Stadtplanung: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 06:00 Uhr

S. bezeichnet allg. eine Handlungspraxis öffentlicher oder privater Akteure, die urbane und dörfliche Räume vorausschauend gestaltet. Im spezifischeren Sinn meint S. eine akademische Disziplin, die räumliche Entwicklung auf Ebene der Gemeinde oder des Quartiers unter Berücksichtigung ästhetischer, baukultureller, ökonomischer, ökologischer, sozialer und technischer Aspekte betrachtet und hieraus Strategien und Konzepte zukünftiger Entwicklung für eine theoriegeleitete Praxis ableitet. Im engsten und institutionellen Sinn ist S. ein kommunales Aufgabenfeld, dem als unterster Ebene der Raumordnung (Raumordnung und Landesplanung) in der BRD auch die Bauleitplanung, d. h. die städtebauliche Ordnung der Gemeinde, zugeordnet wird.

Kern der Aufgabe der S. ist es, die vielfach konkurrierenden (Nutzungs-)Ansprüche an begrenzten (städtischen) Boden und Raum im Dienste des Gemeinwohls und nach Maßgabe fachlicher Expertise zu organisieren. Dabei hat die Praxis der S. der fachlichen und gesellschaftlichen Komplexität räumlicher Entwicklung, der Unsicherheit zukünftiger Erwartungen und der langfristigen Pfadabhängigkeiten, die durch planerische Entscheidungen geschaffen werden, Rechnung zu tragen. Dies gilt umso mehr, als räumliche (Nutzungs-)Ansprüche abhängig von gesellschaftlich divergierenden Interessen und Werthaltungen entstehen und artikuliert werden. S. ist aufgrund der hiermit umschriebenen „Bösartigkeit planerischer Probleme“ (Rittel/Webber 1992: 20–31) in modernen komplexen Gesellschaften durch konflikthafte gesellschaftliche Aushandlungsprozesse geprägt. Notwendig inhärent ist ihr daher ein Widerspruch zwischen ihrem an fachlicher Expertise und Gemeinwohl ausgerichteten professionellen disziplinären Selbstverständnis einerseits und der gesellschaftlich und politisch zu implementierenden Praxis (Implementation) andererseits. Prozesse und Verfahren räumlicher Planung sowie deren Legitimation sind daher zentraler Gegenstand der S. in Theorie und Praxis.

1. Stadtplanung und Stadtproduktion

Als fachlich übergreifende Disziplin in Praxis und Wissenschaft in diesem Sinne bildet sich S. im Übergang vom 19. zum 20. Jh. heraus. Allerdings war im deutschsprachigen Raum bis in die 1960er Jahre der von Camillo Sitte und Joseph Stübben geprägte Begriff „Städtebau“ dominant und wurde synonym zu S. benutzt. Demgegenüber war im angelsächsischen Raum bereits um 1900 der Begriff Town Planning etabliert. S. entsteht im 19. Jh. vor dem Hintergrund des rasanten liberalistischen Wachstums der Städte, das durch Industrialisierung, Einführung bürgerlichen Eigentums an Grund und Boden und Zunahme städtischer Bevölkerung in Gang gesetzt worden war und verheerende hygienische, soziale und verkehrliche Probleme verursachte. Um die infrastrukturelle Funktionalität, soziale Stabilität und ökonomische Produktivität städtischen Raums und Bodens zu sichern und weiteres Wachstum zu ermöglichen, bedurfte es fachlicher Expertise und vorausschauender Steuerung räumlicher Entwicklung ebenso wie staatlicher Institutionen, um diese zu implementieren. Folglich ist die Genese der Disziplin eng verwoben mit der Herausbildung eines neuen kommunalen Aufgabenfelds und seiner zugehörigen Institutionen.

