Zentrum: Unterschied zwischen den Versionen

K (Zentrum)
 
K (Zentrum)
Zeile 50: Zeile 50:
 
</p>
 
</p>
 
</div>
 
</div>
 +
{{ #staatslexikon_license: }}
 
</div>
 
</div>
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 +
[[Category:Geschichte]]

Version vom 14. November 2022, 07:02 Uhr

1. Vorläufer und Gründung

Der Gründung der Deutschen Z.s-Partei (Verfassungspartei) 1870/71 gingen weit zurückreichende Entwicklungen voraus: der von der Französischen Revolution angestoßene Prozess der Säkularisierung, das die katholische Bevölkerung benachteiligende Staatskirchentum der neo-absolutistisch regierten Bundesstaaten, die gegenläufigen Bestrebungen nach Organisation der katholischen Gläubigen. Die von Rheinländern und Westfalen getragene Katholische Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses (1852–1862/67, seit 1859 Z.), forderte kirchliche und bürgerliche Freiheit für die Religionsgesellschaften gemäß Art. 12 und 15 der Preußischen Verfassungurkunde von 1850. Der Katholische Klub der Nationalversammlung in Frankfurt am Main bemühte sich mit Erfolg um die Aufnahme kirchlicher Freiheitsrechte in die Reichsverfassung vom 28.3.1849. Der nationale Liberalismus, die kirchenfeindliche (Schul-)Gesetzgebung und die preußisch-kleindeutsche Reichseinigung bildeten die Ursachenkomplexe, die 1869 zur Bildung der Patriotenpartei in Bayern und der Katholischen Volkspartei in Baden führten. Die parlamentarische Vertretung des katholischen Volksteils im Reichstag und preußischen Abgeordnetenhaus wurde vorbereitet auf den Soester Konferenzen 1864–1866, durch Progamme und Versammlungen, die 1870 in Münster, Essen und Soest stattfanden und sich den Leitspruch des Z.s, „für Wahrheit, Recht und Freiheit“, zu eigen machten. Dem Zusammenschluss katholischer Abgeordneter zur Z.s-Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses am 13.12.1870 folgte die Entstehung der Z.s-Fraktion im deutschen Reichstag am 21.3.1871. Inmitten der nach dem Sieg über Frankreich und dem Ersten Vatikanischen Konzil ausbrechenden nationalistischen Stimmung, die sich gegen „Romanismus“ und Partikularismus richtete, bekannte sich das Programm der Reichstagsfraktion zum bundesstaatlichen Charakter des Reiches, zur Förderung des moralischen und materiellen Wohles aller Volksklassen, zur bürgerlichen und religiösen Freiheit und bes. zum verfassungsmäßigen, auch gegen Eingriffe der Gesetzgebung zu schützenden Recht der Religionsgesellschaften. Unter den Gründern (u. a. Peter und August Reichensperger, Hermann von Mallinckrodt, Karl Friedrich von Savigny) überwogen die Juristen. Das Z. stand von Anbeginn dem Beitritt von Protestanten offen. Indes hielt die unüberwindlich scheinende konfessionelle Polarisierung an, sodass nur wenige Protestanten, meist welfische Abgeordnete, in die Fraktionen des Z.s eintraten.

