Zivilschutz

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  1. I. Rechtlich
  2. II. Politikwissenschaftlich

I. Rechtlich

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1. Begriff, Kompetenzverteilung, Rechtsquellen

Unter Z. – der Verfassungstext spricht vom „Schutz der Zivilbevölkerung“ – wird im Rechtssinn der Schutz der Zivilbevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren durch nichtmilitärische Schutzmaßnahmen verstanden. Das GG räumt dem Bund für den Z. die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) und eine Verwaltungskompetenz (Art. 87b Abs. 2 GG) ein. Der Z. gehört in den größeren Kontext der zivilen Verteidigung, die alle Aspekte der nicht-militärischen Verteidigung umfasst (neben dem Z. auch die Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen und Funktionen, Sicherung der Versorgungslage). Er ist rechtssystematisch abzugrenzen vom Katastrophenschutz, der sich auf Katastrophenlagen sonstigen Ursprungs bezieht. Der Katastrophenschutz ist Teil des allg.en Gefahrenabwehrrechts und fällt damit in die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz der Länder. Der Z. ist einfachgesetzlich im ZSKG geregelt. Art. 12a GG i. V. m. dem ASG ermöglicht im Spannungs- und Verteidigungsfall die Begründung von Dienstpflichten für Zwecke des Z.es.

2. Gesetzliche Ausgestaltung

Die gesetzliche Konzeption des Z.es umfasst den Schutz der Bevölkerung vor Kriegseinwirkungen. Darunter fallen auch Selbstschutz und Warnung der Bevölkerung, Schutzbauten, Aufenthaltsbeschränkungen, Sicherung der Gesundheitsversorgung sowie der Schutz von Kulturgut (§ 1 Abs. 2 ZSKG). Die Bundeszuständigkeiten für den Z. werden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wahrgenommen, das 2004 als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) errichtet wurde (zuvor: Bundesamt für Z.). Ihm obliegen v. a. Aufgaben der Koordinierung und Lageerfassung, der Information der Bevölkerung u. a. unterstützende Tätigkeiten (§ 4 ZSKG). Für das operative Handeln im Einsatzfall verfügt der Bund über das THW, das als nicht rechtsfähige Bundesanstalt ebenfalls dem BMI nachgeordnet ist und über eine eigene gesetzliche Grundlage verfügt (§ 1 THWG). Im Übrigen werden die Aufgaben des Z.es von den zuständigen Landesbehörden als Bundesauftragsverwaltung wahrgenommen (§ 2 ZSKG).

Zur Vermeidung von Ineffizienzen ist die kompetenzrechtlich vorgegebene Differenzierung zwischen Z. und Katastrophenschutz in der praktischen Ausgestaltung einer engen wechselseitigen Verschränkung gewichen. Die existierenden Einrichtungen von Bund und Ländern werden wechselseitig in den jeweils anderen Aufgabenbereich einbezogen. Der Katastrophenschutz der Länder wirkt infolgedessen auch am Bevölkerungsschutz im Verteidigungsfall mit (§ 11 ZSKG), während umgekehrt die Z.-Einrichtungen des Bundes den Ländern auch im Bereich des Katastrophenschutzes zur Verfügung stehen (Katastrophenhilfe, § 12 ZSKG). Darin spiegelt sich die moderne Zusammenfassung von Z. und Katastrophenschutz in dem einheitlichen und übergreifenden Konzept des Bevölkerungsschutzes wider.

Im Gegenzug für die Indienstnahme des Katastrophenschutzes für Zwecke des Z.es übernimmt der Bund eine Ergänzung der Ausrüstung. Die operative Leitung von Hilfsmaßnahmen liegt bei der zuständigen Katastrophenschutzbehörde. Ihr unterstehen dabei auch die eingesetzten Einheiten des THW (§ 15 ZSKG).

II. Politikwissenschaftlich

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Z. bezeichnet Maßnahmen im Rahmen der Zivilen Verteidigung (ZV). Sie sind darauf gerichtet, die Bevölkerung im Verteidigungsfall vor den spezifisch drohenden Gefahren zu schützen. Z. ist somit neben den Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktion, der Versorgung der Gesellschaft mit lebenswichtigen Gütern und der Unterstützung der Streitkräfte bei der Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungs- und Operationsfähigkeit eine zentrale Säule der ZV. Neben der militärischen Verteidigung stellt sie einen Baustein der nationalen Gesamtverteidigung im Rahmen der umfassenden Verteidigungsanstrengungen der NATO dar. Die ZV ist ebenso wie die militärische Verteidigung Ausfluss des Sicherheitsversprechens des Staates (Sicherheit) vor äußeren Bedrohungen. Eine effektive und hinreichende ZV ist gleich der militärischen Verteidigung Verfassungsauftrag, der gemeinsam mit dem friedensmäßigen Katastrophenschutz unter dem Dach des nicht legaldefinierten Begriffs Bevölkerungsschutz zusammengefasst wird.

