Stadt

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  1. I. Stadtgeschichte
  2. II. Stadtsoziologie

I. Stadtgeschichte

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1. Die moderne europäische Stadtgeschichte im globalen Kontext

Obwohl die S. als Siedlungsform global verbreitet ist, hat sich die S.-Geschichte lange Zeit auf die spezifisch europäische Ausprägung der Urbanisierung fokussiert. Spätestens seit Max Weber galt die S. als Kristallisationspunkt der westlichen Moderne, die in der „europäischen Stadt“ des 19. und 20. Jh. idealtypisch verwirklicht zu sein schien. Mit dieser Annahme eng verbunden war die Vorstellung einer historischen Dynamik, wonach Städte (S.e) in anderen Weltregionen aufgrund mangelnder kommunaler Autonomie unzureichend entwickelt seien, aber langfristig dem westlichen Muster folgen und sich modernisieren würden. In den letzten Jahrzehnten ist diese Grundannahme aus mehreren Richtungen hinterfragt worden.

Erstens wird die historische Entwicklung außereuropäischer S.e nicht mehr als Defizitgeschichte geschrieben. Unter dem Schlagwort „multiple modernities“ (Eisenstadt 2002) kommen vielmehr endogene Formen städtischer Modernität in anderen Weltregionen und die Hybridisierung mit den im 19. und 20. Jh. wirkmächtigen westlichen Vorbildern in den Blick. Zweitens wird die Entwicklung europäischer S.e in globale Verflechtungsprozesse eingeordnet. Demnach profitierten insb. die S.e Nordwesteuropas als Knotenpunkte in weltweiten Handelsnetzwerken von ungleichen Machtverhältnissen und vom Kolonialismus. Drittens zeigt sich, dass auch die Geschichte von S.en innerhalb Europas keineswegs durch einen einheitlichen Modernisierungsprozess gekennzeichnet ist. Gerade die S.-Entwicklung in Süd- und Osteuropa weicht deutlich von den idealtypischen Annahmen ab und führt dazu, auch das Bild der europäischen S. zu differenzieren. Jedoch blieben die S.e Nordwesteuropas ein unverändert wichtiger Gegenstand der S.-Geschichte, nunmehr allerdings eingeordnet in den globalen Kontext.

2. Die Stadt als politisch-administrative Einheit

Der klassischen Definition von S. als politisch-administrativer Einheit folgend, sind Verfassung und Verwaltung von S.en ein zentrales Thema der S.-Geschichte. Die kommunale Selbstverwaltung, die bereits in der Antike und im europäischen Mittelalter für S.e kennzeichnend war, veränderte sich seit dem 19. Jh. qualitativ. Dabei lassen sich zwei Trends konstatieren: die sukzessive Verbreiterung von Partizipationsmöglichkeiten sowie die Ausweitung kommunaler Aufgaben (Gemeinde).

Unter dem Eindruck der Französischen Revolution kam es in vielen europäischen Staaten Anfang des 19. Jh. zur Reform der Kommunalverfassung. Dabei wurde, in unterschiedlichem Maße, die kommunale Autonomie gegenüber dem Staat z. T. wiederhergestellt, die die ehemals freien S.e des Ancien Régime erst wenige Jahre zuvor eingebüßt hatten. Zudem wurden ständische Rechte durch Bürgerrechte ersetzt, die auch das Wahlrecht für kommunale Ämter umfassten. Obwohl die politische Partizipation auf Männer mit Besitz beschränkt blieb und Wahlen nicht immer dem Grundsatz der Gleichheit und Freiheit entsprachen, war die kommunalpolitische Erfahrung in der ersten Hälfte des 19. Jh. ein wichtiger Impuls für den Übergang von der Stände- zur Bürgergesellschaft.

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs kam es zu einem erneuten Schub in der Ausweitung der Partizipation, als in den meisten europäischen Ländern das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. In der Zeit des Nationalsozialismus und autoritärer Regime wurden Beteiligungsmöglichkeiten als Teil von Gemeinschaftsideologien beschnitten und kanalisiert. Demgegenüber war die Autonomie der Kommunen trotz verfassungsrechtlicher Festschreibung schon in den Krisen der 1920er und frühen 1930er Jahre durch finanzpolitisch legitimierte staatliche Eingriffe in die Selbstverwaltung erheblich geschwächt worden.

Einen dritten Schub erhielten kommunale Partizipationsmöglichkeiten in westeuropäischen S.en in den späten 1960er und 1970er Jahren. Dabei verbanden sich die Forderungen der anwachsenden Protestbewegungen mit kommunalpolitischen Reformen, die auf eine Demokratisierung der Gesellschaft zielten. Charakteristisch hierfür war neben der Einbeziehung weiterer Bevölkerungskreise die Diversifizierung der Gegenstandsbereiche, bei denen Mitbestimmung möglich war. Zugl. nahm die politische Mobilisierung der Bevölkerung in z. T. konflikthaften Auseinandersetzungen zu. Mit der seit Ende der 1970er Jahre zuerst in Großbritannien einsetzenden Deregulierung vieler kommunaler Zuständigkeitsbereiche behielten Partizipationsmöglichkeiten zwar ihre Bedeutung, wurden aber in komplexere Konstellationen der Entscheidungsfindung eingebettet.

