Ökologie

1. Ökologie als Wissenschaft

Die Ö. ist ein Teilbereich der Biologie. Sie entsteht im 19. Jh. und etabliert sich im frühen 20. Jh. Als Vordenker der Ö. kann Alexander von Humboldt gelten, wenngleich das Wort „Ö.“ erst von Ernst Haeckel geprägt wurde. Bei E. Haeckel bezieht sich der Ausdruck „Ö.“ auf die Beziehung zwischen einem Organismus und seiner Umwelt. Dieser Ansatz wird von Jakob von Uexküll zur Theorie der artspezifischen Umwelten der Tiere weiterentwickelt. Der Meeresforscher Karl August Möbius prägt im Kontext seiner Forschungen zur Übernutzung der Austernbänke den Ausdruck „Biozönose“ für Lebensgemeinschaften aus unterschiedlichen Arten. In den USA der 1920er Jahre entsteht eine systemtheoretisch ausgerichtete Ö., deren Vertreter Strukturen, Interaktionen und Funktionen komplexer Biozönosen auf unterschiedlichen Ebenen modellieren. In der Frühphase werden Ökosysteme noch als „Super-Organismen“ konzipiert. Diese Konzeption wird durch Arthur George Tansley u. a. kritisiert und gilt heute als unhaltbar. A. G. Tansley prägt den Ausdruck „Ökosystem“.

Ökologische Spezialdisziplinen sind auf bestimmte Biozönosen bezogen wie etwa die Forst-, Agrar- oder Moor-Ö. Hinzu kamen Populations-Ö. und Renaturierungs-Ö., die eine Beziehung zur conservation biology insofern unterhalten, als sie sich auf die Schutzziele des Artenerhalts und der Renaturierung von unterschiedlichen, human überformten Biozönosen beziehen. Die Landschafts-Ö. wiederum nimmt größere biotische Einheiten („Biome“) in den Blick und untersucht dabei auch menschliche Einflüsse auf die abiotische und biotische Landschaftsausstattung. Die Evolutions-Ö. bettet ökologische Fragestellungen (etwa Einheiten der Selektion, Anpassungsleistungen, Nischenbildung, Speziation usw.) in die übergreifende neodarwinistische Evolutionstheorie (Evolution) ein. Zur Theorie der Ö. sind insb. die Arbeiten von Kurt Jax zu empfehlen.

Sofern die ökologische Forschung sich der Vergangenheit von Landschaften zuwendet, wird sie zur Paläo-Ö. oder zur historischen Landschaftsforschung. In diesem Sinne kann der Wandel der deutschen Landschaft zwischen 1750 und 1900 historisch beschrieben werden. Eine praktisch ausgerichtete Nachbardisziplin der Ö. ist die Landschaftsplanung, die sich häufig advokatorisch für Naturschutz und Landschaftspflege engagiert. Ein Grenzgebiet stellt die Humanökologie dar, die menschlich geprägte Umwelten hinsichtlich ihrer Wirkungen auf den menschlichen Organismus betrachtet. Die Human-Ö. versteht sich als „interdisziplinäre Mensch-Umwelt-Beziehungswissenschaft“ (Tretter 2008: 273). Sie weist Berührungspunkte zur Umwelttoxikologie und zur Sozialmedizin auf und setzt häufig Werte wie „Gesundheit“ oder „Zuträglichkeit“ voraus.

2. Wertbezüge der Ökologie

Häufig wurde die Ö. im Gefolge von Umweltverschmutzungen und wachsendem Naturverbrauch seit den 1970iger Jahren als eine subversive Wissenschaft verstanden, deren kritische Funktion es sei, auf Belastungsgrenzen des sog.en Naturhaushalts und auf die Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen hinzuweisen. Die Ö. wurde dabei als eine Art von Warnprognostik betrachtet. Soziale Bewegungen, die sich für Umwelt- und Naturschutz engagierten, bezeichneten sich selbst als „Ökologiebewegung“ (Engels 2016). „Ö.“ wurde zur Chiffre für ganzheitliche Weltbilder und eine naturverträgliche Lebensführung. Durch diese politischen, moralischen und weltanschaulichen Debatten wandern Wertvorstellungen und normative Bedeutungen in den Begriff der Ö., der dadurch entspr. „aufgeladen“ wurde und wird.