Nach der Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa durch das Ende des Kalten Krieges baute auch Deutschland die Strukturen der ZV und des Z.es weitgehend ab. Erst 2016 wurde mit Blick auf das wiedererstarkte Russland und die kriegerischen Vorkommnisse in Ostmitteleuropa mit der Inkraftsetzung einer neuen „Konzeption Zivile Verteidigung (KZV)“ (Bundesministerium des Innern 2016) der Aufbau neuer Strukturen und Prozesse der ZV eingeleitet. Eine wesentliche Frage war bereits zu Zeiten des Kalten Krieges die des Verhältnisses der militärischen Verteidigung und der ZV im Rahmen der Abschreckungsdoktrin in dem Sinne, ob die Abschreckungswirkung auch durch die Fähigkeit eines Staates erzielt wird, Schläge hinzunehmen und somit durch einen hinreichenden Schutz der Bevölkerung die Inkaufnahme des Risikos eines Atomwaffeneinsatzes wahrscheinlicher und damit die Abschreckung glaubhafter ist. Dementsprechend stand in der Vergangenheit der Z. bei seinen Kritikern im Verdacht, einen Krieg mit Kernwaffen als führbar erscheinen zu lassen. Im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges mit seinen atomaren Bedrohungsszenarien ist die sicherheitspolitische Lage inzwischen dahingehend anders, dass – zusätzlich zur nicht ausschließbaren Führung auch großangelegter militärischer Auseinandersetzungen mit Russland – Möglichkeiten dafür bestehen, dass Deutschland indirekt von anderswo ausgetragenen Konflikten betroffen oder das Ziel von Angriffen nichtstaatlicher Akteure wird, die in den Besitz von Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) gelangt sind. Hinzu kommen neue Formen zwischenstaatlicher Auseinandersetzung, u. a. mit Cyber- und Weltraumwaffen. Damit ist zum einen die Seite möglicher Akteure unübersichtlicher. Zum anderen haben die Verletzlichkeit und die damit verbundene gesamtgesellschaftliche Schadenswirkung ganz erheblich zugenommen.

Die Problematik der Aufrechterhaltung des gesamtgesellschaftlichen Systems, insb. der Schutz der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS), welcher für eine Hochtechnologiegesellschaft mit dem Anspruch einer Spitzenstellung im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb unverzichtbar ist, ist vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung von existenzieller Bedeutung und wird allg. unter dem Begriff der Resilienz subsumiert. Resilienz bedeutet hier, dass ein Bündnis, ein Staat, eine Institution oder ein Individuum einen nicht vorhergesehenen Angriff aushalten kann, ohne seine bzw. ihre Handlungsfähigkeit zu verlieren. Hier stellt sich die Frage, wie hoch die Schwelle der „Resilienz“, insb. der Wille der Gesellschaft ist, Bedrohungen und ihre Folgen auszuhalten oder am Ende doch nachzugeben, wenn der Bedrohung aktiv nichts entgegengesetzt wird. Allerdings dürfte die Kombination von Fähigkeiten in einem umfassenden Gesamtansatz zielführend sein, der auf Vernetzte Sicherheit sowie auf die Sicherung eigener Gegeninitiativen innerhalb einer Gesamtverteidigung setzt. In den Prozess der Schaffung von Resilienz sind demzufolge die Bürger einzubeziehen, indem man sie über Risiken und Bedrohungen offen aufklärt und ihre Bereitschaft zum Widerstand, ihre Durchhaltefähigkeit durch mentale Härtung und praktische Fähigkeiten sowie durch Vertrauen in die Exekutive und ihre Instrumente stärkt und so zu einer strategischen Gelassenheit führt, mit der Folge, dass Rückschläge nicht nur als unvermeidlich hingenommen, sondern auch mitgetragen werden.

Eine wesentliche Aufgabe des Z.es ist daher die Festigung der moralischen Widerstandskraft der Bevölkerung. Dieser Punkt war in der Vergangenheit politisch umstritten, weil er in kontraproduktiver Weise zur Diskussion führte, ob und inwieweit man die Bevölkerung mit Wissen um die Realitäten eines Krieges belasten dürfe. Zwar ist klar, dass keine politische oder militärische Maßnahme vom Volk mitgetragen wird, wenn sie nicht plausibel begründet und entspr. kommunikativ vorbereitet ist. Doch das Verständnis für entspr.e Vorbereitungen fehlt meist in Zeiten, zu denen Bedrohungen sich nicht leicht erkennbar abzeichnen und lässt sich auch – wenn überhaupt – nur schwer entwickeln. Resilienz aber erfordert präventiv und reaktiv den Willen einer Gesellschaft zur Selbstbehauptung und Wehrhaftigkeit.

Darauf hinwirkende Maßnahmen sind umso dringlicher, als dass die Basis des Z.es nichts anderes als die Fähigkeit der Bevölkerung ist, sich in Kriegslagen selbst solange zu schützen und gegenseitig zu helfen, bis staatlich organisierte Hilfe möglich wird. Diese Fähigkeit samt ihrer eigenverantwortlichen Nutzung braucht aber ausreichendes Wissen über die relevanten Risiken, die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Leistungsfähigkeit sowie über die notwendigen Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeiten. Das alles über Informationskampagnen zu vermitteln, ist deshalb ein Kernstück der ZV. Erschwerend wirkt dabei die in vom Frieden geprägten Zeiten mangelnde, allenfalls kurzzeitige Aufmerksamkeit für sicherheitspolitische Themen. Obendrein hat die Aussetzung der allg.en Wehrpflicht die enge Verbindung von Staat, Armee und Bürgern aufgegeben, was sich negativ auf das Verständnis der Gesellschaft für sicherheitspolitische Belange auswirkt. Es ist sogar fraglich, ob sich, einem realen Konflikt vorauseilend, die Notwendigkeit von Vorkehrungen der ZV überhaupt neu vermitteln lässt. Zu solchen Schwierigkeiten trägt auch bei, dass die Preisgabe einer positiven Vorstellung von der eigenen Nation es der heutigen Gesellschaft erschwert, nicht nur auf das Überleben von Individuen, sondern auch auf die Sicherung der Fortexistenz eines Volkes abzustellen. Bei der ZV geht es somit nicht nur um Sicherheitspolitik oder um Aufklärung über die Wirklichkeit von Kriegssituationen, sondern auch um die Pflege einer positiven inneren Haltung eines Volkes zu sich und zu seinem Staat.