Tod

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  1. I. Philosophiegeschichtlich
  2. II. Kulturphilosophisch
  3. III. Medizinethisch
  4. IV. Theologisch

I. Philosophiegeschichtlich

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1. Leitfragen und Begriff

Der Begriff „T.“ bezeichnet das Ende des Lebens durch ein dauerhaftes Aufhören aller biologischen Funktionen, die notwendig sind, um einen Organismus lebendig zu erhalten. Der Übergang vom Leben zum T. wird als Sterben bezeichnet. Gegenüber Sterben und T. aller übrigen Lebewesen wird der T. des Menschen dadurch herausgehoben, dass der Mensch um die unabwendbare Endlichkeit seines biologischen Lebens weiß. Diese Gewissheit des T.es zusammen mit der Ungewissheit des Zeitpunktes seines Eintretens bestimmt die Sinngebung des menschlichen Lebens wesentlich mit und hat in der Folge Rückwirkungen auf das, was unter einem guten Leben in ethischer Hinsicht verstanden werden darf. Da der Begriff des T.es sprachlich ein negativ bestimmter Ausdruck ist, nämlich die Privation des Lebens, wird zudem die spekulative Frage aufgeworfen, wie sich der T. als Zustand positiv bestimmen lässt, was wir also vom T. wissen können oder vernünftigerweise glauben dürfen. Es stellen sich somit zwei Fragen, die jedoch kaum getrennt beantwortbar sind, nämlich erstens, was der T. ist und was wir über ihn wissen können, und zweitens, welche Wirkungen das Wissen um den T. auf unsere Lebensführung ausübt.

2. Todesbetrachtung im Altertum

Geht man davon aus, dass der T. das vollständige Ende der menschlichen Existenz bedeutet und damit die Negation des Lebens schlechthin bezeichnet, dann ist der Versuch einer weitergehenden positiven Bestimmung des T.es in deskriptiver Hinsicht sinnlos. Es genügt dann, wie dies manche physikalistischen oder materialistischen Denkrichtungen tun, den T. als absoluten Endpunkt der menschlichen Existenz zu bestimmen. Bereits im Gilgamesch-Epos wie auch im altägyptischen Totenbuch wird dieses mögliche totale Ende des menschlichen Daseins im T. angedeutet, zugleich aber darauf verwiesen, dass der lebende Mensch durch eigene Handlungen, durch Handlungen Anderer oder mit der Hilfe der Götter prinzipiell im Stande sein könne, ein irgendwie geartetes Fortbestehen nach dem T. des Körpers zu erwirken. Da das Vergehen des Körpers stets mit dem Eintreten des T.es beobachtet werden kann und der Leichnam zudem nicht mehr aktiv handelt, sondern Teil der unbelebten Natur wird, stellt sich notwendig die Frage, auf welche Weise der Verstorbene weiter existieren soll. Im Regelfalle wird eine solche vom Körper gelöste Entität über die verschiedenen philosophischen, religiösen und mythologischen Ansichten hinweg als „Seele“ bezeichnet, wenngleich dieser Begriff je nach Kontext sehr unterschiedlich ausgedeutet wird. Dabei spielt auch die angenommene Beziehung der Seele zu dem toten Körper eine Rolle, wobei die Bandbreite von der angenommenen Notwendigkeit einer Konservierung des Leichnams, bspw. durch absichtliche Mumifikation, über den Glauben an eine körperliche Auferstehung, etwa im Judentum, bis hin zum rituellen Verbrennen des Leichnams und Verstreuen der Asche in heiligen Gewässern im Hinduismus reicht.

Jenseits des vorderasiatischen und mittelmeerischen Raumes findet sich eine der frühesten systematisch-philosophischen Betrachtungen der Problematik des T.es und des Sterbens in den seit 700 v. Chr. schriftlich fixierten, aber auf wesentlich älteren mündlichen Traditionen beruhenden upanischadischen Texten. So behandeln die Upanischaden, die kein homogenes Textgefüge bilden, den T., das Sterben, den Status des menschlichen Bewusstseins sowie die ontologischen Voraussetzungen für einen Fortbestand der Seele. Dabei entwickeln sie zahlreiche Konzepte, die ebenfalls in der abendländischen Philosophie zum Thema werden. Das Lebendige, was nach dem T. des Menschen bestehen bleibe, sei das göttliche Selbst, der Seinsgrund für das Bestehen der gesamten Schöpfung. Sofern dieses Selbst individuiert erscheint, bezeichnen es die Upanischaden als Atman, als Gott im immanenten Zustand, der nur unserer Wahrnehmung nach von Brahman, von Gott im transzendenten Zustand, verschieden sei. Nach dem T. verschwinde somit nicht nur der Körper, sondern auch die Sinnlichkeit, der Geist und eventuell sogar das Ego, denn das Selbst wird als „jenseits der Dualität von Erkenner und Erkanntem“ (Kena-Upanischad II, 3) bestimmt, als dasjenige, „was den Geist denken lässt, aber vom Geist nicht gedacht werden kann“ (Kena-Upanischad I, 6). Mit ähnlichen Motiven wie Pythagoras oder Platon beschreiben die Upanischaden eine Wiedergeburtslehre, deren Zyklus nur dadurch entkommen werden könne, dass der Sterbende seine Identität mit dem göttlichen Selbst realisiere und sein individuelles Ego ablege, was voraussetze, dass „alle Begehren, die im Herzen wallen, aufgegeben sind“ (Katha-Upanischad II, 3, 14).

