Studentenbewegungen

S. sind Protestbewegungen, die sich aufgrund von v. a. Studierenden als ihrer Trägergruppe von anderen sozialen Bewegungen unterscheiden. Sie nehmen ihren Ausgangspunkt i. d. R. an Universitäten. Dennoch sind ihre Ziele meist nicht auf Probleme der universitären Lehre, der Hochschulpolitik oder soziale und kulturelle Belange Studierender beschränkt (die Forschung spricht dann von S. im eigentlichen Sinne oder universitären S.). S. thematisieren i. d. R. übergreifend gesellschaftliche und politische Sachverhalte.

Das Zugehörigkeitskriterium „Studierende“ ist auch deshalb nicht wörtlich zu nehmen, denn erfahrungsgemäß können sich auch Personen ohne Studierendenausweis einer S. zugehörig fühlen. Die Übergänge zu anderen Phänomenen sozialen Protests wie auch zu Jugendorganisationen und Hochschulgruppen der Parteien sind fließend. Überdies lassen sich S. oft nur schwer von Jugendprotest allg. abgrenzen. Wird jedenfalls in Deutschland von der S. im Singular gesprochen, ist damit die weit in die Gesellschaft hineinreichende studentische Protestbewegung der späten 1960er Jahre gemeint. Sie kulminierte 1968 und richtete sich insb. gegen die Kriegsführung der USA in Vietnam und die Notstandsgesetze. Dabei formulierte sie eine neomarxistische Kritik an der liberalen Demokratie und am Kapitalismus bzw. der sozialen Marktwirtschaft sowie eine postkoloniale Kritik (Postkolonialismus) am „Neoimperialismus“ des Westens.

Mit Protestbewegungen teilen S. das Merkmal, dass es sich um temporäre Netzwerke mit identifikatorischem Kern handelt, die kollektiv Unzufriedenheit an bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zuständen artikulieren und ihr Anliegen durch öffentlichen Druck auf andere Akteure sichtbar machen. Dieser Protest findet überwiegend außerhalb institutionalisierter Einflusskanäle statt. Er manifestiert sich auf einer breiten Skala von Formen (Umzüge, Versammlungen, Petitionen), von spontan bis organisiert, friedlich bis gewalttätig, von zielgerichtet bis offen. Er kann sowohl „instrumentell“ (zielorientiert) als auch „expressiv“ (identitätsstiftend) sein; er kann auf Veränderung oder Erhalt bestehender Ordnungen zielen. Im Vergleich zu anderen sozialen Bewegungen wie z. B. der Friedens- oder Anti-AKW-Bewegung verfügen S. (ähnlich wie Schülerbewegungen) über geringe organisatorische, institutionelle und personelle Kontinuität. Einzelne S. unterscheiden sich in ihren Zielen, Strategien und Aktionsformen stark voneinander. Aufgrund des temporären Status „Student“ ist die Dauer der Protestmobilisierung oft nur kurz. Demgegenüber verfügen primär an Zielen orientierte Bewegungen wie die Frauenbewegung über eine teils jahrzehntelange organisatorische und personelle Kontinuität.

1. Ältere Studentenbewegungen in Deutschland

Obwohl es seit der Gründung der ersten Universitäten im Mittelalter studentischen Protest gibt, tauchen S. im modernen Sinne erstmals im frühen 19. Jh. als Teil der Nationalbewegung in Deutschland und Europa auf. 1817 demonstrierten aus Anlass des Reformationsjubiläums 500 Studenten – konkret: Burschenschaftler – auf der Wartburg bei Eisenach (Wartburgfest) unter der Parole „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Sie waren enttäuscht von den Beschlüssen des Wiener Kongresses, der nur die lose Konföderation des Deutschen Bundes geschaffen hatte, sowie empört über die schleppende Einführung von Verfassungen in den deutschen Staaten. Nach der Ermordung August Friedrich Ferdinand von Kotzebues durch den Studenten Karl Ludwig Sand wurden die Burschenschaften (Studentenverbindungen) durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 aufgelöst. Die S. wurden in den Untergrund gedrängt, blieben jedoch ein dynamisierender oppositioneller Faktor bis zur Revolution 1848/49. 1827 erfolgte die Neugründung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft. Die Revolutionen und Aufstände in Frankreich und Polen 1830/31 lösten Begeisterung unter Studenten aus. Am Hambacher Fest 1832 waren sie prominent beteiligt. Der „Frankfurter Wachensturm“ 1833 wurde von Studenten organisiert und hatte neuerliche staatliche Repressionsmaßnahmen zur Folge. Bei der Märzrevolution 1848 standen Studenten an vorderster Front (z. B. Überbringung der „Mannheimer Forderungen“ an den badischen Großherzog; Beginn der Revolution in Wien an der dortigen Universität). Auch führende Paulskirchenpolitiker waren Burschenschaftler. Beim Wartburgfest zu Pfingsten 1848 forderten die Burschenschaften eine akademische Selbstverwaltung im künftigen Nationalstaat.

