Wirtschaftswissenschaft

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1. Begriff

Die W. (auch: Ökonomie, Ökonomik) ist eine Realwissenschaft, die in die Teilbereiche der VWL und der BWL untergliedert ist. Als Sozialwissenschaft betrachtet sie aus dem Erfahrungsobjekt der Gesellschaft das Erkenntnisobjekt des Wirtschaftens als wichtiges Teilsystem. Terminologisch unterscheidet man häufig analog zur angelsächsischen Terminologie (economy v economics) zwischen „Ökonomie“ als dem Gegenstandsbereich und „Ökonomik“ als der Lehre darüber. Das Wirtschaften umfasst die Entscheidungen von Menschen isoliert und in Interaktion mit anderen Individuen sowie das Zusammenwirken dieser Entscheidungen.

Der Begriff der „Ökonomie“ leitet sich von den Gesetzmäßigkeiten des Oikos her, einer (oft klösterlichen) Wirtschaftseinheit innerhalb einer Gesamtwirtschaft, etwa einer polis, bei der Bewältigung der Produktion, Bereitstellung und Verteilung knapper Güter und Ressourcen für die Wirtschaftssubjekte. Als Grundtatbestand des menschlichen Lebens war das Wirtschaften traditionell Gegenstand der Philosophie. In der Antike bezog sich die Lehre über das Wirtschaften v. a. auf die landwirtschaftliche Produktion (Land- und Forstwirtschaft), Fischerei, Handwerk und den Handel grundlegender Güter. Im Laufe der Zeit änderte sich das Verhältnis der Wirtschaftssektoren vom agrarisch geprägten Primärsektor über die zunehmende Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes (Sekundärsektor) hin zur industrialisierten Dienstleistungswirtschaft (Tertiärsektor), die durch die Digitalisierung einen neuen Schub erhielt.

Eine erste Begriffsfassung definiert die W. als Lehre der Beschäftigung mit dem Problem der Knappheit von Gütern und Ressourcen im Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen. Die W. ist demnach die Wissenschaft von der Bewirtschaftung knapper gesellschaftlicher Ressourcen und somit auch von den Allokationsverfahren (Verfahren zur Bewältigung von Knappheit [ Allokation ]). Von besonderem Interesse ist dabei das Allokationsverfahren des Marktes, auf dem unter bestimmten Bedingungen sich im Zusammenspiel der autonomen Wirtschaftspläne von Anbietern und Nachfragern der Preis als Indikator der Güterknappheiten bildet. Die Analyse der Zentralverwaltungswirtschaft sowie weiterer Mechanismen zur Lösung des Allokationsproblems wie Warteschlangen, Wartelisten, Zufallsmechanismen oder Gutscheinsystemen spielen dagegen eine eher untergeordnete Rolle.

Nach einer zweiten Definition ist die W. die Wissenschaft des Tauschs, etwa im Wege von Kauf-, Miet-, Arbeits- oder Sparverträgen. Hieraus ergibt sich ebenfalls ein Fokus auf den Allokationsmechanismus des Marktes, auf dem der Tausch Voraussetzung der Koordination der Wirtschaftspläne der einzelnen Wirtschaftssubjekte ist und nicht lediglich, wie in der Zentralverwaltungswirtschaft, ihre Folge. Zentrales Kriterium der Wertbildung durch Tausch ist der Konsens bzw. die Effizienz nach dem Pareto-Kriterium, nicht allein in der Wirtschaft, sondern – i. S. d. modernen Theorien des Gesellschaftsvertrags – ebenso für Gesellschaften insgesamt.