Parallel zur Partizipation kam es seit dem 19. Jh. zur Ausweitung kommunaler Aufgaben. Das Sozialwesen war eines der wichtigsten Felder dieser Entwicklung. Aus der Tradition der Fürsorge, die bereits in der Vormoderne eine kommunale Aufgabe war, entwickelten sich Mitte des 19. Jh. neue Formen ehrenamtlicher Armenverwaltung, die auch Raum für öffentliches Engagement von Frauen bot. Zum Ende des Jahrhunderts wurde das Sozialwesen dann professionalisiert, Leistungsansprüche wurden zunehmend bürokratisch geregelt und überwacht. Unter dem Eindruck eines starken Bevölkerungswachstums und massenhafter Verelendung in den S.en richtete sich die Aufmerksamkeit insb. auf Fragen der Hygiene und auf die Wohnbedingungen.

Um diese zu verbessern, schritten europäische S.e in der zweiten Jahrhunderthälfte zum Ausbau der Infrastruktur. Zu den ersten Maßnahmen gehörte der Aufbau von Wasserversorgungssystemen und Kanalisation. Vielerorts erfolgte darauf der Ausbau der Gas- und Elektrizitätsversorgung. Daneben wurde die Verkehrsinfrastruktur modernisiert, um die Mobilität innerhalb der wachsenden S.e zu gewährleisten. Den Aufbau und Betrieb dieser Systeme übernahmen auf dem europäischen Kontinent nach einer ersten privatwirtschaftlichen Phase die Kommunen ab den 1880er Jahren oft selber. Die wachsende Verantwortung für die infrastrukturelle Ausstattung und weitere Bereiche der Daseinsvorsorge führte nicht nur zur Ausdehnung der Aufgabenbereiche, sondern auch zur Expansion der S.e im Zuge kommunaler Gebietsreformen. Damit einher ging der Ausbau zu einer umfassenden Leistungsverwaltung, die zunehmend professionell organisiert war.

In diesem Zusammenhang bildete sich mit der Stadtplanung ein zentrales Betätigungsfeld der Kommunalverwaltungen heraus. Neben der Projektierung der Infrastruktursysteme spielte um die Wende zum 20. Jh. die Koordination von Nutzungsansprüchen in Bebauungsplänen eine immer wichtigere Rolle. Regulierende Eingriffe in die S.-Entwicklung zielten auf die Wohn- und Lebensbedingungen, aber auch auf den Werterhalt von Immobilien. In dem Maße, in dem Planungsentscheidungen wissenschaftlich legitimiert wurden, trugen sie entscheidend zur allg.en Verwissenschaftlichung der Kommunalverwaltung bei. Von Beginn an war die S.-Planung international vernetzt und verfolgte gemeinsame Leitbilder. Dominierten in der ersten Hälfte des 20. Jh. funktionalistische Leitbilder, die ihren prominentesten Ausdruck 1933 in der Charta von Athen fanden, setzte sich seit den 1960er Jahren ein prozessorientiertes Planungsverständnis mit zunehmend partizipativen Elementen durch.

3. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der europäischen Stadt

Das Wachstum der städtischen Bevölkerung ist ein zentrales Merkmal der modernen S.-Geschichte. Zum einen wuchsen die Einwohnerzahlen einzelner S.e, zum anderen nahm der Anteil der Städter an der Gesamtbevölkerung zu. Diese als Verstädterung bezeichnete Entwicklung setzte in einzelnen Ländern bereits vor dem 19. Jh. ein und hält als globaler Trend bis heute an. Im Unterschied zu früheren Epochen erwies sich dieses Wachstum der letzten Jahrhunderte als kontinuierlich und irreversibel. Wo sie auftraten, blieben Schrumpfungsprozesse im Allgemeinen lokal beschränkt oder waren außergewöhnlichen Umständen, etwa Kriegshandlungen oder wirtschaftsstrukturellen Umbrüchen, geschuldet.

Die S.e profitierten insb. von Wanderungsbewegungen. Dominierte bis zur ersten Hälfte des 19. Jh. die Nahmigration aus dem jeweiligen Umland, kam in der zweiten Hälfte eine ansteigende Fernmigration hinzu, z. T. mit interkontinentaler Dimension (Migration). Geburtenüberschüsse spielten zu Beginn keine Rolle, da die Sterberaten in den S.en über denen des Landes lagen. Dieses Verhältnis kehrte sich im Laufe des 19. Jh. um, als eine bessere medizinische Versorgung und die systematische Wasserver- und -entsorgung die Sterberaten in den S.en überproportional sinken ließ.