2. Festigung im Kaiserreich

Den formellen Vorsitz der Reichstagsfraktion hatte von 1875–1890 Georg Arbogast von Franckenstein aus Unterfranken inne. Die unangefochtene Führungsstellung im Reichstag und preußischen Abgeordnetenhaus erwarb sich indes der Abgeordnete von Meppen, der frühere hannoversche Justizminister Ludwig Windthorst. Schlagfertig und grundsatzfest bestritt er die harten Debatten über die Kulturkampfgesetze (Kulturkampf). Die kirchenpolitische Auseinandersetzung führte er als einen Kampf um Grundrechte, förderte so die Kontroll- und Überwachungsfunktionen des Parlaments und die Ausbildung des Parlamentarismus (Parlament, Parlamentarismus). Dem Z. gelang ein erster Ausbruch aus der ihm auferlegten Isolierung durch Initiierung und Mitgestaltung der nach der konservativen Wende von 1879 eingeleiteten Sozialpolitik. Die Gesetze über die Krankenversicherung der Arbeiter (1883), über die Unfallversicherung (1884) und die Alters- und Invaliditätsversicherung (1889) trugen auch die Handschrift des Z.s (Berufsgenossenschaften, Landesversicherungsanstalten, Sozialversicherung). Deren Redner (u. a. Ferdinand von Galen, Georg von Hertling, Franz Hitze) verfolgten keine Nebenzwecke wie die Revolutionierung der Gesellschaft (Sozialdemokraten) oder, umgekehrt, die Erziehung der Arbeiterschaft zum Staatsgehorsam (Otto von Bismarck), sondern konzentrierten sich mit naturrechtlicher Begründung (Naturrecht) auf die realen Probleme: Arbeiterschutz, Sicherung des Existenzrechts des arbeitsunfähigen Arbeiters und seiner Familie, Partnerschaft von Arbeitern und Unternehmern. Im Streit um L. Windthorsts Nachfolge setzte sich der Jurist Ernst Maria Lieber durch. Er trat für Stärkung des Reichstags, Parität der Katholiken und „christliche Demokratie“ (Katholikentag 1901, Deutscher Katholikentag) ein. Unter seiner Fraktionsführung (1893–1902) beteiligte sich das Z. an der Reichsfinanzreform (1894/95), am BGB (1896), an der Militärstrafgerichtsordnung (1898), am Zolltarifgesetz (1902) und an den ersten Flottengesetzen (1898, 1900). Die seit 1905 England herausfordernde Flottenrüstung, die Heeresvermehrung und die Kolonialpolitik trug das Z. wegen des Drucks der Reichsleitung, im Zuge der Nationalisierung des deutschen Katholizismus und wegen der heftigen nationalistischen Agitation (Deutscher Flottenverein) mit, suchte aber bis 1914 mäßigenden Einfluss auszuüben. Seine „taktische Stellung als ausschlaggebende Partei“ (Bachem 1929, Bd. 5: XIII), die Koalitionen mit Linksliberalen und Konservativen eingehen konnte, wurde für kurze Zeit durch den von Reichskanzler Bernhard von Bülow gebildeten liberal-konservativen Großblock (1907–1909) unterbrochen. Die Reichstagsmandate des Z.s („Z.s-Turm“) blieben bei zurückgehenden Stimmanteilen (Männerwahlrecht) ziemlich konstant (1871: 63 Mandate, 18,6 % Stimmen; 1890: 106 Mandate, 18,6 % Stimmen; 1912: 91 Mandate, 16,4 % Stimmen). Fraktionsvorsitzende waren nach E. M. Lieber Alfred von Hompesch (1902–1909), G. von Hertling (1909–1912), Peter Spahn (1912–1917) und Adolf Gröber (1917–1918). Das Bekenntnis zur konfessionellen Offenheit (Julius Bachem, 1906) und zu den Christlichen Gewerkschaften (Christliche Arbeitnehmerorganisationen) sowie der politische Charakter der Partei behaupteten sich gegen Versuche der „Integralen“, dem Z. einen ausschließlich katholisch-weltanschaulichen Charakter aufzudrängen. Gleichwohl wurzelte das Z. im katholischen Sozialmilieu mit den ihm vorgelagerten Vereinen, bes. dem Volksverein für das katholische Deutschland. Aus Deutschland geschürte Bedenken der Kurie bzgl. des allzu politischen Charakters der katholischen Partei wurden für das Z. nicht existenzgefährdend. Die gemeinsame Konfession und die Berufung auf das Recht schlugen eine Brücke zu den sonst als „reichsfeindlich“ eingestuften Polen und Elsässern (Elsaß-Lothringische Landespartei des Z.s, 1906). Erst 1914 wurde ein über den Landes- und Provinzialverbänden stehender Reichsausschuss gebildet. G. von Hertling übernahm erstmals als Repräsentant des Z.s höchste Staatsämter im Kaiserreich, wurde Ministerpräsident in Bayern (1912–1917) und, nach Zögern, Reichskanzler (November 1917 bis Oktober 1918). Gegen den militärischen Imperialismus der Obersten Heeresleitung suchte er zur Erreichung seines betont politischen Ziels eines „ehrenvollen Friedens“ die Rückendeckung des Kaisers. Im Zeichen der Niederlage traten Karl Trimborn, A. Gröber und Matthias Erzberger in das erste parlamentarisch getragene Kabinett Max von Badens (Oktober-November 1918) ein. Die von M. Erzberger durchgesetzte Friedensresolution des Reichstags vom 19.7.1917 hatte den Grund gelegt für die Zusammenarbeit von Z., Fortschrittlicher Volkspartei und SPD (Interfraktioneller Ausschuss), die sich in der staatstragenden Weimarer Koalition des Reichstags (bis Juni 1920, länger in Preußen) fortsetzte.