Ebenso verändert sich auch mit den wechselnden Herausforderungen räumlicher und städtischer Entwicklung das Selbstverständnis der Disziplin und die Funktion der S. als kommunale Aufgabe. Anschließend an Gerd Albers und Julian Wékel lässt sich diese Entwicklung im deutschsprachigen Raum in fünf aufeinander aufbauende Phasen einteilen: Anpassungsplanung (1860–1900), Auffangplanung (1900 bis 1960), Entwicklungsplanung (1960 bis 1980), Perspektivplanung (ab 1980) und Integriertes Entwicklungsmanagement (ab 1995). Diese unterscheiden sich mit Blick auf die Annahmen zur Reichweite planerischer Steuerung und der Rollenverteilung zwischen fachlicher Expertise, Verwaltung, Politik und Gesellschaft. Stets ist allerdings die Praxis der S. wie in allen westlichen kapitalistischen Gesellschaften geprägt durch eine Co-Produktion der Stadt von Akteuren aus Staat, Markt und Gesellschaft. Allerdings unterscheidet sich je nach Struktur der politischen Ökonomie das Ausmaß, in dem öffentliche Instanzen die private Produktion von Stadt steuern. So prägen nationale und historische Kontexte aber auch lokale Traditionen und Logiken die Auffassung und Rolle institutionalisierter S. Dabei wird eine starke, dem Allgemeinwohl verpflichtete lokale Steuerung als ein wesentliches Merkmal der idealtypisch konzipierten „europäischen Stadt“ (Siebel 2004) betrachtet, das die Folgen liberalistischer Stadtentwicklung einzuhegen sucht. Demgegenüber ist S. bspw. in den neugegründeten Städten der USA seit ihrem Anfang in erster Linie Aufgabe und Bedingung privater Entwicklung und Vermarktung städtischen Bodens.

2. Berufsfeld und Qualifikation

Das Studium der S. (oder verwandter Studiengänge) zielt darauf, Verständnis für die Komplexität städtischer Räume hinsichtlich ihrer sozialen und ökologischen, technischen, ökonomischen aber auch baukulturellen Dimensionen und die methodischen sowie verfahrenstechnischen Kompetenzen zur planerischen Gestaltung räumlicher Entwicklung zu vermitteln. Es integriert daher sowohl Wissen und Methoden aus Planungs-, Sozial-, Geistes- und Ingenieurwissenschaften als auch Kompetenzen im räumlichen Entwerfen, in der Moderation und Organisation von (räumlicher) Planung und Entwicklung. Durch ein technisches Referendariat samt Staatsexamen in der Fachrichtung „Städtebau“ kann eine Qualifikation für den höheren Verwaltungsdienst erworben werden. Als universitäre Disziplin entsteht S. in Westdeutschland ab 1968. Die geschützte Berufsbezeichnung Stadtplaner/in wird durch Berufskammern in den Bundesländern vergeben. In der DDR wurde S. in der Sektion „Gebietsplanung und Städtebau“ als Spezialisierung der Architektur bzw. des Bauingenieurwesen an der HAB Weimar gelehrt.

3. Stadtplanung als kommunale Aufgabe

S. ist, anders als baupolizeiliche Aufgaben, keine übertragene staatliche Aufgabe, sondern gehört seit den Preußischen Fluchtliniengesetzen 1870 in den Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben (Selbstverwaltung) der Gemeinde, die über die Planungshoheit für ihr gemeindliches Gebiet verfügt. Innerhalb des vielfältigen Aufgabenspektrums der kommunalen S. kommt der städtebaulichen Ordnung der Gemeinde durch die (zweistufige) Bauleitplanung als gesetzlich übertragener, weisungsfreier Pflichtaufgabe der Kommune (BauGB § 1; Baurecht) eine bes. Bedeutung zu. Mit dem Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan, BauGB §§ 5–7) wird die langfristige Entwicklung der Art der Nutzung städtischen Bodens geregelt, mit dem Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan, BauGB §§ 8–10a) zusätzlich mindestens das Maß der Nutzung sowie überbaubare Grundstücks- und Verkehrsflächen. Zu den Aufgaben der kommunalen S. zählt zudem die „integrierte Stadtentwicklungsplanung“, die alle Fachplanungen und Teilräume des Gemeindegebiets umfasst. Zuständig ist sie in Zusammenarbeit mit den jeweils einschlägigen Fachämtern auch für Wohnraum- und Grünflächenentwicklung sowie Infrastrukturplanungen, die Stabilisierung sozialräumlicher Strukturen und den Erhalt baukultureller Qualitäten. Eine wesentliche Aufgabe kommunaler S. ist es heute auch, die mit Stadtentwicklung verbundenen gesellschaftlichen Aushandlungen zu moderieren.

3.1 Instrumente der Stadtplanung

Für diese Vielzahl an Aufgaben stehen der S. Instrumente zur Verfügung, die auf unterschiedliche Weise Einfluss auf räumliche Entwicklung nehmen. Über indirekte Instrumente lässt sich das raumwirksame Handeln Dritter beeinflussen (vgl. Selle 2005). Hierzu zählen insb.

a) regulative (also rechtssetzende),

b) persuasive, auf Kommunikation ausgerichtete und

c) finanzielle Instrumente (Fördermittel, Abgaben etc.).

Kommunale S. aber kann räumliche Entwicklung auch direkt beeinflussen, und zwar durch

d) Marktteilnahme,

e) indem sie Grundstücke oder Liegenschaften etwa über Vorkaufsrechte erwirbt und sie kann Standorte mit öffentlichen Investitionen entwickeln.

