Rechtsverordnung

1. Begriff

Die R. stellt im modernen Verfassungsstaat eine der bedeutsamsten Formen der Rechtsetzung dar. Sie bezeichnet einen untergesetzlichen Rechtssatz, der von der Exekutive auf der Grundlage einer parlamentsgesetzlichen Delegation der Rechtssetzungsmacht erlassen wird. Unter der Geltung des GG hängen von der gesetzlichen Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis nicht nur der Bestand, sondern auch der Umfang sowie der Inhalt des Verordnungsrechts der Exekutive ab. Daher ist entscheidendes Charakteristikum der R. im Staatsrecht der Gegenwart ihre umfassende Gesetzesabhängigkeit. Im Rangverhältnis der Rechtsquellen steht sie unterhalb des parlamentarischen Gesetzes, erzeugt aber ebenso wie dieses allgemeinverbindliches Recht.

2. Verfassungsgeschichtliche Hintergründe

Historisch geht die Herausbildung der R. zurück auf die sich im Konstitutionalismus durchsetzende Unterscheidung zwischen dem Gesetz, dessen Zustandekommen die Mitwirkung ständischer oder gewählter Vertretungen erforderte, und der Verordnung, die dem – im Einzelnen strittigen – selbständigen Rechtsetzungsrecht des Monarchen entsprang. Im Deutschen Reich wurde das Verordnungsrecht an eine parlamentsgesetzliche Delegation der Rechtsetzungsmacht gebunden; allerdings stand hierbei die Unbegrenztheit der gesetzgeberischen Delegationsbefugnis außer Zweifel. Nicht zuletzt sie trug zu einem deutlichen Anwachsen der praktischen Bedeutung der Verordnungsgebung bei. In der Weimarer Republik erfuhr der Erlass von R.en aufgrund einer großzügigen Delegationspraxis eine erneute, nunmehr ausufernde Ausweitung, die durch das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach Art. 48 WRV noch verstärkt wurde. Die sich hierin manifestierende Verlagerung der Rechtsetzung vom Parlament auf die Reichsregierung kulminierte schließlich im Ermächtigungsgesetz vom 24.3.1933. Diese historischen Erfahrungen veranlassten den Parlamentarischen Rat, für das GG ein selbständiges Verordnungsrecht der Exekutive auszuschließen, dem Parlament eine ungezügelte Delegation der Rechtsetzungsbefugnis zu verwehren und zugleich Vorsorge gegen eine entgrenzende Verselbständigung der exekutiven Verordnungsgebung zu treffen.

3. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Verordnungserlass

Im geltenden Verfassungsrecht normiert die spezifischen Anforderungen an die Ermächtigung der Exekutive zum Verordnungserlass wie auch an den Erlass von R.en des Bundes Art. 80 GG; eine vergleichbare Bestimmung enthält auch der ganz überwiegende Teil der Landesverfassungen. Gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG hängt die Befugnis der Exekutive zum Erlass einer R. zunächst von der vorherigen parlamentsgesetzlichen Übertragung der Rechtsetzungsmacht ab. Voraussetzung einer solchen Übertragung ist im Lichte der Staatsstrukturprinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) nach bundesverfassungsgerichtlicher Judikatur die Beachtung des Erfordernisses einer Regelung wesentlicher, insb. grundrechtsrelevanter Entscheidungen durch formelles Gesetz (sogenannte Wesentlichkeitstheorie) und die Wahrung der Parlamentszuständigkeit für grundlegende Entscheidungen (sogenannter Parlamentsvorbehalt). Soweit hiernach eine Delegation der Exekutive zum Verordnungserlass statthaft ist, bildet die gesetzliche Ermächtigung den Rahmen, innerhalb dessen der Verordnungsgeber – unter Beachtung der aus höherrangigem Recht folgenden Grenzen, im Übrigen indes unter Inanspruchnahme eines eigenen Gestaltungsspielraumes – normsetzend tätig werden kann. Adressaten einer gesetzlichen Ermächtigung können ausweislich des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG ausschließlich die Bundesregierung, einzelne Bundesminister oder die Landesregierungen sein. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen zudem – erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte – „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden“ (sogenanntes Bestimmtheitsgebot); diese Voraussetzung bindet als Emanation des Rechtsstaatsprinzips auch die Länder. Allerdings mangelt es ihr nicht zuletzt aufgrund ihrer bundesverfassungsgerichtlichen Handhabung – derzufolge die im Einzelfall bestehenden Bestimmtheitsanforderungen auch von dem jeweiligen Regelungsgegenstand abhängen sollen – an Vorhersehbarkeit und Steuerungskraft, weshalb ihre disziplinierende Wirkung gegenüber dem Regelungsanspruch des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG in der Staatspraxis deutlich zurückbleibt und sie lediglich Pauschal- bzw. Blankoermächtigungen zu verhindern vermag. Das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG verlangt ferner, dass die R. den durch das ermächtigende Gesetz vermittelten Legitimationszusammenhang dadurch erkennen lässt, dass die ihr zu Grunde liegende gesetzliche Grundlage in der Verordnung angegeben wird. Nach Maßgabe von Art. 80 Abs. 2 GG kann zudem die Zustimmung des Bundesrates zum Erlass einer R. erforderlich sein. Eine R., die diesen Anforderungen nicht entspricht, ist grundsätzlich nichtig.

4. Funktion

Die Funktion der R. liegt nach traditionellem Verständnis in der Entlastung des parlamentarischen Gesetzgebers, in der Einbeziehung des spezifischen Sachverstands der Exekutive in die Normgebung und in der flexiblen Reaktion der Rechtsetzung auf sich rasch ändernde Umstände und neu gewonnene Erkenntnisse (sogenannte Entlastungsfunktion). Im modernen Verfassungsstaat hat sie eine Erweiterung erfahren, soweit sich der Gesetzgeber bei der Regelung bestimmter Gegenstände auf die Normierung nicht vollzugsfähiger Grundsätze und abstrakter Zielvorgaben beschränkt und der R. in der Konsequenz ergänzend die Funktion zugewachsen ist, die Vollzugsfähigkeit entsprechender gesetzlicher Bestimmungen herzustellen (sogenannte Vollzugsermöglichungsfunktion).

5. Entwicklung unter dem GG

Nicht zuletzt als Folge dieser Funktionserweiterung zeigen sich in der Staatspraxis der Gegenwart Tendenzen zu einer verstärkten parlamentarischen Einwirkung auf die Verordnungsgebung. Diese Tendenzen äußern sich zum einen in einer parlamentarischen Mitwirkung an der Verordnungsgebung aufgrund ermächtigungsgesetzlich statuierter Beteiligungsvorbehalte (parlamentarische Mitwirkung aufgrund von Gesetz), zum anderen in dem parlamentsgesetzlichen Erlass von R.en oder in der parlamentsgesetzlichen Änderung geltenden Verordnungsrechts (parlamentarische Teilhabe durch Gesetz). Hierdurch kommt es – bundesverfassungsgerichtlich weitgehend akzeptiert – zu einer Annäherung, teilweise gar zu einer Vermischung von Gesetz- und Verordnungsgebung, wie sie beiden Rechtsetzungsformen ihrer grundgesetzlichen Anlage nach nicht entspricht.