3. Vorsokratische und epikureische Todesvorstellungen

Die angedeuteten verschiedenen Sichtweisen auf Leib, Seele und T. finden in der westlichen antiken Philosophie ihre Entsprechungen in unterschiedlichen Denkansätzen. Das in der Ilias erstmals belegbare griechische Wort für T. (thánatos) wird in seiner Bedeutung bereits bei den Vorsokratikern erörtert. Dabei wird der T. unter dem allg.eren Gegensatz von Entstehen und Vergehen behandelt, etwa bei Anaximander, Parmenides oder Heraklit. Letzterer betont bes. die Kreislaufbewegung, indem er darauf verweist, dass der T. eines Wesens zugleich immer das Werden eines anderen bedeute. Empedokles ergänzt diese Vorstellung durch die Erklärung der Geburt als Mischung der Elemente und den T. als deren Trennung voneinander. Demokrit übernimmt diesen Gedanken, spricht statt von Elementen aber von sich zusammenfügenden und trennenden Atomen, wobei er selbstbewegende Atome annimmt, die den Körper in Kombination mit passiven, nicht selbstbewegenden Atomen, lebendig machen. Die Kreislaufbewegung von Entstehen und Vergehen durch Zusammensetzung und Auflösung wird von Epikur ethisch interpretiert. Furcht vor dem T. sei vernünftigerweise unbegründet, denn da sich der T. als Lösen der Verbindungen der Elemente im Körper darstelle, die sich danach wieder zu Anderem zusammenfügten, ende mit dem T. auch das Gewahrsein unseres eigenen Zustandes und damit auch jegliche bewusste Empfindung, die uns Unannehmlichkeiten oder Furcht bereiten könnte. Diese Einsicht kulminiert in der epikureischen Identifikation des guten Lebens mit einem freudevollen Leben frei von Angst oder Furcht. Da der T. als notwendiges Ende eines evtl. qualvollen Lebens Erlösung verheißt, lässt er sich bei Epikur letztendlich als hoffnungsvolles Konzept deuten.

Einen anderen Weg geht Pythagoras, der die in der Tradition der Orphik stehende Lehre von dem Fortdauern der menschlichen Seele nach dem T. des Körpers in den Vordergrund rückt. Zwar teilt auch Pythagoras die Vorstellung von Leben und T. als Kreislaufbewegung, wendet sie aber gezielt auf das Unkörperliche, d. h. das Geistige oder Seelische, an. So kehre die jeweilige Seele (psyché) aller belebten Geschöpfe nach dem T. eines Körpers in einem anderen wieder, was Pythagoras zu einem frühen Vertreter einer Seelenwanderungslehre in der westlichen Philosophie macht. Auch das sogenannte Leib-Seele-Problem, das nach dem Verhältnis mentaler Zustände zu körperlichen Zuständen fragt, gewinnt durch die strikte pythagoräische Unterscheidung zwischen Seele und Körper an Kontur.

4. Platon

Platon referiert in der „Apologie“ die pythagoräische T.es-Vorstellung und nimmt die Epikurs vorweg, wenn er den zum T.e verurteilten Sokrates ausführen lässt: „Denn eins von beiden ist das Totsein, entweder soviel als nichts sein noch irgendeine Empfindung von irgend etwas haben […] oder […] es ist eine Versetzung und ein Umzug der Seele von hinnen an einen anderen Ort“ (Plat. Apol. 40 c). Ist der T. ersteres, dann sei er eher ein Gewinn denn ein Verlust und sei mit einem tiefen, traumlosen Schlaf vergleichbar. Dauere die Seele aber in der Unterwelt fort, wo sie die „wahren Richter“ (Plat. Apol. 40 e) antreffe, dann könne sie dort auf ewig leben und wäre im Stande, mit den großen Männern und Frauen „dort zu sprechen und umzugehen und sie auszuforschen“, was eine „auf alle Weise […] unbeschreibliche Glückseligkeit“ sein müsse (Plat. Apol. 41 c).

In späteren Texten beschränkt sich Platon auf die orphisch-pythagoräische Sichtweise, nach der der T. eine Trennung von sterblichem Körper und unsterblicher Seele bedeute. Bes. im Dialog „Phaidon“ adressiert Platon das Problem des T.es als Erkenntnisproblem. So führt er aus, dass mithilfe der körperlichen Sinne nur das kontingente Einzelne erfasst werden könne, nicht aber eine universelle höhere Wahrheit i. S. d. platonischen Ideen. Der Leib stelle sich in Folge dieser Darstellung sogar als Erkenntnishindernis dar. Selbst wenn ein echtes Wissens dem Menschen in der körperlichen Gebundenheit der Seele meist (oder vielleicht immer) verborgen bliebe, so zeichne sich der Mensch doch zumindest durch das prinzipielle Vermögen aus, echtes Wissen haben und den Unterschied zwischen Scheinwissen oder Meinungen einerseits und echtem Wissen andererseits intuitiv erkennen zu können. Da dieses Vermögen aber wegen der Einschränkungen des Körpers nur der Seele zukommen kann, sieht Platon darin ein erstes Anzeichen für deren Existenz. Deutlicher wird er in der Erörterung der Wiedererinnerungslehre, denn nur dadurch, dass die Seele vor der Geburt die Ideen unvermittelt erfahren habe, könne der Mensch im körperlichen Zustand Wissen erwerben. In der Folge bezeichnet auch Platon die Furcht vor dem T. als unvernünftig und geht sogar noch darüber hinaus, indem er anführt, dass, wenn durch das Vermeiden des bevorstehenden T.es Schaden entstehen könne, der T. dann bereitwillig angenommen werden müsse. Es komme nicht darauf an, dem T. zu entkommen, sondern darauf, in guter Weise zu sterben. So führt der nach einem scheinbar ungerechten Urteil im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartende Sokrates, dem seine Schüler und Freunde zur sicheren Flucht verhelfen wollen, verschiedene Argumente an, warum er sich dem Urteil aus moralischen Beweggründen nicht entziehen kann. Eine Flucht käme einer Gesetzesverletzung und einer Schädigung der Gemeinschaft gleich, da jedes Gerichtsurteil ein Ausdruck des Gemeinwillens ist, der sich letztlich auf das Wohl des Gemeinwesens (Gemeinwohl) richtet. Neben diesem Hauptargument für die Anerkennung des Urteils nennt Sokrates noch eine Reihe Nebenargumente, so etwa, dass er die Möglichkeit des Exils zuvor ausgeschlagen habe, dass er in der Fremde als gesetzesverachtend gelten müsse oder dass er seiner ganzen bisherigen Lebensführung zuwiderhandeln und seine Lehre damit lächerlich machen würde.