Schließlich wird die W. auch nach ihrer Methode definiert, gemäß einem Jacob Viner zugeschriebenen Diktum, dass „Economics is what economists do“. Nach dieser Auffassung ist die W. eine Wissenschaft der Wahlhandlungen, bei denen es sich um individuelle Entscheidungen (z. B. Entscheidungen von Individuen über ihren Konsum oder ihr Arbeitsangebot, Entscheidungen von Unternehmen über Investitionen oder Arbeitsnachfrage) oder um kollektive Entscheidungen handeln kann. Die Methode der W. besteht dabei v. a. in der Anwendung des Modells der ökonomischen Rational Choice Theory, nach welcher Menschen oder Unternehmen als eigeninteressierte Maximierer ihres Nutzens oder Gewinns unter Nebenbedingungen (z. B. Einkommen, Kostenbudgets) modelliert werden (wirtschaftliches Prinzip). Ein solches Verständnis öffnet den Gegenstandsbereich der W. weit über den Tatbestand des Wirtschaftens hinaus in Gebiete, deren Untersuchung traditionell Nachbardisziplinen vorbehalten ist, etwa für eine Analyse von Entscheidungen in der Politik (Neue Politische Ökonomie/Public Choice Theory), über die Organisation von Staatswesen, von Verbänden und Interessengruppen, Behörden oder internationalen Organisationen. Im Zusammenhang eines solchen Verständnisses von W. entstanden „ökonomische“ Theorien der Familie und der Fertilität, von partnerschaftlichen Beziehungen und der Heirat, der Religion, der Geschichte, einer rationalen Sucht, der Kriminalität, der Medien, des Sports oder der Moral. Indem sie in beträchtlicher Zahl zentrale Gegenstände benachbarter Sozialwissenschaften „ohne jede Einladung“ (Stigler 1984: 311) behandele, sei die W., wie es der Nobelpreisträger George Joseph Stigler formulierte, eine „imperialistische Wissenschaft“ (Stigler 1984: 301) – eine Formulierung, die aus den benachbarten Sozialwissenschaften häufig in einen Vorwurf gewendet wird.

Während die BWL die Interaktionen in der Gesamtwirtschaft primär aus der einzelwirtschaftlichen Perspektive des Unternehmens erforscht, fokussiert die VWL auch auf die einzelwirtschaftliche Perspektive der privaten (Haushalt, privater) und öffentlichen Haushalte sowie die Interaktionsprozesse, die durch Arbeitsteilung und Spezialisierung bei der Bewältigung der Produktions-, Verteilungs- und Konsumaufgaben ausgelöst werden. Die VWL umfasst i. d. R. zudem die Vorgänge der über die einzelne Volkswirtschaft hinausgehenden Phänomene von Weltwirtschaft und wirtschaftlicher Globalisierung.

Aus wissenschaftstheoretischer Sicht steht in der W. – neben der Festlegung begrifflicher Grundlagen (essentialistisches Wissenschaftsziel) – die Entwicklung einer kausalen Volks- oder Betriebswirtschaftstheorie zur Erklärung und/oder Prognose realer Phänomene in Gesamtwirtschaft und Unternehmen (theoretisches Wissenschaftsziel) im Mittelpunkt der W. Die instrumentale oder praxeologische Umformung theoretischer Aussagen zu wirtschafts- oder unternehmenspolitischen Gestaltungsempfehlungen in Form von Wirtschaftstechnologien (Ziel-Mittel-Aussagen, „normative Theorie“) gehört ebenfalls zu ihren Aufgaben (pragmatisches Wissenschaftsziel). Die philosophische Frage, welche Werte und Ziele wirtschaftstechnologischen Fragestellungen zugrunde gelegt werden sollen (normatives Wissenschaftsziel), spielt seit dem Aufkommen der Wirtschafts- und Unternehmensethik auch in der W. eine zunehmend wichtige Rolle.

2. Volkswirtschaftslehre

Die wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplin der VWL beschäftigt sich mit der Gewinnung und empirischen Prüfung theoretischer und technologischer Aussagen über einzel- und gesamtwirtschaftliche Phänomene.