Nach der preußisch-deutschen Nationalstaatsgründung 1871 wandten sich Studenten mehrheitlich von den freiheitlichen Forderungen des Liberalismus ab und wurden zu Trägern chauvinistischen Nationalismus. Gerade die prominentesten S. des Kaiserreichs machten sich den wachsenden deutschen Antisemitismus zu eigen. Angesichts der Wirtschaftskrise sowie der Krise der akademischen Bildung der 1870/80er Jahre gründeten sich während des durch den Historiker Heinrich von Treitschke 1879 ausgelösten „Berliner Antisemitismusstreit“ sogar studentische Komitees, die die soziale Ausgrenzung jüdischer Studenten forderten und erreichten. Die antisemitischen S. institutionalisierten sich 1881 mit der Gründung des Vereins Deutscher Studenten (VDSt, auch Kyffhäuserverband, heute VVDSt). Dieser erreichte in den Folgejahren seine Anerkennung durch die Universitäten. Der VDSt grenzte sich gegenüber den ihm zu gemäßigt erscheinenden Burschenschaften ab, öffnete sich der völkischen Ideologie und unterstützte vorbehaltlos den wilhelminischen Imperialismus.

Nach 1919 standen Studenten mehrheitlich in radikaler Opposition zur Weimarer Republik. Sie waren wichtige Trägergruppe der rassisch-völkischen, teils aber auch der linksradikalen Opposition gegen die liberale Demokratie. Studenten und junge Veteranen stellten den personellen Kern der Freikorps, die partiell den Charakter einer S. hatten. Am „Kapp-Putsch“ (1920) sowie am „Hitler-Putsch“ (1923) waren Studenten stark beteiligt. Die Übergänge zum rechten Terrorismus waren fließend, kamen doch auch die Attentäter an Matthias Erzberger und Walther Rathenau aus den Freikorps und waren überwiegend Studenten. Zur Radikalisierung trugen die Überfüllung der Universitäten aufgrund der zahlreichen Kriegsheimkehrer, die extreme Wohnungsnot in Universitätsstädten, die fehlenden Berufsaussichten für Akademiker sowie die schwierige soziale Lage bis 1924 bei. Der 1920 gegründete Deutsche Hochschulring war eine studentische Sammlungsbewegung mit radikal völkischen Zielen. Die NSDAP instrumentalisierte die Notlage der Studenten: Ihre Studentenorganisation, der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB), war zwar Parteigliederung, besaß indes gegen Ende der Weimarer Republik Züge einer S. Er machte sich u. a. zum Fürsprecher der Abschaffung von Studiengebühren.

Die rechtsradikalen S. der Spätphase der Weimarer Republik organisierten zahlreiche krawallartige Proteste, die sich auch gegen Einzelpersönlichkeiten richteten – etwa den Theologen Günther Carl Dehn in Halle, der sich für Kriegsdienstverweigerung aussprach, oder den Statistiker Emil Julius Gumbel in Heidelberg, der rechtsextreme „Fememorde“ anprangerte. Beide wurden von ihren Universitäten beurlaubt bzw. entlassen. Die späten Weimarer S. richteten sich generell gegen demokratische und jüdische Professoren wie auch, bspw. bei Protesten in Berlin im November 1930, gegen sozialdemokratische, republikanische und jüdische Studierende. Wie sehr die NSDAP die mehrheitlich nationalistisch-völkische Stimmung unter Studenten zu nutzen verstand, zeigen die Bücherverbrennungen im Mai 1933, als Studierende und Professoren gemeinsam gegen „undeutschen Geist“ demonstrierten. Während viele studentische Verbände und Verbindungen sich 1933 „gleichschalten“ ließen, leisteten nur wenige Studierende Widerstand gegen das NS-Regime, etwa die Weiße Rose in München. Als Einzeltäter konnten Letztere unter den Bedingungen einer Diktatur nicht Nukleus einer S. werden, obwohl sie das erhofft hatten.

Auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit fand sich eine breite S. im besetzten Deutschland, obwohl diese – anders als die nachfolgende „68er-Bewegung“ – im kollektiven Gedächtnis kaum präsent ist. Studentischer Aktivismus richtete sich häufig gegen alliierte Politik, so in Berlin, wo im sowjetischen Sektor Proteste gegen die Beschränkung der Meinungsfreiheit und die wachsende Stalinisierung der Humboldt-Universität zur Gründung der Freien Universität (FU) im US-Sektor führten. In den westlichen Zonen formierte sich im Hungerwinter 1947/48 eine S., die mit fantasievollen Plakaten gegen Hunger, Wohnungsnot, Überfüllung der Universitäten sowie Demontagen und „alliierte Willkür“ demonstrierte. In den antinationalsozialistischen Protesten der 1950/60er Jahre waren ebenfalls Studierende führend (z. B. Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“, 1960). Sie trugen auch Protestbewegungen gegen die Wiederbewaffnung der BRD sowie die „Kampf dem Atomtod“-Kampagne mit. In der daraus hervorgegangenen „Ostermarschbewegung“ standen studentische Aktivisten ebenfalls an der Spitze, vernetzten sich international (etwa zur britischen CND) und sammelten organisatorische Erfahrung, so dass diese zum Vorläufer der transnationalen S. der späten 1960er Jahre wurde.

2. „1968“ und die transnationale Studentenbewegung der 1960er Jahre

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam es erstmals seit dem 19. Jh. wieder zu paneuropäischen und transatlantischen S., die sich grenzüberschreitend als Teil einer gemeinsamen Bewegung gegen den Status quo verstanden: im Westen gegen den des Kalten Krieges und der Rekonstruktion einer liberal-kapitalistischen Ordnung im amerikanischen Einflussbereich, im sowjetisch dominierten Osteuropa als reformkommunistische Bewegung gegen den „real existierenden Sozialismus“. Auch in weiten Teilen der „Dritten Welt“ revoltierten neomarxistische linke Intellektuelle und Studenten gegen eine von den Supermächten und ihren Machtblöcken dominierte Weltordnung. Wie in Deutschland hatte auch im übrigen Europa und in den USA studentischer Protest eine lange Tradition. Auch in Italien, auf dem Balkan und in Osteuropa waren im 19. Jh. S. für die Gründung von Nationalstaaten eingetreten. In der Zwischenkriegszeit fand sich linker und rechter Studentenprotest in Frankreich, den USA und Großbritannien. Der in der Zwischenkriegszeit beginnende Kampf um die Dekolonisierung wurde häufig von im Westen ausgebildeten jungen Akademikern und Studenten getragen, wie z. B. dem vietnamesischen Revolutionsführer Ho Chi Minh. Seit den späten 1950er Jahren bildeten diese Netzwerke dank erleichterter Kommunikation und universitärer Austauschprogramme eine gemeinsame Protestidentität aus. Auch wenn in einzelnen Ländern national spezifische Fragen diskutiert wurden (wie z. B. die NS-Vergangenheit in der BRD; Bürgerrechte in den USA) lässt sich aufgrund einer gemeinsamen kognitiven Orientierung an einer – meist marxistisch (Marxismus) geprägten – Kritik der liberalen Demokratie, sowie am Kalten Krieg und am Supermächte-Imperialismus durchaus von einer globalen S. sprechen.

