Weltwirtschaft

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1. Charakterisierung

1.1 Begriffsdefinition

Unter dem Begriff W. wird die Gesamtheit aller Volkswirtschaften der Welt sowie deren wirtschaftliche Austauschbeziehungen verstanden. Während die W. derzeit von den Industriestaaten dominiert wird, gewinnen die Schwellenländer im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft und ihre wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Rest der Welt zunehmend an Bedeutung.

1.2 Historische Entwicklung

Mit dem Aufschwung des Fernhandels entlang der Seidenstraße etablierte der europäische Kontinent ab dem 12. Jh. n. Chr. wirtschaftliche Austauschbeziehungen mit dem seinerzeit höher entwickelten asiatischen Raum. Im Verlaufe der nachfolgenden Jahrhunderte avancierte Europa nicht zuletzt durch die im frühen 16. Jh. einsetzende Kolonialisierung (Kolonialismus) und die daraus resultierende Intensivierung des Überseehandels zur führenden W.s-Macht. Hierbei ermöglichten v. a. die Verbreitung des Dampfschiffs und der Dampflokomotive im Gefolge der Industriellen Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution) den Handel von Rohstoffen, Agrarprodukten und Industriegütern auch über weite Distanzen. So nahm der Welthandel zwischen 1800 und 1913 um das 25-fache zu und wuchs damit deutlich stärker als die Weltproduktion. Diese Blütephase der W., auch als „Erste Globalisierungswelle“ bezeichnet, kam erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs zu einem Ende.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die W. bedingt durch die rasant steigende Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern im Zuge des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit einen erneuten Aufschwung. Die voranschreitende Handelsliberalisierung verbunden mit der Entwicklung neuer Transport- und Kommunikationstechnologien wie der Verbreitung von Funktelefonen, dem kommerziellen Einsatz von Computern oder der Containerisierung des Stückguttransports führten zu dramatisch sinkenden Transportkosten, die seit Mitte der 1980er Jahre die „Zweite Globalisierungswelle“ begründeten, von der die W. bis heute geprägt ist. Dieser zweite Globalisierungsschub (Globalisierung) verstärkte sich seit den 1990er Jahren nochmals, angetrieben einerseits durch die sukzessive weltweite Deregulierung von Güter- und Finanzmärkten und andererseits durch die wirtschaftliche Öffnung Chinas und Indiens sowie den Zusammenbruch der UdSSR und der damit einhergehenden Marktöffnung der Länder Mittel- und Osteuropas. Hohe Lohnunterschiede zwischen den Industrieländern und den sich neu dem Welthandel öffnenden Schwellenländern führten zudem zu einer zunehmenden Fragmentierung von Wertschöpfungsketten. Aufgrund der Verlagerung von einzelnen Fertigungsstufen in Billiglohnländer und dem dadurch resultierenden verstärkten Handel von Zwischenprodukten nahm die Interdependenz der W. in den zurückliegenden Jahren weiter zu.

1.3 Indikatoren der weltwirtschaftlichen Verflechtung

Das globale BIP zu Marktpreisen belief sich im Jahre 2018 auf 85,7 Billionen US-Dollar. Davon entfielen knapp ein Viertel auf die USA als wirtschaftlich größte Volkswirtschaft, gefolgt von den EU28-Staaten mit zusammen rund 21 % der globalen Wirtschaftsleistung. Obwohl die W. nach wie vor von den westlichen Industrieländern dominiert wird, verlagert sich ihr Zentrum von Europa und den USA zunehmend nach Asien. Das wird bes. deutlich, wenn das kaufkraftbereinigte globale BIP herangezogen wird. Im Gegensatz zum BIP zu Marktpreisen berücksichtigt Letzteres, dass die allg.en Lohnniveaus und damit die Preise nicht handelbarer Güter, insb. Dienstleistungen, in weniger entwickelten Ländern geringer sind als in den Industrieländern. Aus diesem Grunde ist die Kaufkraft des Geldes in Entwicklungs- und Schwellenländern entspr. höher, wodurch sich der Wert der kaufkraftbereinigten globalen Wirtschaftsleistung gegenüber dem BIP zu Marktpreisen erhöht. Das kaufkraftbereinigte BIP wird in Einheiten des „Internationalen Dollar“ ausgedrückt, der eine von der Weltbank berechnete Vergleichswährung darstellt. Während eine Einheit des Internationalen Dollar in den USA genau einem US-Dollar entspricht, erfolgt die Umrechnung in allen anderen Ländern gemäß der Kaufkraftparität des jeweiligen Landes. Die Kaufkraftparität misst dabei die Menge der inländischen Währungseinheiten (Währung), welche benötigt werden, um im Inland die gleiche Menge an Gütern zu kaufen, welche in den USA für einen US-Dollar zu erwerben sind. Im Jahre 2018 belief sich das kaufkraftbereinigte BIP auf 128,6 Billionen Internationale Dollar, wovon etwa ein Viertel allein von China und Indien erwirtschaftet wurde, die sich seit den 1980er bzw. 1990er Jahren zunehmend dem Welthandel öffneten. So steigerte China seinen Anteil an der weltweiten Produktion von unter 4 % im Jahre 1990 auf 18 % im Jahre 2018, während sich der Produktionsausstoß Indiens von etwas über 3 % auf 7 % des kaufkraftbereinigten globalen BIP mehr als verdoppelte. Das kaufkraftbereinigte BIP selbst hat sich dabei im Zeitraum von 1990 bis 2018 in etwa vervierfacht.