2.1 Mikroökonomik

Die überwiegend mathematisch-modelltheoretisch orientierte Mikroökonomik als erstes großes Teilgebiet der VWL geht vom Verhalten einzelner Akteure (v. a. Haushalte, Unternehmen) in Bezug auf einzelwirtschaftliche Güter (z. B. Margarine, Brot, Autos) aus. In der Theorie des Haushalts wird das Konsumentenverhalten (Konsum) auf der Basis gegebener Präferenzen (Nutzenfunktion) und Handlungsbeschränkungen (v. a. Einkommen) eines Individuums analysiert. Die dazu komplementäre Theorie der Unternehmung nimmt die Anbieter von Gütern in den Blick, die v. a. mit der Entscheidung über den Einsatz ihrer Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital) eine Produktionsfunktion unter der Nebenbedingung eines vorgegebenen Kostenbudgets maximieren. Die Preistheorie verbindet die Nachfrage- und die Angebotsseite im Modell des Marktes. Unter den Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz ist der sich am Markt bildende Preis ein reiner Knappheitsindikator. Vollkommen ist im Modell die Konkurrenz u. a., wenn der Staat nicht direkt in die Preisbildung eingreift, es sehr viele Anbieter und Nachfrager ohne Marktmacht gibt (Polypol), bei keinem Wirtschaftssubjekt unkontrollierbare Einflüsse (externe Effekte) auftreten, vollständige Markttransparenz über sämtliche Markt- und Gutseigenschaften herrscht, alle Produktionsfaktoren und Güter unbegrenzt teilbar sind, Anpassungsprozesse keine Zeit erfordern oder Präferenzen, Ressourcenmengen, Produktionstechniken und Produktpaletten vorgegeben sind. Das Modell der vollkommenen Konkurrenz dient als Referenzmaßstab für unterschiedliche Formen von „Marktversagen“, das bspw. bei der Bereitstellung von Kollektivgütern (z. B. Infrastrukturgüter, innere und äußere Sicherheit) auftreten kann, wenn die Produktionskapazitäten nur in Sprüngen variiert werden können, zum Entscheidungszeitpunkt Informationen fehlen, eine Marktseite mit erheblichen Zeitverzögerungen reagiert oder die Entscheidungsträger nicht mündig sind. Distributives Marktversagen kann zudem darin bestehen, dass sich gesellschaftliche gewünschte Muster der Verteilung von Einkommen, Vermögen (Vermögensverteilung) und anderen Grundgütern nicht einstellen. In solchen Fällen kann unter den Bedingungen des Prinzips der Subsidiarität ein korrigierender Markteingriff im Interesse der betroffenen Individuen wünschenswert sein.

Mikroökonomische Analysen sind im Grundsatz partialanalytisch, indem sie das Verhalten einzelner oder mehrerer Akteure isoliert oder in Wechselwirkungen auf einzelwirtschaftlichen Märkten analysieren. Eine Verbindung mikroökonomischer Analysen zu einer gesamtwirtschaftlichen Totalanalyse ist möglich, aber wegen ihrer Komplexität untypisch. Da die ökonomische Rational Choice Theory standardisierte Entscheidungsträger in den Mittelpunkt stellt, können wirtschaftswissenschaftliche Ansätze immer nur (idealisierende) „Erklärungen im Prinzip“ (Hayek 1967: 11) sein. Nach der einflussreichen wissenschaftstheoretischen Position des Instrumentalismus spielt die Wahrheit der Gesetzesannahmen in ökonomischen Erklärungen keine Rolle, solange das Argument in einer hinreichend großen Zahl von Anwendungsfällen zu Prognoseerfolgen führt.

Aus der Aufhebung wichtiger Annahmen des Modells der vollkommenen Konkurrenz bildeten sich zentrale Teildisziplinen: Berücksichtigt man im Modell das Auftreten externer Effekte, so ergeben sich wichtige Fragestellungen für die Umweltökonomik. Aus der Einbeziehung von Transaktionskosten (v. a. Verhandlungs- und Organisationskosten), asymmetrischen Informationsverteilungen oder Rationalitätsbegrenzungen von Entscheidungsträgern entwickelte sich das komplexe Gebiet der Institutionenökonomik. Hebt man die Annahme der vollkommenen Teilbarkeit aller Güter und Faktoren auf und berücksichtigt Fälle, in denen Wettbewerb ineffizient sein kann, bewegt man sich in die Industrieökonomik. Abweichungen vom modelltheoretisch erwarteten Nutzenmaximierungsverhalten durch Selbstüberschätzung (Overconfidence), Überbewertung von Gegenwartsnutzen (hyperbolische Diskontierung), die Beeinflussung durch Deutungsraster (Framing) oder eine Höherbewertung von Verlusten als Zugewinnen (Verlustabneigung) sind Gegenstand der modernen Verhaltensökonomik. Die Evolutionsökonomik gibt die komparativ-statische Argumentation des Standardmodells auf und betrachtet die prozedurale Dynamik des Übergangs von einem Gleichgewicht zum anderen.