3. Bürge der Weimarer Republik

Um des Gemeinwohls und der Ordnungsfunktion des Staates willen akzeptierte das Z. die aus der Revolution hervorgegangene neue Staatsform. Es überwand dadurch auch innere Gegensätze, die sich gegen Weltkriegsende gesteigert hatten. Den Untergang des Kaiserreichs empfand Adam Stegerwald, Vertreter des Gewerkschaftsflügels, als befreiend. Die Aufnahme der kirchlichen Freiheitsrechte neben den allg.en Grundrechten in die WRV von 1919 erfüllte eine seit 1871 erhobene Forderung des Z.s. Die vom Berliner Parteitag am 16.1.1922 verabschiedeten „Richtlinien“ enthielten das Bekenntnis zur „christlichen Staatsauffassung“, zum die Klassenspaltung überwindenden „deutschen Volksstaat“, zu einer im „christlich-sozialen Geiste“ geführten Wirtschafts- und Sozialpolitik, zum „Ausbau des Völkerrechts“, zu Reichseinheit und Föderalismus sowie zu einer die „Staatsautorität“ stützenden „starken Koalition von Parteien“ (Bachem 1931, Bd. 8: 369–378). Die den Umsturz ablehnende „Verfassungspartei“, als parlamentarische Kraft nun vorbehaltlos anerkannt, betrieb auch den Aufbau der neuen Länder auf fester Rechtsgrundlage und übernahm in Preußen, Baden und Württemberg Regierungsverantwortung. Bei geringer Stärke (durchschnittlich ca. 70 Mandate im Reichstag) und sinkendem Stimmanteil (1920: 13,6 %; 1932: 11,9 %) stellte das Z. „seit der Nationalversammlung am häufigsten und längsten die Kanzler“ (Ruppert 1992: 128): Konstantin Fehrenbach 1920/21, Joseph Wirth (1921/22), Wilhelm Marx (1923–1925, 1926–1928) und Heinrich Brüning (1930–1932). Parteivorsitzende wurden 1920–1921 K. Trimborn, 1922 W. Marx, 1928 Ludwig Kaas, Mai – Juli 1933 H. Brüning, Fraktionsvorsitzende im Reichstag 1919 K. Trimborn, 1921 W. Marx, 1923 K. Fehrenbach, 1926 W. Marx, 1927 Theodor von Guérard, 1929 A. Stegerwald, 1929–1930 H. Brüning, 1931–1933 Ludwig Perlitins.

