Weltbank (World Bank Group)

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Als W. im ursprünglichen Sinne wird die multinationale Entwicklungsbank International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) mit Sitz in Washington D.C. bezeichnet. Errichtet wurde sie durch das „Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“, das von einer Kommission unter Vorsitz von John Maynard Keynes 1944 auf der Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen in Bretton Woods ausgehandelt wurde und ihre Aufgaben, Struktur und Handlungsformen festlegt. Der dort zeitgleich auf den Weg gebrachte IWF weist enge Verbindungen zur W. auf, da die Mitgliedstaaten der IBRD zunächst Mitglieder im IWF sein müssen. Ausgehend vom anfänglichen Hauptzweck, den Wiederaufbau im kriegsgeschädigten Europa zu unterstützen, entwickelte sich die IBRD zunehmend zu einer Förderorganisation für Entwicklungs- und Schwellenländer zum Zwecke der Armutsbekämpfung und zum einflussreichsten Akteur der internationalen Entwicklungspolitik. Heute umfasst die Institution W. neben der IBRD auch die 1960 gegründete International Development Association (IDA), die zusammen mit drei weiteren Organisationen die W.-Gruppe bilden: International Finance Corporation (IFC, gegründet 1956), International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID, 1966) und Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA, 1988). Völkerrechtlich sind diese allesamt Sonderorganisationen der Vereinten Nationen gemäß Art. 57 UN-Charta und besitzen jeweils eigene Rechtspersönlichkeit. Sie weisen unterschiedliche Mitgliederzahlen auf (IBRD: 189; IDA: 173; IFC: 185; ICSID: 155; MIGA: 182 in 2020). Die W.-Gruppe hatte 2020 über 12 000 Beschäftigte und war in 174 Ländern tätig.

Die IBRD unterstützt Regierungen durch die Vergabe zinsgünstiger, dabei marktnaher Kredite sowie durch Zuschüsse und Garantien (Subvention). Gerechtfertigt werden diese Kapitalhilfen insb. aus Gründen des Marktversagens, da die Empfängerländer ihren Kapitalmangel oftmals nicht durch Kreditaufnahme am regulären Kapitalmarkt (Geld- und Kapitalmarkt) decken könnten. Anders als die IDA, die vorrangig die Einlagen ihrer Mitgliedstaaten verwendet, refinanziert sich die IBRD überwiegend selbst am Finanzmarkt. Während die IDA den Regierungen der strukturschwächsten Entwicklungsländer zinslose und langfristige Darlehen gewährt, konzentriert sich die IFC auf die Kreditvergabe an dortige Unternehmen der Privatwirtschaft. Die MIGA fördert primär ausländische Direktinvestitionen in Zielländer mittels Garantien gegenüber politischen Risiken. Die Schiedsinstitution ICSID dient der Vermittlung und Schlichtung zwischen ausländischen Investoren und Regierungen von Entwicklungsländern bei Investitionsrisiken und Enteignungsverfahren. Die finanziellen Zusagen der W.-Gruppe beliefen sich im Geschäftsjahr 2019 insgesamt auf 62,3 Mrd. US-Dollar (darunter IBRD: 23,2 Mrd., IDA: 21,9 Mrd., IFC: 8,9 Mrd., MIGA: 5,5 Mrd.).