Inwieweit Verstädterung an Industrialisierungsprozesse geknüpft ist, ist umstritten. Während die aufstrebenden industriellen Zentren Nordwesteuropas im 19. Jh. spektakulär wuchsen, sind die Wachstumsschübe im 20. Jh., die auch Süd- und Osteuropa erfassten, nur teilweise auf die Ausweitung industrieller Produktion zurückzuführen. Gleiches gilt für andere Teile der Welt. Zudem gab es unterschiedliche S.e-Typen mit je eigener Entwicklungsdynamik. Industrie-S.e, die z. T. aus dem Nichts entstanden, waren eine Ausnahme. Häufiger expandierten bestehende Handels- und Hafen-S.e, in denen sich zwar auch industrielle Betriebe ansiedelten, die aber v. a. als Logistik-, Finanz- und Verwaltungszentren reüssierten. Mit der Globalisierung von Handelsströmen Ende des 19. Jh. und dann nochmals in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurden sie zu wichtigen wirtschaftlichen Knotenpunkten. Einen noch anderen Entwicklungspfad durchliefen Residenz- und Haupt-S.e, deren Wachstum an die Nationalstaatsbildung im 19. und 20. Jh. gebunden war und aufgrund der Expansion der Staatstätigkeit (Staatsaufgaben) bis heute anhält. Unterdessen entwickelten sich Industrie-S.e in Europa unter dem Eindruck der Deindustrialisierung im letzten Drittel des 20. Jh. kaum noch dynamisch.

Das S.e-Wachstum des 19. und 20. Jh. brachte differenzierte Raumstrukturen hervor. Mit dem Ausbau der Eisenbahn kam es zunächst rund um die Bahnhöfe zu einer Verdichtung von Dienstleistungsfunktionen in den Zentren. Industriebetriebe siedelten sich am Rande der Zentren an, wo auch Arbeiterviertel entstanden. Die Ausweitung von Straßenbahn- und S-Bahn-Netzen ermöglichte es bürgerlichen S.-Bewohnern seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. in Vororte zu ziehen, um der wachsenden Umweltbelastung zu entgehen und sich in die Privatsphäre des Eigenheims zurückziehen zu können. Dieser Trend zur Suburbanisierung verstärkte sich Mitte des 20. Jh. nochmals, als Autos das Mobilitätsverhalten tiefgreifend veränderten. Seit den 1970er Jahren kehrte sich dieser Trend um und das Wohnen im S.-Zentrum gewann wieder an Attraktivität, sodass heute von Reurbanisierung gesprochen wird.

Obwohl jeder Entwicklungsschub sozialräumliche Ungleichheiten mit sich brachte, lässt sich kein eindeutiges Muster der Segregation erkennen. Vielmehr wechselten unterschiedlich gelagerte soziale und ethnische Abgrenzungsprozesse einander ab. Während der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) zeigte sich dies in der zunehmenden Ausdifferenzierung zwischen Arbeitervierteln und bürgerlichen Vororten, die in der Hochphase der Suburbanisierung nach dem Zweiten Weltkrieg aber an Bedeutung verlor. Während ältere Muster der ethnischen Segregation verblassten, schuf die Ausgrenzung migrantischer Gruppen, die auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert wurden, immer wieder neue sozialräumliche Segregationsmuster. Die mitunter als slums bezeichneten S.-Teile mit geringer Lebensqualität und sanierungsbedürftigem Baubestand, wiesen oft eine Konzertration ethnischer Minderheiten und erhöhte Ausländeranteile auf. Mit der Gentrifizierung innerstädtischer Viertel am Ende des 20. Jh. gerieten die sozialräumlichen Ungleichheiten erneut in Bewegung.

4. Kulturgeschichte der europäischen Stadt

Unter dem Schlagwort der Urbanisierung ist in der S.-Geschichte die Herausbildung und zunehmende gesellschaftliche Verbreitung einer spezifischen städtischen Lebensweise seit dem 19. Jh. beschrieben worden. Zunächst war die europäische S. der Ort, an dem sich eine bürgerliche Öffentlichkeit etablierte und sich bürgerliche Sozialformen entwickelten. Zivilgesellschaftlich getragene Bildungs- und Kultureinrichtungen und das Vereinswesen hatten dabei eine wichtige Stabilisierungsfunktion (Zivilgesellschaft). Mit den sozialstrukturellen Veränderungen im 19. Jh. kam es dann zu einer Pluralisierung der Lebensstile und identitätsstiftenden kulturellen Angebote, von der Alltagskultur der Arbeiterschaft bis zu migrantischen Kulturen, die nebeneinander existierten. Trotz des Konfliktpotenzials, das die kulturelle Heterogenität barg, war sie auch Kennzeichen der bes.n Attraktivität und Dynamik städtischer Kultur.

S.e, zumal die europäische S., sind Gegenstand spezifischer Vorstellungen und Repräsentationen des Urbanen. Diese herausgehobene Rolle spielten S.e als politische, wirtschaftliche und religiöse Zentren zwar bereits in der Antike, seit dem 19. Jh. ist Urbanisierung aber stark mit Modernisierungsvorstellungen verknüpft. Einerseits galten S.e als technologisch wie sozial fortschrittlich und arbeiteten z. T. aktiv an der Konstruktion dieses Images. Zum anderen wirkten Modernisierungsvorstellungen auf die städtische Entwicklung zurück, insb. als Motiv für den Ausbau der Leistungsverwaltung und Infrastruktur. Die kulturelle wie materielle Konstruktion moderner Urbanität machte die europäische S. zu dem normativen Vorbild für die Entwicklung von S.en weltweit, dessen Wirkmächtigkeit in den letzten Jahren kritisch hinterfragt wurde. Sie definierte zudem den Gegensatz zwischen S. und Land, bis Mitte des 20. Jh. die Urbanisierung des Landes einsetzte, d. h. Merkmale städtischer Modernität zunehmend auf dem Land Verbreitung fanden.

