Weltanschauung

  1. I. Philosophisch
  2. II. Soziologisch

I. Philosophisch

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Begriffsgeschichtlich betrachtet taucht das Wort W. – ein unübersetzbarer Begriff, der „als Lehnwort in zahlreichen anderen Sprachen [figuriert]“ (Willner 2020: 16) – das erste Mal bei Immanuel Kant auf. I. Kant thematisiert die W. in der „Kritik der Urtheilskraft“, wo er annimmt, dass „die Stimme der Vernunft, welche zu allen gegebenen Größen, selbst denen, die zwar niemals ganz aufgefasst werden können, gleichwohl aber (in der sinnlichen Vorstellung) als ganz gegeben beurteilt werden, Totalität fordert, mithin Zusammenfassung in eine Anschauung“ (Kant 1913: 254, KU § 26, B 92 f.). Von dieser einen Anschauung als einer von der Vernunft gesetzten „Idee eines Noumenons“ heißt es jedoch wenig später, dass sie „selbst keine Anschauung verstattet, aber doch der Weltanschauung, als bloßer Erscheinung, zum Substrat unterlegt wird“ (Kant 1913: 255, KU § 26, B 92 f.). Michael Moxter weist deshalb zu Recht darauf hin, dass I. Kants Verständnis von W. zwischen den Begriffen „Welt“ und „Anschauung“ oszilliert und deshalb nicht uneingeschränkt mit der Vorstellung von Totalität, die als Bedingung der Möglichkeit des Wahrnehmens angesehen werden muss und in der transzendentalen Idee „Welt“ als regulative Idee wieder aufgegriffen wird, verwechselt werden darf. W. bleibt für I. Kant vielmehr immer auch an die subjektive, von einer individuellen Perspektive ausgehende Deutung von Welt gebunden (Moxter 2003: 545).

Der Sache nach verbirgt sich hinter dieser transzendentalphilosophischen Thematisierung eine Frage, die so alt ist wie die Philosophie selbst: wie sich der Mensch als erkennendes und reflektierendes Vernunftwesen zur Welt verhält, der er zwar einerseits als Teil angehört, die er aber andererseits zum Gegenstand seines Denkens machen kann, wofür freilich bestimmte Bedingungen vorausgesetzt werden müssen. Im eigentlichen Gebrauch des Begriffs meint W. also die Art und Weise, wie der Mensch aus seiner jeweiligen Perspektive eine Anschauung von Welt als ganzer immer bereits voraussetzt, ohne sie selbst zum Gegenstand der Anschauung zu machen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jegliche inhaltliche Bestimmung dessen, was „Welt“ ist und sein soll, erst in einem weiteren Verständnis von W. greifbar wird, das korrekter Weise eher mit „Weltbild“ wiedergegeben werden müsste.

Dass solche Fragen nach einer inhaltlichen Bestimmung aufbrechen, liegt freilich auf der Hand, wenn die Objektivität von Welt als allen Menschen gemeinsames Ganzes einerseits bewahrt werden soll, andererseits aber zugestanden wird, dass sie immer nur subjektiv durch das empirische Individuum konstituiert wird. Die Geschichte des Begriffs der W. nach I. Kant liest sich folglich wie eine zunehmende Subjektivierung, in der die eine W. in den Plural der W.en eintritt und schließlich zum heutigen Verständnis des Begriffs i. S. v. „Weltdeutung“ oder – politisch instrumentalisiert – „Ideologie“ führt. „Der Begriff wechselt die Fronten“ (Moxter 2003: 547) – das muss freilich nicht vorschnell als Dekadenzgeschichte gewertet werden. Vielmehr bewahrheitet sich die philosophiegeschichtlich seit der Antike präsente Einsicht, dass eine strenge Objektivität von Welt erkenntnistheoretisch nicht hergestellt werden kann, weil wir nicht über einen „Gottesgesichtspunkt“ verfügen, der sie einzusehen ermöglichte; sie bleibt vielmehr stets vermittelt durch die Perspektiven der subjektiven Erfahrung, der Geschichte, der Sprache, der Kultur, der Religion, des Ethos.