Die zentrale Rolle innerhalb der W.-Gruppe kommt der IBRD zu, deren Präsident auch allen Teileinheiten der Gruppe vorsteht. Er wird vom Exekutivdirektorium der IBRD für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Hierbei gilt bislang die informelle Regel, dass der IBRD stets ein US-Amerikaner und dem IWF ein Europäer vorsteht. Das 25-köpfige Exekutivdirektorium ist bei der IBRD, der IDA und der IFC für das operative Geschäft verantwortlich. Die fünf Länder mit den höchsten Stammkapitalanteilen ernennen jeweils einen Direktor. Unabhängig davon steht sowohl Russland als auch Saudi-Arabien je ein Direktorposten zu. Die übrigen 18 Posten werden durch eine alle zwei Jahre nach Ländergruppen stattfindende Wahl besetzt, wobei jeder Direktor eine solche, nach geographischer Zusammengehörigkeit gebildete Gruppe vertritt. Das politische Leitungsorgan der IBRD (wie auch der IFC, IDA und MIGA) ist der Gouverneursrat, in den jeder Mitgliedstaat einen Vertreter entsendet (i. d. R. den Finanz- oder Entwicklungshilfeminister). Der Gouverneursrat berät jährlich und legt die Leitlinien der W. fest. Bei Abstimmungen im Gouverneursrat und im Exekutivdirektorium richtet sich das Stimmengewicht des einzelnen Landes neben einem Grundstock an Stimmrechten im Wesentlichen nach der Höhe seines Kapitalanteils (Stimmrechtsanteile an der IBRD 2020 – USA: 15,7 %, mit einer Sperrminorität bei wichtigen Entscheidungen; Japan: 7,63 %; China: 4,7 %; Deutschland: 4,18 %; Großbritannien/Frankreich: je 3,88 %).

Seit ihrer Gründung hat sich die Ausrichtung der W. mehrfach gewandelt. Zunächst förderte die IBRD primär große Infrastrukturprojekte. Es folgten u. a. die Phase der Förderung ländlicher Entwicklung, eine auf Exportsteigerung von Rohstoffen ausgerichtete Modernisierungspolitik insb. in Lateinamerika und Afrika, die Armutsbekämpfung sowie die Unterstützung kleiner Haushalte. Heute wird im Rahmen der MDG und ihrer Nachfolgestrategie Agenda 2030 (SDG [ Nachhaltigkeitsziele ]) auch die Politik der W. in die Zielsetzung nachhaltiger Entwicklung (Nachhaltigkeit) eingebettet. Dieser Prozess spiegelt nicht nur sich verändernde Politikagenden und die Verschiebungen geopolitischer Machtstrukturen (Geopolitik) wider, sondern auch einen Paradigmenwechsel bei der (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung mit der Frage nach der effektivsten und effizientesten, kurz: dienlichsten Entwicklungspolitik. Auch deshalb war und ist die W. Gegenstand gesellschaftlicher Kritik, auf die sie mit vereinzelten Reformbestrebungen reagiert (z. B. der Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle zur Erhöhung der Legitimität der Förderpolitik). Während eine Kontroverse um die Wirksamkeit und Effizienz der multilateralen entwicklungspolitischen Maßnahmen (und damit um die Existenzberechtigung der W.) geführt wird, kritisieren Globalisierungsgegner eine einseitige, an den Geberländern ausgerichtete Interessenpolitik, die unzureichende Berücksichtigung von Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards und insb. die Konditionalität der Mittelvergabe. Dabei beschränkt sich die W. tatsächlich nicht auf die Gewährung von Kapitalhilfen, sondern berät die Empfängerländer auf der Grundlage von gemeinsam erarbeiteten Länderstrategien auch fachlich (u. a. durch sogenannte technische Hilfe) und übt damit Einfluss auf nationale Politikfelder aus. Seit den 1990er Jahren verknüpft die IBRD ihre Kredite außerdem mit Kriterien der Good Governance, z. B. der Forderung nach dem Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und dem Schutz der Menschenrechte, v. a. aber nach Strukturanpassungen (Haushaltsdisziplin, Bildungsinvestitionen, Handelsliberalisierung [ Liberalisierung ], Deregulierung und Privatisierung), die oftmals unter der Bezeichnung Washington Consensus Gegenstand der Kritik sind. Trotz nachweisbarer Erfolge bei der Beseitigung korrupter, protektionistischer und diskriminierender Strukturen durch den externen Druck der W. kann ein derartiger, schematischer Institutionentransfer ohne Berücksichtigung lokaler kultureller Muster, politischer Rahmenbedingungen und informeller Normen dysfunktional wirken.

Literatur