Das globale BIP ist jedoch innerhalb der Weltregionen sehr ungleich verteilt. So hat die Einkommensungleichheit innerhalb vieler Ländern, v. a. in Nordamerika, China, Indien und Russland, seit 1980 deutlich zugenommen, während der Anstieg in Europa eher moderat verlief. Auf globaler Ebene ergibt sich hingegen ein anderes Bild. Zwar stieg der Anteil des weltweit obersten 1 % am Gesamteinkommen zwischen 1980 und 2000 von 16 % auf 22 %, fiel bis 2016 jedoch wieder auf 20 % zurück, während sich der Anteil der weltweit unteren 50 % seit 1980 bei rund 9 % eingependelt hat. Der Rückgang der globalen Einkommensungleichheit nach 2000 erklärt sich v. a. aus den hohen Wirtschaftswachstumsraten in Asien, und hier insb. Chinas und Indiens, das die Entwicklung der durchschnittlichen Einkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung insgesamt begünstigt hat.

Neben der Höhe des BIP und dessen Verteilung lässt sich die W. auch durch die Intensität der wirtschaftlichen Austauschbeziehungen zwischen den Ländern der Erde charakterisieren. So ist der Welthandel seit den 1950er Jahren mit über 5 % p. a. regelmäßig schneller gewachsen als die globale Wirtschaftsleistung, auch wenn sich dieses Wachstum im Gefolge der Weltfinanzkrise (Finanzmarktkrise, Weltwirtschaftskrisen) von 2008–2009 etwas abgeschwächt hat. Allein zwischen 1990 und 2018 nahm der Anteil des internationalen Güterhandels in Form von Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen von knapp 38 % auf über 59 % des Welt-BIP zu, und lag im Jahr 2018 bei 50 Billionen US-Dollar. Der Warenhandel zeichnet dabei mit 46 % des Welt-BIP für den Großteil des internationalen Güterhandels verantwortlich, während der Umfang international gehandelter Dienstleistungen deutlich geringer ausfällt. Die Bedeutung des Dienstleistungshandels hat jedoch von 7 % des globalen BIP im Jahre 1990 auf 13 % im Jahre 2018 enorm an Bedeutung gewonnen. Die USA und China waren im Jahre 2018 die größten Handelsnationen. In diesem Jahr lagen die USA bei der Einfuhr von Gütern in Form von Waren und Dienstleistungen mit einem Weltmarktanteil von 13 % vor China mit 10 %, während China beim Güterexport mit einem Anteil von 11 % vor den USA mit 10 % rangierte. Deutschland belegte bei Exporten sowie Importen mit Weltmarktanteilen von 7,5 % bzw. 6,5 % den dritten Platz.