Die Welt einer einheitlichen Deutung zu unterwerfen, führt jedoch immer auch dazu, eine W., verstanden nun als eine Gesamtauffassung von Ursprung, Struktur und Sinn der Welt, gegen konkurrierende Deutungen abzugrenzen. In dem Maße, in dem die Quellen einer W. in subjektive Grundvorstellungen und geschichtlich gegebene Überzeugungen verlegt werden, drohen W.en, wie es etwa die inflationäre Indienstnahme des Begriffs in der nationalsozialistischen Ideologie deutlich macht, in einen Totalitarismus zu verfallen, der anderen W.en das Existenzrecht abspricht und keine rationale Überprüfung mehr zulässt.

Es bleibt Sache der Philosophie, diese Zusammenhänge kritisch zu reflektieren, d. h. zum einen mögliche Weltdeutungen auf ihre rationale Tragfähigkeit hin zu überprüfen, zum anderen aber, die grundsätzliche Angewiesenheit des Menschen auf eine W. – sei sie transzendentalphilosophisch oder empirisch begründet – zu explizieren.

II. Soziologisch

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W. ist die auf die Weltsicht sowie Stellung in der Welt gegründete Orientierung allen Strebens eines Individuums oder einer Gruppe. Sie ist bedingt durch alle Lebensumstände, die ihre Trägerinnen und Träger vorfinden und aufgrund ihrer eingelebten Praxis dem reflektierenden Denken nur begrenzt zugänglich.

W. ist ein neuzeitlicher Begriff, der v. a. im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jh. große Verbreitung fand und seither einen begrenzten Bedeutungswandel erfahren hat. Das Konzept erwächst der aufklärerischen Religionskritik, da es das Religiöse mit seinem universellen Anspruch auf Weltdeutung relativiert. Dabei steht von Anfang an eher die Abgrenzung moderner Wissenschaft von religiösen Glaubenslehren als der Widerstreit unterschiedlicher Heilslehren im Vordergrund. D. h., dass es zunächst um die Frage geht, wie die Welt der Dinge zu betrachten ist. Wenig später tritt dann als weitere Dimension die Frage hinzu, was die Art und Weise des Betrachtens ausmacht. Zur Anschauung der Welt wie sie objektiv ist, tritt somit die Anschauung der Welt aus der Sicht des Subjekts. W. erfasst die Welt in ihrer Totalität als sozial geprägte Vorstellung des Individuums. Damit ist sie das System des individuellen Weltverständnisses par excellence – sie bietet dem Einzelnen Orientierung nicht nur im Hinblick auf Handlungsprobleme, sondern v. a. auf deren Zusammenhang in Bezug auf die Vorstellung, die er sich von seinem Leben als sinnvolle Einheit macht und die ihm somit hilft, diesen Zusammenhang in seiner Mannigfaltigkeit als Ganzes zu verstehen. Dies ist allerdings nicht zu verwechseln mit einer universellen – unerreichbaren und damit bestenfalls als Ideal zu verstehenden – Gesamterkenntnis des Weltganzen.