Während Platon versucht, der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele und der Frage nach dem Annehmen des T.es mit rationalen Argumenten zu begegnen, behandelt er den Zustand des T.es, bzw. den Weg der losgelösten Seele, durch Rekurs auf mythologische Annahmen (Mythos). So gelangten die reinen Seelen nach dem T. zum unsichtbaren Göttlichen, die unreinen aber würden, je nach ihrer Sinnesart, gerichtet und letztlich in der ihnen angemessenen Weise wiedergeboren werden.

5. Aristoteles, Stoa, Patristik

Aristoteles betrachtet das Problem des T.es im Gegensatz zu Platon weniger unter der pythagoräisch-orphischen Sichtweise. Für ihn ist der aus Leib und Seele zusammengesetzte Mensch Folge der hylemorphistischen Zusammensetzung alles Materiellen. Die Seele bildet das Formprinzip des Menschen, die dem Körper, der dem Materialprinzip entspricht, seine wesensgerechte Funktion ermöglicht – sowohl auf der Ebene des organischen Funktionierens als auch auf der Ebene mentaler Vorgänge wie der Vernunft (Vernunft – Verstand) und des vernünftigen Wollens. Der T. erscheint dadurch weniger als ein Trennen von Leib und Seele, sondern mehr als das Ende eines Entelechieprozesses, durch das der Mensch, insofern er Mensch ist, aufhört zu sein.

In der Stoa werden die verschiedenen Motive der antiken Philosophie weitergeführt und in einen kosmologischen Gesamtkontext eingebettet. Sowohl die Vorstellungen Demokrits über die stofflichen Grundlagen von Leben und T. werden übernommen wie auch die ethische Einsicht, dass dem T. als schöpfungsgesetzlich unabwendbares Ereignis ohne Furcht entgegengeblickt werden müsse. Jedoch heben sich die Tendenzen verschiedener stoischer Autoren von antiken Vorstellungen durch die Verortung des T.es innerhalb der vernünftigen Schöpfungsordnung genauso ab wie durch den teils metaphorischen Gebrauch des Begriffs des T.es, bspw. bei Seneca, der vom T. der Seele bei lebendigem Leibe spricht, sofern das moralisch Gute weder erkannt noch befolgt werde. Beide Ausweitungen bieten der christlichen Philosophie der Patristik Anschluss- sowie Ausgangspunkte; so wird die vernünftige Weltordnung als ewiges Gesetz Gottes und der T. der Seele i. S. Senecas als Strafwirkung der Sünde und damit als Voraussetzung des christlichen Erlösungsversprechens ausgedeutet. Exemplarisch kann hier Augustinus genannt werden, der zwei T.e unterscheidet, zum einen den T. des Leibes, zum anderen den der Seele. Letzterer trete ein, wenn ein Mensch sich in einer bewussten Entscheidung von Gott oder dem Guten abwende.

6. Der Tod in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit

Wie auch in der Patristik speist sich die Betrachtung des T.es in der frühen mittelalterlichen Philosophie einerseits aus den tradierten philosophischen Grundlagen der antiken Philosophie, bes. der lateinischen Stoa und dem Neuplatonismus, und andererseits aus den jüdisch-christlichen Vorstellungen des T.es. Die Grundunterscheidung des Augustinus zwischen dem T. des Körpers (mors corporis) und dem T. der Seele durch die Sünde (mors animae) bleibt in der mittelalterlichen Philosophie bestimmendes Grundmotiv.

Mit der Rezeption der dem lateinischen Sprachraum seit dem 13. Jh. wieder zugänglichen Schriften des Aristoteles taucht das Problem der Definition einer unsterblichen menschlichen Seele erneut auf. Während nämlich die neuplatonisch geprägten Denker auf eine Seele verweisen, die auch losgelöst vom Körper weiterexistieren könne, folgt hingegen aus dem Aristotelismus, bes. in seiner averroistischen Interpretation, dass im T. der gesamte Mensch sterben müsse, da die Seele nur das Formprinzip des zusammengesetzten Körpers sei. Thomas von Aquin bietet eine Möglichkeit der Harmonisierung beider Sichtweisen an, wenn er einerseits die Unsterblichkeit der individuierten Seele postuliert, er andererseits aber unter Rekurs auf die aristotelische Philosophie ausführt, dass weder die losgelöste Seele noch der Leichnam mit dem Menschen an sich gleichzusetzen ist. Durch die für Thomas grundlegende Bedeutung der aristotelischen Metaphysik stellt sich jedoch das Problem, wie die Seele als Form des Körpers i. S. eines Individuums den T. überdauern kann – denn versteht man die aristotelische Form als Wesen der Dinge, das die Merkmale umfasst, die den Menschen per Definition zum Menschen machen, dann zeichnet sich die Form gerade durch ihre überindividuelle Universalität aus. Die individuierte Menschenseele müsste also – ein Problem, das bereits Avicenna thematisiert hatte – durch die Trennung vom Leib ihre Individualität einbüßen und zu einer Allseele zurückkehren. Thomas begegnet diesem Problem in kritischer Auseinandersetzung mit Aristoteles und Avicenna, indem er neben dem Dualismus von Form und Materie den bereits bei Aristoteles angelegten Dualismus von Akt und Potenz herausarbeitet. Individuierte Formen i. S. v. individuellen und materiefreien, weil körperlosen, Menschenseelen werden dann dadurch denkbar, dass sie nicht wie Gott reiner Akt sind, sondern Akt und Potenz gleichermaßen beinhalten. Daher betont Thomas unter Verweis auf Avicenna, dass der Körper „die Individuation und Multiplikation der Seelen“ bedeute (De ente et essentia V) und dass diese Individuation nach dem T. bestehen bleiben müsse.

Die Behandlung des T.es im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit steht einerseits noch in der mittelalterlich-scholastischen Tradition, andererseits findet seit der Renaissance eine verstärkte Auseinandersetzung mit Platon statt. So beschreibt etwa Giovanni Pico della Mirandola in platonischer Perspektive den T. als die Rückkehr der Seele aus dem Dunkel ins Licht; Paracelsus sieht im T. die Verwandlung des Menschen in eine höhere Seinsweise. Infolge der Umwälzungen der Reformationszeit (Reformation) rücken in der philosophisch-theologischen Diskussion des T.es bestimmte Problemkomplexe stärker in das Blickfeld, was v. a. das Spannungsfeld von Gnaden- oder Prädestinationslehre betrifft. So richtet sich das Augenmerk bes. auf die eschatologische Bedeutung des T.es als Endpunkt der Möglichkeit von verdienstlichem oder missverdienstlichem, d. h. heilsrelevantem Handeln.

