Versicherung

Version vom 8. Juni 2022, 09:09 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Versicherung)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

1. Definition und Wesen der Versicherung

V. gilt als populärstes Instrument zur Risikoabsicherung, sowohl im privaten, als auch im betrieblichen Kontext. Gegenüber dem Sparen als ebenfalls populäre Maßnahme bietet V. den Vorteil, auch Ereignisse absichern zu können, die betraglich über die zum Ereigniszeitpunkt individuell angesparten Beträge hinausgehen. Im Rahmen des Risikomanagements lässt sich V. als Maßnahme zur Schadenkostenüberwälzung einordnen, wobei V. für gemeinhin als Bezeichnung für das am Markt angebotene Produkt V.s-Schutz (V.s-Produkt) verwendet wird. Daneben dient der Begriff aber auch zur Bezeichnung der Unternehmen, die den V.s-Schutz produzieren. In Deutschland sind diese auf die Rechtsformen V.s-AG bzw. SE (AG), V.s-Verein auf Gegenseitigkeit (VVaG) oder öffentlich-rechtliche Körperschaft oder Anstalt limitiert.

Der Überbegriff V. umfasst die Sozial- und die Individual-V. (bzw. Privat-V.), im Folgenden soll jedoch auf die Individual-V. fokussiert werden, die als Wirtschaftszweig durch bes. versicherungstechnische Äquivalenzprinzipien gekennzeichnet ist. Diese beschreiben wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Leistungen der Kunden (Prämien, Beiträge) und den erwarteten V.s-Leistungen dahingehend, dass diese – entweder auf Ebene eines einzelnen V.s-Vertrags oder auf Ebene eines Versichertenkollektivs – gleich sein sollen.

V. lässt sich so definieren, dass sie einen im Einzelnen ungewissen, insgesamt aber geschätzten Mittelbedarf auf der Grundlage eines Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit deckt. Diese, auf Alfred Manes zurückgehende Definition wurde im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert und präzisiert. Grundlegend bleibt jedoch der Rückgriff auf statistische Massengesetzmäßigkeiten, insb. den Gesetzen der großen Zahlen, als Wesenskern. Die Zusammenfassung von möglichst gleichartigen (homogenen) Risiken in Kollektive macht es möglich, den zukünftigen Finanzbedarf zum Ausgleich der eintretenden Schäden bei immer größeren Kollektiven zunehmend genauer kalkulieren zu können.

2. Historische Entwicklung der Versicherung

Versuche, Risiken so zu beeinflussen, dass sie leichter getragen werden können, folgen einer langen Tradition. Bezogen auf wirtschaftliche Sachverhalte gab es bereits vor langer Zeit Regelungen, wie Risiken in bestimmten Situationen aufgeteilt werden sollten und wer welche Anteile zu tragen hatte. Ca. 3000 v. Chr. schlossen sich wohl phönizische Händler zusammen, um wechselseitig Verluste aus verlorenen Schiffsladungen zu ersetzen. Im 17. Jh. v. Chr. gab es in Babylonien in den Gesetzen des Hammurabi, dem Codex Hammurabi, Regelungen, dass Teilnehmer einer Karawane Verluste aus Überfällen gemeinsam zu tragen hatten. Auch im antiken Griechenland und Rom gab es Mechanismen zur Umverteilung von Risiken, hauptsächlich im Transport- und Gesundheitswesen und im Bereich der Hinterbliebenenversorgung.

Die in die Moderne hineinreichende Entwicklung des V.s-Wesens spiegelt sich in heute noch vorzufindenden Strukturen wider. Je nach urspr.er Motivation der Risikoträger lassen sich drei Stränge in den Entwicklungslinien nachvollziehen.

2.1 Versicherung auf Basis genossenschaftlicher Zusammenschlüsse

Insb. in nordeuropäischen Regionen, so auch in Norddeutschland, entwickelte sich das V.s-Wesen aus genossenschaftlichen Zusammenschlüssen (Genossenschaften), die zur gegenseitigen Unterstützung für die Wechselfälle des Lebens begründet wurden. Die Risikoträger waren die Mitglieder des Zusammenschlusses, die dadurch eine Gefahrengemeinschaft bildeten. Ihre Motivation zur Risikotragung resultierte aus der Voraussicht, bei eigener Betroffenheit durch einen Schicksalsschlag bzw. Schaden Anspruch auf Kompensation durch die anderen Mitglieder zu erhalten, so wie sie selbst die Verpflichtung zu tragen hatten, einen Beitrag zur Finanzierung eintretender Schäden bei anderen zu leisten.

