Stipendien

Version vom 8. Juni 2022, 08:08 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Stipendien)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

1. Wort- und Begriffsgeschichte

Unter S. sind finanzielle und/oder materielle Unterstützungsleistungen zu verstehen, die von staatlicher Seite, Privatpersonen, Stiftungen oder Religionsgemeinschaften ermöglicht (und nicht als Darlehen vergeben) werden, um Studenten, Künstler oder Musiker bei ihrer wissenschaftlichen und beruflichen Qualifikation zu fördern. Das lateinische stipendium, zusammengesetzt aus stips für einen Geldbeitrag oder eine Gabe, und dem Verb pendere, „zahlen“, ist ein Fachausdruck der römischen Militärsprache. Er bezeichnet eine fiskalische Rechnungsgröße, mit der sich der Sold der Militärangehörigen berechnen ließ: So bekam ein einfacher Soldat kurz nach der Zeitenwende etwa drei stipendia als Jahresgehalt. Als Lehnwort wurde „S.“ im 15. Jh. im Deutschen gebräuchlich und ersetzte schrittweise die ältere Vokabel Beneficium, die seit dem Frühmittelalter die Einkünfte von Vasallen oder kirchlichen Würdenträgern bezeichnete, die ihnen aus einer Pfründe zustanden, ohne dass das Land in das Eigentum der Nutznießer übergegangen wäre. Eine etymologische Verwandtschaft zwischen stipendium und „Stift“ bzw. „Stiftung“ besteht nicht (Kluge 1975: 749 und 751).

Im Verlauf der Frühen Neuzeit wurde „S.“ zur Bezeichnung unterschiedlicher Formen finanzieller Zuwendungen gebraucht, die z. T. bis heute vergeben werden: Neben den aus Studiengeldern, Stiftungen oder Pfründen finanzierten Gehältern akademischer Lehrer gab es seit dem 16. Jh. S. als Unterstützung sozial Benachteiligter, die sich andernfalls kein Studium leisten konnten. Daneben wurden Zuwendungen an bes. begabte Personen als S. bezeichnet und bspw. für Bildungsreisen ausgezahlt; im „Reise-S.“ des Deutschen Archäologischen Instituts und anderen entspr.en Programmen existiert diese Form bis heute. Auch der bereits im Studium ausgehändigte Teil eines späteren Gehalts wurde „S.“ genannt: ein in Deutschland seit der Reformation v. a. in der Pfarrerausbildung gebräuchliches Verfahren. Die in der katholischen Kirche bestehende Möglichkeit, dass Gläubige eine „Messe bestellen“, um ein persönliches Anliegen auszudrücken, wird traditionell als „Mess-S.“ bezeichnet.

2. Das Messstipendium im katholischen Kirchenrecht

Im katholischen Kirchenrecht (can. 945–958 CIC/1983) wird das Mess-S. als althergebrachte Einkunft der Kirchenkasse verstanden: Der Gläubige entrichtet einen geringfügigen Betrag, und verbindet damit den W…unsch, sein Gebetsanliegen in den Gottesdienst zu integrieren. Das Mess-S. entwickelte sich im Verlauf des ersten Jahrtausends aus dem frühkirchlichen Brauch, die Gläubigen an dem in der Eucharistie dargebrachten Opfer zu beteiligen. Im Frühmittelalter wurde daraus eine pekuniäre Gabe, die theologisch gegen den Vorwurf der Simonie abgesichert werden musste. So betont Thomas von Aquin, dass solche S. keine Bezahlung für die Messfeier, sondern ein Beitrag zum Lebensunterhalt des Priesters seien (STh II-II, q. 100, a. 2, ad c. II). Die kirchliche S.-Variante hat insofern mit der umfassenderen Bedeutung des Begriffs zu tun, als es hier bereits im frühmittelalterlichen Unterhaltswesen neben der Versorgung von Bedürftigen auch um die Versorgung des Klerus durch die Kirche ging.

In der Gegenwart werden im deutschsprachigen Raum Mess-S. nicht für das Auskommen der Priester benötigt. Dennoch hält die DBK in einer „Handreichung zu Messstipendien“ vom 24.2.1994 an ihnen fest. Allerdings werden nach dem Recht der meisten deutschen Diözesen diese Einkünfte ausschließlich für caritative und missionarische Aufgaben verwendet. Dieser Brauch entspricht dem lateinischen Wortlaut des CIC, in dem seit 1983 von stips die Rede ist, also von einer ‚Gabe‘, während die ältere Fassung des CIC/1917 noch von einem stipendium sprach und damit die Betonung stärker auf das Einkommen des Zelebranten legte.