Zu den Voraussetzungen der sich später auch als Außerparlamentarische Opposition (APO) konkretisierenden neuen deutschen S. gehören auch von Experten angestoßene Debatten und Reformen der Bildungspolitik der 1960er Jahre. Unter dem „Sputnik-Schock“ von 1957 wurde westlicherseits angesichts der Konkurrenz mit dem kommunistischen Block die Ausweitung gerade anwendungsorientierter, v. a. technischer Fächer gefordert. Allg. sah man den Westen hinter die UdSSR zurückfallen. Auch das wurde zum Anstoß, eine bessere Nutzung des gesellschaftlichen Potentials durch Ausweitung des Zugangs zu höherer Bildung zu fordern. Zum Katalysator entspr.er Reformen wurde ein vom Theologen Georg Picht verfasstes Buch mit dem einprägsamen Titel „Die Deutsche Bildungskatastrophe“ (1964). Die dann einsetzende, gerade auch an der Systemkonkurrenz ausgerichtete Bildungspolitik zog – in Verbindung mit dem Strukturkonservatismus der „Ordinarienuniversitäten“, welcher die studentische Mitverwaltung stark limitierte – umfangreiche Kritik studentischer Protestnetzwerke auf sich, so in der SDS-Denkschrift von 1961 mit dem Titel „Hochschule in der Demokratie“. Zur Kurzformel wurde 1967 die Parole „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. In den USA war schon 1962 ein utilitaristischer, auf Bildung als gesellschaftliche „Investition“ zielender Ansatz im „Port Huron Statement“, dem Gründungsmanifest der amerikanischen Students for a Democratic Society, harsch kritisiert worden; ähnliche Entwicklungen finden sich in Frankreich, wo sich die Mai-Revolte 1968 an Defiziten der Hochschulreform wie auch der universitären Infrastrukturen entzündete.

Anfangs richtete sich die stark durch nicht-orthodoxe marxistische Theorien wie die der Frankfurter Schule informierte Kritik der „herrschenden Verhältnisse“ auf die Bildungspolitik sowie auf den Ausschluss der Studentenschaft von universitären Entscheidungsprozessen. Als eine „Neue Linke“ vertraten die Mitglieder der S. jedoch weitergehende Ansprüche. Organisatorisch lässt sich das am Ausschluss des SDS aus der SPD festmachen (1961), die sich im Godesberger Programm (1959) endgültig von der Leitidee einer proletarischen Revolution verabschiedet hatte. „Neu“ war diese Linke insofern, als sie sich in West und Ost einerseits vom „orthodoxen“ Leninismus-Stalinismus abgrenzte, andererseits aber die sozialdemokratische Akzeptanz der liberal-kapitalistischen (Welt-)Wirtschaftsordnung ablehnte. Hierbei ging es – anknüpfend an Antonio Gramsci sowie Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer („Dialektik der Aufklärung“, 1944) – auch um eine Kritik der Konsumgesellschaft. Zentral waren Herbert Marcuses Überlegungen, dass im Westen Herrschaft nicht mehr über direkte Ausbeutung der Massen erfolge, sondern über permanent neu geschaffene künstliche „Bedürfnisse“, so dass „Glück“ (Marcuse 1967: 25) inklusive sexueller Befriedigung zur Ware werde („Der eindimensionale Mensch“, 1967). Emanzipation, Partizipation, eine antiinstitutionelle Orientierung, die Betonung neuer oder postmaterieller Werte wurden auf diese Weise zentrale Ideen der Neuen Linken. Als ideologische Versatzstücke prägten sie dann, oft auch in sehr vergröberter Weise, weite Teile der S.

Angeregt durch die Bürgerrechtsbewegung in den USA kam es Mitte der 1960er Jahre zunächst an der University of California in Berkeley (Free Speech Movement, 1964), später u. a. auch an der FU Berlin zu Konflikten um die „freie Rede“ an den Universitäten. Deren Leitungen untersagten Studierenden immer wieder Veranstaltungen zu allgemeinpolitischen Themen. Das Verbot eines Vortrags des Journalisten Erich Kuby an der FU Berlin im Mai 1965 wurde zum Katalysator der Westberliner S. Diese strahlte dann nach Westdeutschland aus. Die Verschärfung der US-Kriegsführung in Vietnam ab 1965 mobilisierte studentischen Protest erst recht, desgleichen die Zusammenarbeit des Westens mit Diktatoren. Skandalisiert wurde etwa der 1967 stattfindende Staatsbesuch des Schahs von Persien. Dabei knüpfte die S. an eine etablierte postkoloniale Kritik an Verhältnissen in der Dritten Welt an (u. a. Frantz Fanon), zumal die Präsenz afrikanischer, lateinamerikanischer und asiatischer Austauschstudenten an westlichen Universitäten diese Debatten dynamisierte. Gleichzeitig führte die geplante Einfügung der Notstandsartikel in das GG zu einer breiten Bündnisbildung zwischen SDS, einzelnen Gewerkschaften wie der IG Metall und linkem SPD-Flügel. Ab 1966/67 lässt sich in der BRD von einer APO sprechen, die weit über die S. hinaus ging, in der Studierende jedoch die dynamischste Trägergruppe blieben.