7. Verschiebung der philosophischen Todesdeutung in der modernen Philosophie

Ab dem 17. Jh. tritt der T. als ethisches Konzept unter Loslösung von der Theologie verstärkt in Erscheinung, wobei die Trennung von der Theologie den Blick auf den T. grundlegend verändert. Neben der Beschreibung des T.es als der Zerstörung einer komplizierten mechanischen Apparatur in der Tradition René Descartes’ bilden bes. zwei ethische Gesichtspunkte wiederkehrende Motive: einerseits die Verzweiflung des Menschen angesichts seines unausweichlichen Endes, andererseits die Bedeutung des T.es als Motiv für moralisches Handeln und für das Aufrechterhalten der gesellschaftlichen Ordnung. Ein Beispiel, das beide Aspekte zusammenbringt, liefert Adam Smith, wenn er den T. als ein Prinzip der menschlichen Natur beschreibt: „And from thence arises one of the most important principles in human nature, the dread of death, the great poison to the happiness, but the great restraint upon the injustice of mankind, which, while it afflicts and mortifies the individual, guards and protects the society“ (Smith 1984: 1, 1,13).

Im Gefolge der aufkommenden Naturwissenschaften gerät die Frage nach der Beschaffenheit der Seele wieder stärker in den Vordergrund. Während R. Descartes noch von einer substanziellen Seele spricht, ist gerade eine solche Substanz Gegenstand der ersten Kritik Immanuel Kants. Dabei verneint I. Kant zwar nicht das mögliche Fortbestehen des Menschen nach dem T., alle Aussagen über diesen Sachverhalt werden aber aus dem Feld der cartesischen mechanistisch-theoretischen Philosophie herausgenommen und finden sich nun in Form eines Postulats der praktischen Vernunft.

Johann Gottlieb Fichte lehnt den T. auf fundamentale Weise ab, wenn er ausführt, dass alles Leben und Sterben in der Natur nur ein Schein sei. Das nach Seligkeit strebende Ich sei nur unsterblich denkbar. Es ist aber bes. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der den T. als philosophisches Problem wieder in den Vordergrund rückt, indem er ihn als Übergang des Menschen in die Welt des überindividuellen „Geistes“ begreift und ihm damit eine systematische Stellung in seiner Philosophie einräumt. Bei G. W. F. Hegels Schüler und Kritiker Sören Kierkegaard wird der T. letztendlich zu einer bestimmenden Kategorie der Existenzphilosophie erhoben. Erst mit Blick auf den T. lasse sich das menschliche Leben deuten und verstehen – ein Ansatz der in der Philosophie Martin Heideggers oder Karl Jaspers weiter vertieft wird.

Die philosophische Deutung des T.es bewegt sich in der Gegenwart v. a. zwischen Ansätzen der Existenzphilosophie und Phänomenologie, des Poststrukturalismus, der Kulturphilosophie und der Anthropologie, wobei für die Philosophie auch die Auseinandersetzung mit der Theologie und der Literatur bedeutsam ist, die beide zentrale Erfahrungen der Menschen mit Sterben und T. verarbeiten. Von aktueller philosophischer Relevanz ist das Thema des T.es in den zeitgenössischen Diskussionen der angewandten Ethik. Bes. zu nennen wären hier Fragen nach der Erlaubnis von Sterbehilfe oder Freitod (Suizid), nach künstlicher Verlängerung des Lebens sowie nach Abtreibung (Schwangerschaftsabbruch), Eugenik und den ethischen Rahmenbedingungen von gentechnischer Manipulation des Menschen (Gentechnik).

II. Kulturphilosophisch

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1. Antike Todestrauer und christliche Hoffnung

Entgegen dem Bild olympischer Heiterkeit, das seit dem Zeitalter der Klassik von der antiken Götterwelt vorherrscht, zeichnet der Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen in seiner „Unsterblichkeitslehre der orphischen Theologie“ (1958) ein ganz anderes Bild: „Ein Zug der tiefsten Melancholie geht durch die ganze alte Naturbetrachtung, und an alle ihre Erscheinungen, der Vögel Flug und Gesang, des Wassers Geräusch, der Blumen Farben, der Bäume Seufzen knüpft sich der Gedanke der Trauer und des Kummers. Darum sind auch die Harzbäume, wie Tannen und Fichten, Dionysos besonders geweiht, die Harze überhaupt von hoher religiöser Bedeutung und kultischer Anwendung“ (Bachofen 1958: 76 f.). Über die mythischen Kulte hinaus erscheint die außermenschliche Natur wie ein Spiegel der menschlichen Trauer: „Überall zeigt sich dieselbe Grundidee: das Leben ist zugleich der Tod; Venus auch Libitina; Aphrodite auch die Menschenmörderin; der Mond zugleich die Quelle des Werdens und Vergehens, lieblich und weiß in jener, häßlich, erschreckend und schwarz in dieser Funktion“ (Bachofen 1958: 144).

Ganz anders das Bild der Natur etwa in den Psalmen: Obwohl die Bibel den Sündenfall kennt, weiß sie nicht allein gleichsam um ihre Nachtseite, um Blitz und Donner, Gewölk und Finsternis, sondern um Sonnenglanz und Erntesegen – als Schöpfung Gottes. Und so deutet auch der Apostel Paulus ihre Vergänglichkeit im Licht der Erlösung und Vollendung: „Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum gegenwärtigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht“ (Röm 8,19–24)?