Vorläufer der genossenschaftlichen Versicherer waren die mittelalterlichen Gilden, die zunächst als bruderschaftliche Vereinigungen, später als Zusammenschluss von Kaufleuten und fahrenden Händlern deren Interessen vertraten und Schutz und Hilfe in allen Lebensbereichen boten. Den Mitgliedern oder deren Hinterbliebenen wurden in Notlagen, wie Krankheit, Invalidität oder Tod, Geld- oder Sachleistungen, so z. B. Spitalaufenthalte, gewährt, wobei die Leistung an vorherige Entgeltzahlungen und weitere rechtliche Voraussetzungen gekoppelt war. Ebenso beinhaltete die Mitgliedschaft in einer der Handwerkszünfte eine ähnliche Absicherung. Dort hatten die Mitglieder ebenfalls Beiträge zu zahlen, aus denen andere Mitglieder, die aufgrund von Krankheit oder Invalidität in Not geraten waren, unterstützt wurden oder eine finanzielle Leistung im Alter erhielten.

Ab Mitte des 16. Jh. wurden in Schleswig-Holstein, später auch in anderen Regionen, zur finanziellen Absicherung von Feuerschäden Brandgilden gegründet, die als Ursprung des Gegenseitigkeitsprinzips gelten.

Die genossenschaftlichen Zusammenschlüsse zwecks gemeinsamer Risikotragung mündeten in die heute noch auf dem V.s-Markt tätigen VVaG. Zwar entspricht deren heute beobachtbare wirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr unmittelbar dem urspr.en genossenschaftlichen Zusammenschluss, deren W…urzeln reichen aber auf dessen Grundideale zurück. So sind die VVaG häufig nur für bestimmte Personenkreise bzw. Berufsgruppen zugänglich oder haben einen eng umrissenen regionalen Wirkungskreis.

2.2 Versicherung auf Basis staatlicher Initiative

Hier wird die Risikotragung nicht (nur) durch einen Zusammenschluss gefährdeter Gleichgesinnter praktiziert, sondern durch (zusätzliches) Engagement der öffentlichen Hand, die einen aus dem öffentlichen Haushalt gespeisten Risikoträger betreibt. Als erste öffentlich-rechtliche V.s-Institution wird regelmäßig die 1676 vom Rat und der Bürgerschaft der Stadt Hamburg gegründete Hamburger Feuerkasse aufgeführt, die aus der Zusammenfassung urspr. von Grundstückseigentümern wechselseitig geschlossenen Verträgen hervorging, in denen Entschädigungszahlungen im Brandfall vereinbart wurden.

Motiviert durch die Philosophie des aufgeklärten Absolutismus, gemäß der ein Landesherr für das Allgemeinwohl (Gemeinwohl) und die Wohlfahrt seiner Untertanen verantwortlich war, kam es im 18. Jh. nach und nach in etlichen deutschen Teilstaaten zu weiteren Gründungen öffentlich-rechtlicher V.s-Anstalten, die überwiegend die Gebäude-Feuer-V. betrieben. So „wanderte“ die Idee der staatlichen V.s-Anstalten, ausgehend 1718 von Preußen, von Nord- nach Süddeutschland, wo 1754 entspr.e Versicherer gegründet wurden.

Mitte des 19. Jh. wurde das Spektrum an angebotenem V.s-Schutz zunächst um Mobiliar-, Hagel- und Tier-V.en erweitert, bis letztendlich alle Sparten von öffentlich-rechtlichen Risikoträgern betrieben wurden.

Eine deutliche Ausweitung des staatlichen Engagements wurde 1881 durch die von Otto von Bismarck initiierte Kaiserliche Botschaft bewirkt, die schließlich 1883 zur Einführung der Sozial-V., zunächst in Form der GKV (KV), dann alsbald ergänzt durch eine gesetzliche Unfall-V. und eine Invaliditäts- und Alters-V. (Renten-V.), führte.