In theoretischer Hinsicht bedienen sich viele dieser Teilbereiche der Spieltheorie als einer wichtigen Ausdifferenzierung der Mikroökonomik, welche die (oft strategische) Interaktion des Verhaltens von Individuen modelliert. Auch die experimentelle Überprüfung theoretischer Verhaltensvorhersagen der Mikroökonomik (Experimentelle Ökonomik) sowie, als Teil der Ökonometrie, die Schätzung und Analyse empirischer Modelle auf der Basis von Individualdaten (Mikroökonometrie) spielt eine zunehmend wichtige Rolle.

Aufgrund der Mängel des sogenannten homo oeconomicus-Modells suchen Wirtschaftswissenschaftler schon seit Jahrzehnten nach einer umfassenderen und realistischeren ökonomischen Verhaltenstheorie. So entstanden das Modell eines genügsamen, nur eingeschränkt maximierenden Satisfizierers, der Ansatz eines Entscheiders mit einer für die Bedürfnisse anderer Menschen „geöffneten“ Nutzenfunktion oder das sogenannte REMM-Modell eines resourceful evaluative maximizing man. Im Kontext der Verhaltensökonomik wurden zudem Vorstellungen eines Entscheidungsträgers mit mehreren Präferenzsystemen, eines an Gegenseitigkeit ausgerichteten Akteurs oder eines Entscheidungsträgers mit adaptiven Präferenzen entwickelt.

Kritisiert wird das mikroökonomische Verhaltensmodell der W. auch auf der Basis von Studien, die zeigen, dass sich Menschen, die über eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung verfügen, in Bezug auf ihr Fairnessempfinden und -verhalten deutlich von Menschen mit anderen Bildungshintergründen unterscheiden. Wie eine Vielzahl empirischer Studien zeigt, weisen Ökonomen eine größere Präferenz für Markt- statt Verteilungslösungen auf, wählen in moralisch relevanten Situationen häufiger eine sozial schädliche Alternative, sind in geringerem Maße bereit zu teilen und offenbaren schon als Studenten eine signifikant höhere Korruptionsneigung. Jüngere Studien deuten jedoch darauf hin, dass das auffällig „andere“ Verhalten von akademisch ausgebildeten Ökonomen nicht in erster Linie eine Folge eines Studiums der W. ist (Indoktrinationseffekt), sondern Folge eines Selektionseffekts, nach dem markt- und eigennutzorientierte Menschen eher als andere ein Ökonomiestudium wählen.

2.2 Makroökonomik

Die Makroökonomik ist jener Teilbereich der W., der sich mit dem gesamtwirtschaftlichen Verhalten der Wirtschaftssektoren und der Analyse gesamtwirtschaftlicher Märkte befasst. Von der Mikroökonomik unterscheidet sie sich durch die Methode der Aggregation: Zum einen betrachtet sie aggregierte Akteure, wie v. a. die Sektoren aller Haushalte, aller Unternehmen, sämtlicher Gebietskörperschaften und Parafiski (Staat) oder aller übrigen Länder, die als Pole im Wirtschaftskreislauf aufgefasst werden. Zum anderen bezieht sie sich i. d. R. auf aggregierte Mengen wie das Inlandsprodukt als Produktionswert bzw. Einkommen aller gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftssubjekte, die Konsumausgaben als die Einkommensverwendung aller Haushalte oder die Inflation als Wachstum des Preisniveaus.