Die Abgrenzung gegenüber der Religion bringt allerdings Irritationen des Allgemeinheitsanspruchs früher Lesarten von W. mit sich. Indem Religion zur W. wird, steht ihr als Nicht-Religion die Wissenschaft gegenüber. Wissenschaftliche W. scheint als aufgeklärter Weltzugang der traditionalen und spekulativen Religion überlegen zu sein. Die wissenschaftliche W. besteht darin, alle Dinge des Lebens durch systematische Beobachtung zu erfassen, aus den in ihnen erkannten Regelmäßigkeiten und Zusammenhängen Gesetze abzuleiten und dadurch die Welt zu erklären. Dieser objektivistischen Schauweise fehlt allerdings das, was die religiöse W. grundlegend ausgemacht hat: die Frage nach der Bewertung der Dinge. Es liegt nahe, eine Bewertung eher dem Subjekt und der Situation, in der es sich befindet, zuzurechnen. Der Wert eines Dinges könnte sich an seiner aktuellen Relevanz bemessen. Da allerdings soziale Gruppen im Laufe von Generationen je spezifische Dingverhältnisse entwickeln, welche die Gegenstände einander zuordnen und ihnen einen allg.en Wert zuschreiben, ist es dem Individuum nicht möglich, über diesen Wert rein situativ zu befinden. Seine soziale Herkunft hat ihm eine bestimmte Art des Weltzugangs vermittelt als individuelle, faktische Grundüberzeugung, welche Bedeutung er den Dingen beizumessen hat. Damit spaltet sich das W.s-Konzept auf in eine faktische, unreflektierte, kontingente, vorwissenschaftliche und je individuelle Grundüberzeugung einerseits, die andererseits die Grundlage einer einheitlichen Gesamtauffassung der kulturellen, logischen, ethischen, ästhetischen, sozialen und politischen Weltzugänge bildet.

Daraus lässt sich ersehen, dass es keine universelle W. geben kann. W.en stehen – teilweise in Konkurrenz um die richtige Sicht auf das Leben und die Dinge – nebeneinander. Dies gilt zunächst für die Unvereinbarkeit der religiösen und der (natur-)wissenschaftlichen W., im Weiteren für die sich aus unterschiedlichen Religionen und Heilslehren ergebenden W.en und schließlich für Kulturen mit ihren je eigenen W.en. Will man die Ausbildung der W. nicht dem unkontrollierten Werden innerhalb spezifischer Gruppenkulturen überlassen, stellt sich die Frage nach der geeigneten Instanz ihrer Ausbildung – der Philosophie. Daraus ergibt sich ein nicht unproblematischer Zirkel: W. erscheint dann als Ausgangspunkt jeder Philosophie ebenso wie ihr Ziel. Sie erwächst der Lebenspraxis, geht über in theoretische Reflexion, um letztlich wieder die ideelle Grundlage der Lebenspraxis zu bilden. Diesen Zusammenhang zeichnet Wilhelm Dilthey in seiner W.s-Lehre bereits an der Entstehung religiösen Denkens nach, das durch die begriffliche Benennung des Unsichtbaren und Unerklärlichen die strukturellen Voraussetzungen für philosophisches Denken und damit die philosophische W. schafft. Da W. aber sowohl den Vergangenheitsbezug bzw. die Gewordenheit bestimmter Praktiken und Deutungszusammenhänge als auch die theoretische Reflexion i. S. expliziter Werturteile enthält, unterscheidet bspw. Max Scheler zwischen einer natürlichen, gleichwohl aus einem bestimmten kulturellen Kontext erwachsenen W. und einer aus dieser hervorgegangenen und höhere Abstraktion anstrebenden Bildungs-W.

W. wird heute als interpersonal, interkulturell standortabhängig und damit sozial wie historisch verstanden. W.en verändern sich im Laufe der Zeit. Es liegt nahe anzunehmen, dass sich nicht nur die W. des Mittelalters grundlegend von der W. der Neuzeit oder der Spätmoderne unterscheidet, sondern dass sich W.en von Generation zu Generation wandeln. Dies ist v. a. von Bedeutung, wenn es um historisches Verstehen – bspw. von Kunstwerken – aber auch darum geht, aus den Objektivationen einer bestimmten Epoche deren Geist bzw. W. zu ermitteln.

In der Gegenwart dient das W.s-Konzept der Relativierung von Weltdeutungen, die Universalitäts- oder Totalitätsanspruch erheben. Fundamentalismen können als weltanschauungsgebunden und damit als kontingent identifiziert werden. W. wird damit zu einem wissens- oder kultursoziologischen Begriff des Vergleichs (Wissenssoziologie; Kultursoziologie) lebenspraktischer und zugl. theoretischer Sinnsysteme. Die Vorstellung, die Philosophie mit der Entwicklung einer universell gültigen W. zu beauftragen, scheint demgegenüber in den Hintergrund getreten zu sein.