2.3 Versicherung auf Basis kaufmännischen Erwerbsstrebens

Die dritte Entwicklungslinie des V.s-Wesens ist mit der Absicht verbunden, durch das bewusste Übernehmen und Tragen von Risiken Gewinne zu erzielen. Als Risikoträger fungieren mit Eigenkapital ausgestattete Unternehmungen, deren Eigentümer die Risikotragung zum Zwecke der Vermögensmehrung betreiben. V.s-Geschäfte auf kaufmännischer Grundlage sind auf die in der zweiten Hälfte des 14. Jh. in den oberitalienischen Seestädten erfolgte Absicherung von Warentransporten zurückzuführen. Die Ausbreitung des Seehandels führte zu Finanz- und Absicherungsbedarfen, die zunächst durch spezielle Vereinbarungen in Seedarlehen erreicht wurden. Diese Seedarlehen mussten nicht zurückgezahlt werden, wenn das damit finanzierte Schiff bzw. die Ware auf dem Transportweg unterging. Mit dem Voranschreiten des Seehandels im Mittelmeerraum erfuhr die auf kaufmännischer Basis betriebene See- bzw. Transport-V. ihre Ausdehnung. Dem regionalen Verlauf des wirtschaftlichen Aufschwungs folgend, breitetet sie sich über Spanien, Portugal, England und die Niederlande nach Norddeutschland aus. Dort wurde in Hamburg im Jahr 1588 der erste See-V.s-Vertrag geschlossen.

Die aus erwerbswirtschaftlichen Motiven betriebene Lebens-V. folgte der Entwicklung der mathematisch-statistischen Praktiken zur Kalkulation von Lebenserwartungen, wobei den von Edmond Halley aus Breslauer Kirchenbüchern erstmalig entwickelten Sterbetafeln eine maßgebliche Rolle zukam. Entspr. nahmen Mitte des 18. Jh. in England die ersten kommerziellen Lebens-V.s-Gesellschaften ihren Geschäftsbetrieb auf, bald danach erfolgten analoge Gründungen in Deutschland.

In Folge des Großbrandes in London 1666 wurden in England die ersten erwerbswirtschaftlichen Feuer-V.s-Gesellschaften gegründet. Daraus entwickelten sich im Laufe der Zeit Unternehmungen, die auf weitere Risikoarten ausgerichtet waren. Bis zum Anfang des 19. Jh. waren diese Gesellschaften zusammen mit französischen V.en die dominierenden Gesellschaften auf dem deutschen Sach-V.s-Markt. Erst dann – im Gleichschritt mit dem Bedeutungszuwachs der deutschen Wirtschaft – wurden in verschiedenen Regionen Sach-V.s-Gesellschaften gegründet. Als Mitte des 19. Jh. die Versicherbarkeit großer, kapitalintensiver Einzelrisiken zunehmend eine Herausforderung wurde, begann die Gründungsphase professioneller Rück-V.s-Gesellschaften, also Unternehmungen, deren ausschließlicher Zweck die V. anderer V.s-Gesellschaften ist und die es ermöglichen, Risiken weiter zu verteilen. 1846 wurde mit der Kölnischen Rück-V.s-Gesellschaft der erste professionell agierende Rückversicherer gegründet, dem bald die Gründung weiterer Gesellschaften folgte.

Im Zuge der weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen folgte die Ausrichtung der Versicherer auf die damit einhergehenden Risiken, wie z. B. die im Zuge des Baus der ersten Eisenbahnlinien entstehende Unfall-V. oder die Haftpflicht-V., die den schärferen gesetzlichen Vorschriften aufgrund der zunehmenden Technisierung folgte. Die Verbreitung der ersten Motorfahrzeuge wurde schließlich durch die Kraftfahrt-V. begleitet.