Der internationale Handel beschränkt sich nicht nur auf den Austausch finaler Güter, sondern wird zunehmend durch globale Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten geprägt. Hierbei wird der Produktionsprozess aufgebrochen und nur einzelne Produktionsstufen ins Ausland verlagert. Auf diese Weise können internationale Faktorpreisdifferenzen ausgenutzt werden, um Einsparungen bei den Produktionskosten zu realisieren bspw. durch eine Auslagerung bes. arbeitsintensiver Produktionsstufen in Billiglohnländer. Die ausgelagerten Produktionsleistungen können dabei entweder durch Tochtergesellschaften innerhalb einer multinationalen Unternehmung (Offshoring) oder mittels fremder Unternehmen im Ausland (Outsourcing) erbracht werden. Die Bedeutung solch globaler Wertschöpfungsverflechtungen nahm ab den 1990er Jahren im Zuge sinkender Transportkosten und der Weltmarktöffnung vormals geschlossener Volkswirtschaften wie China, Indien und den mittel- und osteuropäischen Ländern erheblich zu. Im Jahre 2018 stellte der Handel mit Zwischenprodukten mehr als zwei Drittel des gesamten Welthandelsvolumens dar. Eine Auslagerung von Produktionsleistungen mittels Offshoring erfolgt durch grenzüberschreitende Investitionen multinationaler Unternehmen in eigene Produktionsstätten und Tochterunternehmen sowie Fusionen mit oder Beteiligungen an ausländischen Unternehmen. Die Zuflüsse in die Empfängerländer solch internationaler Direktinvestitionen waren von 240 Mrd. US-Dollar bzw. 1,1 % des globalen BIP im Jahre 1990 auf 3,1 Billionen US-Dollar bzw. 5,3 % des globalen BIP im Jahre 2007 angestiegen, bis zum Jahre 2018 aber wieder auf 1,3 Billionen US-Dollar bzw. 1,6 % der weltweiten Produktion zurückgefallen.

Die zunehmende Integration der W. im Zuge der zweiten Globalisierungswelle wurde in nicht unerheblichem Maße durch die verstärkte Deregulierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs unterstützt und vielfach erst ermöglicht. Dabei wurden seit den 1980er Jahren von vielen Regierungen Kapitalkontrollen, Handels- und Marktzugangsbeschränkungen sukzessive abgebaut und der Spielraum für die Einführung neuer Finanzinstrumente erweitert. Zwar kam es nach der Weltfinanzkrise zu einer teilweisen Re-Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs insb. durch eine Verschärfung der Bankenregulierung im Zuge der als Basel III bezeichneten Vorschriften des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Dennoch hat dies dem ausgeprägten Wachstum des internationalen Kapitalverkehrs keinen Abbruch getan, was sich sehr deutlich an der rasanten Zunahme der täglichen weltweiten Devisenmarktumsätze zeigt, welche sich von gut 800 Mrd. US-Dollar im Jahre 1992 auf über 6,5 Billionen US-Dollar im Jahre 2019 mehr als verachtfachten.

1.4 Organisationen der Weltwirtschaft

Die Integration der W. nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch eine Reihe wichtiger internationaler Organisationen unterstützt. Zu diesen zählen insb. die Bretton-Woods-Institutionen (Bretton Woods) des IWF, der Weltbank sowie der WTO. Die Hauptaufgaben des IWF umfassen die Vergabe befristeter Kredite unter Auflagen an Staaten mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten sowie die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik. Demgegenüber stellt die Weltbank Finanzierungsinstrumente für langfristige Entwicklungsprojekte für Entwicklungs- und Schwellenländer bereit. Die WTO zielt schließlich auf eine Regelung der weltweiten Handelsbeziehungen ab. Durch acht große Zollsenkungsrunden trug das GATT entscheidend dazu bei, das durchschnittliche Zollniveau auf Industrieprodukte von etwa 50 % in den 1940er Jahren auf unter 5 % zu Ende des 20. Jh. zu senken. Die WTO wurde 1995 als Nachfolgeorganisation des GATT mit erweiterter Zielsetzung gegründet und umfasst auch die Bereiche Dienstleistungen, geistiges Eigentum und landwirtschaftliche Produkte.

Neben den Bretton-Woods-Institutionen existiert eine Reihe weiterer Organisationen zur Förderung der internationalen Wirtschaftskooperation. Dazu zählt die OECD, die zunächst als Vereinigung der westlichen Industriestaaten mit dem Ziel gegründet wurde, den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu fördern. Inzwischen gehören der OECD auch Schwellenländer an, und sie setzt sich insb. für eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung (Wettbewerb) ein. Dazu hat sie u. a. Standards für Direktinvestition und zur Verhinderung von Geldwäsche und Steuerflucht formuliert.

