Nahostkonflikt

Beim „N.“ handelt es sich um die Auseinandersetzung zwischen Israel und der arabischen Bevölkerung Palästinas seit 1948. In unterschiedlichen Konstellationen waren darüber hinaus seither nahezu alle arabischen Staaten, die Arabische Liga sowie nicht-arabische Staaten wie die Türkei und Iran involviert. Insb. in der Epoche des Ost-West-Konflikts wurde der israelisch-palästinensische Konflikt von den beiden Supermächten instrumentalisiert, um ihren Einfluss im Nahen Osten auszuüben. Er erhielt damit eine globale Dimension. Die Komplexität des Konflikts sowie die Tatsache, dass zwischen 1948 und 1973 vier Kriege zwischen Israel und seinen Nachbarn geführt wurden (1948, 1956, 1967, 1973), lässt den israelisch-palästinensischen Konflikt als „den N.“ erscheinen.

Anfänge des N.s liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Insb. unter den Juden Osteuropas entschieden sich die „Zionsliebenden“ (hovevei Zion) zu einer „Rückkehr“ in das Land der Väter. Im Jahr 70 n. Chr. hatte der römische Feldherr Titus den jüdischen Aufstand niedergeschlagen und den Tempel in Jerusalem zerstört, worauf viele Juden das Land verließen. Militanter Antisemitismus und blutige Pogrome in Osteuropa stärkten ihre Entschlossenheit, nach Palästina auszuwandern. In seiner Schrift „Der Judenstaat“ (1896) entwarf Theodor Herzl, ein liberaler und säkularer österreichischer Jude, das Programm zur Schaffung eines jüdischen Gemeinwesens. Der erste Zionistenkongress (Zionismus) im August 1897 in Basel beschloss die Schaffung einer „öffentlich-rechtlichen Heimstätte in Palästina für Juden“. Ihre Einwanderung nach Palästina sollte systematisch gefördert werden. Damit war die zionistische Bewegung geboren. Sie verstand sich als jüdische Nationalbewegung.

Die Protagonisten, die zunächst nur eine kleine Minderheit der Juden weltweit darstellten, errangen einen Durchbruch, als Außenminister Lord Arthur James Balfour am 2.11.1917 die Bereitschaft der britischen Regierung erklärte, die Errichtung einer „jüdischen Heimstätte“ zu fördern. 1920 übernahm Großbritannien vom Völkerbund das Mandat über Palästina, dessen Grenzen nunmehr zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan sowie zwischen der südlichen Grenze des Libanon und der Halbinsel Sinai festgelegt wurden. Die „Balfour-Erklärung“ wurde Bestandteil des Mandats. Zwischen dem Ende des Ersten und des Zweiten Weltkriegs setzte eine massive Wanderung von Juden nach Palästina ein. Insgesamt werden bis 1945 sechs Einwanderungswellen (aliyot; Singular aliyah) gezählt. Sie siedelten auf dem Grund, der über den 1901 gegründeten Jüdischen Nationalfonds arabischen Besitzern abgekauft worden war. Zum Zeitpunkt der ersten Aliyah (1882) lag die Einwohnerzahl Palästinas, ein Gebiet etwa der Größe Mecklenburg-Vorpommerns, bei nicht einmal einer halben Mio. Rund 442 000 waren Araber, 13 000–20 000 Juden.

Weder die palästinensischen Führer noch die arabischen Staatsmänner zwischen Kairo und Bagdad waren in der Lage, der britischen Politik und dem Druck der zionistischen Bewegung erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen. Proteste aus der Mitte der palästinensischen Gesellschaft, insb. in den 30er Jahren, wurden von den Briten gewaltsam unterdrückt. Eine von Lord Robert Peel geleitete Kommission kam 1937 zu dem Ergebnis, dass die Lösung der „unüberwindlichen Gegensätze“ in der Teilung Palästinas in einen arabischen und jüdischen Teil liegen würde. Die Araber wiesen diesen Vorschlag kategorisch zurück. Ein im Mai 1939 vorgelegtes Weißbuch nahm ihn zurück und suchte die Einwanderung erst zu reduzieren und schließlich zu beenden, um so die Voraussetzungen für das Zusammenleben in einem gemeinsamen Staat zu schaffen. Diesmal kam die Zurückweisung von der zionistischen Seite.

Angesichts der Verfolgung und Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten (Shoa) und des so entstehenden dramatischen jüdischen Einwanderungsdrucks nach Palästina wurde die britische Politik zunehmend unhaltbarer. Auch verlagerte sich der Schwerpunkt zionistischer Aktivitäten von England in die USA. Im Februar 1947 schließlich beschloss London, sein Mandat an die UNO, die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, zurückzugeben. Nicht zuletzt auf erheblichen Druck Präsident Harry S. Trumans entschied deren Vollversammlung am 29.11.1947 die Teilung in einen jüdischen und palästinensischen Staat. Israel sollte 56,47 % des Territoriums Palästinas umfassen. In Gesamtpalästina lebten zu diesem Zeitpunkt ca. 1 363 000 Araber und 608 000 Juden.