3. Rechtliche Aspekte

In juristischer Hinsicht ist für die Gegenwart bei S. zwischen der Hochbegabtenförderung und der Ausbildungsförderung zu unterscheiden. Während jene die Zuwendung an eine Person von deren Studienleistungen abhängig macht und zu diesem Zweck auf ein z. T. mehrstufiges Aufnahmeverfahren zurückgreift, wird die Ausbildungsförderung bedarfs- und nicht leistungsabhängig gewährt, sowie eine Person als i. S. d. entspr.en Gesetzes als bedürftig eingestuft wird. Grundlage ist das in Art. 20 Abs. 1 GG festgelegte Sozialstaatsprinzip (Sozialstaat). Dem Staat obliegt es demnach nicht nur, eine Aus- und Weiterbildung grundsätzlich zu ermöglichen, bspw. durch entspr.e Ausbildungseinrichtungen. Er hat auch die Pflicht, diejenigen sozialen Ungleichheiten auszugleichen, die den Zugang zu Bildung und Wissenschaft erschweren. Im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) von 1971 – seitdem mehrfach novelliert – sind staatliche Leistungen geregelt, um diesem gesetzlichen Auftrag nachzukommen. Mit den vom Bund und den Ländern gemeinsam finanzierten Leistungen des BAföG werden vorwiegend bedürftige Studenten gefördert. Allerdings handelt es sich nur z. T. um tatsächliche S., da derzeit die Hälfte des Zuschusses als Darlehen später zurückzuzahlen ist. Da das BAföG vorwiegend Studenten an Universitäten und anderen Hochschulen erfasst, wurde durch Gesetze wie das AFBG (sog.es „Meister-BAföG“) der Kreis der möglichen Empfänger staatlicher Förderung ausgeweitet. Es umfasst inzwischen auch Personen, die einen beruflichen Meistertitel anstreben.

4. Historische Entwicklungen

Der Blick in die Geschichte des S.-Wesens zeigt, dass keineswegs, wie zuweilen behauptet wird, demokratische Systeme (insb. die USA) bes. stipendienaffin sind: Das deutsche Kaiserreich ist eine Blütezeit der sog.en S.-Stiftungen. Das S.-Wesen ist in allen historischen Kontexten ein wesentlicher Faktor sozialer Dynamik und Mobilität. Im Bildungssystem der Frühen Neuzeit mit einer großen Vielfalt an Landesuniversitäten erfüllten die Familien-S. bzw. S.-Stiftungen bedeutende Funktionen bei der Elitenbildung und bei der Festigung der Bindung zwischen der jeweiligen Universität und den gesellschaftlichen Eliten. Die Familien-S. wurden i. d. R. als bürgerliche Stiftungen eingerichtet, von der Universität verwaltet und i. S. d. Stiftungszwecks vergeben. In den Jahrzehnten vor und nach 1800 wurden die S. offensiv auch als Qualitätsmerkmal von Universitäten bekanntgemacht und durch Preis-S. ergänzt. Um die Wende zum 19. Jh. wurde das Auswahlkriterium der Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit, das vorher – neben der regionalen Identität der Kandidaten – dominiert hatte, durch vielfältigere identitätsbezogene Kriterien bzw. Zweckbestimmungen abgelöst. Um 1900 wurden S.-Stiftungen auch als Hebel zur Förderung des Frauenstudiums eingesetzt (ca. 20 % der Stiftungen stammten von Frauen). Die Jahre der Inflation im frühen 20. Jh. brachten die S.-Stiftungen (wie alle Stiftungen) in Bedrängnis. Versuche der Zusammenfassung in größere Einheiten und Liquidierung der S.-Stiftungen im Nationalsozialismus waren gleichwohl nicht gänzlich erfolgreich. Das Ende der pluralen und ausdifferenzierten S.-Landschaft wurde in Deutschland erst durch politische Grundsatzentscheidungen der 1950er Jahre herbeigeführt.