In ihrer Variante als Ex-ante-Analyse strebt die Makroökonomik nach Erklärungen oder Prognosen gesamtwirtschaftlicher Ergebnisse im Zusammenspiel von auf Gruppen bezogenen Aggregaten. Der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts basiert auf der Idee einer Übereinstimmung der Pläne auf der Angebots- und der Nachfrageseite der makroökonomischen Märkte. Am Gütermarkt ergibt sich das Produktionsvolumen durch das Angebot von Unternehmen und Staat und der geplanten Güternachfrage, am Geldmarkt (Geld- und Kapitalmarkt) treffen das Geldangebot des Bankensystems (Banken) und die Geldnachfrage der „Nichtbanken“ aufeinander, am Arbeitsmarkt die Arbeitsnachfrage der Unternehmen und das Arbeitsangebot der Arbeitnehmer. Ein Gleichgewicht liegt vor, wenn die geplanten Größen der aggregierten Märkte in Übereinstimmung sind und die aggregierten Märkte nicht mehr zu endogenen Veränderungen tendieren (statisches Gleichgewicht). Die Wirkungen von Maßnahmen der Wirtschaftspolitik werden in den Grundmodellen mittels komparativ-statischer Analysen erforscht, bei denen die Effekte exogener Änderungen wirtschaftspolitischer Parameter auf die Bildung eines neuen Gleichgewichts untersucht werden, ohne dabei den Anpassungsprozess näher zu beleuchten. Statistisch-ökonometrische Analysen haben in der Makroökonomik traditionell eine große Bedeutung.

Die im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 festgelegten Zielgrößen einer makroökonomischen Stabilisierungspolitik werden im Allgemeinen als „magisches Viereck“ aus hohem Beschäftigungsstand, Preisniveaustabilität, stetigem Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht dargestellt, das in den letzten Jahren zunehmend zu einem „Sechseck“ unter Einschluss von Umweltschutz und gerechter Einkommens- und Vermögensverteilung erweitert wird. Wegen dieser Fixierung auf wichtige gesamtwirtschaftliche Ziele ist die Makroökonomik geprägt vom Streit der wirtschaftspolitischen „Schulen“. Zu den Elementen des (neo-)klassischen, angebotsorientierten Theoriesystems gehört ein grundsätzlicher Marktoptimismus mit der Erwartung einer inhärenten Stabilität des marktwirtschaftlichen Systems, innerhalb dessen ein flexibler Preismechanismus als effizientes Verfahren zur Koordination der geplanten Größen der Wirtschaftssubjekte angesehen wird. Als Leitbild dient Adam Smith’ Theorem der „unsichtbaren Hand“ des Marktes, nach dem die Individuen bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen als unbeabsichtigte Nebenwirkung wie von unsichtbarer Hand zum Gemeinwohl hingeleitet werden. Die Haltung in Bezug auf den Staat ist eher pessimistisch, indem marktwirtschaftliche Systeme durch den Staat als unzureichend steuerbar angesehen werden (Staatsversagen). Die Perspektive ist langfristig ausgerichtet und nimmt v. a. Phänomene des Wachstums in den Blick. Strategischer Ansatzpunkt der Wirtschaftspolitik nach diesem Paradigma ist die Angebotsseite. Dabei wird die Geltung des Sayschen Theorems unterstellt („Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage.“), insofern eine geplante und realisierte Ausweitung der Produktion zusätzliche Faktoreinkommen schafft, die ihrerseits die Güternachfrage erhöhen.

Wirtschaftspolitisch folgt aus den Analysen dieses Paradigmas im Grundsatz ein Verzicht auf stabilisierungspolitische Interventionen, da Regierungen im Allgemeinen als nicht befugt (Konsumentensouveränität) und nur unzureichend befähigt (Staatsversagen) angesehen werden, marktwirtschaftliche Systeme zu steuern. Bes. nach der in Deutschland vertretenen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft soll sich der Staat v. a. auf die Durchführung von Ordnungspolitik konzentrieren, d. h., Rahmenbedingungen und damit Planungs- und Erwartungsstabilität für die Wirtschaftssubjekte schaffen. Der von Milton Friedman begründete Monetarismus als spezifisch geldpolitische Ausprägung strebt v. a. nach einer am Wachstum des Produktionspotentials orientierten Verstetigung der Geldpolitik. Die Supply Side Economics stellt schließlich eine breite Gestaltung der Angebotsbedingungen mit Zielen der (Re-)Vitalisierungen der privaten Wirtschaftstätigkeit und Wachstumsbeschleunigung durch umfassende Maßnahmen der Flexibilisierung, Deregulierung und Privatisierung der Produktionstätigkeit in den Mittelpunkt.