Städtische Modernität war aber nicht nur positiv konnotiert, S.e wurden auch zu einem Objekt der Kulturkritik. Der technische Fortschritt, der als Entfremdung von der „Natur“ interpretiert wurde, galt Kritikern als Ursache sozialpathologischer Symptome, wie dem um 1900 konstatierten Anstieg der „Nervosität“, und zunehmenden körperlichen Degenerationserscheinungen. Unterdessen beförderten die kapitalistische Organisation (Kapitalismus) und die Anonymität städtischer Gesellschaften moralisches Fehlverhalten, so die Kritik. Aus dieser Perspektive erschien auch die Heterogenität von Lebensstilen als Zeichen des Werteverfalls. V. a. migrantische und Arbeiterkulturen, aber auch abweichende Geschlechterrollen und Sexualität standen im Fokus der Kulturkritik. Diese im Prinzip stadtfeindliche Interpretation erodierte erst ab den 1960er Jahren.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurde Heterogenität zu einem eindeutig positiven Merkmal von Urbanität und fand Eingang in Konzepte der S.-Entwicklung. Kulturelle Vielfalt gilt zunehmend als entscheidender Standortfaktor im Wettbewerb um Einwohner und Investitionen, insb. für die Entwicklung einer wissensbasierten „creative economy“ (Howkins 2001). In dem Maße, in dem urbane Heterogenität seit den 1970er Jahren Teil städtischer Repräsentation wurde, reüssierte auch das geschichtskulturelle Bewusstsein für die Diversität des städtischen Erbes.

5. Stadt und Umwelt

Die Geschichte der S. ist über den Verbrauch von Ressourcen, Eingriffe in topografische und ökologische Gegebenheiten und Umweltbelastung eng mit der Geschichte der Umwelt verflochten. Aufgrund der wachsenden Einwohnerzahlen und der Konzentration von produzierendem Gewerbe prägten S.e in der Neuzeit zunehmend den gesellschaftlichen Stoffumsatz und weiteten ihren „ökologischen Fußabdruck“ aus. Die als „sozialer Metabolismus“ beschriebene Zufuhr von Nahrungsmitteln, Brennstoffen, Wasser u. a. Ressourcen auf der einen Seite und Emissionen, die Beseitigung von Abfällen und Fäkalien, aber auch die Bereitstellung von Fertigprodukten auf der anderen Seite wurden zunehmend von städtischen Gesellschaften und deren Bedürfnissen dominiert. Dazu gehörte auch die räumliche Ausweitung städtischer Versorgungs- und Entsorgungsgebiete vom unmittelbaren Hinterland, das im 18. Jh. die ökologischen Funktionen noch weithin erfüllte, bis hin zur signifikanten globalen Vernetzung heutiger S.e.

Bereits im 19. Jh. wurde die Beziehung von S. und Umwelt intensiv gesellschaftlich reflektiert. Proteste gegen Umweltbelastung durch neue Industrien führten zunächst zu punktuellen, dann im 20. Jh. zu systematischen regulatorischen Eingriffen und technologischen Innovationen. Ebenso bewusst wahrgenommen wurde die Tatsache, dass Umweltrisiken und -belastungen sozial höchst ungleich verteilt waren, ein Zusammenhang, der in der Forschung unter dem Schlagwort environmental justice verhandelt wird. Neben der Kritik an sozialer Ungleichheit avancierte zum Ende des 20. Jh. das Konzept der „Nachhaltigkeit“ zu einem normativen Ideal der S.-Entwicklung.

II. Stadtsoziologie

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1. Elemente einer Definition

Eine einzige, alles Wesentliche umfassende Definition von S. kann es nicht geben. Das liegt an der historischen, sozialen und kulturellen Bedeutungsfülle dieses die Menschheitsgeschichte seit nunmehr 5 000 Jahren mitbestimmenden Siedlungstyps. Viele Städte (S.e), zumal in Europa, geben mit ihren Bauwerken aus verschiedenen Kultur- und Herrschaftsepochen Zeugnis von dieser Vielfalt.

S.e vor und nach der „Doppelrevolution“ (Hobsbawm 1962: 13) – dieses sich wechselseitig beschleunigenden Prozesses von politisch-emanzipatorischer und industrieller Revolution seit Ende des 18. Jh. – unterscheiden sich nach Größe und Struktur erheblich von S.-Typen der Antike, des Mittelalters oder der frühen Neuzeit. Einige Gemeinsamkeiten lassen sich dennoch hervorheben:

a) Eine relativ dichte Bebauung und höhere Gebäude im Vergleich zu anderen Siedlungstypen, z. B. dem Dorf, führen zu größerer Bevölkerungsdichte.

b) Die Bebauung ist durch spezifische Gebäude und Plätze charakterisiert, die die S. zum politischen, religiösen, kulturellen und ökonomischen Zentrum für ein größeres Umland machen.

c) In der S. finden und entwickeln sich die für die jeweilige Gesellschaft differenziertesten Formen der Arbeitsteilung und des Güteraustausches.