2. Gottesferne und barocke Traurigkeit

Aufgrund der Hoffnung auf Auferstehung hat das Christentum seinen Siegeszug in der Antike angetreten. Doch schon im frühen Mittelalter erscheint jene Hoffnung eigentümlich verdüstert, wie der Liturgiewissenschaftler Josef Andreas Jungmann SJ in einer Abhandlung über „Karolingische Frömmigkeit“ vermerkt: „Man ist überrascht von der Stimmung einer ausgesprochenen Gottesferne, die durch das Denken und das Beten dieser Männer geht, die so Großes für die Kirche Gottes geleistet haben, ja die ein neues Zeitalter der Kirche heraufgeführt haben. Der Kontrast ist offenkundig gegenüber dem, was wir als Erbe der Vorzeit kennen und was gerade in der gewissenhaft gepflegten und gehüteten römischen Liturgie weitergegeben, aber offenbar nicht mehr realisiert wird. In der Liturgie ist eindeutig ein österlicher Grundzug, das Hauptgebet freudiges Danken für Gottes erbarmende Güte, alles Beten ein vertrauensvolles Hintreten vor Gott im Aufblick zu Christus dem Mittler, der in der Herrlichkeit des Vaters lebt und herrscht. Hier dagegen eine Stimmung, als ob Christus noch nicht gekommen wäre – obwohl sein Name so oft genannt wird“ (Jungmann 1991: 72).

Nicht allein sein Name wird im ausgehenden Mittelalter und in der Neuzeit oft genannt. Ebenso finden sich zahlreiche Bilder, die die Kindheit Jesu, sein Wirken auf Erden, bes. eindrucksvoll seinen T. am Kreuz darstellen. Weniger ein Symbol der Erlösung, des österlichen Triumphes über den T., erscheint es im Barockzeitalter als ein Sinnbild der Vergänglichkeit, ja als Allegorie der eigenen Schuld, die dem Betrachter vor Augen steht. „Dem allegorisch Bedeutenden ist es durch Schuld versagt, seine Sinnerfüllung in sich selbst zu finden“ (Benjamin 1974: 398), konstatiert der Philosoph Walter Benjamin in seiner Abhandlung „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ (1974). Diese Anschauung sieht W. Benjamin „in der Lehre von dem Fall der Kreatur, die die Natur mit sich herabzog“ (Benjamin 1974: 398), begründet. „Weil sie stumm ist, trauert die gefallene Natur. Doch noch tiefer führt in das Wesen der Natur die Umkehrung dieses Satzes ein: ihre Traurigkeit macht sie verstummen. Es ist in aller Trauer der Hang zur Sprachlosigkeit und das ist unendlich viel mehr als Unfähigkeit oder Unlust zur Mitteilung. Der Traurige fühlt sich durch und durch erkannt vom Unerkennbaren“ (Benjamin 1974: 398). Anders als der Beter von Ps 139, der im Unerkennbaren die Allgegenwart Gottes gewahrt, zeugt „der Hang zur Sprachlosigkeit“ von einem Mangel an Selbstvertrauen, ja Gottvertrauen, der seinen Niederschlag im Gebet gefunden hat. Darauf hat der Jesuitenprediger und Philosoph Sigismund von Storchenau in einer Auslegung des Gebets zum Vater mit Blick auf Lk 7,50 verwiesen, insofern Jesus „nicht sprach: ‚Meine Macht und Güte‘, sondern euer Glaube hat euch geholfen. […] Hingegen kann man auch mit Wahrheit sagen, der Mangel des Vertrauens sei meistenteils die Ursache, wenn heute die Gebete der Christen so fruchtlos sind. Man betet viel, aber hofft wenig“ (Storchenau 1784: 261).

Entgegen dem Sprichwort, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, geht ihr Schwinden in einer Zeit tiefer Volksfrömmigkeit der Erosion des Glaubens voraus, des Glaubens an Gottes Vorsehung und Walten in der Geschichte. Kaum zufällig folgte nur wenige Jahre später die Französische Revolution; und „der Ausfall aller Eschatologie“ (Benjamin 1974: 259), wie ihn W. Benjamin im Hinblick auf das Barockzeitalter registrierte, sollte in Georg Wilhelm Friedrich Hegels Philosophie zum Programm erhoben werden.

3. Die große Stille

So ergreifend die Bilder der Verklärung von Nacht und T. in der Romantik erscheinen, es sollte nicht beim Zauber der Empfindung bleiben; am Ende steht die bewusste Bejahung des T.es. So in einem nachgelassenen Fragment Friedrich Nietzsches aus dem Jahre 1881: „Grundfalsche Werthschätzung der empfindenden Welt gegen die todte. Weil wir sie sind! Dazu gehören! Und doch geht mit der Empfindung die Oberflächlichkeit, der Betrug los: was hat Schmerz und Lust mit dem wirklichen Vorgange zu schaffen! – es ist ein Nebenher, welches nicht in die Tiefe dringt! Aber wir nennen’s das Innere und die todte Welt sehen wir als äußerlich an – grundfalsch! […] Es ist ein Fest, aus dieser Welt in die ‚todte Welt‘ überzugehen […]. Ist dies Selbstverneinung der Empfindung, im Intellekte? Der Sinn der Wahrheit ist: die Empfindung als die äußerliche Seite des Daseins zu verstehen, als ein Versehen des Seins, ein Abenteuer. Es dauert dafür kurz genug! Laßt uns diese Komödie durchschauen und so genießen! Laßt uns die Rückkehr in’s Empfindungslose nicht als einen Rückgang denken! Wir werden ganz wahr, wir vollenden uns. Der Tod ist umzudeuten! Wir versöhnen [uns] so mit dem Wirklichen das heißt mit der todten Welt“ (Nietzsche 1973: 366, Herv. i. O.).

