Pränataldiagnostik (PND)

1. Begriffsklärung

Unter PND im weiten Sinn versteht man alle vorgeburtlichen Untersuchungen des Embryos, der im Mutterleib heranwächst. Im engeren Sinn versteht man unter PND genetische Diagnostik. Diese wurde in Deutschland erstmals 1970 durchgeführt. Im Laufe der folgenden zwei Dekaden wurde die anfangs enge Indikation u. a. durch den Ausbau humangenetischer Labors und Beratung (Humangenetik), die Aufnahme der PND in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und das haftungsrechtliche BGH-Urteil „Kind als Schaden“ (NJW 2000: 1782) stark ausgeweitet. Heute führen weniger die „Altersindikation“ oder Ängste der Schwangeren als vielmehr auffällige Befunde bei Untersuchungen im Rahmen des „Mutterpasses“ oder selbst finanzierter Gesundheitsleistungen wie Feinultraschall, Biomarker- und genetische Bluttests zu einer Intensivierung der Diagnostik.

Pränatale genetische Diagnostik verfolgt das Ziel, numerische (Mono- oder Trisomien) und strukturelle Chromosomenfehler oder Einzelgendefekte des Embryos zu identifizieren. Die Zellen des Embryos können zum einen durch „invasive“ Methoden wie Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung), Chorionzottenbiopsie (Mutterkuchenpunktion) oder Cordonzentese (Nabelschnurpunktion) gewonnen und einer Chromosomen- oder DNA-Analyse unterzogen werden. Zum anderen ist es neuerdings möglich, über einen Bluttest (nicht-invasiver Pränataltest, d. h. einen nicht bzw. wenig invasiven pränatalen Test; in Deutschland erstmals 2012 zugelassen) embryonale DNA-Bruchstücke aus dem Blut der Schwangeren „herauszufiltern“ und „zusammenzusetzen“. Derzeit lassen sich mit den auf dem Markt befindlichen Bluttests neben dem Geschlecht des Embryos Chromosomenanomalien wie Trisomie 21, 18 und 13 sowie mit manchen Tests zudem Fehlverteilungen der Geschlechtschromosomen (z. B. X0, XYY) und seltene Syndrome identifizieren; künftig werden auch molekulargenetische Analysen und damit die Identifikation einiger Hundert bekannter Störungen auf Gen-Ebene möglich sein, so z. B. Chorea Huntington, Cystische Fibrose, Muskeldystrophie sowie erhöhte Krebs- oder Demenzrisiken.

Während die invasiven Methoden erst ab der ca. 15. (bzw. 11. bzw. 18.) Schwangerschaftswoche möglich sind und sich Schwangere bei einem auffälligen Befund zu einem späten Zeitpunkt zur etwaigen Frage des Schwangerschaftsabbruchs verhalten können, sind die genetischen Bluttests bereits ab der 10. Woche möglich. Das Risiko eines Spontanaborts von ca. 1 % wie bei den „invasiven“ Methoden entfällt. Trotz hoher Erkennungsrate – die allerdings je nach Art der genetischen Störung variiert – werden die „Markertests“ mit ihren Wahrscheinlichkeitsaussagen bislang durch oben genannte invasive Methoden, die eine direkte Analyse embryonaler Zellkerne erlauben, abgesichert. Zur Genauigkeit der Bluttests (u. a. zu falsch positiven Ergebnissen) liegen unterschiedliche Studien vor.

Im Unterschied zur PND ist die PID nur im Rahmen einer künstlichen Befruchtung (IVF; Insemination) möglich. Die extern befruchteten Embryonen werden vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf genetische Störungen hin untersucht und gegebenenfalls verworfen. Für die PID gibt es unterschiedliche Adressatengruppen: Um die Weitergabe einer erblich bedingten familiären Erkrankung zu vermeiden, unterziehen sich manche Paare, die auf natürlichem Weg ein Kind bekommen könnten, einer IVF (und einer damit verringerten Rate geborener Kinder). Für die große Gruppe der ungewollt kinderlosen Paare wird die PID als Möglichkeit der Erfolgsratenverbesserung und der genetischen Überprüfung erachtet. Technisch könnte die Analyse in Zukunft auf das gesamte Genom ausgedehnt werden.