Über die längsten Phasen ihrer Entwicklung hinweg – in Europa bis zum Ende des 18. Jh. –, waren S.e von einer Mauer umgeben. Sie hoben sich hierdurch vom agrarisch geprägten Umland ab und entwickelten intra muros neue Herrschafts- und Lebensformen. Mit der industriellen, bürgerlich-kapitalistisch geprägten S. kamen – neben einem bisher unbekannten Größenwachstum – als Charakteristika hinzu:

a) Neue Verkehrssysteme, v. a. die Eisenbahn, führten zu neuen Mustern der S.-Gestalt.

b) S.e wurden zum Laboratorium der Moderne: technisch, ökonomisch, kulturell und sozial.

c) Auch städtebaulich – z. B. durch Umbau der vielen innerstädtischen Klosteranlagen – wirkten sich Trends der Säkularisierung und die Zunahme anonymer Sozialbeziehungen aus.

d) Urbanität wurde ein Element typisch großstädtischer Verhaltensweisen, für die es erst nach 1800, beginnend in London und Paris, Barcelona und Mailand, die erforderlichen architektonischen Ausdrucksformen gab: Passagen und Großkaufhäuser, Boulevards und Cafés, Theater und Konzertsäle.

Die neuen Größenordnungen der S.e veranschaulichen beispielhaft folgende Zahlen: Köln, seit dem Mittelalter eine der größten deutschen S.e, hatte um 1800 mit seinen 41 000 Einwohnern noch Platz im alten Mauerring. Die S. Essen – im aufstrebenden Industriegebiet Rhein-Ruhr gelegen – hatte zu dieser Zeit nur 4 000 Einwohner, um 1910 bereits 443 000. Durch die Verdopplung der Bevölkerungsanzahl im 19. Jh. und starken Zuzug vom Land war auch Köln auf 437 000 Einwohner angewachsen.

Dieses Muster der industriell-bürgerlichen S.-Entwicklung und Urbanisierung hatte bis nach dem Zweiten Weltkrieg Bestand. Dann kamen, bedingt durch eine Veränderung der Schwerpunkte wirtschaftlicher Tätigkeit und das Automobil als individuellem Massenverkehrsmittel, neue Faktoren hinzu:

a) Die Tertiärisierung der Berufs- und Produktionsverhältnisse und damit ein Übergewicht des dritten Sektors, des Dienstleistungssektors, gegenüber dem bisher dominanten sekundären Sektor der Produktion in Fabriken und Handwerksbetrieben, bei gleichzeitiger Schrumpfung des primären Sektors, zumal der Landwirtschaft.

b) Damit verbunden waren ein Rückgang der innerstädtischen Arbeiterviertel und eine Ausbreitung suburbaner Räume und der „Städte am Stadtrand“ (Schäfers 2010: 229). Die Verlagerung von Betrieben, Tankstellen, Einkaufszentren usw. in den suburbanen Raum führte und führt zur Entwicklung der „Zwischenstadt“ (Sieverts 1997).

Mit der digitalen Revolution seit ca. 1970 begann ein Prozess der Globalisierung völlig neuen Ausmaßes, der zusammen mit der weiteren Bevölkerungsvermehrung von 2,5 Mrd. Menschen im Jahr 1950 auf 7,4 Mrd. im Jahr 2015 zu einem Weltverstädterungsprozess und neuen Bedingungen für die S.-Entwicklung geführt hat.

2. Stadt und Kultur. Urbanität

Die Verbindung und wechselseitige Beeinflussung von S. und Kultur gehört zu den komplexesten Phänomenen der menschlichen Lebenswelt. Das Verhältnis war in traditionalen Gesellschaften, die deutlich zwischen S. und Land trennten, eindeutiger als heute. Seit der digitalen Revolution und dem Prozess der Weltverstädterung wird es zunehmend diffuser, nicht zuletzt durch die global ausgerichtete, auch individuell verfügbare Medienwelt.

Mit der Dominanz der bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaft (Kapitalismus) wurde die Kultur nicht mehr von einem religiös fundierten, geistig-kulturellen Zentrum bestimmt, sondern zu einer Angelegenheit des autonomen bürgerlichen Subjekts und eines öffentlichen Publikums. Die bis heute Staunen erregenden Kathedralen blieben als (Bau-)Zeugen früherer Kulturepochen zwar erhalten, verloren aber an religiöser Bedeutung. Bilder, Altäre, wertvolle Handschriften und Bücher wanderten nach der Säkularisierung zu großen Teilen in die neu gegründeten Museen und Landesarchive.

