Technikphilosophie

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T. ist die philosophische Auseinandersetzung mit der Technik und dem Technischen i. S. einer Philosophie der Technik. Sie dient der Begriffsklärung, in ihren traditionellen Varianten der Bestimmung des Wesens der Technik, der Analyse von Handlungsbedingungen in einer wissenschaftlich-technischen Gesellschaft und der Begründung von Normen für den Umgang mit der Technik. Sie umfasst metaphysische, anthropologische, erkenntnis- und wissenschaftstheoretische sowie ethische Aspekte. Ihre Ergebnisse gehen in die Politikberatung ein.

1. Technikbegriff

Der Technikbegriff ist komplex und in zahlreichen Varianten bestimmt worden. Im Wesentlichen geht es in der Technik um Entstehung und Verwendung von Sachsystemen sowohl materialer als auch prozessualer Art. In diesem Sinne kommt Günter Ropohl zu der Definition, dass Technik die Menge „der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme)“, die Menge „menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen“ und „die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden“ umfasse (Ropohl 1991: 18). Die Versuche, den Technikbegriff essentialistisch i. S. einer Globaldeutung zu klären, werden dem mit zahlreichen Bereichen des sozialen Lebens verzahnten Phänomen der Technik nicht gerecht. Dies gilt auch noch für Auffassungen wie die Arnold Gehlens, der ältere Bestimmungen vom Menschen als Mängelwesen aufnimmt, aber positiv deutet, denn der Mensch ist wegen seiner Organmängel nicht an eine spezialisierte Umwelt gebunden, damit aber auch nicht von deren Stabilität abhängig. Er kann sich vielmehr als vernünftiges Wesen durch Einsatz von Technik eine künstliche Umwelt schaffen. Technik kann als Organersatz („Ergänzungstechniken“, z. B. Waffen) dienen, als Organverstärkung („Verstärkertechniken“, z. B. Hämmer, Mikroskope) und als Organentlastung bzw. Organausschaltung („Entlastungstechniken“, z. B. Fahrzeuge); ein Flugzeug erfüllt alle drei Aufgaben (Gehlen 1957: 8). A. Gehlen stellt in seinen sozialpsychologischen Untersuchungen eine Entwicklung zu Automatismen fest, die mittels kybernetischer Regelkreismodelle rekonstruiert werden können.

Die neuere T. geht nicht mehr davon aus, dass Technik eine universal-anthropologische Konstante ist. Ihre Ausformungen sind historisch bedingt, sie ist von ökonomischen, politischen, ökologischen und sozialpsychologischen Faktoren abhängig. Technische Prozesse lassen sich i. S. systemtheoretischer (Systemtheorie) und kybernetischer Kreislaufprozesse deuten. Technik unterliegt den Kriterien für Wissenschaftlichkeit (Technologie, Technikwissenschaft) und ist durch die Normen guten Handelns geregelt (Technikethik). Die Probleme bei der Bestimmung eines generalisierenden Technikbegriffs („die Technik“) führen Armin Grunwald und Yannick Julliard dazu, die übliche Frage „Was ist Technik?“ als falsch gestellt zu bezeichnen. Die Frage müsse vielmehr heißen „Was meinen wir, wenn wir generalisierend über Technik reden?“: „An den Techniken, über die lebensweltlich eine Verständigung unproblematisch möglich ist, wird ‚das Technische‘ durch eine reflexive Abstraktion bestimmt. Das Ergebnis dieser Reflexion wird sodann durch den Begriff ‚Technik‘ abkürzend begrifflich gefasst“ (Grunwald/Julliard 2005: 140). Der Technikbegriff sollte also als „Reflexionsbegriff“ aufgefasst werden.

Als eigenständige philosophische Subdisziplin hat sich die T. seit dem letzten Drittel des 19. Jh. etabliert, wenngleich ihre Gegenstände seit der Antike in unterschiedlichen philosophischen Diskurszusammenhängen behandelt wurden. Den Beginn der „thematischen“ T., die „Technik ausdrücklich ins Zentrum philosophischer Betrachtungen“ stellt (Ropohl 1991: 11), markieren die „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ (1877) von Ernst Kapp. Für E. Kapp ist Technik „Organprojektion“, wobei er unter „Projektion“ das „Vor- oder Hervorwerfen, Hervorstellen, Hinausversetzen und Verlegen eines Innerlichen in das Aeussere“ (Kapp 1877: 30) versteht. Mit Technik werden Organfunktionen bewusst oder unbewusst auf Artefakte (Werkzeuge, Apparate, Maschinen, Systeme, auch den Staat) übertragen, damit nach außen verlagert und in ihrer Effizienz gesteigert.

