Volkshochschule

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1. Charakteristika

V.n sind Einrichtungen für die Bildung Erwachsener, die sich an den Prinzipien von Kommunalität, Subsidiarität und Offenheit orientieren. Sie bieten ein thematisch breites, für alle Erwachsenen offenes Angebot und arbeiten i. d. R. auf der Grundlage von Weiterbildungsgesetzen der Bundesländer, die Kommunen zur Einrichtung verpflichten oder auffordern. Ihre direkten oder indirekten Träger sind Kommunen oder Kreise, ihre Rechtsformen Ämter oder eingetragene Vereine, seltener gemeinnützige GmbHs. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland ca. 900 V.n mit ca. 2 800 Außenstellen. Anders als die ebenfalls nach dem Subsidiaritätsprinzip geförderten Einrichtungen der Kirchen, Wohlfahrtsverbände oder Gewerkschaften sind V.n in allen Regionen Deutschlands präsent. Sie legen zudem regelmäßig öffentlich Rechenschaft über ihre Arbeit ab. V.n sind in Landesverbänden zusammengeschlossen, die wiederum seit 1953 den Deutschen Volkshochschulverband (DVV) als Dachverband tragen.

2. Geschichte

Im Jahr 2019 hat der DVV in der Frankfurter Paulskirche den 100. Geburtstag der V.n in Deutschland gefeiert. In der WRV hieß es in Art. 148, Abs. 4: „Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.“ Dass Volksbildung im Grundrechtsteil der WRV verankert wurde, geht auf die Arbeit von Abgeordneten der SPD, der Bayerischen Volkspartei und des Zentrums zurück, die teils auch im Vorstand der Görres-Gesellschaft engagiert waren. Diese Abgeordneten hatten sich bereits im Kaiserreich für Bildung als Mittel der Selbstbehauptung sozialer Bewegungen und religiöser Gemeinschaften im autoritären Staat engagiert. V.n verstehen sich daher zu Recht als „Kinder der Demokratie“, auch wenn ihre Geschichte weiter zurückreicht und auch internationale Impulse erhalten hat, etwa aus der dänischen Heimvolkshochschulbewegung des 19. Jh., der Universitätsausdehnungsbewegung oder der Erwachsenenbildung in angloamerikanischen und skandinavischen Staaten. Im Unterschied zur WRV und einigen Länderverfassungen definiert das GG Erwachsenenbildung nicht als Aufgabenbereich staatlichen Handelns. Aus Art. 30 i. V. m. den Art. 70 bis 75 GG ergab sich eine Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für die allgemeine Erwachsenenbildung, während der Bund für die berufliche Weiterbildung zuständig ist.

3. Bildungsverständnis

Das Bildungsverständnis der V.n ist geprägt durch den Anspruch, die Mündigkeit Erwachsener in der Auseinandersetzung mit Veränderungen der politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse durch pädagogisch verantwortete Angebote zu unterstützen. Ihre Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen mit oft regionalen Besonderheiten hat die V.n immer wieder zur Selbstvergewisserung über ihren „eigentlichen“ Auftrag gedrängt, zuletzt 2011 in der Schrift „Die Volkshochschule – Bildung in öffentlicher Verantwortung“ (DVV). V.n waren und sind säkulare, d. h. weltanschaulich nicht gebundene Einrichtungen, die sich dem „Volk“ zuwenden, d. h. heterogene Klassen, Schichten und sozial-moralische Milieus zu integrieren suchen; die zu einer „höheren“, d. h. besseren Bildung beitragen wollen und dabei, wenn nötig, auch „schulische“ Formen des Lehrens und Lernens nutzen. V.n orientieren sich an einem realistischen Bildungsbegriff, der auf vernunftbestimmtes Handeln in privaten, öffentlichen und beruflichen Angelegenheiten gerichtet ist. Ihre Angebote folgen nicht primär einer Systematik von Fächern, sondern v. a. den Handlungsanforderungen Erwachsener in ihren je unterschiedlichen Lebenswelten. Die Quellen des vermittelten Wissens liegen in den Wissenschaften, im individuellen und beruflichen Expertentum oder auch in alltäglichen Erfahrungen des pädagogischen Personals und der Teilnehmenden. Wissen und Bildung werden weniger in ihrem Eigenwert denn als Handlungsressource gesehen: für den Aufbau und Erhalt kultureller Basiskompetenzen, für das Nachholen von Schulabschlüssen, für Kommunikations- und Schlüsselfähigkeiten in Fremdsprachen oder sozialen Interaktionen, für die informationstechnische Grundbildung, für die Erfüllung von Rollenanforderungen und die Entfaltung individueller Interessen, die für das Erwachsenenalter typisch sind, etwa in der Gesundheits-, Familien-, Umwelt- (Umwelterziehung, -bildung), Verbraucher-, Freizeit- oder der kulturellen und politischen Bildung richten sich historisch wie aktuell eher auf die verwaltenden Berufe des Dienstleistungs- als auf die gewerblich-technischen des Produktionsbereichs. Weniger Beachtung schenken V.n der naturwissenschaftlichen Grundbildung oder der Auseinandersetzung mit Fragen von Fundament und Sinn menschlicher Existenz. Mit diesem Bildungsverständnis erreichen V.n zwar einen breiteren Adressatenkreis als Einrichtungen der großen Korporationen oder gar kommerzielle und betriebliche Anbieter, nicht aber alle Erwachsenen.