Die Versöhnung mit der T.es-Wirklichkeit erübrigt die Versöhnung mit Gott „durch den Tod seines Sohnes“ (Röm 5,10; 2 Kor 5,18). Nicht dessen Zeugnis (Joh 18,37; Offb 1,5; 22,9; 1 Tim 6,13) gilt; vielmehr bedeutet „der Tod das höchste und äußerste Zeugnis des Seyns“ (Heidegger 1989: 284). Wenn uns noch eine Geschichte geschenkt sein solle, erkennt Martin Heidegger im „Vorblick“, „dann kann dies nur die verborgene Geschichte der großen Stille sein […]. Also muß erst die große Stille über die Welt für die Erde kommen. Diese Stille entspringt nur dem Schweigen“ (Heidegger 1989: 34). Sie ist über die Welt hereingebrochen, vor den Krematorien in Auschwitz offenbar geworden, gemäß den Aufzeichnungen der jüdischen Ärztin Sima Vaisman: „[…] wir hören noch ein paar Schreie und ein paar Hilferufe, ein paar Namen, die im Angesicht des Todes gebrüllt werden, und dann legt sich auf alles eine tiefe Stille, eine Totenstille […]“ (Vaisman 2008: 32). Mehr als 100 Jahre zuvor hat sie nach Georg Büchners Erzählung „Lenz“ (1958) der verwirrte Dichter Lenz auf dem gemeinsamen Weg mit dem Pfarrer Oberlin vernommen: „‚Sehn Sie, Herr Pfarrer, wenn ich das nur nicht mehr hören müßte, mir wäre geholfen.‘ – ‚Was denn, mein Lieber?‘ – ‚Hören Sie denn nichts? Hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille heißt? Seit ich in dem stillen Tal bin, hör ich’s immer wieder, es läßt mich nicht schlafen; ja, Herr Pfarrer, wenn ich wieder einmal schlafen könnte!‘“ (Büchner 1958: 110). Nicht erst den Toten wird durch die Totenstille die Ruhe genommen.

4. Die Detonation des Schweigens: Christliche Todesüberwindung

Neu ist das Bündnis mit dem T. nicht; nach Jes 28,15 haben es die Spötter in Jerusalem geschlossen, worauf der Prophet Jesaja mit der gewaltigen Vision vom Grundstein in Zion antwortet (Jes 28,16–22), die das NT nach Röm 9,33, 1 Petr 2,6 und Apg 4,11 auf Christus bezieht, „der von den Toten auferweckt worden [ist] als der Erste der Entschlafenen“ (1 Kor 15,20) – „Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter die Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod“ (1 Kor 15,25 f.). Ebenso erfolgt seine Entmachtung nach Offb 20,13 f. im Zeichen des Gerichts: „Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Der Tod und die Unterwelt aber wurden in den Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod: der Feuersee“. So kann auch der Apostel Paulus mit prophetischen Worten jubeln: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15,54 f.).

„Der Stachel des Todes aber ist die Sünde“ (1 Kor 15,56); daher die Melancholie, eine abgründige Trauer, die von der T.es-Verfallenheit des menschlichen Daseins zeugt. Ganz anders die urchristliche Auffassung des T.es, die den eigenen T. als Teilhabe an der erlösenden Kraft des T.es Christi begreift: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen“ (Phil 3,10 f.). Ganz in diesem Geiste vermerkt der heilige Cyprian von Karthago in einem Brief über das christliche Martyrium zu Christus: „Er war beim Kampf zugegen und richtete die Vorkämpfer und Verteidiger seines Namens auf, stärkte und ermutigte sie. Er hat einmal für uns den Tod besiegt und besiegt ihn immer wieder in uns“ (Cypr. epist. 10,2 f.). Aus dem Geiste Christi durchbricht „die große Stille“ Olivier Messiaens „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ (1964). Und einer „Detonation des Schweigens“ (Anglet 2008) gleichen die Kompositionen und Sinfonien Galina Ustwolskajas (ab 1969); so ertönt über die Abgründe der Geschichte und dem Kult der Geschichtlichkeit (Geschichte, Geschichtsphilosophie) hinweg etwa in „sinfonie nr. 2 ‚wahre, ewige seligkeit‘ (für orchester und solostimme)“ die Anrufung Gottes nach Versen Hermanns des Lahmen: „O! Herr!/Wahre und selige Ewigkeit!/Ewige und selige Wahrheit!/Wahre, ewige Seligkeit!/O! Herr!“ (zit. n. Holzer/Marković 2013: 92).

III. Medizinethisch

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1. Ausgangspunkt

Der T. wurde bis in unsere Zeit als Ende aller beobachtbarer biologischer Eigenschaften verstanden, die Leben kennzeichnen, also als das Aufhören von Atmung, Herzschlag und Gehirntätigkeit. Sobald der T. eingetreten ist, endet die Existenz eines Lebewesens. Philosophisch dagegen ist umstritten, ob der biologische T. zugleich das Ende der Existenz der menschlichen Person bedeutet. Das Ringen mit der Endlichkeit des Lebens zeigt sich auch in der Sehnsucht nach einem Heilmittel, unsterblich zu werden (griechisch: pharmakon athanasias). Angesichts neuer technischer Entwicklungen behaupten manche Transhumanisten (Transhumanismus) sogar, dass der biologische T. überwunden werden könne. Die medizinische Möglichkeit der Organtransplantation hat darüber hinaus das klassische Herz-T.-Kriterium hinfällig werden lassen. Darum gibt es derzeit weltweit Diskussionen, wann genau der Sterbeprozess abgeschlossen ist.

2. Klassische philosophische Debatten

Seit Pythagoras sind T. und Leib-Seele-Problem eng miteinander verknüpft. Dualistische Positionen (z. B. Platon, Augustinus, René Descartes) verstehen den menschlichen T. entweder als Durchgangstadium i. S. einer Seelenwanderung, so Platon, oder als Trennung von Leib und Seele, wobei die Seele unsterblich ist (R. Descartes). Hylemorphistische Positionen (Aristoteles, Thomas von Aquin) verstehen die Seele als gestaltgebende Form (morphe) des Körpers (hyle), also als das Prinzip, das dem Körper sein Leben verleiht. Darum ist der T. das Ende der irdischen Existenz des Menschen. Die Geistseele ist nach Aristoteles zwar unsterblich, ohne freilich ihre individuelle Signatur zu behalten. Für Thomas ist sie als anima separata nicht das individuelle Ich, weshalb er von einer leiblichen Auferweckung durch Gott ausgeht. Immanuel Kant postuliert die Unsterblichkeit der Seele nur praktisch, theoretisch sei sie unbeweisbar. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel wendet sich der Blickwinkel, da der Einzelne nur Moment in der Geschichte Gottes ist. Der T. ist damit das absolute Ende des Individuums. Für die einen, so bereits in der Antike Epikur, ist dies jedoch unproblematisch, weil wir den T. nicht erleben, weshalb er uns auch nicht schaden kann. Die moderne Existenzphilosophie in Martin Heideggers Fassung versteht den T. als das Ereignis, das unsere gesamte Existenz bestimmt, weshalb unsere Grundstruktur ein „Sein zum Tode“ (Heidegger 2006: 255) ist. Indem wir uns durch die Grenze „T.“ unserer Endlichkeit bewusst werden, sind wir herausgefordert, unsere je eigene Lebensgeschichte zu schreiben. Bereits Gottfried Wilhelm Leibniz hatte herausgearbeitet, dass der T. unser Sein abschließt, das aus der Gesamtheit der Lebensereignisse konstituiert ist. Der T. ist also gewissermaßen die Vollendung nicht nur der eigenen Lebensgeschichte, sondern unseres Seins selbst. Wäre Aristoteles nicht der Lehrer Alexanders gewesen, so wäre er nicht der Aristoteles, der er gewesen ist.