Für das Verhältnis von S. und Kultur wurden folgende Bedingungen zentral:

a) Das ubiquitär werdende Tauschprinzip löste andere Verkehrsformen ab und stellte die Beziehungen der Menschen auf eine neue, geldwirtschaftlich und gesellschaftlich dominierte Basis. Das galt auch für die Kunst.

b) Die Menschen wurden hineingezogen in die Ausweitung moderner Kommunikations-, Verkehrs- und Nachrichtentechniken wie Telegrafie und Telefon. Auf der Basis der digitalen Revolution entwickeln sich gegenwärtig Strukturen einer globalen Informations- und „Netzwerkgesellschaft“ (Castells 2017), was für den Kulturprozess und seine Vermittlung völlig neue Bedingungen schafft.

Die neuere Diskussion um S.-Kultur ist eng mit dem Begriff Urbanität verknüpft, die entspr.e architektonische und städtebauliche Voraussetzungen hat. Eine weitere Bedingung ist eine differenzierte städtische Öffentlichkeit. In einem der einflussreichsten Beiträge zum Thema Urbanität schrieb Edgar Salin: „Urbanität ist nicht losgelöst zu denken von der aktiven Mitwirkung einer Stadtbürgerschaft am Stadtregiment. Urbanität ist Bildung, ist Wohlgebildetheit an Leib und Seele und Geist; aber sie ist in allen Zeiten […] auch auf fruchtbare Mitwirkung des Menschen als Poliswesen, als politisches Wesen in seinem ihm und nur ihm eigenen politischen Raum“ (Salin 1960: 13 f.). Der semantisch positiv besetzte Begriff „Urbanität“ (Wüst 2004) zielt damit auf städtische Lebensformen, für die u. a. folgende Voraussetzungen gegeben sein müssen:

a) Elemente in der S.-Struktur und ihrer Architektur, die als historisches Erbe anerkannt sind und ein Identität stiftendes Band zwischen den Generationen, Einheimischen und Fremden ermöglichen sowie

b) Straßen und Plätze, öffentliche und halböffentliche Räume, die urbanes Verhalten allererst ermöglichen und Menschen, die bereit und fähig sind, sich urban zu verhalten und hierfür bestimmte Voraussetzungen mitbringen, v. a. die Fähigkeit zu distanziertem und zugl. empathischem Verhalten.

Die öffentlich-repräsentative S.-Kultur hat in Deutschland eine lange Tradition, die in vielen S.en bis in das Mittelalter zurückreicht. Waren es früher prächtige Rathäuser und Bürgerhäuser am zentralen Markt, die zum Ruhm der S. beitrugen und weiterhin beitragen – zu denken ist an Bremen, Brüssel oder Münster –, so sind es in der Gegenwart v. a. neue Museen, Ausstellungen, Festspiele und Events, von denen sich die S.e einen Vorteil im kulturellen Wettbewerb erwarten.

Auch aus ökonomischen Gründen erhielt die Inszenierung der S.-Kultur einen bedeutenden Stellenwert für die Identität der S.-Bewohner. Das Ruhrgebiet z. B., einst die bedeutendste Industrieregion Europas, erlebte seit den 1960er Jahren einen Umbau seiner Industriebauten und damit seiner ökonomischen und sozialen Grundlagen. Ehemalige Zechen, Fabrikhallen, Waschkauen oder Gasometer wurden als Projekte der Internationalen Bauausstellung Emscher Park zu kulturellen Zentren umgestaltet.

3. Stadt in der soziologischen Theorie

Die S. gehört, neben der Familie, zu den ersten Objekten der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. entwickelnden Soziologie. Diese Wissenschaft entstand nicht zuletzt aus dem Impetus, den Umbruch der ständisch-feudalen zur bürgerlich-industriellen Gesellschaft zu erklären. Nach Ferdinand Tönnies ist die S. „die höchste, nämlich komplizierteste Gestaltung menschlichen Zusammenlebens […]. Die Großstadt ist typisch für die Gesellschaft schlechthin […]. Der Unterschied von Einheimischen und Fremden wird gleichgültig. Jeder ist, was er ist, durch seine persönliche Freiheit, durch sein Vermögen und durch seine Kontakte“ (Tönnies 1963: 245–253).

Der Berliner Soziologe und Kulturphilosoph Georg Simmel beschrieb, welche geistige und psychische Veränderung mit den in der Großstadt wohnenden Menschen vor sich geht: „Die psychologische Grundlage, auf der der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht […]. Daraus wird vor allem der intellektualistische Charakter des großstädtischen Seelenlebens begreiflich, gegenüber dem kleinstädtischen, das vielmehr auf das Gemüt und gefühlsmäßige Beziehungen gestellt ist […]. Die geistige Haltung der Großstädter zueinander wird man in formaler Hinsicht als Reserviertheit bezeichnen dürfen“ (Simmel 1998: 119–134).

Für Max Weber, neben F. Tönnies und G. Simmel der wichtigste Gründungsvater der Soziologie in Deutschland, war die okzidentale S. des Mittelalters – neben dem Recht und vielen anderen Kultur- und Lebensbereichen – ein Demonstrationsobjekt für die sich über einen langen Zeitraum erstreckende Rationalisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, die zur Entwicklung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft führten.

