Staatshaftung

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S.s-Recht bezeichnet das Recht der öffentlich-rechtlichen Schadensersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen. Ziel der folgenden Darstellung ist es, einen Überblick über die Grundlagen des Rechtsgebietes zu geben. Die Betonung liegt dabei auf den Strukturen und entsprechenden Grundfragen.

Dabei zeigt sich, dass das deutsche S.s-Recht aus unterschiedlichsten Gründen das Bild eines dogmatischen Flickenteppichs unterschiedlichster Ansprüche bietet. Die tradierte Amtshaftung ist den historischen Ursprüngen der S. stark verhaftet und der Bestand weiterer expliziter staatshaftungsrechtlicher Normen ist gering. Deshalb sind im Wege des Richterrechts eine Reihe von Ansprüchen geschaffen worden, die auf unterschiedlichen Rechtsquellen beruhen und in Begründung sowie Inhalt häufig auf bestimmte Konstellationen beschränkt sind. Die Aufspaltung des Rechtsweges zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und Zivilgerichtsbarkeit hat das Potential für Widersprüchlichkeiten weiter erhöht. Die Pläne zu einer Reform des S.s-Rechts haben sich zwar auch nach dem Scheitern des StHG von 1981 nicht gänzlich erledigt: so wurde für die S. mittlerweile eine konkurrierende Zuständigkeit des Bundes geschaffen. Ein neuer Gesetzesentwurf ist aber zur Zeit nicht absehbar. Das S.s-Recht ist deshalb weiterhin eines der komplexesten Gebiete des deutschen öffentlichen Rechts.

1. Amts- und Beamtenhaftung

Den zentralen Schadensersatzanspruch des deutschen S.s-Rechts bildet die Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. § 839 BGB sieht vor, dass ein Beamter, der eine drittschützende Amtspflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, dem Dritten den Schaden zu ersetzen hat, den er infolge der Amtspflichtverletzung erleidet. Während § 839 BGB zunächst die persönliche Haftung des Beamten etabliert, leitet Art. 34 GG den Anspruch auf die Anstellungskörperschaft über, sofern der Beamte in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat.

§ 839 BGB und Art. 34 GG erfassen dabei jeden, der öffentlich-rechtlich handelt; auf die persönliche Rechtsstellung des Handelnden kommt es hingegen nicht an (haftungsrechtlicher Beamtenbegriff). Der Begriff der Amtspflicht verweist in erster Linie auf die Pflichten, die den Amtsträger gegenüber dem Staat treffen. Auch die Verletzung von Rechtspflichten, die lediglich im Innenverhältnis bestehen, kann daher Anlass für einen Amtshaftungsanspruch sein. Über die sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten bezieht der Amtshaftungsanspruch aber auch die außenrechtlichen Pflichten des Amtsträgers mit ein. Unverzichtbare Voraussetzung bleibt in beiden Fällen, dass die verletzte Amtspflicht gerade (auch) den Schutz der Interessen des Geschädigten zum Zweck hat.

Konsequenz dieser Drittbezogenheit der Amtspflicht ist, dass eine Haftung für legislatives Unrecht regelmäßig ausscheidet. Nach überwiegender Auffassung schützen die Amtspflichten des Gesetzgebers nur die Interessen der Allgemeinheit. Im Hinblick auf judikatives Unrecht schränkt das Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 3 GG die Haftung empfindlich ein. Für abschließend gedachte richterliche Entscheidungen haftet der Staat nur dann, wenn die Entscheidung einen Straftatbestand erfüllt, insb. also eine Rechtsbeugung i. S. d. § 339 StGB darstellt.

Hinsichtlich der Rechtsfolgen des Amtshaftungsanspruchs finden grundsätzlich die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln der §§ 249 ff. BGB Anwendung. Diese bedürfen indes insoweit der Modifikation als ein Amtshaftungsanspruch nur zum Geldersatz verpflichtet, regelmäßig aber nicht auf Naturalrestitution gerichtet ist. Das trägt der Tatsache Rechnung, dass Art. 34 GG einen Anspruch auf den Staat überleitet, der sich zunächst gegen den Beamten persönlich richtet. Bei der Bemessung des zu ersetzenden Schadens ist ein Mitverschulden des Verletzten schadensmindernd zu berücksichtigen. § 839 Abs. 3 BGB zieht daraus die Konsequenz, dass die Ersatzpflicht nicht eintritt, soweit der Verletzte es versäumt hat, Primärrechtsschutz gegen die angegriffene Maßnahme zu suchen.