In einigen Phasen der Entwicklung (z. B. im 17. Jh.) wurde die sozial- bzw. begabungsbezogene Zwecksetzung deutlich von der Privilegierung der Studenten aus höheren Schichten überlagert, was eine Entfernung von der Grundidee des Begabten- bzw. Bedürftigen-S.s bedeutete. Dieser Befund wird auch in der Gegenwart als Vorwurf an die Begabtenförderungswerke im System der staatlichen Begabtenförderung gerichtet, wobei meist statistische Korrelationen mit Kausalitäten verwechselt werden. Die Forderung, bei einer Quote von bspw. 50 % Studenten als Erstakademikern müsste auch die Hälfte der Stipendiaten in der Begabtenförderung Erstakademiker sein, geht insofern in die Irre, als unter den leistungsfähigsten Studenten keineswegs 50 % Erstakademiker zu finden sind.

Eine Sonderform sind Unterstützungsformen, bei denen – ähnlich wie in der ganzen Frühen Neuzeit die sog.e „Freitische“ von Professoren für bedürftige Studenten – Kost und Logis, u. U. auch eine bes. Ausbildungskomponente als Vorleistung im Hinblick auf eine spätere Tätigkeit im Bereich des S.-Gebers gewährt wurde. So mussten sich die Stipendiaten im Tübinger evangelischen Stift verpflichten, später in den Dienst des Landesherrn zu treten (insb. als Pfarrer und Juristen). Das führte notorisch zu Konflikten, weil die Nutznießer der S. im Laufe des Studiums ihre Intentionen änderten (Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike). Die Existenz als Hofmeister war dabei oft eine Ausweichstation bzw. ein Moratorium.

5. Aktuelle Situation

Die urspr. und offiziell karitative bzw. leistungsbezogene Zielsetzung der S. kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit S. von Anfang an auch bildungsorganisatorische und bildungspolitische Zwecke verbunden wurden. Die Förderung bedürftiger Studenten konnte sozialdisziplinierende Funktionen erfüllen. Sie diente und dient immer auch der Erschließung von Begabungs-Ressourcen für die jeweilige politisch-staatliche Führung, die Wirtschaft oder Kultur. Das Tübinger Stift sollte für das Herzogshaus bzw. Landesverwaltung und Landeskirche Nachwuchs heranziehen. Die Vergabe von S. wurde und wird auch an programmatische Kriterien („Affinität“ zum jeweiligen S.-Geber) gebunden, wobei im Normalfall eine Balance zwischen der persönlichen Autonomie des Empfängers und der Zweckbindung des S.-Gebers angestrebt wird. In Deutschland wird ein Großteil der Begabten-S. durch die derzeit 13 Begabtenförderungswerke abgedeckt, die aus Mitteln des Bundes nach den Kriterien des BAföG 1 % der begabtesten Studenten im deutschen Hochschulwesen fördern sollen, wobei die materiellen Zuwendungen je nach Ausrichtung des jeweiligen Werkes durch ein mehr oder weniger umfassendes Bildungsprogramm ergänzt werden. Dabei soll die weltanschaulich-politische Pluralität nicht primär innerhalb der einzelnen Werke, sondern auf der Ebene des Gesamtsystems gewährleistet werden, denn Parteien, Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften und Sozialpartner gestalten sowohl ihre Auswahlkriterien (neben der wissenschaftlichen Höchstbegabung auch Kriterien der Lebensleistung und des gesellschaftlichen Engagements) als auch ihre Förderarbeit (neben der Weitergabe der staatlichen S.-Mittel) nach eigenen Grundsätzen und Leitbildern. Eine Ausnahme bildet die weltanschaulich-politisch neutrale Studienstiftung des deutschen Volkes, die alleine in etwa die Größe aller anderen Werke zusammengenommen aufweist.

Bildende Künste, Literatur und Musik sind Bereiche des Kultursystems, die – nicht zuletzt wegen unsicherer Möglichkeiten materiellen Auskommens – durch ein sehr vielfältiges, ja unübersichtliches S.-Wesen geprägt sind: Stadtschreiber-Posten, Poetik-Vorlesungen und v. a. Preise aller Art dienen der für die Geldgeber nicht sehr verbindlichen, zugl. aber für Repräsentationszwecke hervorragend geeigneten befristeten Unterstützung von jüngeren Künstlern. Getragen wird dieser S.-Betrieb von privaten Mäzenen, Stiftungen bürgerlichen Rechts, aber auch öffentlichen Geldgebern. So werden etwa die renommierten S. der Villa Massimo/Rom von dem Beauftragten für Kultur und Medien bei der Bundesregierung vergeben. S. sind auch ein bewährtes, aber umstrittenes Mittel der Projektförderung, weil sie nicht mit institutioneller sozialer Absicherung verbunden sind.