Wenn mit dem T. das Sein des Menschen bestimmt ist, hat dann der Einzelne ein Recht, selbst seinen T. herbeizuführen (Freitod [ Suizid ]), oder ist die Selbsttötung ein Verbrechen gegen sich selbst und andere (Selbstmord)? Abhängig von weltanschaulichen Grundüberzeugungen wird entweder die grundsätzliche Freiheit, über den T. zu verfügen, betont oder aber die Heiligkeit des Lebens in der Weise angenommen, dass niemand das Recht hat, das eigene Leben zu beenden, da er dieses nicht sich selbst verdankt.

3. Neue Herausforderungen

Neue Möglichkeiten, z. B. Organtransplantationen oder die Lebensverlängerung mittels neuer gentechnischer Verfahren (CRISPR/Cas), schärfen das Bewusstsein für die soziale Dimension des T.es (Gentechnik). So ist gesellschaftlich umstritten, wann ein Mensch tot ist. Ist er bereits tot, wenn der Teil des Gehirns abgestorben ist, der für Bewusstseinsvollzüge nötig ist (Teilhirn-T.-Hypothese), oder wenn sein ganzes Gehirn tot ist (Ganzhirnhypothese) oder erst, wenn der Kreislauf des Körpers trotz maschineller Unterstützung zusammenbricht. Wer freilich letztgenannte Position vertritt, müsste konsequenterweise auch einen enthaupteten Menschen als lebendig verstehen, falls es technisch möglich wäre, Stoffwechselvorgänge in dessen Restkörper aufrecht zu halten.

Ganz neu zeichnet sich zudem die Frage ab, ob wir neue gentechnische Möglichkeiten nutzen sollten, um unsere Lebensspanne wesentlich zu verlängern. Was beim W…urm Caenorhabditis elegans bereits heute möglich ist, nämlich die Lebenszeit mit Hilfe gentechnischer Eingriffe zu vervierfachen, ist zumindest theoretisch auch beim Menschen denkbar. Dies hätte gewaltige soziale Auswirkungen.

IV. Theologisch

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1. Das natürlichste aller Dinge?

Bei allen individuellen Unterschieden – die Tragik des plötzlichen T.es in jungen Jahren, der T. als Ruhe nach einem erfüllten Leben, der T. als durch Krankheit und Seuchen stets drohende Gefahr – gilt: Der T. gehört zum Leben. Memento mori – „Gedenke, dass du sterben wirst!“ –, daher pflegt man im Mittelalter und der frühen Neuzeit die Ars moriendi, um wohl vorbereitet dem T. entgegenzugehen, der als „Ende“ und „Vollendung“ der „irdischen Pilgerschaft“ und so als „Heimgang“ interpretiert wird. So sehr der T. zum Leben gehört, so wenig wird er zur „natürlichsten Sache der Welt“ bagatellisiert. Denn der T., der große Gleichmacher, kommt immer „zu früh“ (vgl. den „Danse macabre“ [1874] von Camille Saint-Saëns). Mit der Zeit der Aufklärung und der damit verbundenen „Professionalisierung des Alltagslebens“ verschiebt sich nicht nur die Sterbe- und Bestattungskultur (Leichensektionen, Feuerbestattung, gewerbliche Bestattungsunternehmen), der Umgang mit dem T. „säkularisiert“ sich. Darauf gibt in der Gegenwart eine individualisierte und pluralisierte Trauer- und Bestattungskultur (Bestattung, Friedhof) ebenso Hinweise wie die aktuelle Kinder- und Jugendliteratur. Der T. als Entmächtigung erhält gerade angesichts der modernen technisch-medizinischen Möglichkeiten wie der aktuellen Erfahrung der COVID-19-Pandemie neue Relevanz; er bleibt der Stachel im Fleisch auch jener menschlichen Allmachtsphantasien, die vom „ewigen Leben“ dank Cyperspace und KI träumen.

2. Christliche Rede über den Tod

Alles christliche Sprechen über den T. hat seinen Ausgangspunkt in den Texten der Bibel. Himmel, Hölle, Fegefeuer, Gericht und das Ende der Welt – in einprägsamen Bildern wird inszeniert, was unsere Assoziationen bis heute inspiriert. Sie sind das Ergebnis einer Lerngeschichte. Die individuelle Auferstehungshoffnung (Jes 26,19; Dan 12,2; Weish 2,24–3; 12; 2 Makk 7,1–42), die die traditionelle Idee des „lebenssatten“ Sterbens (Gen 25,8; 35,19; Ijob 42,17) und damit des – im Gegensatz zum vorzeitigen T. – „guten“ T.es ergänzt, ist ein spätes Erbe dieses Lernprozesses. Nur langsam setzt sich der Gedanke durch, dass für Gott auch die Scheol, der Ort der Gottesferne, und daher das nichtige Schattendasein (Ijob 7,7–10; Ps 89,49 f.) als T.es-Schicksal des Menschen kein „Bereich“ jenseits seiner Herrschaft sein kann (Jes 38,18–20; Ps 6,5 f.; 30,10 f.; 88,10–14 bzw. Am 9,2; Ps 139,7), denn erst angesichts des besiegten T.es (Jes 25,8) bricht sich Gottes wahre Schöpfermacht endgültig Bahn. Die Auferstehungshoffnung steht in der Konsequenz der Gottesvorstellung (Gott, den man als befreienden Gott-für-die-Menschen erkannt hat, den man als Schöpfer des Himmels und der Erde lobt, auf dessen Treue man vertraut), bestimmt daher auch die christologische Konzentration des NT. Diese dimensioniert auch das christliche T.es-Verständnis neu: Der T. als letzter Feind des Menschen ist durch den T. Jesu Christi besiegt (Rom 5,14.17; 6,9; 1 Kor 15,26), die Beziehungslosigkeit des T.es durch die in Christus sichtbar gewordene Gottesnähe überwunden (Auferstehungsbekenntnis; Apg 2,32; 1 Kor 15) und jeder Gläubige hat (sakramental, durch Taufe und Eucharistie [ Sakrament ]), Anteil daran (Joh 11,25 f.; Röm 6,8–11; Kol 2,11–13.20). Durch den unaufgebbaren Christusbezug wird zugleich eine spezifische Deutung des T.es relevant: Die allgemeine Sterblichkeit des Menschen wird in engster Verbindung zur allgemeinen Sündigkeit gestellt. Der T. ist „der Sünde Sold“ (Röm 6,23). Diese traditionelle, im Judentum bereits vorgebildete, auf Paulus (Röm 5,12–21) rekurrierende Formel hält fest, dass der T. nicht einfach nur als kreatürliches Phänomen, sondern als theologische Größe interpretiert werden muss.