Wesentliche Grundlagen der T. wurden in der antiken Philosophie gelegt, v. a. in der Aristotelischen Handlungstheorie (metaph. 1070a; NE 1139b1–1140b30). Für Aristoteles dient das Herstellungshandeln (poiesis) der Erstellung eines Werkes, das den Herstellungsprozess überdauert. Ermöglicht wird dies durch die téchne, im engeren Sinne ein erlernbares Können, hier, etwas herzustellen. Das Herstellungshandeln wird von einem Handeln unterschieden, das sein Handlungsziel im Vollzug der Handlung selbst erreicht (praxis). Letzteres beruht auf moralisch-praktischem Wissen (phronesis). Es ist paradigmatisch im politischen oder juristischen Handeln gegeben. Aristoteles unterschied poiesis und praxis von der Naturforschung, deren Gegenstand unveränderlich, also „notwendig“ ist. Sie zielt auf theoretisches Wissen (episteme).

2. Mittel, Zwecke und Ziele

Zentral für die Aufgabenbestimmung von Technik ist das Zusammenspiel von Mitteln, Zwecken und Zielen. Technische Artefakte und Prozesse sind Mittel, Bedürfnisse zu befriedigen und Probleme zu lösen. Sie sind zweckhafte Gegenstände, bezwecken also die Erreichung von gesetzten Zielen. Die Zweck-Mittel-Relation ist offen. Gleiche Zwecke können durch unterschiedliche Mittel erfüllt werden. Ein technisches Mittel kann aber auch unterschiedlichen Zwecken dienen. In der Zweck-Mittel-Relation ist ein kausales Verhältnis zwischen verursachendem Mittel und bewirktem Zweck gegeben. Die Zweck-Mittel-Relation unterliegt damit dem Induktionsproblem, womit eine Unsicherheit von Prognosen etwa über die Funktionstüchtigkeit technischer Hilfsmittel einhergeht, die u. U. nicht die angestrebte Wirkung erzielen. Die Unsicherheit äußert sich aber auch in nicht-intendierten und nicht-antizipierten Nebenfolgen, die den Einsatz eines Gerätes in Frage stellen oder eine Perspektive auf neue Zielsetzungen eröffnen können. Das erreichte oder zu erreichende Ziel kann selbst Ausgangspunkt für die Setzung neuer Ziele sein, damit zum Zweck werden.

Die Zweckhaftigkeit der Technik hat dazu verleitet, gerade in ihr den Unterschied zur vorgeblich zweckfreien Naturforschung zu sehen. Für Friedrich Dessauer z. B. sind technische Artefakte und Prozesse gerade durch ihre Finalität gekennzeichnet. Dies wird wissenschaftstheoretisch bestritten unter Verweis auf Wechselwirkungen zwischen Technik und Naturwissenschaften, die bis zur Konstitution naturwissenschaftlicher Gegenstände durch apparategestützte Methoden geht. Die neuzeitlichen Naturwissenschaften sind abhängig von heute hochtechnisierten Beobachtungs- und Experimentierapparaturen. In aktuellen Forschungsfeldern wie der Nanotechnologie werden grundlagentheoretische Ergebnisse durch die Schaffung von neuen Artefakten erreicht.

3. Technikethik

Im Vordergrund des öffentlichen Interesses an der Technik stehen ethische Probleme, die sich aus der Wirkmächtigkeit moderner Technik, den neuen Dimensionen des Eingriffs in die menschliche und nicht-menschliche Natur und der Unsicherheit, die ein Ergebnis unseres Nichtwissens über die Folgen technischen Handelns ist, ergeben. Es stellt sich auch die Frage, ob die neuen Gegebenheiten eine Revision herkömmlicher ethischer Konzeptionen erzwingen.

