Wirtschaftskreislauf: Unterschied zwischen den Versionen

K (Wirtschaftskreislauf)
 
K (Wirtschaftskreislauf)
Zeile 38: Zeile 38:
 
</p>
 
</p>
 
</div>
 
</div>
 +
{{ #staatslexikon_license: }}
 
</div>
 
</div>
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 +
[[Category:Wirtschaftswissenschaft]]

Version vom 14. November 2022, 06:01 Uhr

„Die Wirtschaft als Kreislauf“ (Leontief 1928) aufzufassen ist eines der Grundmuster ökonomischen Denkens. Die monetäre Sphäre einer Volkswirtschaft mit der Kreislauf-Idee in Verbindung zu bringen leuchtet – jedenfalls bezogen auf den Umlauf von Geldbeständen (Geldzirkulation) – unmittelbar ein. Für die Sphäre realer Güter gilt das prima facie indes nicht. Denn zum einen verbrauchen sich bei deren Erzeugung die eingesetzten Stoffe und aufgewandten Leistungen; und zum anderen werden die entstandenen Einkommen früher oder später dazu verwendet, Güter zu erwerben, um sie entweder zu verzehren oder eine Zeitlang zu gebrauchen. Insofern handelt es sich eher um nicht-zirkuläre Transformationsprozesse; sie haben gewissermaßen einen Anfang und ein Ende. Da die Volkswirtschaft aber ohne Frage ein Geflecht vielfältiger interdependenter Prozesse darstellt, die sich regenerieren und daher ständig wiederholen – als Erzielung von Einnahmen durch Ausgaben, in der Abfolge von Produktion, Distribution und Konsumtion der Güter, von Entstehung, Verteilung und Verwendung der Einkommen sowie von Veränderungen der Kapital- und Vermögensbestände – kann in diesem, allerdings nicht wortgetreuen, Sinn von einem (geschlossenen) W. gesprochen werden. Man betrachtet dann die genannten gesamtwirtschaftlichen (makroökonomischen) Kreislaufströme zwischen den zu Sektoren (Pole) aggregierten Wirtschaftseinheiten (private und öffentliche Haushalte [ Haushalt, privater; Staatshaushalt ], Unternehmen, ausländische Volkswirtschaften) sowie die intrasektoralen Transaktionen. Die jeweils identifizierten Stromgrößen werden sowohl für vergangene Perioden statistisch erfasst (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung) als auch theoretisch in Bezug auf ihre Bestimmungsgründe sowie kausalen Verknüpfungen untersucht. Dies geschieht letztlich mit dem Ziel, empirisch fundierte, möglichst ökonometrisch testbare Verhaltensfunktionen abzuleiten, um Wirtschaftsprognosen (Prognose) zu ermöglichen und sich daraus ergebende wirtschaftspolitische Empfehlungen zu untermauern.

Der W. lässt sich auf verschiedene Weise schematisieren – durch Strich-, Pfeil- oder Ringdiagramme; Tabellenrechnungen, Kontierungen mit doppelter Buchung, Matrizen, kybernetische Systeme der Rückkopplung, algebraische Definitions- und Funktionsgleichungen. Namentlich in der älteren Literatur wurde der W. oft ganz oder teilweise noch analogisch veranschaulicht bzw. strukturgleich gedeutet. Dies geschah vornehmlich mittels Gleichnissen und Metaphern aus Biologie, Physik und/oder Technik (u. a. Blutzirkulation und andere Vitalfunktionen, Uhrenmechanik, Wasserkreislauf, hydromechanische Röhrensysteme, elektrotechnische Schalt- und Regelkreise). Verschiedentlich sind sogar entspr.e hydraulische Apparaturen konstruiert und gebaut worden, um die jeweiligen ökonomischen Abläufe simulieren und vorführen zu können.

