Unternehmensberatung

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1. Definitorische Abgrenzung

U.en unterstützen Organisationen bei der Analyse und Lösung oft komplexer Probleme. Dies erfolgt durch temporäre, projektbezogene Zurverfügungstellung von Ressourcen und spezifischem Wissen durch hochqualifizierte Mitarbeiter der U. unter kontextspezifischer Integration der Kunden.

U.en sind ihrem Charakter nach den Professional Service Firms (PSF) zuzuordnen, die durch wissensintensive Dienstleistungen gekennzeichnet und teilweise über Berufsverbände organisiert sind. Obwohl für Berater keine Berufsträgerschaft i. S. einer geschützten Berufsbezeichnung bzw. einer zwingenden Examinierung existiert, sind Ausbildung und Berufsethos vergleichbar. So können die Berater aufgrund ihrer (akademischen) Vorbildung, ihrer erworbenen analytisch-empirischen Fähigkeiten, ihres Wissens, ihrer Orientierung an etablierten Verhaltensnormen sowie ihrer Handlungsfreiheit in Projekten als professionalisiert bezeichnet werden. Das führt zu einer zunehmenden Reputation der U. und dient als Substitut für die Berufsträgerschaft. Die notwendige Integration der Kunden erfordert eine hohe Beziehungskompetenz der Berater, während der Kapitalbedarf der U. gering ist. In Abgrenzung zu den geschützten Berufen werden U.en als Neo-PSF klassifiziert. Ihr Erfolg resultiert aus den kritischen Ressourcen Wissensintensität, Beziehungskompetenz und Vertrauen, dabei ist das Ertragsmodell mit dem anderer PSF prinzipiell identisch (Abb. 1).

2. Erscheinungsformen

Eine einheitliche Systematik der Erscheinungsformen ist nicht etabliert. U.en können aber u. a. nach inhaltlicher Ausrichtung ihrer Leistungen i. S. einer Marktsegmentierung differenziert werden. Hier ist zwischen IT-Beratung und Management-Beratung (oftmals synonym zur U. verwendet) zu unterscheiden. Letztere können auf nächster Ebene in Organisations- und Strategieberatung kategorisiert werden. Häufig wird hier auch die Personalberatung als selbstständige Form abgegrenzt. Eine weitere Differenzierung kann anhand der Spezialisierung auf bspw. Funktionen oder Branchen erfolgen. Somit erstreckt sich das Spektrum der Erscheinungsformen von Full-Service-Providern mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Beratern über spezialisierte Boutique-Beratungen mit nur wenigen Beratern hin zu selbstständigen Einzelpersonen mit mehr oder weniger klarem Fokus. Im Jahr 2018 waren dabei insgesamt rund 20 000 Beratungsfirmen mit ca. 124 000 Beratern in Deutschland tätig.

3. Aufbau- und Projektorganisation

U.en verfügen meist über einen hierarchischen Aufbau (Hierarchie). Die Ebenen unterscheiden sich in der Bezahlung sowie hinsichtlich der Fähigkeiten und des Wissens der Berater, deren Aufgabenspektrum und Verantwortungsbereiche. Während sowohl Anzahl als auch Ausgestaltung der Hierarchiestufen zwischen U.en divergieren, können generisch drei Ebenen identifiziert werden. Diese spiegeln die PSF-typische Pyramidenform wider: Die Einstiegsebene mit Fokus auf operativen Tätigkeiten, die Projektleiterebene mit Verantwortung für die Koordination von Projekten im Tagesgeschäft sowie die Interaktion mit den Kunden und die Partnerebene mit der Verantwortung für Aufbau und Pflege von Kundenbeziehungen sowie der Führung der U. Das anzahlmäßige Verhältnis der Ebenen der Pyramide zueinander wird als Leverage-Struktur bezeichnet. Sie spiegelt sich häufig auch in den angebotenen Projekttypen wider. Das Kerngeschäft der U. besteht aus Projektarbeiten, für die jeweils einem aus unterschiedlichen Hierarchieebenen mit relevantem Wissen und Fähigkeiten zusammengesetztem Team ein Projekt zugeordnet wird. Nach Beendigung des Projekts werden die Teams aufgelöst und anderen Projekten zugeordnet. Partner betreuen meist mehrere Projekte gleichzeitig.