Sowohl in Europa als auch in den USA erreichte diese Ausprägung von S. ihren Zenit 1967/68, mit den dramatischen Ereignissen des Jahres 1968 als Höhepunkt. Die Chiffre „1968“ steht daher als Kurzformel für radikale S. der späten 1960er Jahre. Mobilisierende Ereignisse waren in Deutschland die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen – wie sich später zeigt: als IM des MfS arbeitenden – Polizisten in Westberlin am 2.6.1967, bzw. in den USA der „March on the Pentagon“ im Oktober 1967, nachdem es zuvor zu Aufständen in afroamerikanischen Vierteln großer Städte gekommen war sowie auch die Hippie-Bewegung im „Summer of Love“ ihren Höhepunkt erreicht hatte. In Italien begann die Hochphase dieser linken Form von S. mit der Besetzung der Katholischen Universität Mailand im November 1967, auf die zahlreiche weitere Universitätsbesetzungen folgten. Im lange relativ ruhigen Frankreich setzte der Studentenprotest recht plötzlich im Mai 1968 ein, eskalierte rasch und massiv, suchte auch das Bündnis mit Arbeitern und Gewerkschaften. Der „Pariser Mai“ inspirierte S. in zahlreichen weiteren Ländern, u. a. in Belgien, in der Türkei und in Lateinamerika. Dynamik erhielt die S. auch aufgrund der medial breit vermittelten Tet-Offensive des Vietcong Ende Januar 1968. Mit dem Vietnam-Kongress an der TU Berlin im Februar 1968, der Aktivisten aus aller Welt anzog, erreichte die Anti-Vietnamkriegsbewegung ihren Höhepunkt. In der BRD eskalierten gewalttätige Konflikte während der „Osterunruhen“ 1968 nach einem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke sowie der Frankfurter Kaufhausbrandstiftung, die ihrerseits zur Geburtsstunde der RAF wurde. In Polen setzten Systemproteste von S. im Frühjahr 1968 ein, desgleichen in der Č̌SSR („Prager Frühling“). Die Prager Ereignisse wurden von der westlichen S. intensiv beobachtet und als Teil der Rebellion gegen den Status quo des Kalten Kriegs interpretiert.

Der rasche Zerfall der S. setzte in fast allen Ländern mit dem Ende des akademischen Jahrs 1968 ein und war 1969/70 abgeschlossen. Der deutsche SDS spaltete sich 1969 in immer kleinere K-Gruppen und löste sich 1970 auf. Gewalt bei Demonstrationen („Schlacht am Tegeler Weg“, November 1968) und Tumulte an Universitäten, gefolgt von Polizeieinsätzen, die ein geordnetes Studium zeitweilig unmöglich machten sowie zur Gegenwehr der Kultusbehörden führten, ließen immer mehr Studierende Abstand von den 1968 aufgeblühten S. nehmen. Die gleiche Wirkung zeitigte ein aus den S. hervorgegangener terroristischer Untergrund (v. a. in der BRD, in Italien und den USA, aber auch in Belgien und Frankreich), der trotz seines personell überschaubaren Umfangs die Öffentlichkeit jahrelang in Atem hielt. Als unproduktiv erwies sich auch der grobschlächtige Umgang mit Fehlern bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (Klarsfeld-„Ohrfeige“ November 1968), darunter das ritualartige Vorbringen von pauschalen Faschismus-Vorwürfen seitens der S. in allen westlichen Ländern, mit dem Teile der dortigen Gesellschaften als Steigbügelhalter eines neuen Nazismus diskreditiert werden sollten. Umgekehrt warfen Kritiker der S. diesen einen „linken Faschismus“ (Habermas 1969: 148) vor, bezichtigen sie „faschistischer Methoden“ (CDU-Bundesgeschäftsstelle 1969: 56), oder zogen sogar direkte Parallelen zwischen SDS und NSDStB. Politisch scheiterten die linken S. der 1960er Jahre. In Westdeutschland konnten sie die Verabschiedung der Notstandsgesetze (Staatsnotstand) nicht verhindern, in den USA und in Frankreich provozierten sie sogar einen konservativen Backlash. In Osteuropa und der DDR gingen die Hoffnungen auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ (Kusák/Künzel 1969) in harscher spätstalinistischer Repression unter.