3.1 Diagnose

Martin Heidegger nimmt in seinem Vortrag „Die Frage nach der Technik“ (1956) diese Herausforderung auf, auch wenn er mit dem Versuch, das Wesen der modernen Technik zu bestimmen, der traditionellen T. verhaftet bleibt. Für ihn ist es ein Kennzeichen der modernen Technik, die Natur zu stellen, also herauszufordern. Das Wesen der modernen Technik liegt für M. Heidegger im Gestell, dem „herausfordernden Anspruch, der den Menschen dahin versammelt, das Sichentbergende als Bestand zu bestellen“ (Heidegger 1956: 59). Daraus ergibt sich die Gefahr, dass sich der Mensch der Technik ausliefert, nur noch zum Besteller (Bediener, Nutzer) der von ihm in die Welt gesetzten technischen Gegenstände wird, damit aber selbst zum „Bestand“ wird, also zum Bestandteil eines technischen Systems. M. Heidegger geht es um die Bewusstmachung dieser Gefahr, konkrete Handlungsregeln begründet er nicht.

Technisches Handeln, also der Umgang mit Artefakten folgt Handlungsmaximen, die der moralischen Rechtfertigung bedürfen. Im Rahmen technikethischer Überlegungen wurde zunächst dem Ingenieur eine Sonderrolle zugesprochen, die durch sein Fachwissen und seine Handlungskompetenz begründet wurde. Daran kann kritisiert werden, dass durch die Arbeitsteilung im Ingenieurswesen und wegen der prinzipiellen Ersetzbarkeit jedes Einzelnen der individuelle Ingenieur als moralischer Akteur faktisch wirkungslos wird. Christoph Hubig spricht sogar vom „Verlust des Subjekts“ (Hubig 1995: 61) in diesen Prozessen. Die Gründe liegen in den Bedingungen, unter denen Entstehungs- und Anwendungskontexte von Technik stehen. Dazu gehören die fehlende Überschaubarkeit technischer Prozesse, die meist den individuellen Arbeitsbereich übersteigen, Teamarbeit, abhängige Beschäftigung und Weisungsgebundenheit. Zudem werden in komplexen großtechnischen Zusammenhängen einige Wirkungen technischer Prozesse erst langfristig wirksam, wobei sie sich oft mit Wirkungen unabhängiger Ursachen überlagern, wodurch eine Abschätzung von Technikfolgen unsicher wird.

3.2 Technikbewertung und Technikfolgenabschätzung

Eingedenk dieser Probleme hat es Versuche gegeben, ingenieurmäßiges Handeln durch Ethikkodizes zu regeln. Die VDI-RL 3780 über Begriffe und Grundlagen der Technikbewertung geht in diese Richtung. Sie will Beurteilungs- und Bewertungskriterien für zukünftige Entwicklungen der Technik bereitstellen und Problembewusstsein für neue technische Entwicklungen schaffen. Nach dieser Richtlinie ist Technikbewertung das planmäßige, systematische und organisierte Vorgehen, das den Stand einer Technik und ihre Entwicklungsmöglichkeiten analysiert, unmittelbare und mittelbare technische, wirtschaftliche, gesundheitliche, ökologische, humane, soziale u. a. Folgen dieser Technik und möglicher Alternativen abschätzt, aufgrund definierter Ziele und Werte diese Folgen beurteilt und auch weitere wünschenswerte Entwicklungen fordert, daraus Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten herleitet und ausarbeitet. Begründete Entscheidungen sollen so ermöglicht und durch geeignete Institutionen getroffen und verwirklicht werden können. Technisches Handeln wird dabei als ein Kreislaufprozess verstanden, der in ein Wertesystem eingebaut ist, das von allgemeinen Rahmenbedingungen und individuellen Dispositionen abhängig ist. Ziel technischen Handelns ist die Verbesserung menschlicher Lebensmöglichkeiten durch sinnvolle Anwendung technischer Mittel. Die Aufgabe des Ingenieurs liegt in der Entwicklung geeigneter Systeme zur Erreichung dieses Ziels bei möglichst sinnvollem Einsatz der in begrenztem Umfang zur Verfügung stehenden Ressourcen. Er stellt zudem die Funktionsfähigkeit dieser Systeme sicher. Die handlungsleitenden Werte stehen in häufigen Instrumental-, aber auch Konkurrenzbeziehungen, die zu Konflikten führen können.

Die in der VDI-Norm konzipierte Technikbewertung (technology assessment) ist als deskriptivistisch kritisiert worden. Die Bewertung von Technisierungsfolgen auf Basis lebensweltlich (Lebenswelt) erschlossener, empirisch ermittelter und als gesellschaftlich anerkannt unterstellter Werte kann einem naturalistischen Fehlschluss (Naturalismus) unterliegen. Die faktische Akzeptanz von Werten sagt noch nichts über deren moralische Legitimationen aus, die in der Ethik überprüft werden müssen (Grünwald 1999: 26 f.). Dies kann mit Verfahren für die rational-diskursive Bewältigung von Konflikten, die sich aus unterschiedlichen Moralvorstellungen ergeben, erfolgen.