3. Versicherungsprodukte

V.s-Produkte sind das Ergebnis des Leistungserstellungsprozesses in V.s-Unternehmen. Mit ihnen erwirbt ein Kunde (V.s-Nehmer) durch Zahlung der Prämie die Verpflichtung eines V.s-Unternehmens, vertraglich festgelegte Entschädigungszahlungen an den V.s-Nehmer, an einen Bezugsberechtigten oder – bei der Haftpflicht-V. – an geschädigte Dritte zu leisten, wenn innerhalb eines definierten Zeitraums ein versichertes Ereignis (V.s-Fall) eintritt oder verursacht wird. Aufgrund dieser Zeitraumbezogenheit wird V.s-Schutz als Dauerschutzversprechen charakterisiert. Prägend für ein V.s-Produkt ist die kollektiv organisierte Ansammlung von Geldmitteln, die der Zahlung zukünftiger, zum Zeitpunkt ihrer Kalkulation zahlen- und/oder betragsmäßig unsicherer V.s-Leistungen dienen. Die Vorabkalkulation der V.s-Prämie und deren Fälligkeit bei Abschluss eines V.s-Vertrags verursachen für V.s-Unternehmen ein bes.s arteigenes Risiko, das sog.e versicherungstechnische Risiko. Dieses kennzeichnet die Gefahr, dass die Prämien und die vorhandenen finanziellen Reserven eines Versicherers nicht ausreichen, um die Schadenfälle einer Periode vollumfänglich zu entgelten. Ein solches Unvermögen kann aus der reinen Zufälligkeit des V.s-Geschäfts resultieren, auf Irrtümer bei der Kalkulation der Prämien zurückzuführen sein oder auf sich ändernden, aber nicht rechtzeitig erkennbaren Schadengesetzmäßigkeiten basieren. Wenn keine Nachschusspflicht der V.s-Nehmer zur Deckung nicht kalkulierter Überschäden vereinbart wird, was per dato bei manchen V.s-Vereinen noch üblich ist, trägt das V.s-Unternehmen auch nach erfolgtem Ausgleich im Kollektiv ein finanzielles Restrisiko.

V.s-Produkte werden von Unternehmen erstellt, die Erst-V.en oder Rück-V.en betreiben. Erst-V.s-Unternehmen gewähren V.s-Schutz gegenüber Endverbrauchern, Rück-V.s-Unternehmen bieten anderen (Erst- oder Rück-)V.s-Unternehmen V.s-Schutz an. Die Einteilung von V.s-Produkten erfolgt in erster Linie nach der Zuordnung zu den unterschiedlichen V.s-Sparten. Diese umfassen die Lebens-V., die Kranken-V. und die Schaden-/Unfall-V. Tiefer gehende Untergliederungen differenzieren weiter nach V.s-Zweigen. Diese kennzeichnen Gruppierungen, welche in Bezug auf bestimmte Merkmale – häufig die versicherte Gefahr – relativ gleichartige V.s-Verträge darstellen. Beispiele sind die Kraftfahrt-V., die Unfall-V., die verbundene Wohngebäude-V. oder die allg.e Haftpflicht-V. Häufig werden V.s-Produkte auch nach dem Bezugspunkt des V.s-Schutzes in Personen-V. sowie Sach- und Vermögens-V. bzw. Nichtpersonen-V. unterschieden. Die Personen-V. versichert Risiken, die unmittelbar in der körperlichen Sphäre der versicherten Person liegen, wie z. B. Tod, Erleben eines vereinbarten Zeitpunkts, Unfall oder Krankheit. Nichtpersonen-V.en versichern hingegen Risiken, die auf eine konkrete Sache (Sach-V.), wie z. B. Hausrat-V., auf ein Vermögen (Vermögens-V.), wie z. B. Haftpflicht-V. oder auf ein versichertes Interesse, wie z. B. Rechtsschutz-V. gerichtet sind.

