Generation

Version vom 20. November 2019, 17:37 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Generation)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Der Begriff der G. (lataienisch Zeugung, abgeleitet von Genus = Geschlecht, Gattung oder auch Gesamtheit der Nachkommenschaft) bezeichnet den Zusammenhang von etwa zur gleichen Zeit geborenen Menschen, der sich aufgrund ähnlicher Erfahrungen, Einstellungen und Verhaltensformen von früheren und späteren G.en unterscheidet.

Die Prozesse der Differenzierung von und zwischen den G.en werden v. a. von der Erziehungswissenschaft und der Soziologie untersucht. Im Rahmen philosophisch-pädagogischer Betrachtungen über Aufwachsen, Lernen, Erziehung und Bildung ist der G.en-Begriff schon früh als Basis einer auf der Endlichkeit des Lebens, der Nachkommenschaft und des Miteinanders von Jungen und Alten basierenden „gesellschaftlichen Entwicklungstatsache“ (Schleiermacher 1826: 49; Bernfeld 1928: 38) gefasst worden. In der Soziologie knüpfte Karl Mannheim 1928 an diese Überlegungen an und untersuchte als „formalsoziologische Analyse“ (Mannheim 1928: 170) des „Problems der Generationen“ (Mannheim 1928: 157) die Weitergabe kulturellen Wissens und gesellschaftlicher Errungenschaften an die nachfolgenden G.en. Seine Vorstellungen zur G.s-Bildung gehen davon aus, dass aus benachbarten Geburtsjahrgängen aufgrund der gemeinsam durchlebten historisch-gesellschaftlichen Phase und prägenden Erfahrungen – etwa durch Kriege und politische Systemwechsel – „Generationseinheiten“ (Mannheim 1928: 170) entstehen können. Dabei versteht K. Mannheim G. nicht als konkrete Gruppenbildung, sondern als zunächst bloßen Zusammenhang, als Potenzialität einer „schicksalsmäßig-verwandten Lagerung“ (Mannheim 1928: 171) im gesellschaftlich-historischen Raum.

Mit Bezugnahme auf K. Mannheim beschreiben eine Vielzahl von Untersuchungen G.en als historisch-gesellschaftliche Gestalten. Sie nehmen dazu Etikettierungen vor, welche die jeweilige Jugend-G. in ihren historischen Rahmen einordnen und den mit der jeweiligen G. in Zusammenhang stehenden Normen- und Wertewandel verdeutlichen. So analysiert und typisiert z. B. Helmut Schelsky die Geburtsjahrgänge der 1920er und frühen 1930er Jahre, deren Kindheit und Jugend von der Hitler-Jugend und der drohenden oder faktischen Beteiligung am Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer bestimmt gewesen war, als „Skeptische Generation“ (Schelsky 1957). Sie sei davon gekennzeichnet, sich in der Nachkriegszeit von gesellschaftlichen Ideologien und Versprechen zu distanzieren und auf Erwerbsarbeit und das private Glück zu fokussieren.

Bis heute werden ständig neue G.en identifiziert und mit deren immer kürzer werdender Bestandsdauer nimmt auch die Kritik am G.en-Konzept K. Mannheims zu. So wird einerseits die Vielzahl der G.en-Gestalten als Hinweis auf vermehrte Brüche zwischen G.en gedeutet und auch darauf, dass die „Anschlussfähigkeit des sozialen Wissens der Generation“ abnehme (Zinnecker 2002: 94). Andererseits wird vermutet, dass die gegenwärtig hohe Geschwindigkeit von Veränderungen eine ständige Überlagerung und Verdeckung von G.s-Zusammenhängen erzeuge, welche eine Neuausbildung ausgewiesener G.en verhindere.

Insgesamt zeigt sich eine flexible und heterogene Verwendung des G.s-Begriffs. Er bezeichnet sowohl eine Geburts-G. als auch eine zeitgeschichtliche G. oder eine Lebensalter-G. Eingebunden in die historische Transformation von Gesellschaft, im Zuge derer sich G. als soziales Gefüge selbst wandelt (z. B. von der Drei-G.en-Familie zu einem generationellen Gefüge verschiedener Patchwork-Familien), verändern sich auch die mit dem Begriff verbundenen Assoziationen von Kreislauf/Kontinuität, Umbruch und Vertrag. In der gegenwärtigen Forschungslandschaft lassen sich fünf unterschiedliche Zugänge, Begriffe und Typisierungen ausmachen:

a) Erziehungswissenschaftliche Beschreibungen von G.s-Gestalten im 20. und 21. Jh., die historische Spezifika im Prozess des Aufwachsens typisieren und entweder streng an der Mannheim’schen Begrifflichkeit ausgerichtet oder an zeithistorischen Akzenten – z. B. Krieg, Krise, Konsum – orientiert sind.

b) Soziologische G.s-Typologien, die sozialgeschichtliche und kulturwissenschaftliche Beschreibungen zusammentragen und generationelle Ausdifferenzierungen durch Einblicke in Alltag und Sichtweisen veranschaulichen (z. B. bei Thomas Grotum am Beispiel der „Halbstarken“).

c) Ansätze, welche die generationenbildende Bedeutung von Institutionen untersuchen und dementsprechend z. B. Technik-G.en oder Medien-G.en charakterisieren. Dazu gehören auch Klassifizierungen, die in alltagssprachlicher Verwendung des G.en-Begriffs einander ablösende Moden und kulturelle Trends abbilden, z. B. als „Generation Golf“ bei Florian Illies oder „Generation kick.de“ bei Klaus Farin.

d) Die auf G.en-Beziehungen ausgerichtete familiensoziologische G.en-Forschung, die der Frage nachgeht, was die Jungen von den Alten (und vice versa) in konkreten familialen Settings lernen und welche Vorstellung von Erziehung, Wertevermittlung, Wissensweitergabe damit verbunden sind.

e) Die Differenzierung von G.en als kulturelle Praxis, die im gemeinschaftlichen Vollzug praktischer Aktivitäten interaktiv hergestellt wird. Die Prozesse eines „doing generation“ (Kelle 2005: 98) werden insb. in Untersuchung altershomogener Gruppen dokumentiert. Sie begründen eine Form der gesellschaftlichen Differenzierung, die als „generationale Ordnung“ (Kelle 2005: 104) Hierarchien etabliert und Ungleichheiten festschreibt.

Neben dem thematisch-erklärenden Gehalt dokumentieren alle Zugänge und Begriffe von G. die vorherrschenden Sichtweisen auf gesellschaftliche Probleme und Fragen der Zukunft: die Kontinuität kultureller Güter, gesellschaftlicher Konventionen, Werte, Persönlichkeiten und Identitäten, Flexibilität und die Fähigkeit, sich Neuem anzupassen sowie Frustrationstoleranz oder Pragmatik als Reaktion auf Schuld und Verbrechen.