Generell ist zu betonen, dass die Ö. in ihren verschiedenen Sparten eine Naturwissenschaft ist, aus deren empirischen Befunden und Modellen keine Normen und Werte deduktiv gültig abgeleitet werden können (Verbot des sog.en naturalistischen Fehlschlusses). Aus Sicht der wissenschaftlichen Ö. sind allenfalls hypothetische Präskriptionen möglich: „Wenn Schutzziel X erreicht werden soll, dann können und sollten Maßnahmen M1, M2….Mn getroffen werden.“ Die Ö. beschreibt und erklärt Veränderungen in biozönotischen (= ökosystemaren) Gefügen, stellt Hypothesen über die Funktionen von Arten(gruppen) auf und entwickelt Prognosen über ökosystemare Reaktionen auf Veränderungen der abiotischen Randbedingungen (etwa Klimawandel) oder der Einwanderung und Einschleppung von Neobiota. Sie kann darauf hinweisen, dass die Fortsetzung bestimmter Praktiken (Eintrag von Schadstoffen, Bejagung, Flächenumwandlung usw.) langfristig Risiken etwa hinsichtlich des Aussterbens von Arten birgt; sie kann jedoch nicht über die Akzeptabilität dieser Risiken urteilen. Die Betonung der analytischen Trennung von Tatsachen- und Werturteilen sollte mit der Einsicht einhergehen, dass bestimmte Zweige der Ö. eine Affinität zu bestimmten Wertvorstellungen und Naturschutzzielen aufweisen. Bei der Populations-Ö. ist es der Artenschutz, bei der Renaturierung die Rückgewinnung von Naturnähe, bei der Human-Ö. ist es der Wert der menschlichen Gesundheit, wobei unterschiedliche Gesundheitskonzepte in Anschlag gebracht werden können.

An den Grenzen zwischen Ö. und Naturschutz sind eine Reihe von sog.en Hybridkonzepten angesiedelt wie etwa „Urlandschaft“, „Wildnis“, „potentiell natürliche Vegetation“, „Biodiversität“, „Naturhaushalt“, „ökologisches Gleichgewicht“, „evolutionäre Potentiale“, „ecosystem services“. In diesen Grenzbereich fällt auch die Auffassung, die natürliche biotische Vielfalt bewirke oder begünstige die Stabilität bzw. Resilienz biozönotischer Gefüge, woran vielen Menschen gelegen sei (sog.e Diversitäts-Stabilitäts-Hypothese). Diese Hybridkonzepte sollten i. S. Max Webers säuberlich hinsichtlich der naturwissenschaftlichen und der naturschützerischen Aspekte geschieden werden. Das Konzept der Biodiversität kann in diesem Sinne nach seiner empirischen Seite hin in die Ebenen

a) der genetischen Variabilität,

b) der Artenvielfalt und

c) der Vielfalt naturräumlich lokalisierter Biozönosen

unterschieden werden, während es in seiner normativen Dimension zur Zieltrias der „Convention on Biological Diversity“, nämlich

1) Schutz,

2) nachhaltige Nutzung (Nachhaltigkeit) und

3) gerechter Vorteilsausgleich

untergliedert werden kann. Bezieht man das Ziel des gerechten Vorteilsausgleiches auf alle drei Ebenen der Biodiversität, so kann eine Matrix konstruiert werden, deren einzelne Felder jeweils bestimmte Verfeinerungen sowohl der empirischen als auch der normativen Dimension erfahren können.

3. Tiefenökologie

Philosophen wie Arne Naess prägten den Ausdruck „Tiefenökologie“ als Sammelbezeichnung für sog.e ecosophies, d. h. für philosophisch oder religiös begründete Konzepte, in denen ein grundlegend verändertes Mensch-Natur-Verhältnis gefordert wurde. A. Naess und George Sessions haben ein Vier-Ebenen-Schema der Tiefen-Ö. entwickelt. Auf der obersten Ebene dieses Schemas werden eine Vielfalt unterschiedlicher Ökosophien platziert, die sich aus religiösen, künstlerischen, spirituellen und philosophischen Quellen speisen können. So können bspw. das Spätwerk Martin Heideggers und die Prozessphilosophie Alfred North Whiteheads tiefenökologisch interpretiert werden. Auch Neuinterpretationen des biblischen Schöpfungsnarratives (Gen 1) sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. A. Naess selbst vertrat eine von Baruch de Spinoza und vedischen Traditionen beeinflusste sog.e Ecosophy T, in deren Mittelpunkt das Konzept der sich erweiternden Identifikation (widening identification) steht. Die Tiefen-Ö. ist ein Sammelbecken für unterschiedliche umweltethische Konzeptionen, deren Anliegen die Überwindung der ethischen Anthropozentrik ist, die den Schutz von Natur und Umwelt letztlich immer nur mit menschlichen Interessen begründet.

