Universitätsidee: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 14. November 2022, 07:01 Uhr

„U.“ ist kein Quellenbegriff. Daher wird auch von einer Idee der Universität, einem Universitätsideal oder -modell oder analog von Universitätsreform gesprochen. Zumeist auf die Reformvorgaben Wilhelm von Humboldts zur Gründung der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität 1809 (Lehrbetrieb ab 1810) und auf eine neuhumanistische U. bezogen, die auch als Bildungsideal rezipiert wird, ist der Begriff als „humboldtsche U.“ ein fester Topos geworden. Universitätsreformen seit der Mitte des 20. Jh. verweisen auf die als traditionelle oder klassische deutsche U. verstandenen Vorstellungen W. von Humboldts, um Traditionen und Neuansätze oder den Transfer des von ihm geprägten Universitätsmodells in andere Länder zu differenzieren.

Der Begriff der U. wird neuerdings auch auf frühere Ereignisse der Universitätsgeschichte angewandt. Insb. die Anfänge der Universität in der mittelalterlichen Frühscholastik (Scholastik) seit dem Übergang vom 11. zum 12. Jh. werden als Ursprung einer U. gedeutet.

1. Die vormoderne(n) Universitätsidee(n)

Anders als der Neubeginn um 1800, sind die Anfänge der abendländischen Universität nicht eindeutig auf politisch gestaltende Akteure oder nachweisbare einheitliche Ideen zurückzuführen. Bis heute sind die Entstehungsanlässe der ersten Universitäten in Bologna und Paris umstritten. Beide sind seit dem späten 11. Jh. aus einer Selbstorganisation der Gelehrten und ihrer Emanzipation aus kirchlichen Institutionen hervorgegangen und im Laufe des 12. (Bologna) bzw. frühen 13. Jh. (Paris, ebenfalls Oxford) anerkannt und privilegiert worden. Seither war die Bezeichnung als universitas gebräuchlich (Hochschulen). In der Konzeption der universitas kann eine U. gesehen werden. Neuerdings wird in der Rezeption des Aristotelismus und über diesen des gelehrten arabischen Wissens im 12. und 13. Jh. sowie der dadurch angestoßenen Institutionalisierung der universitären Wissenschaft der entscheidende Impuls einer U. erkannt. Ebenso wird auch der vorausgehende Aufbruch von Scholaren zu einer Wissensmigration in die Zentren der neuen, logischen Wissenschaft in der Ile-de-France und in Oberitalien seit dem 12. Jh. als ideeller Neubeginn der abendländischen Wissenschaft noch vor der Institutionalisierung der Universität verstanden. In einem Privileg Kaiser Friedrichs I. für die fremden Scholaren in Bologna (1155/58) wurden diese als „amore scientiae […] exules“ (MGH DD F I, 243) bezeichnet. Das Studienmotiv der Liebe zur Wissenschaft ist danach in der Forschung seit Mitte des 20. Jh. als leitende Idee am Ursprung der Universitätsgeschichte gedeutet worden.

Mit der Institutionalisierung der mittelalterlichen Universitäten gerieten diese zunehmend unter den Einfluss der weltlichen Gewalt. Absolventen wurden für den fürstlichen Dienst gesucht und neue Gründungen (schon Neapel 1224, wieder Prag 1348 u. a.) damit erklärt. Die Idee eines amor scientiae wird daher eher der seit dem 14. und bis zum 16. Jh. entwickelten humanistischen Gelehrsamkeit (Humanismus) zugeschrieben. Auch die mit der Aufklärungszeit (Aufklärung) im 18. Jh. verbundenen Reformansätze an einigen Universitäten (v. a. Göttingen und Halle) oder die Diskussionen um das Verhältnis von Wahrheitsstreben und Nützlichkeitspostulat (Immanuel Kant, Friedrich Schleiermacher) zu Ende des 18./Anfang des 19. Jh. könnten als eine modellhafte Idee für Universität und Wissenschaft verstanden werden.

2. Die moderne, neuhumanistische Universitätsidee

Beeinflusst v. a. von F. Schleiermacher, auch Johann Gottlieb Fichte und W. von Humboldt entwarf Alexander von Humboldt erstmals 1809/10 eine Denkschrift zur Programmatik einer Universität im Kontext eines auch schulische Allgemeinbildung umfassenden Erziehungskonzepts. Erst knapp 100 Jahre später wiederentdeckt, wurde die Schrift zum Manifest für die „humboldtsche U.“. Der Begriff wurde seit dem frühen 20. Jh. zum Programm, verkürzend zum Inbegriff der deutschen Universität („deutsche U.“) und wirkte als solches vorbildhaft auf Neugründungen auch im Ausland ein. Als zentrale Anliegen A. von Humboldts gelten bis heute die Verbindung von Bildung und Wissenschaft, also auch von Lehre und Forschung sowie die Freiheit der Forschung (Wissenschaftsfreiheit) von äußeren Zweckvorgaben und die Überzeugung, durch das wissenschaftliche Studium Menschen prägend zu bilden.

Nachdem im Laufe des 19. Jh. durch das Aufkommen naturwissenschaftlicher und technischer Disziplinen die Diskussion über das Verhältnis von Nutzen und Wahrheitserkenntnis als Studienzwecken erneut ausgelöst worden war und sich die noch von A. von Humboldt vertretene zentrale Bedeutung der philosophischen Fakultät bzw. der Geisteswissenschaften und der Grundlagenforschung allmählich verloren hatte, konnte rückblickend seine Reformpolitik zum Ideal stilisiert und konstruiert werden. In der NS-Diktatur unterdrückt, prägte die Berufung auf die U. A. von Humboldts und den Anspruch des Neuhumanismus den Aufbau der deutschen Universitäten nach 1945, spielte in die Konflikte seit den späten 1960er Jahren hinein und beeinflusst die Diskussionen um neue Reformtendenzen bis zur Gegenwart. Die Vorstellung einer U. bleibt mit A. von Humboldts Reformwerk verbunden und ist als Konstruktion und Zuschreibung weiterhin aktuell. Zumeist mit Bezug auf A. von Humboldt ist seit dem ausgehenden 20. Jh. vereinzelt von einer U. gesprochen worden. Der von Karl Jaspers gewählte Ansatz, Zeitkritik an universitätspolitischen Entwicklungen unter dem Begriff der U. vorzutragen, hat aber keine Fortsetzung gefunden.