Die Technikbewertung ist Kernbereich der Technikfolgenabschätzung, in der Bedingungen und gesellschaftliche Folgen technischen Handelns kritisch reflektiert werden. Den verschiedenen Ansätzen ist ein multidisziplinärer Zugang gemeinsam, der philosophische (technikethische), sozialwissenschaftliche und fachwissenschaftlich-technische Kompetenzen verbindet. Modelle partizipativer Technikfolgenabschätzung werden in institutionalisierter Form für Prozesse der Konfliktbewältigung (etwa in runden Tischen) und des Veränderungsmanagements (change management) eingesetzt.

3.3 Verantwortung

Ein Zentralbegriff der Technikethik ist der Verantwortungsbegriff. Verantwortung betrifft das, was wir durch unser Handeln faktisch bewirken. Verantwortung kann für Personen und Sachen übernommen werden, hat moralische und rechtliche Aspekte. Der Verantwortungsbegriff ist in ein komplexes Beziehungsgefüge eingebaut. Jemand trägt Verantwortung für Aufgaben, Sachen, Handlungsfolgen in Bezug auf gegebene Normen, Beurteilungsmaßstäbe oder Bewertungskriterien. Der technisch Handelnde tut dies gegenüber bestimmten Personen in einem sozialen Kontext vor einer sozialen Instanz. Im Rahmen dieser Bestimmung sind unterschiedliche Verantwortungsarten gegeben. Hans Lenk unterscheidet die „(universal-)moralische Verantwortung“, die sich an allgemeinen Werten wie Humanität, Menschenwürde, Fortbestand und Qualität menschlichen Lebens orientiert, und die spezifischere „Rollenverantwortung“, die an speziell ausgeübte Rollen (Soziale Rolle) und formell auferlegte Aufgaben gebunden ist (Lenk 1993: 118). Von zentraler Bedeutung ist die positive Kausalhandlungsverantwortung, mit der die Verantwortlichkeit für durch eigenes Handeln verursachte Folgen gegeben ist. Die negative Kausalhandlungsverantwortung betrifft Unterlassungen, wenn sie auf einen Schaden führen, der durch eine Handlung hätte vermieden werden können.

Die Möglichkeit, für Schäden zur Verantwortung gezogen zu werden, setzt die Zuschreibbarkeit von Schuld voraus. Die Ermittlung von Schuldigen ist aber in arbeitsteiligen komplexen technischen Prozessen nur mit Schwierigkeiten durchführbar. Nicht immer lässt sich wegen sich überlagernder Wirkungsqualitäten ein Schaden eindeutig auf eine Ursache zurückführen. In kooperativen technischen Prozessen ist Schuld zudem nicht immer individuierbar. Soll ein Team zur Rechenschaft gezogen werden, setzt dies Verfahren zur Bemessung von Schuldanteilen voraus. Diese Problematik hat zu Theorien distributiver Verantwortungsübernahme geführt und zu Ansätzen, die individuelle Verantwortungszuschreibung durch eine Institutionenverantwortung ergänzen.