Unter mehr versicherungstechnischen Gesichtspunkten ist die Unterscheidung nach der V.s-Form üblich. Summen-V.en gewähren eine bei Vertragsabschluss fest vereinbarte V.s-Leistung (V.s-Summe), wenn während der Vertragslaufzeit ein definiertes Ereignis eintritt (abstrakte Bedarfsdeckung). Dies ist bspw. in der Lebens-V. oder der Unfall-V. der Fall. Die Schaden-V. umfasst alle V.s-Zweige mit zufallsabhängigen Schadenhöhen, d. h. die Entschädigungszahlung ist bei Schadeneintritt vom Ausmaß des eingetretenen Schadens abhängig (konkrete Bedarfsdeckung). Mit Ausnahme von Krankheits- und Pflegekosten in der privaten Kranken-V. sind Personen-V.en i. d. R. Summen-V.en, Sach- und Vermögens-V.en hingegen grundsätzlich Schaden-V.en. Diese werden nach der maximalen Entschädigung weiter unterteilt in Interessen-V., Erstrisiko-V. und Vollwert-V. Bei der unbegrenzten (reinen) Interessen-V. gilt prinzipiell, dass die Entschädigungshöhe der Schadenhöhe entspricht, unabhängig davon, wie hoch diese ausfällt. Bei der Erstrisiko-V. trägt der Versicherer den versicherten Schaden bis zu einer vereinbarten V.s-Summe. Diese stellt die Obergrenze für die Entschädigung dar. Ist der Schaden höher als die V.s-Summe, muss der V.s-Nehmer den übersteigenden Betrag selbst tragen. In der Vollwert-V. wird die V.s-Summe durch den V.s-Wert der versicherten Sache zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestimmt. Steigt der V.s-Wert ohne Anpassung der V.s-Summe (Unter-V.), wird im Schadenfall die Entschädigung gemäß der Relation zwischen V.s-Summe und V.s-Wert vermindert. Sinkt der V.s-Wert gegenüber der V.s-Summe oder bleibt gleich, so wird im Schadenfall die Schadenhöhe entschädigt.

4. Prämienkalkulation

Der zu entrichtende Preis für das Produkt V.s-Schutz wird als Bruttoprämie bezeichnet. Basis für deren Kalkulation sind die Schätzungen der zukünftigen Risikokosten und der Betriebskosten. Zur Ermittlung der Risikokosten wird zunächst die von bestimmten Risikomerkmalen der versicherten Personen, Sachen oder Interessen abhängige Risikoprämie (häufig auch als Nettoprämie oder Bruttorisikoprämie bezeichnet) berechnet. Die Risikoprämie unterteilt sich in der Schaden-V. in eine Nettorisikoprämie, die dem Erwartungswert der individuellen Gesamtschadenverteilung entsprechen soll und die durch den empirisch ermittelten Schadenbedarf repräsentiert wird, und einen Sicherheitszuschlag, der als Äquivalent für die Unsicherheit fungiert, dass sich ein höherer Schaden („Überschaden“) als dieser Erwartungswert ereignet. Der Sicherheitszuschlag kann versicherungsbetrieblich als ein Mittel zur Finanzierung der kollektiven Reserve, risikotheoretisch als der Prämienbestandteil interpretiert werden, der notwendig ist, um der unternehmensindividuellen Risikoeinstellung eines V.s-Unternehmens bei der Übernahme eines Risikos Rechnung zu tragen. Ergänzend erfolgt die Kalkulation des notwendigen Deckungsbeitrags zur Finanzierung der betrieblichen Abläufe und des kalkulatorischen Gewinns. Hinzu kommen die V.s-Steuer als durchlaufender Posten, ein Sparbeitrag im Rahmen der Lebens-V. sowie evtl. Ratenzahlungszuschläge.

Da die ex ante vorgenommene Prämienkalkulation nur auf Schätz- und Erwartungsgrößen basieren kann, ist es zweckdienlich, dass zu versichernde Risiken bestimmte Merkmale aufweisen, um hinreichend sichere Schätzergebnisse zu erreichen. Regelmäßig werden verschiedene Eigenschaften genannt. Hierzu zählt die Zufälligkeit des versicherten Risikos, d. h. die einen Schadenfall auslösenden Ereignisse sollen unsicher sein und durch V.s-Nehmer nicht beeinflusst werden können. Ein weiteres Merkmal ist die Eindeutigkeit, worunter eine eindeutige Beschreibung der möglichen V.s-Fälle und deren Konsequenzen zu verstehen ist. Dies wird durch klare vertragliche Festlegungen bewirkt. Das Kriterium der Schätzbarkeit fordert Kenntnisse über die Wahrscheinlichkeitsverteilung der V.s-Fälle. Dies impliziert in erster Linie eine ausreichende historische Erfahrung bzgl. eingetretener Schäden, um auf deren Basis zukünftige zu erwartende Schäden schätzen zu können. Schließlich sollten die in einem Kollektiv zusammengefassten Risiken insofern unabhängig voneinander sein, als dass nicht bei allen gleichzeitig Schäden eintreten. Dies ist z. B. bei Naturgefahren kaum sicherzustellen, da nicht nur einzelne Objekte davon betroffen sind, sondern üblicherweise eine Vielzahl in der betroffenen Region. Diese Kriterien werden häufig als Grundlage verwendet, um Einschätzungen hinsichtlich der Versicherbarkeit von Risiken zu treffen.

