Sterilisation

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1. Hinführung

Unter S. versteht man eine meist auf Irreversibilität angelegte Aufhebung der Zeugungs-/Empfängnisfähigkeit des Menschen. Sie ist oft ein operativer Eingriff und bedarf der informierten Zustimmung des Behandlungswilligen (informed consent). Der „Patient“ muss über Art, Umfang, Tragweite, der Operation aufgeklärt werden und einwilligen. Zu einer solchen Intervention kommt es auf W…unsch des Patienten oder auf ärztlichen Rat. Erst dann kommt ein Behandlungsvertrag zustande, in dem ein Behandlungsziel bestimmt wird. Behandlungsziel und Behandlungsvertrag sind Grundlage des Eingriffs. Meist geschehen die Eingriffe auf W…unsch des Patienten. Aus „salus aegroti suprema lex“ wird „voluntas aegroti suprema lex“ (aus: „das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot“ wird: „der Wille des Patienten ist oberstes Gebot“). Manchmal gilt beides.

2. Empfängnisverhütung

Sollte das primäre Behandlungsziel z. B. eine Bestrahlungstherapie von Eierstock-Tumoren sein, die eine Sterilität zur Folge hat, ist die Intention des Eingriffs eine onkologische Therapie, die als „Nebenwirkung“ eine Sterilität mit sich bringt. Hierbei handelt es sich um eine Handlung mit Doppelwirkung, bei der die Therapie und nicht die S. im Vordergrund steht (indirekte S.). S.en werden aber auch direkt als empfängnisverhütende Maßnahmen eingesetzt. Hier ist die Herbeiführung der dauerhaften Unfruchtbarkeit das Behandlungsziel (direkte S.). Da dies ein erheblicher Eingriff in die Integrität eines Menschen und seine Fähigkeit zur Fortpflanzung ist, kann sich z. B. in Österreich ein Mensch erst ab dem 25. Lebensjahr zu einem solchen Eingriff entscheiden. Während bei der S. die sexuelle Empfindsamkeit erhalten bleibt (sie kann jedoch psychische Auswirkungen haben), ist dies bei der Kastration (z. B. Entfernung der Hoden) nicht der Fall. Zu einer Kastration kann keine Zustimmung erteilt werden. Das impliziert, dass der Staat die sexuelle Empfindungsfähigkeit als integralen Bestandteil menschlicher Existenz und Identität sieht.

Bei der S. stellt sich aus katholisch theologisch-ethischer Perspektive die Frage, ob die Herbeiführung einer dauerhaften Unfruchtbarkeit ethisch zu rechtfertigen ist. Zur Beantwortung dieser Frage muss geklärt werden, ob Sexualität – wie in der Ehezwecklehre des Augustinus – allein der Zeugung von Kindern dient oder auch unabhängig davon einen Sinn als Ausdruck der personalen Liebe (GS 50) oder der Beziehungsstabilisierung hat. In der Enzyklika „Humanae Vitae“ (Paul VI.) wird gesagt, dass jeder eheliche Akt offen sein müsse auf Kinder. Das Zweite Vatikanische Konzil formuliert offener, dass die Ehe an sich auf Kinder hin offen sein soll (GS 48/50). Allein die Methode der Geburtenkontrolle ist umstritten: natürlich (natürliche Familienplanung, Zeitwahlmethode) oder künstlich (z. B. Kondom, Pille, S.). In der Vorbereitung von „Humanae Vitae“ sprachen sich eine Laienkommission und eine bischöfliche Kommission mehrheitlich dafür aus, die Methode den Paaren nach Gewissensprüfung selbst zu überlassen (so wie auch später die Königsteiner Erklärung, Mariatroster Erklärung und viele andere). Papst Paul VI. entschied sich für das Minderheitengutachten und erklärte jede künstliche Empfängnisverhütung – also auch S. – für unerlaubt. Eine S. ist nach der Lehre der katholischen Kirche auch dann unsittlich, wenn sie nach der Geburt von Kindern und dem Abschluss der Familienplanung vorgenommen wird: dies zum einen wegen der nötigen Offenheit auf ein Kind und zum anderen, weil der Mensch als leib-seelische Ganzheit gesehen wird (Totalitätsprinzip), er kein vollständiges Verfügungsrecht über seinen Körper habe und dieser Eingriff (ähnlich wie eine Amputation) als Verstümmelung betrachtet wird. Ein solcher Eingriff wäre demnach nur gerechtfertigt, wenn aus medizinischer Indikation heraus das Wohl der ganzen Person nur so aufrechterhalten werden könnte.