Schließlich dienen auch verschiedene politische Gremien als Plattform zum Dialog über Probleme des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems. Dazu zählt die G7 (Gruppe der führenden Industrienationen [G7/G8]) als informelles Forum der großen Industrienationen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA, die G20 als informeller Zusammenschluss der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie der EU, die Gruppe der 77 als loser Zusammenschluss von Entwicklungs- und Schwellenländern zur Stärkung ihrer Marktmacht auf den Weltmärkten, sowie die BRICS-Staaten als Zusammenkunft der aufstrebenden Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

2. Weltwirtschaft im Wandel

In der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurde die Entwicklung der W. stark vom Multilateralismus geprägt, dessen institutioneller Rahmen durch ein breites Netz an internationalen Organisationen gekennzeichnet war. Die mit diesem institutionellen Rahmen verbundene erhöhte Rechtssicherheit sowie die durch das GATT erreichten Zollsenkungen begünstigten eine Intensivierung der internationalen Handelsbeziehungen sowie die Ausbildung von internationalen Wertschöpfungsketten, die zu sinkenden Produktionskosten und Preisen für eine Vielzahl an Verbrauchsgütern führte und insb. auch bis dahin vom Weltmarkt abgekoppelte Länder v. a. in Osteuropa und Asien in die weltweiten Produktionsnetzwerke einband. Als wichtiger Treiber des Produktivitätsfortschritts haben globale Lieferketten zudem das Wachstum der W. beflügelt.

Die voranschreitende Integration der W. im Zuge der „Zweiten Globalisierungswelle“ wurde jedoch durch eine Reihe von Entwicklungen abgebremst. So führte die im Jahre 2001 begonnene, aber bis zum Jahre 2020 nicht vollendete Doha-Runde der WTO dazu, dass auf multilateraler Ebene keine Fortschritte bei wichtigen Themen wie dem Abbau von Subventionen für Agrarprodukte oder der weiteren Liberalisierung beim Dienstleistungshandel erreicht werden konnten. Stattdessen hat die Anzahl regionaler Freihandelsabkommen (Freihandel) seit der Jahrtausendwende enorm zugenommen. Während Freihandelszonen zwar den Handel zwischen den beteiligten Ländern erhöhen, führen sie zu einer potenziellen Umlenkung von Handelsströmen von den kostengünstigsten Anbietern außerhalb des Integrationsraums auf die Produzenten innerhalb der Freihandelszone. Dies verhindert eine effiziente Ressourcenallokation, schadet Drittländern und birgt die Gefahr einer Zersplitterung des multilateralen Handels durch eine Verhärtung von regionalen Handelsblöcken. Neben den stockenden multilateralen Handelsliberalisierungsbestrebungen bildete die Weltfinanzkrise den Nährboden für zunehmend protektionistische handelspolitische Maßnahmen in vielen Ländern, die sich v. a. in einem Anstieg nicht-tarifärer Handelshemmnisse z. B. im Bereich der technischen Regulierungen, bei wettbewerbsverzerrenden Subventionen oder bei Lizenzen für Importe und Exporte manifestierten, welche im Verlaufe der 2010er Jahre die Zukunftsfähigkeit des WTO-Regelwerks zunehmend in Frage stellten.

Die Verwerfungen im Gefolge der Weltfinanzkrise, weltweit eskalierende Handelskonflikte sowie der aufkeimende Protektionismus in der W. führten in vielen Ländern zudem zu einem erheblichen Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit, die durch die im Jahre 2020 durch den Erreger SARS-CoV-2 ausgelöste Coronakrise nochmals dramatisch zunahm. Erhöhte globale Unsicherheit verursacht dabei nicht nur eine ausgeprägte Konsum- und Investitionszurückhaltung, die sich negativ auf die Wachstumsperspektiven der W. auswirkt. Sie führt überdies zu einer Störung globaler Lieferketten, da es sich für Unternehmen nicht mehr lohnt, die mit einer Produktionsauslagerung verbundenen finanziellen Risiken einzugehen. Um die Abhängigkeit von externen Zulieferern zu reduzieren, besteht für betroffene Unternehmen die Option einer Rückverlagerung ehemals ausgelagerter Produktionsschritte entweder in heimische und regionale Märkte (Reshoring oder Nearshoring) oder in die eigene Firma (Inshoring). Neben Risikoaspekten spielt für die Attraktivität einer Rückverlagerung von internationalen Produktionsprozessen auch die voranschreitende Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle. Obwohl ein Reshoring oder Inshoring mit der Hoffnung auf Arbeitsplatzgewinne der heimischen Volkswirtschaft assoziiert werden, steht zu erwarten, dass ehemals arbeitsintensive Montagetätigkeiten aufgrund der Fortschritte in der Robotik und dem 3D-Druck vermehrt automatisiert erbracht werden, und damit nicht zu einer Zunahme der heimischen Arbeitsnachfrage führen. Zugl. benachteiligt die Rückverlagerung von Produktionsprozessen in die Industrieländer v. a. die ostasiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer, die in bes.m Maße von kostengünstiger Produktion und dem Export von Vorprodukten abhängen. Aber auch Länder, die noch nicht in hohem Maße in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind, aber generell das Potenzial zur Einbindung haben, wie z. B. viele Volkswirtschaften auf dem afrikanischen Kontinent, sind die Verlierer eines Reshoring. Denn für diese Entwicklungsländer bietet die Integration in weltweite Produktionsnetzwerke die Chance, von den mit Wertschöpfungsketten einhergehenden Kapitalströmen und dem Zugang zu internationalen Märkten, Humankapital und Wissen zu profitieren, die Wertschöpfung der eigenen Produktion zu steigern und dadurch ihr Wirtschaftswachstum nachhaltig zu erhöhen. Auf diese Weise wirkt sich das Reshoring auch schädigend auf den globalen Produktivitätsfortschritt aus und schränkt die Wachstumsperspektiven der W. ein.