5. Versicherungsaufsicht

Die V.s-Wirtschaft gehört weltweit zu den am stärksten regulierten und beaufsichtigten Branchen. Entspr. unterliegen V.s-Unternehmen einer staatlichen V.s-Aufsicht. Deren Ziele sind der Schutz der V.s-Nehmer, v. a. durch die Gewährleistung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den V.s-Verträgen, sowie die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der V.s-Wirtschaft. In Deutschland ist die V.s-Aufsicht im VAG geregelt. Ausgeübt wird sie gegenüber den meisten V.s-Unternehmen durch die BaFin. Die übrigen Versicherer sind entweder von der Aufsicht befreit oder werden von obersten Wirtschaftsbehörden bzw. bestimmten Ministerien der jeweiligen Bundesländer beaufsichtigt.

Die Aufsichtsbehörde ist u. a. zuständig für die Zulassung zum Geschäftsbetrieb, die Überwachung einer als risikoangemessen erachteten Eigenmittelausstattung (Solvabilität), die Überwachung einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation und für Eingriffe, wenn Missstände drohen.

Die Regulierung des V.s-Marktes wird in Europa im Wesentlichen durch europaweite Regelungen praktiziert. Wesentliches Merkmal ist die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Rahmen des Europäischen Binnenmarktes. So gilt bspw. für die Zulassung zum Geschäftsbetrieb die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde des Sitzlands des Unternehmens. Bei Ausweitung der Tätigkeit durch Niederlassungen oder im Dienstleistungsverkehr auf andere Staaten des Europäischen Binnenmarkts ist keine weitere separate Erlaubnis notwendig. Zudem werden wesentliche Aufsichtselemente, wie bspw. die Eigenmittelanforderungen, bereits seit längerem auf europäischer Ebene geregelt. Seit 1.1.2016 ist zur Bemessung der Eigenmittelanforderungen für V.s-Gesellschaften im EWR das neue Aufsichts- und Solvabilitätssystem Solvency II in Kraft.

6. Individualversicherung und Sozialversicherung

Neben der Individual-V. spielt auch die Sozial-V. eine bedeutende Rolle bei der Absicherung der „Wechselfälle des Lebens“. So übertrifft das Beitragsaufkommen der Sozial-V. das der Individual-V. erheblich. Anders als die Individual-V. stellt die Sozial-V. jedoch einen wesentlichen Baustein der staatlichen Sozialpolitik dar und bewirkt neben dem eigentlichen Absicherungseffekt auch einen sozialen Ausgleichseffekt. Leistungen und Gegenleistungen beruhen nicht auf Äquivalenzprinzipien, sondern auf dem Solidaritätsprinzip (Solidarität), das eine Subventionierung von wirtschaftlich Schwächeren durch wirtschaftlich Stärkere vorsieht. Demgemäß kommen V.s-Verhältnisse in der Sozial-V. kraft Gesetz bei Vorliegen der dort definierten Merkmale zustande. In der Individual-V. herrscht hingegen grundsätzlich Vertragsfreiheit, auch wenn für die Durchführung bestimmter Aktivitäten, wie z. B. das Zulassen eines Fahrzeugs, von Gesetzes wegen V.s-Schutz nachgewiesen werden muss, nämlich der Abschluss einer Kfz-Haftpflicht-V. Der Kreis der versicherten Gefahren beschränkt sich in der Sozial-V. im Wesentlichen auf die mit der persönlichen Arbeitskraft in Verbindung stehenden Risiken, wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Berufsunfall, Alters- und Hinterbliebenenversorgung und Arbeitslosigkeit. Die Individual-V. erstreckt sich hingegen auf alle versicherbaren Gefahren. Die Kalkulation der Prämien erfolgt in der Individual-V. nach der Risikoäquivalenz, in der Sozial-V. werden Beiträge nach der wirtschaftlichen Leistungskraft, repräsentiert durch das Arbeitseinkommen, erhoben. Die Rechtsgrundlagen der Sozial-V. sind in den SGB verankert, die entspr.e Gerichtsbarkeit wird durch die Sozialgerichte gewährt. Die Individual-V.s-Verträge unterliegen hingegen v. a. dem VVG, die V.s-Unternehmen dem VAG.