2. Rechtliche Regelungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für PND sind in Deutschland seit 2009 im GenDG festgelegt – u. a. Arztvorbehalt (§ 7) und Aufklärung über Zweck, Art und Umfang der Untersuchung sowie die Aussagekraft des Ergebnisses (§ 9). Vorgeburtlich darf eine PND nur zu medizinischen Zwecken und mit der Frage durchgeführt werden, ob genetische Eigenschaften die Gesundheit des Embryos während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen (§ 15). Das Geschlecht des Kindes darf erst nach der 12. Woche mitgeteilt werden.

Wenn nach der 12. Schwangerschaftswoche bei einer PND ein auffälliger Befund mit der Annahme auftritt, dass die körperliche oder geistige Gesundheit des Kindes geschädigt ist, muss der Arzt über die medizinischen und psychosozialen Aspekte, die sich aus dem Befund ergeben, ergebnisoffen beraten (§ 219 StGB). Zudem ist auf den Rechtsanspruch einer psychosozialen Beratung hinzuweisen. Unter Bezugnahme auf § 218 StGB kann ein Arzt unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Schwangeren eine medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch stellen, um von ihr eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands abzuwenden – die sich nicht auf andere für sie zumutbare Weise abwenden lässt. In diesem Fall ist der Abbruch weder rechtswidrig noch zeitlich begrenzt (vgl. Spätabbrüche). Eine Bedenkzeit von drei Tagen ist einzuhalten.

In einigen Ländern Europas ist es rechtlich zulässig, im Rahmen einer durch ungewollte Kinderlosigkeit begründeten IVF eine PID durchzuführen. Dort wird die PID folglich in größerem Umfang i. S. einer Reihenuntersuchung (Screening) durchgeführt, d. h. ohne konkreten Anlass nach genetischen Auffälligkeiten gesucht. In Deutschland ist die PID seit 2011 ausschließlich für Paare mit einer Erbkrankheit in der Familie erlaubt. Eigens dafür eingerichtete Ethikkommissionen haben die Aufgabe, vor Durchführung einer PID zu bewerten, ob aufgrund der genetischen Disposition der Frau oder des Mannes für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit oder einer Tot- oder Fehlgeburt besteht.

Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (vgl. Mutterpass) zielen auf die Gesundheit von Mutter und Kind ab. Auffälligkeiten bei regulären Vorsorgeuntersuchungen können zu genetischen Untersuchungen führen, deren Kosten angesichts einer „Risikoschwangerschaft“ von den Krankenkassen übernommen werden. Faktisch wird derzeit bei ca. 75 % der Frauen eine Risikoschwangerschaft attestiert, wobei neben Alter (ab 35 Jahren) und psychischer Belastung vielfältige medizinische Faktoren geltend gemacht werden. Bei den Vorsorgeuntersuchungen ist der Übergang zwischen therapierbaren und nicht-therapierbaren genetischen Störungen fließend, sodass sich die Schwangere nicht selten relativ unerwartet vor die Frage gestellt sieht, ob sie ihre „Wunschschwangerschaft“ weiterführen oder unter Bezugnahme auf die medizinische Indikation (§ 218 StGB) abbrechen soll.