Der enge Kreis erfahrenen Führungspersonals praktizierte eine Politik der Mitte und des Ausgleichs. Seit 1920, dem Ende der Weimarer Koalition, war eine Mehrheitsbildung nur mehr durch eine Koalition mit den widerspenstigen Flügeln SPD und DNVP erreichbar, um die das Z., nun tragende Kraft der Republik, ohne durchschlagenden Erfolg redlich bemüht war. Die seit 1928 konservative Parteiführung leitete eine „Kursänderung nach rechts“ ein (Hörster-Philipps 1998: 374), stützte sich auf den Reichspräsidenten und dessen Notverordungen, und verfolgte unter H. Brüning (1929/30) einen Sparkurs, der zu Spannungen mit dem Arbeiterflügel führte. Mehrere Faktoren verhinderten die vom Z. erstrebte Stabilisierung der Republik. Folgenschwer wog nach der Trennung der BVP vom Z. die Entscheidung der bayerischen Schwester, bei der Reichspräsidentenwahl 1925 Paul von Hindenburg statt des Parteifreundes W. Marx zu unterstützen. Der republikanische Flügel um J. Wirth verlor an Einfluss. Die Sammlungspolitik nach rechts blieb in Ansätzen stecken. Nachkriegskrise, Inflation und Weltwirtschaftskrise (1929) boten dem Handeln des Z.s zu selten Bedingungen politischer Normalität, begünstigten die starken antiparlamentarischen gesellschaftlichen Kräfte und den Aufstieg der NS-Bewegung (Nationalsozialismus). Außenpolitisch erstrebte das Z. die „christliche Völkergemeinschaft“ und die Gleichberechtigung Deutschlands („Richtlinien“ vom 16.1.1922).

An den zur „Machtergreifung“ führenden Verhandlungen wurde das Z. nicht beteiligt. Nach den Wahlen vom 5.3.1933 musste es die Ausschaltung der von ihm (mit)getragenen Länderregierungen, wie vorher schon den „Preußenschlag“, hinnehmen. Seine dem NS-Regime dienliche Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23.3.1933 wurde mit falschen Zusicherungen erkauft und erfolgte gegen den Widerspruch J. Wirths und H. Brünings. Die etwa 200 000 Mitglieder umfassende Partei kam der Zerschlagung durch die Selbstaufösung am 5.7.1933 zuvor. Ihre beachtenswerte Parteipresse („Kölnische Volkszeitung“, „Germania“, „Schlesische Volkszeitung“, „Rhein-Mainische Volkszeitung“, „Badischer Beobachter“, „Bayerischer Kurier“, u. a.) verschwand ersatzlos. Statt der von A. Stegerwald im November 1920 erstrebten Ausweitung zur interkonfessionellen „christlich-nationalen Volkspartei“, die „die allerbreitesten Volksschichten in Stadt und Land“ hatte erobern sollen (Forster 2003: 281), warteten am Ende der Untergang und die Verfolgung von früheren Mitgliedern der Weimarer „Systempartei“ durch die NS-Diktatur.

Das am 14.10.1945 in Soest wiedergegründete (Neu-)Z. gewann (Deutsche Zentrumspartei) nur eine kleine Minderheit ehemals Aktiver (u. a. Wilhelm Hamacher, Carl Spiecker, Helene Wessel) für die angeblich nahtlose Fortführung der Tradition mit sozialpolitischem (Labour-Party-Konzept) und kirchennahem Schwerpunkt, entwickelte sich aber anfangs in seinen nordrhein-westfälischen Hochburgen zum ernsthaften Rivalen der CDU. Ganz überwiegend entschied sich die Führungsgarnitur des Z.s (u. a. Konrad Adenauer, Leo Schwering, Hugo Mönnig, Johannes Gronowski) bis auf die örtliche Ebene hinab in einer tiefgreifend geänderten Lage, aus der Erfahrung mit der NS-Diktatur, für die lange erstrebte interkonfessionelle christliche Parteibildung, die Neugründung der Unionsparteien.

Das Vermächtnis des Z.s lag darin, im politischen Leben eine transzendente christliche Letztorientierung zu wahren, darum pragmatisch zu sein, sich aber auch gegen ideologisch verformte Politik zu stemmen und auf gesellschaftliche Organisation im Vorfeld des Staates zu bauen. Sein Führungspersonal verband außerhalb der Politik erworbene berufliche Qualifikation mit der reflektierten Weitergabe selbsterrungener Traditionen und Standpunkte. Die Bindung an den festgefügten Katholizismus seiner Zeit verbürgte ihm das Alleinstellungsmerkmal einer alle Bevölkerungsschichten erfassenden Partei. Hier und in seiner politischen Erfahrung wurzelte die bei partieller Anfälligkeit weit überwiegende Resistenz gegen die mächtige Versuchung des irreligiösen NS-Totalitarismus.