Die arabischen Führer lehnten den Teilungsplan ab, die zionistischen akzeptierten ihn. Als am 14.5.1948 der Staat Israel proklamiert wurde, begann der erste arabisch-israelische Krieg. Der „N.“ erhielt eine militärische Dimension. Ägyptische, transjordanische, syrische, libanesische und irakische Truppen griffen den jungen Staat an. Schlecht ausgerüstet und geführt, sowie wenig motiviert, zeigten sie sich der israelischen Armee unterlegen. Als die Kriegsparteien in den ersten Monaten 1949 separate Waffenstillstände eingingen, hatte Israel sein Territorium auf 78 % Palästinas – mit der Hauptstadt Westjerusalem – ausgedehnt. Lediglich Ägypten hatte einen Landstreifen südlich von Gaza erobern können. Etwa 750 000 Palästinenser waren geflohen oder vertrieben worden und hatten in den Nachbarländern Zuflucht gesucht. Um sie kümmert sich seit Mai 1950 UNRWA. Die Frage ihrer Rückkehr – im Dezember 1948 hatte die Vollversammlung der UNO das Recht darauf festgestellt – ist bis in die Gegenwart unbeantwortet. Der Rest Palästinas wurde mit der Unterstützung Englands und der USA vom Herrscher Transjordaniens, Emir Abdallah I., der im März 1946 das „Königreich Jordanien“ ausgerufen hatte, im Dezember 1949 annektiert. Für die Palästinenser ist der 14.5.1948 der Tag der „Katastrophe“ (nakba).

Der Kern des N.s liegt im Ringen der beiden nationalen Ansprüche auf Palästina. Der Konflikt hat zugleich eine regionale und internationale Dimension: Bis zum Abschluss des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages im März 1979 haben alle arabischen Staaten die Anerkennung Israels verweigert. Zugleich wurde der Kampf um Palästina zu einem Teil des Legitimitätsanspruchs der arabischen Regierungen unterschiedlicher Weltanschauungen und Ideologien. In den Zeiten des Ost-West-Konflikts, zwischen 1948 und 1990 wurde der N. von den USA und der UdSSR instrumentalisiert, um Verbündete im Nahen Osten zu gewinnen.

Das Versagen der überkommenen arabischen Führungen im ersten Nahostkrieg 1948/49 gab wesentliche Anstöße für Umbrüche im arabischen Raum, die mit den Militärputschen in Syrien 1949 begannen und mit der Machtübernahme der „Freien Offiziere“ in Ägypten, die Oberst Gamal Abdel Nasser an die Macht brachten, den ganzen Nahen Osten zu erfassen begannen. Da die Palästinenser keinen eigenen Staat erhalten hatten, benötigten sie für den bewaffneten Kampf gegen Israel Stützpunkte in den benachbarten Staaten Jordanien, Ägypten, Syrien und Libanon. Deren Verwicklung in den Konflikt war eine wesentliche Ursache für den zweiten und dritten Nahostkrieg 1956 und 1967. Nur langsam gelang es den Palästinensern, sich als politischer und militärischer Akteur gegenüber den arabischen Staaten zu emanzipieren. 1964 schlossen sich unterschiedliche Kampforganisationen zur PLO zusammen.

Der Krieg vom Juni 1967 ließ eine neue Situation entstehen. Indem Israel die Halbinsel Sinai und den Gazastreifen, das Westufer des Jordan (Westbank) und Ostjerusalem sowie die Golanhöhen besetzte, hielt es nunmehr territoriale Faustpfänder in der Hand, die es mit dem Ziel der diplomatischen Anerkennung gegenüber den Regierungen in Kairo, Amman und Damaskus ausspielen konnte. „Land für Frieden“ wurde die Formel eines künftigen Friedensschlusses. Sie fand in der Res. 242 des UNO Sicherheitsrats im November 1967 Niederschlag. Im vierten Nahostkrieg vom Oktober 1973 gelang es Präsident Anwar as-Sadat, Ägypten militärisch zu rehabilitieren. Die Verhandlungen von Camp David (1978), in denen der amerikanische Präsident Jimmy Carter eine starke Vermittlerrolle spielte, brachte den Durchbruch, dem ägyptisch-israelischen Friedensvertrag vom März 1979. Die arabischen Führer protestierten und schlossen Ägypten (für zehn Jahre) aus der Arabischen Liga aus. Deren Sitz wurde von Kairo nach Tunis verlegt.

Die Niederlage der Armeen Ägyptens, Syriens und Jordaniens im Juni 1967 war das Fanal des militärischen und politischen Aufstiegs der PLO. Nach blutigem Kampf zwischen ihr und dem jordanischen König Husain um die Macht im Königreich sah sich der König 1974 unter Druck, die Auseinandersetzung um Palästina, d. h. die Westbank und Ostjerusalem, der PLO abzutreten. Palästinas Zukunft sollte künftig in den Händen einer national-palästinensischen Organisation liegen. Bis zu seinem Tod 2004 war Yasir Arafat ihr Gesicht. Dass die PLO ihr Hauptquartier in Beirut bezog, zerstörte das fragile politische Gleichgewicht im Libanon und wurde mitverantwortlich für den Bürgerkrieg, in den das Land von 1975 bis 1990 gestürzt ist. Im Gefolge der militärischen Intervention Israels wurde die PLO 1982 gezwungen, Beirut zu räumen. In Tunis fand sie bis 1994 ein neues Quartier.

