Vermögensteuer

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1. Begriff

Die V. (so die Schreibweise in Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG; Duden schreibt abweichend „Vermögenssteuer“) ist eine Steuer, die sich nach dem Gesamtvermögen einer natürlichen oder juristischen Person bemisst. Als Gesamtvermögen ist hierbei das Nettovermögen, also sämtliche geldwerten Vermögenswerte abzüglich der Schulden, zu verstehen. Steuern knüpfen an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Einzelnen an, die sich im Erwerb, im Haben und im Verwenden von Vermögen zeigen kann. Die V. knüpft an das „Haben“ von Vermögen an. Anders als die Grundsteuer, die als bes. V. bezeichnet werden kann, knüpft die allg.e V. nicht an einzelne Vermögensgegenstände, sondern an das gesamte Weltvermögen des Steuerpflichtigen an. Dabei ordnet das BVerfG (BVerfGE 93,121) die V. nicht als Substanzsteuer, sondern als sog.e Sollertragsteuer ein. Die Steuer soll danach auf den gedachten Ertragswert und das einem Vermögen innewohnende Potenzial zur Mehrung zugreifen. Der Stamm des Vermögens, also seine Substanz, wird dabei idealerweise nicht belastet, da die Sollerträge (die erzielbaren Miet- und Zinseinkünfte etc.) typischerweise ausreichen, um daraus die Steuerschuld begleichen zu können. Nach dieser Sichtweise tritt die V. neben die Einkommensteuer (ESt), beide belasten das (tatsächlich erzielte bzw. erzielbare) Einkommen (Ist-Ertrag bzw. Sollertrag). Es kommt zu einer Doppelbelastung. Das GG nennt die V. bei der Aufkommensverteilung, indem es das Steueraufkommen allein den Ländern zuweist (Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG), und setzt durch diese Erwähnung voraus, dass eine V. verfassungskonform geregelt werden kann.

2. Die aktuelle Situation

In Deutschland nennt das GG die V. in Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG ausdrücklich und weist ihr Aufkommen den Ländern zu. Sie wurde bis einschließlich 1996 auf Grundlage des VStG erhoben und brachte den Ländern im Jahr 1996 zuletzt umgerechnet 4,62 Mrd. Euro an Steuereinnahmen ein. Für jede natürliche Person sah das VStG einen Freibetrag von 120 000 DM vor, ebensoviel für jedes Kind. Das VStG ist bis heute in Kraft, wegen der vom BVerfG im Jahr 1995 (BVerfGE 93,121) für verfassungswidrig erklärten einheitlichen Tarifnorm für alle Vermögensarten aber mangels einer Reaktion des Gesetzgebers (Reparatur) nicht mehr anwendbar. Das BVerfG erklärte nicht die V. als solche für verfassungswidrig, sondern ihre gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßende Ausgestaltung. Das VStG besteuerte Grundvermögen und andere Vermögenswerte mit dem gleichen Tarif in Höhe von 1 % pro Jahr. Da die Immobilienvermögen aber anhand veralteter Einheitswerte unrealistisch niedrig bewertet wurden, verstieß das VStG gegen den allg.en Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil das Grundvermögen gleichheitswidrig ohne rechtfertigenden Grund weniger stark besteuert wurde als andere, realitätsgerecht bewertete Vermögenswerte. Das BVerfG ging zudem davon aus, dass die V. im Hinblick auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) nicht so ausgestaltet sein dürfe, dass sie den Vermögensstamm angreift, sondern sie sei als eine Sollertragsteuer zu konzipieren, deren Bemessungsgrundlage letztlich die Ertragsfähigkeit des Vermögens als Ausdruck der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen sei. Urspr. hatte das BVerfG aus der Eigentumsgarantie zudem gefolgert, dass die ESt und die V. durch Zugriff auf den tatsächlichen Ertrag und den Sollertrag nicht bedeutend mehr als die Hälfte des Einkommens des Steuerpflichtigen abschöpfen dürften, da Art. 14 Abs. 2 GG davon spreche, dass der Gebrauch des Eigentums „zugleich“ dem Wohl der Allgemeinheit dienen solle. Diesen sog.en Halbteilungsgrundsatz hat das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 mittlerweile aufgegeben (BVerfGE 115,97). Davon unberührt bleibt die immer schon vertretene verfassungsrechtliche Grenze einer sog.en erdrosselnden Steuer und vor dieser einer übermäßigen Steuer, die die grundsätzliche Privatnützigkeit des Eigentums nicht mehr respektieren würde.

International haben die breite Kritik an ihrer Rechtfertigung und die praktischen Vollzugsschwierigkeiten (insb. der Aufwand der Bewertung des Vermögens) zu einem weltweiten Rückzug dieser Steuerart in den vergangenen Jahrzehnten geführt. Derzeit wird in Europa nur noch im Schweizer Kanton Zürich eine klassische V. erhoben. In der EU belastet allein Luxemburg noch juristische Personen mit einem Vermögen über 500 Mio. Euro. Seit 2018 findet auch in Frankreich keine periodische Vermögensbesteuerung mehr statt.

3. Forderungen nach Wiedereinführung und Kritik

Die V. gehört zu den politisch sehr umstrittenen Steuern und ihre (Wieder-)Einführung ist regelmäßig Gegenstand der öffentlichen Debatte. So haben im Bundestagswahlkampf 2017 neben der Partei Die Linke auch Bündnis 90/Die Grünen für eine V. in ihren Wahlprogrammen plädiert. Diese Forderungen knüpfen v. a. an den (weltweiten) Trend zu immer größeren Vermögensakkumulationen an und sollen somit der sozialen Ungleichheit Einhalt gebieten.

Gegen die V. wird vorgebracht, dass sie das Sparen bereits versteuerten Einkommens gegenüber dem sofortigen Konsum diskriminiere. Zudem sei die Wertermittlung der Bemessungsgrundlage mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden und ihre Effizienz wegen der relativ hohen Erhebungskosten daher verhältnismäßig gering. Anders als bei der ESt oder Umsatzsteuer ergibt sich die Bemessungsgrundlage nicht von selbst aus marktoffenen Vorgängen, sondern bedürfe einer Bewertung. V. a. die Bewertung der einzelnen Vermögensteile bringe große praktische und rechtliche Schwierigkeiten mit sich. In der Kritik steht auch das Konzept des Sollertrages, weil (ungenutztes) Vermögen nicht automatisch ertragreich ist. Anders als ungenutzte Arbeitskraft, die nicht fiktiv mit einer Steuer belastet wird, wird ungenutztem Kapital pauschal ein Vermögenszuwachs unterstellt, obwohl es inflationsbedingt womöglich sogar schrumpft und ein Ertrag (etwa bei Kapitalvermögen in Zeiten der Nullzinspolitik) gar nicht mehr erzielt werden kann. Bei illiquiden Vermögenswerten kann eine V. für den Schuldner sogar noch weitere Belastungen erzeugen, wenn etwa Steuerschulden aus Krediten bedient werden müssen, um den Verkauf von teuren Einzelwerten (z. B. Kunstgegenstände, Immobilien) zu verhindern. Schließlich wird vielfach auch eine Abwanderung sehr vermögender Steuerzahler befürchtet, womit dem Staat nicht nur die Erträge aus der V., sondern zusätzlich auch aus der ESt verloren gingen.