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Abb. 1: Belegungen, Unterrichtsstunden und Kurse nach Programmbereichen der V.n 2018, Datengrundlage: Volkshochschul-Statistik 2018; Basis 873 vhs; Angaben in Prozent; Abweichung durch Rundungsdifferenzen möglich.

4. Angebots-, Teilnahme- und Personalstrukturen

Die Erwachsenen- und Weiterbildung in Deutschland ist nach der Zahl der Teilnehmenden, der Organisationen und der Beschäftigten der größte Bildungsbereich: ca. 26,3 Mio. Teilnehmende in 2014, ca. 50 000 öffentlich-rechtliche, gemeinwohlorientierte und kommerzielle Einrichtungen, dazu ca. zwei Mio. weiterbildungsaktive Betriebe. Innerhalb des vierten Bildungsbereichs haben V.n den höchsten Bekanntheitsgrad und repräsentieren daher das Prinzip des lebenslangen Lernens am sichtbarsten. Im Jahr 2018 haben die V.n ca. 552 000 Kurse mit 17 Mio. Unterrichtsstunden und 6,1 Mio. Belegungen durchgeführt. Abb. 1 zeigt die Verteilung des Gesamtangebots auf Programmbereiche nach Belegungen, Unterrichtsstunden und Kursen.

Die Veranstaltungsformen sind vielfältig und umfassen im wöchentlichen Rhythmus durchgeführte Tages- oder Abendkurse mit oder ohne Zertifikat, längerfristige Lehrgänge zum Nachholen von Schulabschlüssen, Studienzirkel, Gesprächskreise oder Workshops, Vortragsveranstaltungen und virtuell und/oder präsenzförmig durchgeführte Seminare. Während V.n in der DDR vornehmlich als Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges agierten, haben sich die Programmprofile der westlichen und östlichen Bundesländer inzwischen weitgehend angeglichen. Die Weiterbildungsdichte (Stundenvolumen pro 1 000 Einwohner) bleibt aber in vielen östlichen Bundesländern immer noch deutlich hinter jener im Westen zurück. Dreiviertel aller Belegungsfälle entfallen auf Frauen. Erreicht werden v. a. die 50- bis 64-Jährigen (29 %) bzw. die 35- bis 49-Jährigen (25 %) sowie Erwachsene mit mittlerem Bildungsniveau. Die Gesamtfinanzierung der V.n umfasste in 2018 knapp 1,4 Mrd. Euro, wovon jeweils grob ein Drittel auf Teilnahmeentgelte bzw. auf Zuschüsse der Bundesländer und der Gemeinden entfiel, mit deutlichen Unterschieden zwischen und innerhalb von Bundesländern. Die V.n beschäftigen heute knapp 10 000 Mitarbeitende, wovon jeweils etwa 40 % als hauptberufliche pädagogische oder als Verwaltungsmitarbeitende tätig sind. Ca. 75 % der Stellen werden von Frauen ausgefüllt, auf der Ebene der Leitungen zu ca. 50 %. Der weit überwiegende Teil des Angebots wird von neben- und freiberuflichen, seltener von ehrenamtlichen Lehrkräften realisiert, in 2018 auf der Basis von knapp 200 000 Beschäftigungsverhältnissen.