3. Individual- und sozialethische Aspekte

Der Einsatz der PND verlangt sozialethische und individualethische Verantwortung. Wenn polyvalente Vorsorgeuntersuchungen mehr als die Hälfte der Zielgruppe unter Risiko stellen, ohne den Betroffenen kompetent zu kommunizieren, was dies aus psychosozialer und ethischer Sicht bedeuten kann, resultieren daraus riskante Freiheiten. Schwangere Frauen haben oft kein genaues Verständnis von PND, nutzen diese aber häufig. Sie können angesichts gewisser Vorsorgeroutinen trotz Freiwilligkeit und Erfordernis der Informierten Zustimmung nicht zuverlässig von ihrem Recht auf Nichtwissen Gebrauch machen. Für die PND spricht, dass Schwangere durch eine unauffällige genetische PND beruhigt sein oder sich im Wissen um die Behinderung ihres Kindes auf die Geburt und die Zeit danach vorbereiten können. Jedoch entscheidet sich die Mehrzahl der schwangeren Frauen nach gesicherter auffälliger PND für einen Schwangerschaftsabbruch. Aus ethischer Sicht sind damit das Recht des Embryos auf Lebensschutz und Nicht-Diskriminierung verletzt. Die Schwangere steht jedoch häufig in einem familiären und gesellschaftlichen Umfeld, das behindertes Leben negativ bewertet und ahnen lässt, dass Stigmatisierung und Ausgrenzung das Leben des Kindes und seiner Eltern prägen werden. Obwohl also die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch bei der Frau liegt und ein Gewissensurteil (Gewissen, Gewissensfreiheit) darstellt, muss bedacht werden, dass die psychische Verfassung der Frau und der äußere soziale Druck so gravierend sein können, dass kaum von einer wirklich selbstbestimmten Entscheidung gesprochen werden kann. Entspr. der moralischen Regel „Kein Sollen ohne Können“ darf folglich gesellschaftliche Verantwortung nicht privatisiert werden.

Ein seit langem eingefordertes sozialethisches Desiderat ist anlässlich des Beschlusses der Refinanzierung des genetischen Bluttests in begründeten Einzelfällen durch die gesetzlichen Krankenkassen nochmals hervorzuheben: Die in der medizinischen Versorgung üblichen Voraussetzungen der Freiwilligkeit und Informierten Zustimmung müssen vor einer genetischen PND und nach einem auffälligen genetischen Befund ohne Therapiemöglichkeit durch ethische Kompetenz und psychosoziales Erfahrungswissen ergänzt werden. Da Frauenarztpraxen dies angesichts des Mangels an Zeit und professioneller Beratungsausbildung nicht leisten können, bedürfte es, so kritische Stimmen, einer – nach Möglichkeit verpflichtenden – Begleitung der PND im engeren Sinne durch Schwangerschaftskonflikt- und Lebensberatungsstellen. Ansonsten steht zu befürchten, dass PND und insb. genetische Bluttests zu einer Schwangerschaft auf Probe und zu einer Elternschaft unter Konditionen führen. Eine mehr oder weniger routinemäßige genetische Prüfung von Schwangerschaften würde einer behindertenfreundlichen und die Kontingenz jedes Menschen berücksichtigenden Gesellschaft entgegenwirken. Körperliche und intellektuelle Beeinträchtigungen dürfen nicht automatisch mit Leid in Verbindung gebracht werden, sondern sind Ausdruck menschlicher Vielfalt.

Der Zugang zu genetischer PND durch das ärztliche Attestieren einer Risikoschwangerschaft sollte – gemäß pragmatisch-modulierter Kritik – durch transparentere, engere Kriterien geregelt werden als derzeit de facto praktiziert. Der Bluttest sollte zumindest nicht in der Zeit der fristabhängigen Straffreistellung des Abbruchs erfolgen und außerdem nur als Zweitdiagnostik eingesetzt werden. Kritische Stimmen machen außerdem darauf aufmerksam, dass die „Freiheitsgrade“ künftiger Kinder und das Verständnis von Elternschaft als un-bedingter Annahme eines Kindes eingeschränkt werden, wenn Paare, Ärzteschaft und Gesellschaft durch „Torhüterdiagnostik“ nicht jedem Embryo ungeachtet seiner Merkmale die gleiche Chance einräumen, geboren zu werden.