3. Ansätze einer christlichen Theologie des Todes

Bei Karl Rahner erhält der T. eine eigenartige Doppeldeutigkeit, indem er eine „Einheit von Tat und Schicksal, Ende und Vollendung, gewolltem und erlittenem Tod, […] in einem gewissen Sinne Entpersönlichung, Sichverlieren, Untergang und gleichzeitig die Fülle totalen Sich-in-Besitz-Nehmens der Person“ (Rahner 2004: 368) darstellt. Der Mensch kann den T. Adams oder den T. Christi sterben. Der T. Christi als Gehorsamstat des Sohnes aber ist die Tat der Gnade Gottes, und ist so zu einer real-ontologischen Neubestimmung der ganzen Welt geworden. Denn durch den T. Christi wird der T. selbst verwandelt: „Das schreckliche Fallen in die Hände Gottes, das der Tod als In-Erscheinung-Treten der Sünde zu bleiben scheint, ist in Wirklichkeit das ‚in Deine Hände empfehle ich meinen Geist‘“ (Rahner 2004: 387). Auf dieser christologischen Basis kann der T. daher auch als Tat des Menschen, als Vollendung seiner Freiheitsgeschichte verstanden werden: Der „Tod ist so Vollendung als die Totalität der einmaligen Freiheitstat im Leben in der Erfahrung der totalen Verfügtheit“ (Rahner 2002: 427).

Die Theologie des T.es von Eberhard Jüngel ist als Konzept des „Ganztodes“ bekannt geworden: Der T. ist als absolute Verhältnislosigkeit mit der vollkommenen Vernichtung des Menschen identisch, denn der „tote Mensch ist seinem Gott immer entfremdet. Und ohne Gott wird alles verhältnislos“ (Jüngel 1993: 100). „Auferstehung“ kann in dieser Perspektive nur als absolute „Neuschöpfung“ des Menschen durch Gott verstanden werden, weil er allein aus der Verhältnislosigkeit ein neues Verhältnis schafft. Die Thesen E. Jüngels haben Nachfragen ausgelöst. Die absolute „Vernichtung“ des Menschen im T. scheint sowohl dem Theologumenon der Treue Gottes zu widersprechen als auch die Frage nach der bleibenden Identität der menschlichen Person zu stellen. Gründet sie allein in der „Verewigung in Gottes Gedächtnis“ (Jüngel 1993: 153), wird die Verhältnisbestimmung von aktiver Beziehungsmöglichkeit und passiver Bezogenheit des Menschen in ihrer Identität stiftenden Funktion aporetisch.

Für Joseph Kardinal Ratzinger stellt sich das Phänomen T. „in drei sehr verschiedenen Dimensionen“ dar: „1. Tod ist anwesend als die Nichtigkeit einer leeren Existenz, die auf ein Scheinleben hinausläuft. 2. Tod ist anwesend als der physische Prozeß der Auflösung, der das Leben durchzieht, in Krankheit spürbar wird und im physischen Sterben zum Abschluß kommt. 3. Tod begegnet im Wagnis der Liebe, die sich selbst zurücklässt und an den anderen weggibt; er begegnet in der Preisgabe des eigenen Vorteils zugunsten von Wahrheit und Gerechtigkeit“ (Ratzinger 2007: 85). Auch hier impliziert Christi T. die entscheidende Wende: denn „Christus stirbt nicht in der noblen Gelassenheit des Philosophen; er stirbt schreiend, nachdem er die ganze Angst des Alleingelassenen verkostet hat. Der Hybris des Gott-gleichen-Wollens steht die Annahme des Menschseins bis ins Letzte hinab gegenüber (Phil 2,6–11)“ (Ratzinger 2007: 91). Wo daher der Mensch nicht einfach sich seine „kleine Unsterblichkeit“ baut, „sich selbst so viel vom Leben nehmen [will], dass es genügt“, sondern sich Anteil geben lässt, an jenem „Sterben, das Glaube und Liebe als Annehmen und Annehmenlassen meines Lebens durch Gott ist“ (Ratzinger 2007: 88 f.), erlangt er „Unsterblichkeit“: „Das christliche Unsterblichkeitsverständnis geht entscheidend vom Gottesbegriff aus und hat deshalb dialogischen Charakter“ (Ratzinger 2007: 132).

Das christliche T.es-Verständnis ist so geprägt vom personalen Aspekt menschlichen Lebens als geistlich-leibhaftiges, geschichtlich-freiheitliches Mit- und In-der-Welt-Sein, in einmalig-konkreter Weise vollzogener menschlicher Gottesbeziehung (im Gegensatz zum ostasiatischen Reinkarnationsgedanken). Solchermaßen relational konzentriert provoziert es mit der Zusage, dass sich die Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was kommen wird, nicht durch unser Zutun, sondern nur durch das liebende Tun (Liebe) eines ganz Anderen schließen wird. Gerade in diesem Modus der Hoffnung aber wahrt es das entscheidende „Humanum“ (u. a. Tötungsverbot, Anspruch auf ein menschenwürdiges Sterben).