Die Auswirkungen der Urbanisierung seit der digitalen Revolution fasste Manuel Castells unter dem Begriff der „Informational City“ (1989) zusammen. In diesem Werk finden sich jene Stichworte und Analysen der internationalen Diskussion um die Entwicklung der S. im digitalen Zeitalter, z. B. „the space of flows“ (Castells 1989: 126), der „Raum der Ströme“. Er basiert auf einem elektronischen Netzwerk, ist nicht ortlos, bewirkt aber durch seine Beschaffenheit eine Dialektik zwischen Dezentralisierung und Ortsgebundenheit der Dienstleistungen und anderer Produkte über Zeitzonen und Kontinente hinweg. Günstige Produktionsstandorte basieren im 21. Jh. auf schnellen Netzen.

4. Integration in die Stadtgesellschaft. Segregation und Gettoisierung

Für die S. kann als typisch angesehen werden, dass sie unterschiedliche Lebensformen und kulturelle Besonderheiten zulässt und zu integrieren vermag. Sie war auch der Ort, an dem Menschen der Enge eines traditional und religiös geprägten Lebens auf dem Lande entkommen konnten. Das änderte sich in (West-)Deutschland erst seit den 1960er Jahren, als das Land ebenso wie die S. von einem allg.en „Wertwandel“ (Kmieciak/Klages 1979) erfasst wurde und die ländliche Bevölkerung, bedingt durch eine zunehmend industriell arbeitende Agrarwirtschaft, zurückging.

Integration ist ein strukturell und prozessual zu verstehender Grundbegriff der Soziologie. Strukturell ist ein soziales Gebilde (Familie, Schule, S. etc.) integriert, wenn seine einzelnen Mitglieder volle Akzeptanz haben, sich zugehörig fühlen und eine Einheit bilden. Prozessual ist Integration ein dauerhafter Vorgang, bei dem sich der Sozialverband und dessen Mitglieder um Akzeptanz und ein Wir-Bewusstsein bemühen, mit dem Ziel, den Zustand der Integration zu erhalten bzw. zu verbessern.

Die Voraussetzungen für die Integrationskraft des Sozialverbandes S.-Gesellschaft haben sich im Verlauf der neuzeitlichen Geschichte, zumal seit der Doppelrevolution, grundlegend gewandelt. Die S.-Gesellschaft als ein auch ökonomisch relativ autonomer und geschlossener Sozialverband existiert nicht mehr. Gerade beim Thema Integration, zumal der Fremden, Ausländer, Flüchtlinge und Asylsuchenden, sind die Verflechtungen mit gesellschaftlichen Strukturen und Politikfeldern, auf die die S.e kaum Einfluss haben, nur zu offenkundig. Vielerorts ist die Integrationskraft der S.e erschöpft und es mehren sich Anzeichen für verstärkte Prozesse der Segregation und der Gettoisierung.

Mit dem Begriff Segregation wird die sich räumlich widerspiegelnde soziale Differenzierung der Bevölkerung in der Siedlungsstruktur von S.en und Gemeinden zum Ausdruck gebracht. Segregation ist zugl. ein wichtiger Indikator der sozialen Ungleichheit bzw. der sozialen Differenzierung. Eine Untersuchung von Jürgen Friedrichs und Sascha Triemer über die soziale und ethnische Segregation in 15 deutschen S.en zeigte die Wirkungen, die die steigende Arbeitslosigkeit und Armut im Zeitraum von 1990 bis 2008 auf die Segregation hatten.

Der Begriff Getto (oder Ghetto) stammt aus Venedig, wo es seit dem 13. Jh. ein jüdisches Viertel mit diesem Namen gibt. Gettobildung steht jetzt unter ganz anderen Voraussetzungen als die gettoisierten Judenviertel in europäischen Städten, die erst seit der um 1800 beginnenden Judenemanzipation aufgelöst wurden.

Bei der Bewertung stark segregierter S.-Viertel wie Berlin-Kreuzberg oder Köln-Mülheim darf nicht übersehen werden, dass Segregation das Ergebnis eines freiwilligen Zusammenwohnens von ethnisch und religiös basierten Gruppen sein kann. Die gleichwohl vorhandenen sozialen Zwänge zu dieser Art von Gettobildung sowie die dadurch erheblich gesunkenen Chancen der Integration in die (S.-)Gesellschaft dürfen gleichwohl nicht übersehen werden.

5. Stadtentwicklung und Stadtplanung. Leitbilder

Die Entwicklung der S.e spiegelt den sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandel durch alle Epochen, aber auch planerische und utopische Vorstellungen über die Ideal-S. und damit verbunden über ideale Formen des menschlichen Zusammenlebens. Bezogen auf die Epochen der S.-Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ist hervorzuheben, dass es noch vor Kriegsende Planungen für den Wiederaufbau kriegszerstörter deutscher S.e gab.