3. Zwangssterilisation

Gesellschaftlich relevant war und ist die Frage der S. im Zusammenhang mit Zwangs-S.en (Nationalsozialismus oder andere diktatorische Regime). Dabei geht es um staatlich verordnete S., damit entweder „krankes“ Erbgut oder Erbgut einer „falschen Rasse“ i. S. d. „Rassenhygiene“ nicht weitergegeben wird oder im Zuge einer Ein-Kind-Politik keine weiteren Kinder mehr geboren werden. Dies ist einer der tiefsten Eingriffe in die menschliche Intimität und Integrität und daher ethisch nicht zu rechtfertigen. Damit dies niemals mehr geschieht, hat das deutsche GG von 1949 im Art. 1 formuliert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dies ist ein Artikel zur Begrenzung staatlicher Macht, niemals mehr so tief in die Intimsphäre und Integrität eines Menschen einzugreifen wie im Nationalsozialismus, und ein Artikel, der den Staat in die Pflicht nimmt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Der Würdebegriff wurde bereits von Cicero i. S. d. „Würdigkeit eines Menschen“ (z. B. als Inhaber eines hohen Amtes) gebraucht. Im Judentum entstand die Auffassung vom Menschen als Ebenbild Gottes, gefolgt von der christlichen Überzeugung, dass vor Gott alle Menschen gleich sind (Paulus). Über Giovanni Pico della Mirandola bis zu Immanuel Kant wurde der Begriff philosophisch weiterreflektiert. Er besagt, dass jeder Mensch um seiner selbst willen zu achten ist (unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, genetischer Abstammung, Hautfarbe) und niemals total verzweckt werden darf. Ferner bedeutet er, dass jeder ein Recht auf Leben und körperliche (und geistige) Unversehrtheit. D. h., niemand darf gegen seinen Willen bzw. ohne ausdrückliche Zustimmung körperlich „versehrt“ werden. Eine S. darf daher nur mit dem Einverständnis der betroffenen Person und nicht gegen ihren Willen vorgenommen werden. Dies gilt auch für Sexualstraftäter, die z. B. zur weiteren Schadensvermeidung sterilisiert werden sollen (punitive S.). Diskutiert werden Grenzfälle bei Menschen mit schwerster geistiger Behinderung, die keine Kontrolle über ihr Verhalten haben sowie die Folgen ihres Tuns nicht abschätzen können und daher einer Betreuung (Deutschland) oder Sachwalterschaft (Österreich) unterliegen. Hier stellt sich die Frage, ob der Betreuer/Sachwalter zum Schutz der betroffenen Person oder Anderer unter Hinzuziehung von Gutachtern und eines Gerichtes eine solche S. vornehmen lassen kann. Das Recht auf Unversehrtheit, körperliche Integrität sowie das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Fortpflanzung (nicht auf Fortpflanzung) sind fundamentale Güter, die geschützt werden müssen (Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG; Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit).

4. Transsexualität

Ein ganz anderes Problem stellt sich heute mit dem Phänomen der Inter- und Transsexualität. Intersexualität bedeutet, dass biologische Merkmale von beiden Geschlechtern vorliegen. Transsexualität meint, dass z. B. ein Mädchen, das vom biologischen Geschlecht her eindeutig ein Mädchen ist, schon sehr früh „weiß“, dass es eigentlich ein Junge ist. Während Intersexuelle meist steril sind, sind Transsexuelle dies nicht. Hier besteht das Problem, dass z. B. ein junges Mädchen bereits als Junge lebt (mit Namens- und Personenstandsänderung) und vor die Entscheidung gestellt wird (zusammen mit Eltern, Psychologen, Gutachtern), ob durch eine medikamentöse Gabe von gegengeschlechtlichen Hormonen eine irreversible Unfruchtbarkeit herbeigeführt wird. Diese kommt einer S. – wenngleich medikamentös – fast gleich. Während bei operativen S.en der Mensch mindestens 25 Jahre alt sein muss (Österreich), wird hier jungen Menschen zugemutet, über ihre spätere Fortpflanzungsfähigkeit mitzuentscheiden. Manche empfinden es als einzige Ermöglichung, ihre gefühlte Identität leben zu können.