4. Umweltökonomik, Umweltrecht, Umweltethik

Genuin normative Disziplinen sind Umweltökonomik, Umweltrecht und Umweltethik. Die Umweltökonomik macht die Opportunitätskosten des Naturschutzes deutlich und ermittelt die vorhandenen Naturschutzpräferenzen der Bevölkerung durch Zahlungsbereitschaftsanalysen. Umweltökonomische Schemata wie der Total Economic Value enthalten neben Nutz- und Optionswerten auch Existenzwert und Vermächtniswert. Jener bezieht sich auf die Freude über die Existenz bestimmter Naturwesen (Wale, Elefanten, Schildkröten, Papageien usw.), dieser auf den Wunsch, eigene Nachkommen oder zukünftige Generation gut mit Naturgütern auszustatten. Dabei nimmt die Umweltökonomik vorhandene Präferenzen zumeist als Gegebenheiten an, die es zu respektieren gilt. Einige neue Ansätze lassen einen Wandel von Präferenzen durch Deliberationen zu. Die Umweltökonomik kann als Anwendung der allg.en ökonomischen Theorie auf Umweltprobleme oder aber als neue „ökologische Ökonomik“ aufgefasst werden.

Eine Vermittlung zwischen ökologischer Wissenschaft und naturschützerischer Praxis kann durch die Umweltethik erfolgen, indem durch eine Verbindung aus jeweils in sich zu begründenden empirischen und normativen Prämissen (sog.er praktischer Syllogismus) ein normativ gehaltvolles Urteil gewonnen wird. Die Begründung der normativen Prämissen obliegt dabei der Umweltethik, wobei auf unterschiedliche Argumentationsmuster zurückgegriffen werden kann. Man kann diese Werthinsichten grob vier Kategorien zuordnen:

a) Angewiesenheitswerte und instrumentelle Werte,

b) kulturell-eudaimonistische Werte,

c) Zukunftsverantwortung und

d) moralische Selbstwerte.

Sofern bestimmten Naturwesen ein moralischer Selbstwert zuerkannt wird, werden sog.e physiozentrische Umweltethiken vertreten. Diese werden üblicherweise in Sentientismus, Biozentrik, Ökozentrik und Holismus unterschieden; vertreten werden auch „zoozentrische“ und „genozentrische“ Positionen.

5. Naturschutzpolitik

Geschichtlich betrachtet, wurde der Natur- und Heimatschutz schon früh als Staatsaufgabe begriffen. Dabei stand die Idee der Rechtszwecke Pate, wie sie von Rudolf von Jhering entwickelt wurde. Die WRV enthielt den Art. 150, durch den – unter Rekurs auf das Konzept der Naturdenkmalpflege – die Denkmäler der Natur und die Landschaft „den Schutz und die Pflege des Staates“ genießen sollten. Als Naturdenkmäler galten die Überreste einer langen Naturgeschichte, die in die industrielle Zivilisation hineinragen. Durch das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 wurde das Konzept der Naturdenkmalpflege durch komplexere Zielstellungen abgelöst. Durch die Verbindung mit der Doktrin von „Blut und Boden“ und durch die Verstrickung von Landschaftsplanung und Raumordnung (Raumordnung und Landesplanung) in die „Arisierung“ der eroberten Gebiete Osteuropas war der Naturschutz nach 1945 allerdings politisch und moralisch diskreditiert. Die „Grüne Charta von der Mainau“ (1961) verankerte den Umwelt- und Naturschutz in die menschenrechtlich-demokratische Grundordnung, obschon einige der Autoren der Charta Mitgliedschaften und Posten im Nationalsozialismus innehatten. Nach langen Debatten erhielt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der BRD 1994 Verfassungsrang. Die Umweltjurisprudenz kann nunmehr interpretatorisch die Bedeutung der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) für diverse einzelgesetzliche Regelwerke diskutieren. Möglich ist es auch, Art. 20a GG auf Konzepte nachhaltiger Naturnutzung zu beziehen.

In vielen einzelgesetzlichen Regelwerken tauchen ökologische Begriffe und normative Vorstellungen in enger Nachbarschaft auf. So bestimmt etwa der § 1 des BNatSchG, dass Natur und Landschaft auch aufgrund ihres eigenen Wertes zu schützen seien, was die Frage provoziert, wie dieser „eigene Wert“ rechtlich und ethisch zu denken sei. Das BNatSchG kennt auch die Schutztrias „Eigenart, Vielfalt und Schönheit“, deren Komponenten ebenfalls auf umweltethische Begründungsmuster verweisen. Dies verdeutlicht, dass in den Paragraphen, in denen der Zweck eines Gesetzes bestimmt wird, Begriffe und Ziele auftauchen, deren Explikation und Begründung letztlich wiederum in den Bereich der Umweltethik fallen.