Systematisch wurde der W. erstmals von dem französischen Physiokraten François Quesnay (Physiokratie) behandelt. In seinem „Tableau Economique“ (1758) quantifizierte er ex post für Frankreich das „Zickzack“ wechselseitiger Wirtschaftsbeziehungen zwischen drei Bevölkerungsklassen. Zugl. spielte er in diesem Modell verschiedene Verhaltensweisen durch, um ex ante zeigen zu können, unter welchen Bedingungen das volkswirtschaftliche Nettoprodukt auf gleichem, abnehmendem oder steigendem Niveau reproduziert werden kann. Jedoch haben schon lange vor F. Quesnay Gelehrte und Praktiker Kreisläufe in der Wirtschaft ausgemacht und beschrieben. Die antike Idealisierung des Kreises als perfekte Form entfaltete sich vollends in der Renaissance, als sich das Bild von einer mechanistischen Welt verfestigte, die durch zirkuläre Bewegungen in Natur, Gesellschaft und Wirtschaft (harmonisch) geregelt ist. Frühe ökonomische Konzepte dieser Art vertraten u. a. Bernardo Davanzati, Thomas Hobbes, Johann Joachim Becher, William Petty und Pierre de Boisguilbert. Daraus, dass sie und andere Autoren regelmäßig von der Zirkulation des Geldes oder des „Reichthums“ bzw. der „Kapitalien“ sprechen, darf man indes nicht schließen, sie hätten die Güter- und Einkommenskreisläufe übersehen. Ihre typische Rhetorik ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass zu jener Zeit Edelmetallgeld im Umlauf war, das wegen seines Warencharakters nicht nur der Geld-, sondern auch der Gütersphäre angehörte. Zum anderen unterschied man noch nicht scharf zwischen der Bestandsgröße „Vermögen“ (darunter Geld) und der Stromgröße „Einkommen“ bzw. dessen Äquivalent, dem „Güterwert“. Geld galt gleichsam als Medium, das die Realwirtschaft mobilisiert. Des Weiteren ist für die meisten dieser frühen Autoren charakteristisch, die Kreisläufe im „Wirtschaftskörper“ in – manchmal totaler – Analogie zum Blutkreislauf und zu dessen (noch) nicht immer richtig verstandenen physiologischen Funktionen im menschlichen Körper zu deuten. Dabei kam es ihnen meist weniger darauf an, die Zyklomatik an sich nachzuzeichnen, als vielmehr darauf, die Bedingungen anzugeben, unter denen Geld- und Güterströme ungehemmt und gleichmäßig fließen, damit die Volkswirtschaft nicht „erkrankt“ bzw. wieder „gesundet“.

Anknüpfend an F. Quesnay, aber anders gewendet, deutete Karl Marx den „Zirkulationsprozess des Kapitals“ (Marx 1885) als Reproduktion der volkswirtschaftlichen Produktivkräfte in einer Gesellschaft antagonistischer Klassen (Marxismus) und befeuerte damit kreislauftheoretische Debatten bis in die Gegenwart. Schule machte auch Joseph Alois Schumpeter, weil er in F. Quesnays „tableau-Methode“ – losgelöst von ihrem physiokratischen Kern – ein zeitloses Instrument zur quantitativen Bestimmung makroökonomischer Gleichgewichte erkannt hatte. Den wohl stärksten Auftrieb – wissenschaftlich wie didaktisch – erhielt die Kreislaufanalyse durch John Maynard Keynes und das auf seiner „General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) basierende Theorem, Höhe, Veränderung und Verteilung des Volkseinkommens und damit die Beschäftigung in funktionaler Abhängigkeit von Aggregaten wie Konsum, Investition, Export, Import, Sparen und Geldnachfrage zu begreifen (Keynesianismus). In der neueren Makroökonomik ist die Fokussierung auf den W. mehr und mehr geschwunden und durch Ansätze abgelöst worden, die das gesamtwirtschaftliche Geschehen mit dem Instrumentarium von Angebot und Nachfrage auf und zwischen aggregierten Güter-, Faktor- und Finanzmärkten analysieren. Mit zunehmender Beachtung ökologischer Prozesse dürfte jedoch das Kreislaufmodell – entspr. erweitert – wieder mehr Akzeptanz in der Wirtschaftswissenschaft finden.