Im Konzept des Keynesianismus, der von einer Interpretation von John Maynard Keynes’ Buch „The General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) seinen Ausgang nahm, werden die Fähigkeiten von Märkten zur Selbstkoordination deutlich kritischer eingeschätzt. Zwar geht man von der Möglichkeit eines allgemeinen Gleichgewichts auf allen makroökonomischen Märkten aus, hält dies aber wegen der Inflexibilität der Güter- und Faktorpreise für untypisch. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Möglichkeit eines Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung, also eines Gleichgewichts auf dem Gütermarkt bei gleichzeitigen Ungleichgewichten auf dem Arbeits- und/oder Kapitalmarkt. Die Einstellung bzgl. des Erfolgs staatlicher Interventionen ist hingegen grundsätzlich optimistisch: Staaten werden für berechtigt und befähigt gehalten, auf eine marktwirtschaftliche Stabilisierung i. S. eines allgemeinen Gleichgewichts hinzuarbeiten. Der Keynesianismus ist dabei in seiner Grundvariante eher kurz- und mittelfristig orientiert. Die Stabilisierung der Konjunktur durch Glättungen von Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage innerhalb des Produktionspotentials wird als eigenständige Staatsaufgabe aufgefasst. Strategischer Ansatzpunkt für die Wirtschaftspolitik ist die Nachfrageseite der Makromärkte, wobei de facto das Saysche Theorem umgekehrt wird: Insofern die Produktion vonseiten der Güternachfrage bestimmt wird, schafft sich die Nachfrage ihr Angebot selbst.

Als Leitlinie für die Wirtschaftspolitik folgt hieraus die Idee einer antizyklisch zur Konjunktur verlaufenden Beeinflussung der Nachfrageaggregate durch Geld- und Fiskalpolitik: Während in der Rezession die staatliche Güternachfrage kreditfinanziert gesteigert werden soll (sogenanntes Deficit-Spending), soll der Staat in Phasen des Booms vermehrt sparen bzw. die Steuern erhöhen. Dabei wird der Fiskalpolitik die zentrale Rolle zugewiesen, da diese die Nachfrageaggregate leichter steuern könne als die Geldpolitik.

Die beiden Theoriegebäude wurden früh miteinander verbunden. Die sogenannte neoklassische Synthese kombiniert die Analyse des Güter- und Geldmarkts im keynesianischen Investment Savings/Liquidity preference-Money supply-Modell (IS-LM-Modell) mit einem neoklassischen Arbeitsmarkt, in dem Arbeitslosigkeit als Folge starrer Löhne erklärt wird. Die neoklassische Synthese wurde seit den 1980er Jahren zunehmend durch den Neukeynesianismus auf der Basis mikrofundierter Totalmodelle ersetzt. An die Stelle der traditionellen Frontstellung zwischen angebots- und nachfragetheoretischer Wirtschaftspolitik kreist die makroökonomische Debatte heute wesentlich um die Auseinandersetzung zwischen Neukeynesianismus, dem Neokeynesianismus (der das neoklassische Gleichgewichtsdenken ablehnt) und der Neuen Klassischen Makroökonomik mit ihren Annahmen rationaler Erwartungen und ständiger Markträumung.

2.3 Wirtschaftspolitik

Die traditionell neben die Mikro- und Makroökonomik tretende Theorie der Wirtschaftspolitik als Anwendungs- und Gestaltungsdisziplin innerhalb der VWL ist an den Universitäten und Hochschulen in den letzten Jahren zugunsten einer zunehmend theoretischen Ausrichtung des Faches in den Hintergrund getreten. Tiefere Ausdifferenzierungen der VWL nach Politikbereichen, die häufig die mikro- wie makroökonomische Methodik verwenden, bestehen jedoch – neben der Geld- und Finanzpolitik – in Teildisziplinen und -bereichen wie der Arbeitsmarktökonomik oder Finanzwissenschaft, der Bildungsökonomik, der Außenwirtschaftspolitik, Gesundheitsökonomik (Gesundheit) oder der Strukturpolitik fort.