Massive Störungen von internationalen Wertschöpfungsketten, wie sie z. B. im Gefolge der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahre 2011 auftraten und seinerzeit insb. die Automobilbranche, den Maschinenbau und die Elektronikindustrie empfindlich trafen, oder die sich im Jahre 2020 ausbreitende Coronakrise, die aufgrund weltweiter Produktions-Lockdowns mit Totalausfällen ganzer Industriezweige zu drastischen Versorgungslücken führte, zeigen die Notwendigkeit auf, Wertschöpfungsketten nicht nur unter Effizienzgesichtspunkten, sondern verstärkt unter Risikoaspekten auszugestalten. Durch Reshoring oder Nearshoring von einzelnen Produktionsschritten aus Niedriglohnländern können Unternehmen die Abhängigkeit von weit entfernten Produktionsstandorten zwar verringern. Eine heimatnahe Rückverlagerung internationaler Produktionsprozesse ist dabei aber nur bedingt geeignet, Lieferketten aufrechtzuerhalten, denn wie die Coronakrise gezeigt hat, sind auch heimische Zulieferer vor krisenbedingten Produktionsstopps nicht gefeit. Daher werden internationale Lieferketten auch zukünftig ein wichtiges Merkmal der globalen Produktionstätigkeit bleiben. Hierbei müssen jedoch Risiken stärker diversifiziert werden, um potenzielle Ausfälle entlang ihrer Wertschöpfungsketten besser kompensieren zu können. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Abkehr vom Single Sourcing-Prinzip, bei dem Unternehmen ihre Vorprodukte nur von jeweils einem einzelnen Produzenten beziehen, bzw. Vorleistungsproduzenten nur an einen einzelnen Abnehmer liefern. So kann bei einer hinreichend hohen Anzahl an Zulieferern die inländische Versorgung durchaus stabiler sein als im Falle ausschließlich heimischer Produktion. Zugl. ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Diversifikation von Zulieferern anstelle des Single Sourcing zwar das Ausfallrisiko reduziert, gleichzeitig jedoch mit dem Verlust an Skalenerträgen einhergeht, was die Produktionskosten und letztendlich die Preise für die Konsumenten erhöht. Die zusätzlichen Kosten können dabei als Versicherungsprämie gegen Störungen internationaler Lieferketten und deren Folgen gesehen werden.

Um Zulieferbeziehungen stärker zu diversifizieren, wird eine multilaterale Offenheit der W. wichtiger denn je, um die zusätzliche Belastung durch Zölle und nichttarifäre Handelsbarrieren, international unterschiedliche Produktstandards und Bürokratie so gering wie möglich zu halten. Bei der eventuellen Neuausrichtung von globalen Wertschöpfungsketten sollten Regierungen daher dafür sorgen, durch internationale handelspolitische Zusammenarbeit das Auftreten von Produktionsengpässen dadurch zu verhindern, dass freier Handel und grenzüberschreitende Bewegungen von Finanz- und Sachkapital möglichst uneingeschränkt zugelassen werden. Ein Fortbestehen des regelbasierten Systems der WTO sowie eine Rückbesinnung auf den Prozess der multilateralen Handelsliberalisierung ist vor diesem Hintergrund von bes.r Bedeutung, um die zukünftigen Wachstumspotenziale der W. zu heben.