Wert

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  1. I. Philosophisch
  2. II. Wirtschaftswissenschaftlich

I. Philosophisch

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1. Das Problem

Mit der Rede von „W.“ oder „Wertvollsein“ wird im Allgemeinen auf Instanzen verwiesen, die die Einnahme von theoretischen und praktischen Weltverhältnissen (transitiv) orientieren sollen oder unter denen wir uns (reflexiv) orientieren. In Gestalt einer W.-Ordnung sollen sie Strukturierungs-, Differenzierungs- und Selektionsleistungen erbringen und machen in ihrer Gesamtheit die jeweiligen Kulturen aus, die das Erleben, Erfahren, Erkennen, Wollen, Erstreben und schließlich Handeln der Individuen in Institutionen als „Trägern von Wertideen“ (Maurice Hariou zit. n. Hubig 1995: 108) organisieren und durch Internalisierung stabilisieren. Da zum einen die vormalige Orientierung an einer Ordnung der Natur mit normativem Anspruch angesichts des „Vakuums“, das eine mechanistische Weltsicht hinterlässt, nicht mehr greife, begründete Rudolf Hermann Lotze eine W.-Philosophie, die W.e nicht mehr als seinsmäßig Gegebenes, sondern in ihrem Modus als Gelten verhandelt. Und da eine Begründung dieser Geltung unter Rekurs auf das „Gute“ oder „Beste“ im Rahmen klassisch-metaphysischer Systeme seit ihrer Kritik durch Immanuel Kant nicht mehr möglich schien, und die mit dieser Kritik einhergehende „formalistische“ Fassung eines Konzepts des Guten und seiner Geltung unter dem Primat der Vernunft (Vernunft – Verstand) als Engführung erachtet wurde, sieht sich die W.-Philosophie vor der neuen Aufgabe, intentionalem W.-Fühlen und W.-Erfahren bis hin zur Motivation auf Basis des Affektiven gerecht zu werden. Die philosophische Diskussion konzentriert sich seitdem auf folgende Fragen: Ist ein W. ein (ggf. abstrakter) Gegenstand – „x (z. B. Leben, Würde des Menschen, Freiheit, Schöpfung/Biodiversität etc.) ist ein W.“ –, oder ist W. eine (ggf. akkumulierte) Eigenschaft eines Gegenstandes – „x hat einen (z. B. ökonomischen, ökologischen, moralischen, ästhetischen) W.“? Wer der ersten Begriffsverwendung folgt, wird empört die Frage zurückweisen, welchen W. denn das x (unter einem bestimmten Maßstab) habe. Entspr. wurde zwischen „Objekt-W.“ und „W.-Objekt“ unterschieden (Heyde 1926). Oder verbirgt sich hinter der Rede von W. jeweils eine Sollensregel als latenter Imperativ, „Direktive für das Verhalten“ (Kraft 1951: 199) der Verwirklichung oder ihrer Vermeidung (wenn es sich um einen „schlechten“ W. handelt)? Darüber hinaus ist strittig, ob W.en ein akteursunabhängiger oder -abhängiger Status zukommt: Ein W.-Realismus begreift die Seinsweise des W.es als „selbstständige“, „unberührt durch die Wertschau“ (Hartmann 1935: 135), während ein W.-Konzeptualismus das Sein der W.e auf Setzungen und Anerkennung durch Subjekte zurückführt. Bzgl. der Geltung der W.e ist zu unterscheiden zwischen einem W.-Objektivismus, der W.e als absolutes Seinsverhältnis begreift, und einem W.-Subjektivismus, der entweder im Rahmen einer Axiologie W.e als Beurteilungsverhältnis auf eine transzendental-intersubjektive Basis zu stellen sucht oder einem Relativismus oder „W.-Polytheismus“ überantwortet. In der phänomenologischen Tradition (Phänomenologie) hingegen werden W.e als intentionale Objekte affektiver Phänomene begriffen, die Gemütsregungen des Annehmens oder Zurückweisens auslösen können, indem sie

a) auf W.-Haltungen sowie

b) auf Angemessenheitsbedingungen (Ausschluss von Täuschung und Irrtum) aufruhen.