3. Betriebswirtschaftslehre

Die Betriebswirtschaftslehre (BWL) als zweite große Teildisziplin der W. beschäftigt sich mit dem Wirtschaften in Betrieben, die als soziale Einheiten mit Bedarfsdeckungsaufgabe, selbstständigen Entscheidungen und eigenen Risiken verstanden werden. Historisch entstand sie im deutschen Sprachraum zunächst als nichtakademische „Handelslehre“, die an kaufmännischen Fachschulen gelehrt wurde. Als wissenschaftliche Disziplin entwickelte sie sich in enger Beziehung mit der mikroökonomischen Theorie der Unternehmung, welche das Handeln des Managements von Unternehmen als gewinnmaximierende Rationalentscheidung über die Kombination von Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital) auffasst. Wesentlich für den Fortschritt der BWL der letzten Jahrzehnte war v. a. die Erweiterung des mikroökonomischen Modells der vollkommenen Konkurrenz um den Begriff der Transaktionskosten (v. a. Verhandlungskosten) in später Rezeption der Arbeit von Ronald Coase (1937). Diese ließ nicht nur das Entstehen von Unternehmen aus einem Kalkül von Transaktionskosten heraus verstehen, sondern legte auch die Grundlage für organisationstheoretische Ausdifferenzierungen i. S. d. Neuen Institutionenökonomik, welche die Anreizwirkungen der Verteilungen von Verfügungsrechten (Property Rights) oder der Delegation von Entscheidungen unter den Bedingungen asymmetrischer Information (Principal-Agent-Theorie) zu erklären suchen.

Unterteilt wird die BWL i. d. R. nach den betrieblichen Funktionen wie Beschaffung, Produktion, Absatz/Handel oder Finanzierung. Institutionell lässt sie sich auch in Industriebetriebslehre, Bankbetriebslehre, Handelsbetriebslehre, Wirtschaftsprüfung, betriebswirtschaftliche Steuerlehre o. ä. untergliedern. Hieraus ergibt sich, dass die BWL methodisch heute multidisziplinär vorgeht und neben dem wirtschaftswissenschaftlichen Rationalverhaltensansatz auch juristische, statistische oder psychologische Erkenntnisse berücksichtigt, in jüngerer Zeit bes. auch aus der modernen Verhaltensökonomik. Über den Stakeholder-Ansatz, der neben den Anteilseignern (Shareholder) auch auf die Kunden, Mitarbeiter, Gläubiger und andere Interessengruppen (Stakeholder) abstellt, entwickelte sich ein differenzierteres Verständnis von Unternehmenszielen i. S. einer auch unternehmensethisch verantwortbaren CSR.

4. Dogmengeschichte

Im Unterschied zur Wirtschaftsgeschichte (Sozial- und Wirtschaftsgeschichte), die einen Teilbereich der Geschichtswissenschaft darstellt, zeichnet die Dogmengeschichte (auch: Geschichte des ökonomischen Denkens) als Teilbereich der W. die historische Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen, v. a. volkswirtschaftlichen, Theoriebildung nach. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Wirtschaftens begann, von den eher moraltheologischen Wirtschaftsanalysen in der mittelalterlichen Scholastik abgesehen, im 18. Jh. v. a. mit der Physiokratie und der ökonomischen Klassik (Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill, Jean-Baptiste Say [ Klassische Nationalökonomie ]). Diese erfuhren ab der Mitte des 19. Jh. durch die revolutionäre marxistische (Marxismus) Wirtschaftstheorie (Karl Marx, Friedrich Engels) und die bürgerliche Historische Schule der Nationalökonomie (Friedrich List, Gustav von Schmoller [ Historismus in der Wirtschaftswissenschaft ]) einflussreiche Gegenbewegungen, mit der neoklassischen Wirtschaftstheorie aber auch eine wesentliche Erweiterung durch den Marginalkalkül und das Gleichgewichtsdenken. Das 20. Jh. war wesentlich von der Kontroverse zwischen Keynesianismus und Monetarismus geprägt. Die ökonomische Theoriegeschichte analysiert auch die z. T. geografisch unterschiedlich ausgeprägten heterodoxen Theorien jenseits des Mainstreams der W. – von der ordoliberalen Theorie der Sozialen Marktwirtschaft (Walter Eucken, Franz Böhm, Wilhelm Röpke, Alexander von Rüstow) über die Österreichische Schule der Nationalökonomie (Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek) bis hin zu modernen feministischen Ansätzen (Feminismus) der W.