Die Wirkungen der S. sind umstritten. Anhänger und Verteidiger verweisen auf langfristig liberalisierende, emanzipatorische und demokratisierende Folgen von „1968“, auf den Wandel der Geschlechterverhältnisse (so ging die „neue Frauenbewegung“ direkt aus dem SDS hervor), auf die Zunahme bis dahin „unkonventioneller Beteiligungsformen“ aufgrund der sozialen Bewegungen der 1970er Jahre und auf die wachsende öffentliche Thematisierung der NS-Vergangenheit. Sie heben also v. a. „kulturrevolutionäre“ Wirkungen hervor. Gegner und Kritiker sehen hingegen die linken S. in einer „Endstation Terror“ (Lübbe 1978) münden, machen sie für den Abbruch der Hochschulreform verantwortlich, für den Zerfall von Werten, die Auflösung der Institution der Familie, für überschießende Individualisierung und schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die historische und sozialwissenschaftliche Forschung ordnet „1968“ inzwischen in die Nachkriegszeit ein und erkennt in den damaligen Ereignissen mitsamt ihren Wirkungen einen Teil der Gewöhnung an Deutschlands neue Konsumgesellschaft, mitsamt den dafür erforderlichen Anpassungsleistungen u. a. bei Ehe, Sexualität und Geschlechterverhältnissen. Auch trug diese Ausprägung der S. dazu bei, ehedem „unkonventionelle Beteiligung“ üblich zu machen. In diesem Sinn war sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur „Bewegungsgesellschaft“ (Neidhart/Rucht 1993). Die starke öffentliche Erregung über „1968“ erklärt sich im Übrigen aus einer medialen Umbruchssituation: Das Fernsehen ließ als damals neues Medium die Bilder des Protests erstmals „im Wohnzimmer“ erleben. Insgesamt dürfte „1968“ den stattfindenden Wandel eher kommuniziert als bewirkt haben, dürfte mehr Indikator als Motor gesellschaftlicher Transformation am Ende der langen Boomphase der Nachkriegszeit gewesen sein, hat diese insoweit aber auch abzuschließen geholfen.

3. Studentenbewegungen seit dem Ende des Kalten Krieges

Studentischer Protest ist nach 1990 nicht verschwunden, zumal die Zahl der Studierenden seit den 1970er Jahren weltweit stark angestiegen ist. Dennoch hat es seither keine der S. der 1960er Jahre vergleichbare globale Bewegung gegeben. Die Mehrheit der jüngsten S. wie die Vorlesungsboykotte 1997 und 2003/04 spielten sich im nationalen Rahmen ab und fokussierten bildungspolitische Ziele, wie Überfüllung von Universitäten oder Abschaffung von Studiengebühren. Mobilisierend wirkten seit der Finanzmarktkrise 2008/09 fehlende Berufsaussichten („Generation Praktikum“). Angeregt von den Aufständen des Arabischen Frühlings (2011), zu dessen Protagonisten junge Erwachsene und Studierende gehörten, kam es auch in westlichen Ländern zu politischen Protesten mit studentischer Beteiligung, wenn auch z. B. die Occupy-Proteste 2011 nicht aus Universitäten hervorgegangen sind. Eine ausgesprochene S. entwickelte sich in Chile 2011, mit Demonstrationen gegen die Privatisierung von Bildung und für kostenloses Studium. Die Klimaproteste 2019 („Fridays for Future“) sind hingegen überwiegend Jugendproteste mit starker studentischer Beteiligung, bei denen Schüler dominieren und mit denen Erwachsene sympathisieren. Studierende sind aufgrund ihres ephemeren sozialen Status weiter eine leicht mobilisierbare Gruppe. Die S. der Gegenwart zielen i. d. R. auf konkrete Verbesserungen, in Europa selten auf abstrakte Fundamentalkritik wie dies in den ersten Jahrzehnten des 19. und 20. Jh. sowie im Umfeld von „1968“ der Fall gewesen war.