7. Gesamtwirtschaftliche Funktionen der Versicherung

Neben der individuellen Absicherung der finanziellen Folgen eintretender Risiken fördert V. auch die gesamtwirtschaftliche Effizienz. So trägt V. zur Verbesserung der Risikoallokation bei und ermöglicht Wirtschaftssubjekten eine erhöhte Wagnisbereitschaft und die Durchführung von Aktivitäten, deren Risiken ihre wirtschaftliche Leistungskraft übersteigen würden, die aber gesellschaftlich als erwünscht gelten. Die Anreize zum Aufbau von Vermögen steigen, wenn dieses Vermögen abgesichert werden kann. Dadurch steht Wirtschaftssubjekten eine verbesserte Grundlage für ihre Planung zur Verfügung. Eintretende Schäden können durch prompte Schadenregulierung schnell ersetzt und durch ex ante stattfindende fachkundige Kontrollen seitens der Versicherer möglicherweise sogar vermieden werden. Die durch die Prämienvorauszahlung und Reservebildung erfolgende Kapitalansammlung bei V.s-Gesellschaften lässt diese als bedeutende institutionelle Investoren agieren. Bei rationalem Investitionsverhalten fördert dies den Markt für Unternehmenskontrolle, lenkt Kapitalströme effizient zu werthaltigen Investitionsgelegenheiten und fördert die Kapitalversorgung zukunftsträchtiger Wirtschaftsbereiche. Aufgrund der risikogerechten Kalkulation der V.s-Prämien wird das Unternehmensverhalten beeinflusst, indem Anreize zur Risikoreduzierung ausgelöst werden, solange die hierfür anfallenden Kosten geringer sind als die V.s-Prämie. Letztlich dient V. auch zur Entlastung des Staates, der ansonsten als Gemeinwesen in irgendeiner Form zumindest partiell für Schäden einzustehen hätte, die einzelnen Mitgliedern zustoßen und die deren Leistungsfähigkeit übersteigen. Diese Möglichkeit führt dazu, dass als bes. gefährlich geltende Aktivitäten nur nach Nachweis einer entspr.en V.s-Deckung durchgeführt werden dürfen. Gesetzliche V.s-Pflicht besteht v. a. dann, wenn Dritte zu Schaden kommen können und das individuelle Vermögen des Schädigers voraussichtlich nicht ausreicht, um diese Schäden zu kompensieren. Neben der Sozial-V., die die V.s-Pflicht für einen eingeschränkten Personenkreis begründet, ist v. a. die Kfz-Haftpflicht-V. zu nennen, aber auch die Jagdhaftpflicht-V. oder die Haftpflicht-V. für Arzneimittelhersteller. In wenigen Fällen besteht allg.e V.s-Pflicht auch für Risiken, die den V.s-Nehmer selbst bedrohen, wie z. B. bei der Kranken-V. In diesen Kontext ist die regelmäßig aufkommende Diskussion zu verorten, ob eine allg.e V.s-Pflicht von Gebäuden gegen Elementargefahren, v. a. Überschwemmung, sinnvoll ist.

Da angebotener V.s-Schutz die Wagnisbereitschaft erhöht, kann V. auch negative Effekte auslösen. Dies ist dann zu vermuten, wenn die erhöhte Wagnisbereitschaft zu Konsequenzen führen kann, die nicht nur von denjenigen getragen werden müssen, die aus der höheren Wagnisbereitschaft profitieren. Auch durch V.s-Pflicht für bes. gefährlich erachtete Aktivitäten kann das daraus resultierende Risiko nicht vollständig reduziert werden. Bspw. mildert V. nur finanzielle Folgen, anderweitige Schädigungen – z. B. dauerhafte körperliche Beeinträchtigungen, irreversible Umweltschäden oder die Vernichtung einzigartiger Güter – bleiben trotz V. bestehen.