Mit der Revolution im Iran 1979, dem Überfall des Irak auf die Islamische Republik und der sowjetischen Invasion in Afghanistan (1980) verlagerte sich das regional- und weltpolitische Interesse auf die Region des Persischen Golfs. Frustriert über das Ausbleiben politischer Initiativen zur Lösung des Konflikts um Palästina ergriff die palästinensische Bevölkerung Ende 1987 selbst die Initiative. Ausdruck ihres Aufstands (intifada) gegen die israelische Besatzung wurden die Bilder von Jugendlichen, die schwer bewaffnete israelische Soldaten mit Steinen bewarfen. Bald gelang es der PLO, an die Spitze des Aufstands zu treten. Mittlerweile hatte sich die Großwetterlage verändert: Der irakisch-iranische Krieg am Golf spaltete die arabische Welt und schwächte die radikalen Staaten, nicht zuletzt Irak und Syrien. Die Perestroika des sowjetischen Präsidenten Michail Sergejewitsch Gorbatschow ließ Moskaus Interesse an der palästinensischen Sache in den Hintergrund treten. In dieser Konstellation zeigte der Druck aus Washington auf die PLO und Y. Arafat Wirkung, das Ende des bewaffneten Kampfes und die Anerkennung Israels zu erklären. In seiner Rede vom Dezember 1988 vor der UNO Vollversammlung in Genf machte Y. Arafat den Weg für Verhandlungen frei.

Im Oktober 1990 in Madrid begonnen, führten sie zu den historischen Bildern, die am 13.09.1993 um die Welt gingen: In Gegenwart von US-Präsident Bill Clinton reichten sich Y. Arafat und der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin auf dem Rasen vor dem Weißen Haus die Hände. Israel erkannte die PLO als Vertretung des palästinensischen Volkes an; im Gegenzug sprach Y. Arafat im Namen der PLO und des palästinensischen Volkes die Anerkennung des Staates Israel aus. In einer Prinzipienerklärung einigten sich beide Seiten auf einen Verhandlungsplan. Im Juni 1994 kehrte Y. Arafat nach 27-jähriger Abwesenheit nach Palästina zurück und nahm seinen Sitz in Ramallah. Im folgenden Oktober schloss Jordanien einen Friedensvertrag mit Israel. Am 20.1.1996 wurden Wahlen zu einem Palästinensischen Nationalrat durchgeführt. Die radikalislamische Hamas-Bewegung lehnte den Friedenprozess allerdings kategorisch ab.

Der Optimismus, die Lösung des N.s sei nur noch eine Frage der Zeit, verflog schnell. Am 4.11.1995 ermordete ein israelischer Extremist Y. Rabin. Aber bereits zu diesem Zeitpunkt erwiesen sich drei Problemkreise als unlösbar: die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge bzw. deren Nachfahren nach Palästina, die Zugehörigkeit Ostjerusalems, das von Israel 1980 annektiert worden war, und der Rückzug Israels von den 1967 besetzten Gebieten. Bereits unmittelbar danach hatte Israel begonnen, jüdische Siedlungen auf der Westbank anzulegen und Juden in Ostjerusalem anzusiedeln. Die konservativen israelischen Regierungen seit 2001 haben das Siedlungsprojekt systematisch vorangetrieben. 25 Jahre nach den historischen Bildern vor dem Weißen Haus ist fraglich geworden, ob auf dem Boden Palästinas überhaupt noch Raum ist für zwei Staaten. 2018 lebten auf der Westbank und in Ostjerusalem mehr als 600 000 jüdische Siedler.

Teilweise dramatische Ereignisse und Konflikte im Umfeld haben „den N.“ auf der internationalen Agenda seit 2001 in den Hintergrund treten lassen: der Krieg gegen den (islamistischen) Terrorismus, die amerikanische Intervention im Irak 2003 und der Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ 2010/11, in dessen Folge weite Teile des Nahen Ostens tiefgreifend destabilisiert worden sind. Die Unterdrückung der Palästinenser durch die Besatzung und die immer von neuem aufflammenden kriegerischen Ausbrüche, insb. im Libanon und in Gaza, stoßen auf geringes Echo. Die Tatsache, dass der N. in der Gegenwart eingehegt zu sein scheint, ließ auch das Interesse an seiner Lösung abnehmen. Im Mai 2018 ordnete der amerikanische Präsident Donald John Trump die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem an. Damit hat er der den – einseitig erklärten – israelischen Anspruch, ganz Jerusalem sei die „ewige und unteilbare Hauptstadt“ des jüdischen Staates, anerkannt. Die palästinensische Führung und die internationale Gemeinschaft haben dies zwar zurückgewiesen. Politische Konsequenzen aber hatte dies nicht. Mit Blick auf seine Entstehung und seinen Kern gilt, dass der N. sein Ende –gar seine Lösung– nicht gefunden hat.