In seinem wirkmächtigen Buch „Das Prinzip Verantwortung“ (1979) vergleicht Hans Jonas die moderne Technik mit einem „endgültig entfesselte[n] Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt“, deren Verheißungen aber in Drohung umgeschlagen sei (Jonas 1979: 7). Deshalb bedürfe es einer neuen Ethik, die die Technik davor zurückhalte, „dem Menschen zum Unheil zu werden“ (Jonas 1979: 7). Die traditionelle Ethik, etwa die Pflichtenethik (Pflicht) Immanuel Kants, hält er nicht mehr für hinreichend, weil sie davon ausgehe, dass der menschliche Zustand ein für allemal feststehe, dass sich das menschlich Gute eindeutig bestimmen lasse und dass die Reichweite menschlichen Handelns (Handeln, Handlung) und damit auch die Reichweite menschlicher Verantwortung räumlich und zeitlich eng begrenzt sei. Die neue Technik habe aber neue Dimensionen menschlicher Handlungsmacht eröffnet. Das dieser Macht zugrundeliegende technische Wissen stehe in einem eklatanten Missverhältnis zu unserem sehr viel geringerem prognostischen Wissen über die Folgen unseres Handelns: „Die Kluft zwischen Kraft des Vorherwissens und Macht des Tuns erzeugt ein neues ethisches Problem“ (Jonas 1979: 28). Verantwortliches technisches Handeln, muss mit diesen Unsicherheiten umgehen können, es muss u. U. zeitlich und räumlich weit entfernte Handlungsfolgen antizipieren und berücksichtigen, auch wenn von diesen Folgen Wesen betroffen sind, die ihre Ansprüche und Rechte heute (noch) nicht geltend machen können. Dementsprechend lautet der Jonassche kategorische Imperativ: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ (Jonas 1979: 36). H. Jonas fordert den Aufbau einer „vergleichende[n] Futurologie“ als Tatsachenwissenschaft von den Fernwirkungen technischen Handelns (Jonas 1979: 62 f.). Da Zukunftsprojektionen stets unsicher sind, müsse das Wissen vom Möglichen ausreichen, um Handlungsprinzipien aufzustellen. Bei unsicheren Prognosen solle der „Unheilsprophezeiung“ mehr Gehör gegeben werden als der „Heilsprophezeiung“, denn wir sind eher bereit, uns für das Gute einzusetzen, wenn wir wissen, was auf dem Spiel steht (Jonas 1979: 70 f.). Nach H. Jonas folgt dieses Vorgehen einer „Heuristik der Furcht“ (Jonas 1979: 64).

4. Perspektiverweiterungen

Dem Selbstverständnis der Philosophie entspr. werden neueste technische Entwicklungen, aber auch Deutungsansätze verschiedenster Wissenschaften kritisch reflektiert und auf überkommene philosophische und moralische Einsichten bezogen, die sich dann durchaus als fallibel oder revisionsbedürftig erweisen können. Zu den aktuellen Themen gehört die Auseinandersetzung mit Utopien und Dystopien, mit den Entwicklungen der IT, etwa im Bereich der KI, der virtuellen Realität oder des Umgangs mit großen Datenmengen. Reflektiert werden medizinische und biotechnologische Entwicklungen mit ihren anthropologischen Implikationen. Untersucht werden z. B. philosophische Implikationen von Cyborgs, technisch veränderten biologischen Lebensformen, aber auch von Gegenständen wie der Neuroprothetik oder des Bioenhancement samt der damit zusammenhängenden moralischen Probleme, etwa der Frage, ob die Möglichkeit der technischen Erweiterung menschlicher Fähigkeiten mit einer Pflicht zur Erweiterung einhergeht. Solche Überlegungen führten zum Transhumanismus, der sich die technische Ausweitung menschlicher Fähigkeiten zum Ziel setzt. Seit den 1970er Jahren ergeben sich im Rahmen der Science and Technology Studies weitere Aspekterweiterungen der T., z. B. um Genderfragen („Technofeminism“ [Wajcman 2004]; Gender). In der Technoscience wird eine unlösbare Verbindung zwischen Technik und Wissenschaft betont. Diese Verbindung wird durch neue Sozialtheorien wie der Akteur-Netzwerk-Theorie begleitet, die davon ausgeht, dass Sozialsysteme Netzwerke sind, die nicht nur menschliche Akteure verbinden, sondern auch aus nicht-menschlichen Aktanten bestehen können. Angewendet auf die Geschichte molekularbiologischer Experimentalsysteme spricht Hans-Jörg Rheinberger diesen Aktanten den Status von epistemischen Dingen zu. Epistemische Dinge oder Wissensobjekte sind „Dinge, denen die Anstrengung des Wissens gilt – nicht unbedingt Objekte im engeren Sinn, es können auch Strukturen, Reaktionen, Funktionen sein“ (Rheinberger 2002: 24). Methodisch dienen sie dazu, die begriffliche Unbestimmtheit der im Werden befindlichen wissenschaftlichen Erfahrung als handlungsbestimmend und nicht als defizitär gegenüber den begrifflich kodifizierten Resultaten der Forschung aufzufassen. Dies soll zu einer Rehabilitation des Entdeckungszusammenhangs führen. Damit richtet sich dieser Ansatz gegen das Paradigma der Wissenschaftstheorie der ersten Hälfte des 20. Jh., wonach philosophische Bemühungen auf die Analyse des Begründungszusammenhangs beschränkt sein sollen. Er führt darüber hinaus auf eine Neubewertung wissenschaftlich-technischer Praxis.