W.e können also weder mit W.-Schätzung identifiziert werden, noch per se allein die W.-Schätzung bestimmen. Schließlich ist kontrovers, inwiefern W.-Schätzung und W.-Haltungen begründbar sind: Ob sie „irrational“, „emotional“ oder „intuitiv“ verfasst (vgl. Scheler 1954) oder in Begründungsverhältnissen bis auf eine (ggf. weltanschauliche oder universell gültige) „Letztbegründung“ rückführbar sind, aus der sich auch eine Rangordnung der W.e gewinnen ließe. Die Begründungsleistung von W.en selbst wird angesichts des Fehlens einer „rationalen, auf diskursive Vermittlung angelegten Grundlage“ sowie des „Einströmens methodisch nicht kontrollierbarer subjektiver Meinungen und Anschauungen“ insb. für das Recht in Frage gestellt, weil doch „das Recht Friedensordnung sein und bleiben“ soll; hierbei wird aber nun seinerseits für die Institution des Rechts ein (oberster) W. unterstellt: „Friede“ bzw. „Friedensordnung“ (Böckenförde 1991: 81).

2. Die Wertphilosophie

Den Ansätzen der W.-Philosophie ist gemeinsam, dass sie das Gelten von W.en (ihren Verpflichtungscharakter als Anspruch auf Verwirklichung) freizulegen und in einer Rang- und Stufenordnung zu systematisieren suchen. Um einen W.-Absolutismus der alten metaphysischen Tradition sowie einen W.-Psychologismus als Relativismus zu vermeiden, will man W. und W.-Ordnung in unterschiedlicher Weise sichern: Im Rahmen eines objektiven W.-Denkens ist für R. H. Lotze die Welt der W.e Schlüssel für die Welt der Formen, unter denen wir die Realität begreifen, was erst unter Anerkennung ihrer Geltung gemäß dem „obersten ästhetisch-ethischen Bedürfnis nach Einheit“ (vgl. Lotze 1841) möglich ist. Ihre Idealität liege – als Seinsverhältnis – der Realität voraus. Nach neukantianischer Auffassung (Wilhelm Windelband, Heinrich John Rickert) stehen W.-Urteile, sofern sie auf einem „Normalbewusstsein“ (Windelband 1921: 45) gründen, unter der überindividuellen Anerkennung der W.-Geltung von Wahrheit, Gutheit und Schönheit. Subjektives Korrelat der idealen Existenz solcher W.e ist der „Sinn“, den wir mit unseren Aussagen über die Welt verbinden: W.e sind Instanzen der Sinnstiftung. Die phänomenologische W.-Philosophie Max Schelers bestimmt die Rangordnung von W.en unter den Kriterien der Dauerhaftigkeit, Teilbarkeit, Fundiertheit, Tiefe der Befriedigung sowie Relativität ihres Fühlens zu dessen Trägern und stuft entspr. die W.e vom Angenehmen/Unangenehmen über die W.e des vitalen Fühlens und die geistigen W.e hin zu den W.en des Heiligen/Unheiligen. Die Wesensqualität materialer Gegenstände wird unter diesen Eigenschaften (als formalen Gegenständen) erkennbar (das Liebenswerte als Objekt der Liebe und das Hassenswerte als Objekt des Hasses). Ein W.-Gehalten-Können ist als Disposition sowohl von der Verfasstheit der Gegenstände als auch der Subjekte abhängig (auf der W.-Seite Motivationskraft und auf der Subjektseite Begehren, Meinong 1894). Die Verwirklichung dieser Disposition hängt von der Autorität der Präsentation des W.es mit seinem Anspruch auf eine menschliche W.-Antwort sowie von der Sensibilität und kognitiven Erfassung des W.-Gehalts seitens des Menschen ab, die epochen- und kulturabhängig unterschiedlich ausgeprägt sind. Entspr. werden in der neueren Diskussion W.e als Beziehungsbegriffe, als Begriffe für spezifische Relationen zwischen Subjekten und Sachverhalten erachtet: Als Präferenzmodelle, die das „Wünschenswerte“ („desirable“, Kluckhohn 1976: 393) benennen. Als „Orientierungsstandards“ und Garanten von Zielsetzungen (Rokeach 1973: 11 [übers. vom Autor]) gewinnen sie den Charakter von obersten „Zielen“ (Friedrichs 1968: 87). Daher erscheint es sinnvoll, W.e als Regeln der Identifizierung von Zwecken zu begreifen, also als Regeln des Strebens, die in bestimmten situativen Kontexten Zwecke des Handelns (Handeln, Handlung) selektieren. Dieser Regelcharakter hebt sie aus dem individuellen in den gesellschaftlichen Bereich; Relativismus und Polytheismus werden einschränkbar, sofern angesichts pluraler und konfligierender W.e notwendige höherstufige W.e geltend gemacht werden können, die über Real-W.e hinaus den Erhalt der Möglichkeit, zu werten und auf dieser Basis zu handeln, garantieren: Unter „Options-W.en“ bzw. „Optionswertgehalt“ werden Qualitäten verstanden, die den weitestmöglichen Erhalt von Spielräumen möglichen Bewertens in der Zukunft betreffen und deren Anteil an den jeweiligen Realwerteigenschaften Kriterium des Abwägens zwischen konfligierenden Real-W.en ist, will sich das Abwägen als Prozess nicht selbst infrage stellen; unter „Vermächtnis-W.en“ können analog diejenigen W.-Qualitäten erachtet werden, die garantieren, dass Subjekte sich zu verantwortlichen Entscheidungsträgern entwickeln, ihre Verantwortungsträgerschaft (Verantwortung) erhalten und ihre Kompetenzen nicht verlieren, bzw. fortschreiben und erweitern können. Options-W.e (wie Nachhaltigkeit, Biodiversität, Fehlerfreundlichkeit etc.) und Vermächtnis-W.e (wie Autonomie, Bildung, soziale Bindungen etc.) sind W.-Aspekte, deren Anerkennung nicht disponibel ist, sollte überhaupt eine W.-Haltung eingenommen werden. Ihre Sicherung obliegt Institutionen; sie sind repräsentiert in kulturellen Systemen (bis hin zu Verfassungen und Rechtsordnungen); darüber hinaus wird ihre Anerkennung auch symbolisch (z. B. gegenüber ihren personalen Repräsentanten, in Festen und Zeremonien sowie insgesamt im Rahmen einer Erinnerungskultur) artikuliert. Auf diese Weise werden W.e als „regulative Fiktionen“ (Sommer 2016: 94) aktualisiert sowie entspr.e W.-Bindungen fortgeschrieben und dynamisiert.

