Volkszählung

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Eine V. (synonym: Zensus) umfasst den gesamten Prozess der Erhebung, Aufbereitung, Auswertung und Veröffentlichung demographischer, ökonomischer und sozialer Daten aller Personen eines Landes. Erfasst wird dabei die de jure (wohnhafte) oder die de facto (präsente) Bevölkerung zu einem bestimmten Stichtag.

Zensusdaten erfüllen mehrere Funktionen: Sie bilden den Ausgangspunkt von Bevölkerungsprognosen und sind damit essentiell für Fortschreibungen der Bevölkerungsgröße nach Alter und Geschlecht. Darüber hinaus dienen die Daten auch administrativen Zwecken, wie etwa dem Finanzausgleich zwischen den Bundesländern, der Begrenzung von Wahlbezirken und der Festlegung der Größe lokaler Parlamente. V.en ermöglichen eine Qualitätskontrolle von Registerdaten sowie von Stichproben jeder Art. Für Stichprobenziehungen liefern Zensusergebnisse Hinweise bezüglich der erforderlichen Stichprobengrößen; die Bevölkerungsstruktur dient als Basis zur Generierung von Gewichtungsfaktoren und als Bezugsgröße bei der Kalkulation statistischer Maßzahlen.

V.en können auf eine lange Tradition zurückblicken. Aufgrund von Tonscherben lässt sich bereits für die Zeit 3800 v. Chr. eine V. im antiken Babylon belegen. Statistische Ermittlungen von Bevölkerungszahlen fanden bereits um 3050 v. Chr. in Ägypten statt. Aus der Antike sind ferner Zählungen in China, in Persien und Griechenland bekannt, außerdem in Ägypten unter Pharao Amasis (570 v. Chr.) und in Israel unter König David (1000 v. Chr.). Bei diesen Zählungen beschränkte man sich auf die Erfassung der wehrtauglichen Männer. Im Römischen Reich gab es seit dem 6. Jh. v. Chr. alle fünf Jahre V.en und Erhebungen zu den Einkünften der Bürger.

Im mittelalterlichen Europa führten sowohl die Kirche als auch verschiedene Staaten sporadisch Umfragen durch, häufig mit dem Zweck der Vermögensschätzung zur Steuereintreibung. Der früheste Prototyp des modernen Zensus ist eine Zählung in Kanada im Jahr 1665. In Preußen begann man 1686 mit der Zählung der Landbewohner, Island folgte 1703, Finnland und Schweden 1749, Österreich 1754, Frankreich 1762, Dänemark und Norwegen 1769 und die Niederlande 1795. Die erste Zählung der US-Bevölkerung wurde 1790 durchgeführt. England (1801) folgte um die Wende zum 19. Jh., die meisten anderen europäischen Staaten in den anschließenden Jahren.

In Deutschland gab es aufgrund der Vielfalt deutscher Kleinstaaten bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. keine umfassenden Ermittlungen von Bevölkerungszahlen. Mit der Herausbildung zentraler Landesverwaltungen setzten die Zählungen ein; die erste V. fand in Schleswig-Holstein im Jahr 1769 statt. Der erste gesamtdeutsche Zensus wurde unmittelbar nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 organisiert. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden V.en in einem Fünf-Jahres-Intervall durchgeführt, in der BRD und in der DDR in einem Intervall von zehn Jahren. Die letzte V. in der DDR fand 1981 statt; in der BRD war im gleichen Jahr eine Zählung geplant. Letztere wurde jedoch aufgrund eines Urteils des BVerfG in Folge einer kontroversen Diskussion um die Vereinbarkeit einer mit Auskunftspflicht versehenen Zählung mit den im GG verankerten Persönlichkeitsrechten des Einzelnen aufgeschoben und erst 1987 mit zahlreichen Restriktionen in Fragebogen und Handhabung durchgeführt. Nach großen Widerständen wurde in Deutschland erst wieder im Jahr 2011 eine Zählung durchgeführt.

Üblicherweise werden V.en in bestimmten Zeitintervallen durchgeführt. Den Empfehlungen der UN folgend führen die meisten Länder alle zehn Jahre Zensen durch. Andere Länder, bes. in Ostasien, folgen dem älteren Muster des fünfjährlichen Zensus. Nach dem klassischen Weg der Zensuserhebung wird jedem Einwohner eines Landes ein schriftliches Frageprogramm vorgelegt. Zur Ermittlung der betreffenden Untersuchungspopulation können häufig Verwaltungsregister herangezogen werden. Viele Länder haben jedoch keine derartigen Auflistungen, sodass hier der Zensus neben dem Zählprozess auch das Auffinden der Personen umfasst.

Aufgrund von Problemen der gesellschaftlichen Akzeptanz sowie hoher Kosten haben einige Länder den fragebogenbasierten Zensus aufgegeben. Einzelne Länder (z. B. die USA, Kanada und Frankreich) führen ihre V.en als Kombination zwischen Vollerhebung und Stichprobe durch, was zu einer Reduzierung der Kosten und zu einer geringeren Belastung eines Teils der Auskunftspflichtigen führte. Einige skandinavische Länder versuchen, Informationen zumindest teilweise aus Verwaltungsregistern zu ziehen. In der schwedischen V. des Jahres 1985 wurden erstmals die wichtigsten demographischen Informationen (Demographie) aus dem vom Statistischen Zentralamt geführten Bevölkerungsregister übernommen und mit Hilfe eines relativ kurzen Fragebogens um Angaben zur Haushaltszusammensetzung und zur Beteiligung am Erwerbsleben ergänzt. In Dänemark verzichtete man 1981 erstmals vollständig auf eine direkte Befragung und beschränkte sich auf eine Auswertung der verschiedenen Register. Finnland folgt dem Beispiel Dänemarks seit 1990 und Schweden führte im Jahr 2005 erstmalig einen solchen Zensus durch. Voraussetzung für eine derartige Registernutzung sind allerdings ein effizientes Meldesystem, ein gut organisiertes Verwaltungsregister sowie individuelle Personenkennziffern, die das Zusammenspielen von Informationen aus verschiedenen Registern ermöglichen.

Der Weg der registergestützten V. wurde erstmalig 2011 auch in Deutschland beschritten. Der Zensus 2011 erfolgte nach einem neuen, registergestützten System, bei dem nicht mehr die gesamte Bevölkerung befragt wurde. Stattdessen wurde sowohl auf Melderegister als auch auf Daten der Bundesagentur für Arbeit sowie der öffentlichen Arbeitgeber zurückgegriffen. Zusätzlich wurden alle Gebäude- und Wohneigentümer sowie zehn Prozent der Bevölkerung stichprobenartig befragt, und durch Befragungen in allen Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften ergänzt. Mit dieser Methode sollte der Aufwand im Vergleich zum herkömmlichen Verfahren der Befragung deutlich reduziert werden.