Schließlich kann S.

f) interne Instrumente nutzen, um durch Prozessmanagement und Organisationsentwicklung strukturierend auf Planungsprozesse einzuwirken.

Diese Instrumente sind jeweils hinsichtlich ihres Rechtscharakters zu unterscheiden. Formelle Instrumente regulieren rechtsverbindlich die räumliche Entwicklung der Gemeinde. Hierzu zählen neben dem Bau- und Planungsrecht eine Vielzahl weiterer formeller Instrumente, z. B. aus dem Naturschutz- oder Umweltrecht. Informelle Instrumente (z. B. integrierte Stadtentwicklungskonzepte) oder Verfahren (z. B. runde Tische, Zukunftswerkstätten o. Ä.) entfalten hingegen lediglich diskursive oder politisch strategische Wirkung. Sie werden oft auch genutzt, um eine größere Zahl an Akteuren, insb. auch nicht-staatliche Akteure, einzubinden.

3.2 Organisation und Rolle der Stadtplanung

Institutionell wird S. meist mit anderen Aufgaben des Bauwesens in einem kommunalen Dezernat zusammengefasst. In den Stadtstaaten fallen Aufgaben der Landesplanung und gemeindlichen Planung zusammen. Die kommunale S. untersteht der politischen Steuerung durch die kommunalen Gremien, denen die wesentlichen Entscheidungen über Stadtentwicklung und -planung obliegen.

Letztlich ist stadträumliche Entwicklung, insoweit sie durch S. gesteuert wird, heute jedoch nicht das Ergebnis von Setzungen amtlicher S., sondern eines komplexen, von der kommunalen S. moderierten Aushandlungsprozesses zwischen politischen Vorgaben, (konkurrierenden) Verwaltungen und Aufgabenträgern, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Privatpersonen.

Seit den 1970er Jahren wurde diesem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess als Teil von Planungsprozessen vor dem Hintergrund mangelnder Legitimation und Akzeptanz öffentlicher Planungen sukzessive mehr Raum eingeräumt. Die Funktion der kommunalen S. hat sich dabei von einer (an-)ordnenden und ausführenden hin zu einer kooperierenden Verwaltung gewandelt. Im Zuge dieses Prozesses wurden in der formellen, rechtsverbindlichen Planung zu den Beteiligungsrechten der betroffenen Träger öffentlicher Belange und Fachplanungen auch Beteiligungsrechte für die planungsbetroffene allg.e Öffentlichkeit hinzugefügt. Dies geschah zunächst im Rahmen der Ausweisung von Sanierungsgebieten im Städtebauförderungsgesetz, 1971. Mit der Novelle des BBauG 1976 wurde in der regulären Bauleitplanung die zweistufige Beteiligung der Öffentlichkeit eingeführt (heute BauGB § 3), die jedoch zur Beschleunigung von Planung unter bestimmten Bedingungen 2007 wieder eingeschränkt wurden (vgl. § 13a BauGB). Gleichzeitig führte die Verknappung öffentlicher und personeller Ressourcen auf lokaler Ebene und die hiermit einhergehende Einschränkung kommunaler Handlungsmöglichkeiten ab den 1990er Jahren zunehmend zur Ausbildung kooperativer Formen der Stadtentwicklung (Governance): Einerseits werden Aufgaben der S. auf private und insb. profit-orientierte Akteure i. S. v. PPP ausgelagert, seit 1998 gibt es für Kooperationen im Städtebau auch eine eigenständige Norm im BauGB (§ 11 Städtebaulicher Vertrag). Andererseits nutzt kommunale S. vermehrt informelle Instrumente ohne formaldemokratische Legitimation, die darauf zielen zusätzliche gesellschaftliche Akteure einzubinden. Diese Erhöhung von Beteiligung soll zusätzliches implizites Wissens in Planungsprozessen generieren, und damit tragfähige und gesellschaftlich akzeptierte planerische Entscheidungen ermöglichen. Neben diesen lokalen Planungsprozessen wird kommunale S. auch durch sog.e „heimliche Stadtpolitik“ (Dreier et al. 2001: 102) beeinflusst. Bezeichnet sind damit Politiken übergeordneter politischer Akteure, die nicht als S. intendiert sind, lokalräumliche Entwicklung jedoch in hohem Maße prägen. Beispiele hierfür sind strukturpolitische Förderungen der EU, nationale Steuerpolitik oder die Förderung spezieller Wohnformen und Infrastrukturen.