Ein Leitbild war die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ (Göderitz/Rainer/Hoffmann 1957). Als Musterbeispiel gilt das Hansaviertel in Berlin, das im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung verwirklicht wurde, woran sich die Weltelite der Architekten beteiligte, unter ihnen Alvar Aalto, Le Corbusier, Walter Gropius, Oscar Niemeyer. Dieses Leitbild war allerdings ebenso umstritten wie das des bekanntesten Manifests des Städtebaus im 20. Jh., die Charta von Athen aus dem Jahre 1933, die aber erst später zur Wirkung kam. Der in der Charta Grund gelegte funktionalistische S.e-Bau mit der räumlichen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Sich-Erholen und Verkehr wurde seit Mitte der 1960er Jahre heftig kritisiert und zumal für den Zustand vieler seelenloser neuer S.e am S.-Rand verantwortlich gemacht.

Und es gab das Leitbild der „autogerechte[n] Stadt“ (Reichow 1959), das der renommierte Hannoveraner S.-Planer Rudolf Hillebrecht propagierte, der zu Albert Speers Wiederaufbaustab für die kriegszerstörten S.e gehört hatte. Ab 1948 war er S.-Baurat in Hannover und konnte dort seine Vorstellungen einer an den (vermeintlichen) Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs orientierten Stadtplanung, unter Umgehung der alten Fluchtlinienpläne, weitgehend durchsetzen. Bis heute haben viele S.e unter den großen, nach diesen Prinzipien gestalteten innerstädtischen Durchgangsstraßen zu leiden; nur wenigen gelang ein mustergültiger Rückbau, wie z. B. Ulm.

Ein neues Leitbild seit Beginn der 1960er Jahre war das der „Urbanität durch Dichte“ (Beckmann 2015). Heidelberg-Emmertsgrund ist ein bekanntes Beispiel. Wie die Entwicklung des S.-Teils zeigte, konnte die Vernetzung von Nutzungsarten nicht erreicht werden. Wohnen und Arbeiten konnten ebenso wenig auf kleinem Raum verwirklicht werden wie eine lebendige Öffentlichkeit. Das hing nicht zuletzt mit dem Rückzug der Individuen in die Privatheit zusammen, in der das Fernsehen die Hauptrolle der Freizeitbeschäftigung spielte und das eigene Auto den Radius über den engeren Wohnbereich hinaus erheblich erweiterte.

Gegen die „Unwirtlichkeit [der] Städte“ (Mitscherlich 2008), zumal der Trabanten-S. und den Abriss wertvoller Bausubstanz in den historischen S.en, regte sich immer mehr Unmut, der in den 1970er Jahren zu einer Besinnung auf das architektonische Erbe der S.e führte. Umfangreiche Sanierungen, Rückbauten von Straßen und die Sperrung innerstädtischer Plätze für Autos führten zur Ausweitung der Fußgängerzonen und zur Rückgewinnung von Wohnqualität im Innen-S.-Bereich. Zugl. entstand ein werbewirksames S.-Marketing und sorgte für die Inszenierung der historischen S. und die Öffnung schöner Plätze für Events aller Art – ein bis heute ungebrochener Trend.

Das Leitbild des „ökologische[n] Städtebau[s]“ (Ruano 2019) ist Teil jener Bewegung, die seit Ende der 1960er Jahre die Gefährdungen der Umwelt in das öffentliche Bewusstsein hob. Wissenschaftliche Disziplinen, wie die Biologie, Chemie oder die Physik der Baustoffe, erarbeiteten Grundlagen für den ökologischen Haus- und S.e-Bau, die auf den Prinzipien der Ressourcenersparnis und der Nachhaltigkeit beruhen. In den 1980er Jahren wurden Umweltämter in den S.en eingerichtet, die eine zunehmende Anzahl „stadtökologischer Handlungsfelder“ (Ritter 1989: 460) durchsetzten.

Die Anzahl der umweltrelevanten Gesetze und Verordnungen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene (Gemeinde) stieg entsprechend. Selbstverständliche Grundsätze des Bauens, die Rücksicht auf die Natur, auf Bodenbeschaffenheit und Klima, auf Windschneisen, Lichteinfall, auf Flora und Fauna nehmen, waren jahrzehntelang missachtet worden. Bereits in Vitruvs um 25 v. Chr. entstandenen „Zehn Bücher über Architektur“ finden sich Kapitelüberschriften wie: „Die Ausrichtung der Straßenzüge mit Rücksicht auf die Winde“ (Vitruv 1976: 59); „Über die Berücksichtigung der klimatischen Verhältnisse bei der Anlage von Privatgebäuden“ (Vitruv 1976: 262).

Neuere Entwicklungen des ökologischen S.e-Baus stehen unter dem Druck des fortschreitenden Klimawandels und der Reinhaltung der Luft in den von Stickoxyden und Feinstaub belasteten S.en. Die sich ändernden klimatischen Bedingungen in den S.en werden nicht nur zu begrünten Häusern, Plätzen und neuartigen Wohnvierteln führen, sondern auch zur weitgehenden Verbannung des mit Benzin und Diesel angetriebenen Automobils aus dem S.-Bereich.

Da aber eine S. durch die Persistenz ihrer Gebäude und ihrer ober- und unterirdischen Infrastrukturen auf Langfristigkeit angelegt ist, wird sich ihr Umbau unter Kriterien von Ökologie und Nachhaltigkeit, neuen Verkehrssystemen, Sicherheit sowie den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft über Jahrzehnte hinziehen.