II. Wirtschaftswissenschaftlich

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In der Geschichte ökonomischen Denkens stellen Wandlungen des W.-Begriffs eine zentrale Herausforderung dar. Das von Platon und Aristoteles formulierte Konzept des „gerechten Preises“ bezeichnet einen nach normativen Kriterien festgelegten Spielraum für die Austauschverhältnisse der Waren. Diese sollten es den Produzenten erlauben, ihre Produktionskosten zu decken und ein statusgemäßes Leben zu führen.

Die Tausch-W.-Bestimmung der antiken griechischen Philosophen spielte in der mittelalterlichen Scholastik wieder eine gewisse Rolle. Im 17. und 18. Jh. setzte sich dann, beginnend mit William Petty in England und Pierre Le Pesant de Boisguilbert in Frankreich, zunehmend die zuvor schon bei manchen Scholastikern angedeutete Vorstellung durch, dass der W. einer (produzierten und reproduzierbaren) Ware sich auf die objektiv messbaren Kosten ihrer Herstellung zurückführen lasse. Die W.e von auf Wettbewerbsmärkten (Wettbewerb) ausgetauschten Waren müssten deren Reproduktion ermöglichen, d. h. den Ersatz der bei ihrer Herstellung verbrauchten Gütermengen gestatten, und ein gegebenenfalls existierendes Mehrprodukt so verteilen, dass in allen Produktionszweigen eine einheitliche Profitrate auf den W. des vorgeschossenen Kapitals erzielt wird. Der „normale“ oder „natürliche“ Preis spiegelt die Produktionsschwierigkeiten wider, wobei als „physisch-reale“ Kosten eines Gutes die im Zuge seiner Erzeugung unter „normalen“ oder „durchschnittlichen“ Produktionsbedingungen verbrauchten Gütermengen, einschließlich der Subsistenzmittel der eingesetzten Arbeitskräfte, verstanden werden.

