz wird heute in Studien zur Mensch-Tier-Beziehung diskutiert. Hier gewinnt die Einsicht für eine Ethik des T.es an Relevanz, dass einerseits die biologische Evolution einen übergreifenden Zusammenhang im Stammbaum des Lebens hervorgebracht hat, andererseits die superschnelle Evolution beim Menschen zu einer Art biologischer Sonderstellung geführt hat, die heute unter dem Begriff Anthropozän diskutiert wird.

2. Neue evolutionär orientierte Wege der Begründung von Tierschutz

Traditionelle Bereichsethiken waren häufig internalistisch-rationalistisch begründet. Heute scheint der Einbezug externalistisch-realistischer Rechtfertigungsverfahren im Rahmen aller Bereichsethiken nicht mehr vermeidbar zu sein. Wir befinden uns in einer Umbruchsituation. Neben den klassischen philosophischen Begründungen gibt es neue Typen natural-evolutionär begründeter Tierethiken, welche auf neueren Ansätzen zum Tier-Mensch-Vergleich und neueren Konzeptionen von Evolution beruhen, in der nicht nur die Gleichheit der biologischen Bausteine als Argument herangezogen wird, sondern vor allen Dingen Dispositionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Tieren und Menschen unter Einbezug von Verhaltensforschung, Soziobiologie, Neurodarwinismus, der These sozialer Intelligenz und dem anwachsenden Komplexitätsgrad in der Evolution wie auch evolutionär begründeten Biodiversität berücksichtigt werden.

Moralisch relevant könnten nun Sozial- und Kommunikations- wie kognitives Verhalten (klassisch genannt Intelligenz bei Tieren) werden, anzutreffen bei Oktopussen, Vögeln, Meeressäugern und verschiedenen Formen von Menschenaffen. Im Zusammenhang mit neuen Formen künstlichen Lebens und synthetischer Biologie stellt sich die Frage nach ethischen Implikationen dieser neuen Mitspieler im Evolutionsgeschehen. Selbstbewusstsein oder Bewusstsein als moralisch relevantes Kriterium ist bei Tieren nicht einfach zu beurteilen und stark vom Anthropomorphismus betroffen.