4. Projekttypen und Interaktion mit Kunden

Die Kundenprobleme definieren die Form des Projekts. Handelt es sich um innovative Projekte, spricht man von Brain Projekten, welche sowohl hohe Kreativität als auch Strukturierungsfähigkeit von den Beratern erfordern. Handelt es sich um Probleme, die Erfahrungswissen erfordern, spricht man von Grey-Hair Projekten. Standardisierte Projekte, welche Umsetzung von Plänen erfordern, werden als Procedure Projekte bezeichnet. Die Projektform spiegelt sich u. a. in unterschiedlichen Leverage-Strukturen der Projektteams sowie Stundenhonoraren wider. Ob eine Projektform angeboten werden kann, hängt mit der Leverage-Struktur sowie den unterstützenden Prozessen der U. zusammen. Beide beeinflussen sich gegenseitig und werden zugl. von der Wissensbasis der U. getrieben. Projekte mit geringer Interaktion zwischen Kunden und Berater, bei welchen der Kunde die Aufgaben koordiniert, während der Berater inhaltliche, umsetzungsorientierte Aufgaben bearbeitet, werden als Jobbing, im Extremfall als Body-Lease, eine Art temporärer Arbeitnehmerüberlassung, bezeichnet. Projekte mit einer stark reziproken Interaktion zwischen Kunden und Unternehmensberatern werden als Sparring charakterisiert.

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Abb. 1: Ertragsmodell

5. Karrieremodell und Wachstumsdruck

Traditionell erfolgt der Wechsel der Karrierestufen der Berater in einem für die jeweilige U. spezifischen Rhythmus, wobei die Leverage-Struktur der U. beibehalten werden soll. Entspr. muss ein Berater nicht nur die notwendige Qualifikation für die nächste Hierarchieebene aufweisen, sondern sich auch dem direkten Vergleich mit seinen Peers stellen. Fällt die Entscheidung hinsichtlich einer Beförderung negativ aus, scheidet der Berater i. d. R. aus der Organisation aus (up-or-out-Prinzip). Ein Wechsel in eine andere Branche wird dabei von der U. allg. unterstützt, um der U. gegenüber loyale Alumni in Entscheidungspositionen bei aktuellen und potentiellen Kunden zu positionieren. Dieses Karrieremodell erzeugt einen Wachstumsdruck auf die U., da Berater nicht bereit sind, auf das Ausscheiden eines Partners zu warten. Bei Wahrung der Leverage-Struktur ist ein Wachstum der Gesamtorganisation zwingend erforderlich. Einige U.en bieten jedoch zudem Experten-Karrieren an, in denen das up-or-out-Prinzip keine Anwendung findet.

6. Herausforderungen und Veränderungen

Die Kenntnis der Kunden über die Fähigkeiten, Leistung und Vergütungshöhe der U. hat zusammen mit deren Preissensibilität seit der Jahrtausendwende zugenommen. In vielen Organisationen sind verschiedene U.en parallel beschäftigt, sodass sich die Frage nach Wachstumspotentialen stellt. Während die Digitalisierung Potential bietet, erfordert sie zugl. eine entspr.e Adaption des Geschäftsmodells. So führt der Einsatz digitaler Lösungen zu einem geringeren Bedarf an Juniorberatern auf der Einstiegsebene, da sich der Zeitaufwand für operative, standardisierte Tätigkeiten reduziert. Die Berechnung der digitalen Lösungen ist Kunden gegenüber jedoch schwer zu vermitteln. Die Substitution von Beratern durch digitale Lösungen wirkt aber auch einer zunehmend problematischen Personalsituation entgegen. Jedenfalls wandelt sich die Organisationsstruktur so von einer Pyramide hin zu einer Diamantform. Wie zukünftig die mittlere Schicht des Diamanten besetzt wird, ist ungewiss, jedoch greift eine Vielzahl von U.en zunehmend auf Freiberufler (Freie Berufe) zurück.

7. Kritik

An U.en, ihren Leistungen und ihrem Einsatz in Organisationen wird durchaus Kritik geübt. So wird gemutmaßt, dass Projekte häufig stärker organisationspolitische denn Effizienz- oder Effektivitätsziele verfolgen, also bspw. Führungspersonen U.en beauftragen, um für sie vorteilhafte Entscheidungen besser durchsetzen zu können. Ähnliches gilt für die Notwendigkeit angebotener Erst- und Anschlussprojekte, sowie die Verwendung von Beratern zur Umgehung der betrieblichen Mitbestimmung. Der übermäßige Einsatz von Beratungsverträgen in öffentlichen Institutionen (in diesem Jahrtausend bspw. BA und Bundesministerium der Verteidigung) wurde in der Vergangenheit ebenfalls bereits kritisiert.