Um dieses heterogene Güterbündel kommensurabel zu machen, hielten es die klassischen Autoren für notwendig, einen „ultimativen W.-Standard“ wie „Arbeit“ oder „Boden“ (Land) zu verwenden. Für die klassischen politischen Ökonomen von Adam Smith zu David Ricardo und Karl Marx war dies die Arbeitsmenge, die in der Herstellung des Gutes direkt und indirekt aufgewandt werden musste (labour embodied) oder die im Tausch für das Gut erhalten werden konnte (labour commanded). Die Mängel der arbeitswerttheoretischen Formulierung der klassischen W.-Lehre bei D. Ricardo und K. Marx wurden durch die von Piero Sraffa vorgelegte moderne Reformulierung des klassischen Ansatzes zur W.- und Preistheorie beseitigt. Bei P. Sraffa erfolgt die W.-Bestimmung ohne Rückgriff auf die Arbeits-W.-Lehre im Rahmen eines simultanen Gleichungssystems. Die Preise der Waren werden dabei unter Vorgabe der Profitrate simultan mit den Preisen der zu ihrer Produktion eingesetzten Gütermengen sowie den über die verschiedenen Industrien hinweg einheitlichen Vergütungssätzen gleicher Arbeitsqualitäten bestimmt.

Vielfach wird behauptet, die objektive W.-Lehre der Klassik (Klassische Nationalökonomie) sei durch die subjektive W.-Lehre der Neoklassik überwunden worden. Diese Sichtweise ist oberflächlich. Bedeutende Protagonisten der Neoklassik erkennen vielmehr ein Zusammenspiel von subjektiven und objektiven Faktoren: Für Friedrich von Wieser ist der „persönliche W.“ ein Ansatz zum Verstehen von „Wesen“ und „Ursache“ von W., wohingegen unpersönliche Objektivierungen im Hinblick auf die Bestimmung der Größe des W.s unverzichtbar sind. Objektivierungen des W.s – wie die Kosten – schaffen laut F. von Wieser erst jene „sinnfälligen und nahen Objekte der Handlung“ (von Wieser 1884: 96), wodurch W. zur Richtschnur des Wirtschaftens wird.

W.-Rechnung ist von Interessen bzw. Bedürfnissen zu unterscheiden: „Die Rücksicht auf den Werth motivirt nur das wirthschaftliche Verhalten beim Gebrauche und nicht den Gebrauch selbst“ (von Wieser 1884: 135). Die subjektive Seite des W.s reflektiert eine relationale Auffassung: „Der Werth ist keine den Gütern innewohnende Eigenschaft, sondern eine ihnen von außen beigelegte Beziehung auf ein bestimmtes Subject. […] Hierin liegt einerseits die Vergleichbarkeit aller Güter, andrerseits die Möglichkeit der Werthverschiedenheit der nämlichen Güter für verschiedene Personen, auf der die Möglichkeit eines freien Tauschverkehrs beruht“ formuliert Hans von Mangoldt (1863: 3). F. von Wieser kombiniert diese Aspekte in seiner Charakterisierung von W. als „unerläßliche Begleitung des Wirtschaftens“ (von Wieser 1884: 231) im Kontext des „Zählens des Werthes vor und beim Wirthschaften“ (von Wieser 1884: 187): W. ist „der einfachste Regulator. Die Werthzumessung nach dem Grenznutzen fasst das Resultat der Zählung und Schätzung der Güter in die kürzeste und klarste Formel. […] Man hat durch sie die Essenz des ganzen Wirthschaftsplanes in wirksamer Erinnerung“ (von Wieser 1884: 137).

Seinem Wesen und Ursprung nach ist W. von den Akteuren und der Lösung von Allokationsproblemen (Allokation) nicht zu trennen. Die W.-Zumessung setzt aber die Reduktion komplexer objektiver Zusammenhänge auf gleichgewichtige W.-Größen voraus. Die wertbezogene Regelhaftigkeit der Wirtschaft besteht, weil Produktion, Tausch und Konsum in einer festen, sinnvollen Beziehung zueinander stehen. Der Prozess der W.-Bildung verfolgt demnach einen Kreislauf: „Von der Betrachtung der Gebrauchsgüter je in den einzelnen Gattungen steigt die Bewegung zur Schätzung der Productivgüter auf und kommt dann wieder zu den Gebrauchsgütern zurück, das erste Urtheil mit Rücksicht auf die allgemeinen Verhältnisse verbessernd“ (von Wieser 1884: 156).