2. Ansprüche wegen Eingriffen in das Eigentum

Für Eingriffe in das Eigentum hat der Staat unter bestimmten Voraussetzungen auch jenseits der deliktsrechtlich orientierten Amtshaftung eine Entschädigung zu leisten. In der zu Art. 14 GG entwickelten Dogmatik lassen sich insofern vier Fälle unterscheiden: Enteignungen i. S. d. Art. 14 Abs. 3 GG, ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen sowie der enteignende und der enteignungsgleiche Eingriff.

Die haftungsrechtlichen Ansprüche wegen Enteignung oder ausgleichspflichtiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen finden ihre Grundlage nicht unmittelbar in Art. 14 GG. Stattdessen folgt aus der Eigentumsgarantie in diesen Fällen lediglich die Pflicht, eine einfachgesetzliche Ausgleichsregelung vorzusehen. Versäumt es der Gesetzgeber, eine erforderliche Ausgleichsregelung zu treffen, so sind die entsprechenden Eigentumsbeeinträchtigungen zwar rechtswidrig, doch ein Ausgleichsanspruch besteht nicht. Wer eine wegen fehlender Ausgleichsregelung rechtswidrige Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung duldet, kann daher für die mit ihr einhergehende Eigentumsbeeinträchtigung keine Entschädigung verlangen (kein „Dulden und Liquidieren“).

Nach Art. 14 Abs. 3 GG sind Enteignungen stets mit einer Ausgleichsregelung zu verbinden (sogenannte Junktimklausel). Eine Enteignung liegt vor, sofern dem Eigentümer bestimmte durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben vollständig oder teilweise entzogen werden. Inhalts- und Schrankenbestimmungen enthalten demgegenüber generelle und abstrakte Beschränkungen der Eigentumsnutzungen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG lösen diese eine Ausgleichspflicht nur ausnahmsweise aus, nämlich dann, wenn die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs nicht durch bestandssichernde Maßnahmen (z. B. Ausnahme- oder Härtefallregelungen) gewährleistet werden kann. In jüngerer Zeit hat das BVerfG die Ausgleichspflicht auch auf Fälle erstreckt, in denen die Inhalts- und Schrankenbestimmung zum Entzug konkreter Eigentumspositionen führt, ohne dass dieser der staatlichen Güterbeschaffung dient.

Die Ansprüche aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff finden ihre Grundlage im Richterrecht und werden auf den allgemeinen Aufopferungsgedanken gestützt, wie er in §§ 74, 75 Einl. PrALR Ausdruck gefunden hat. Ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff kommt nur bei rechtswidrigen Eigentumseingriffen in Betracht, während der Anspruch aus enteignendem Eingriff eine Entschädigung für Nebenfolgen rechtmäßiger Eigentumsbeeinträchtigungen gewährt. Der Fundierung im Aufopferungsgedanken entspr. setzen beide zudem ein Sonderopfer voraus. Im Fall des enteignungsgleichen Eingriffs wird dieses durch die Rechtswidrigkeit des Eingriffs regelmäßig indiziert. Rechtmäßige Eigentumsbeeinträchtigungen stellen indes nur dann ein Sonderopfer dar, wenn sie aufgrund ihrer Schwere oder im Lichte des Grundsatzes der Lastengleichheit die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreiten. Von ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen unterscheiden sich die vom enteignenden Eingriff erfassten besonderen Belastungen durch ihre Atypizität und fehlende Vorhersehbarkeit. Sie entziehen sich daher einer gesetzlichen Regelung, was es rechtfertigt, in ihrem Fall auf einen gesetzlich geregelten Ausgleichsanspruch zu verzichten.

3. Ansprüche aus Aufopferung

Für bestimmte immaterielle Rechtsgüter tritt neben die eigentumsbezogenen Ansprüche der allgemeine Aufopferungsanspruch. Er gewährt in all den Fällen einen Anspruch auf Entschädigung, in denen eines der in Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit) unmittelbar durch eine staatliche Maßnahme beeinträchtigt wird, die dem Betroffenen ein Sonderopfer abverlangt. Ob auch Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) erfasst werden, hat die Rechtsprechung bislang nicht entschieden. Hinsichtlich des Erfordernisses eines Sonderopfers gelten die im Zusammenhang mit enteignendem und enteignungsgleichem Eingriff skizzierten Grundsätze entspr.: Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert das Vorliegen eines Sonderopfers; bei rechtmäßigen Eingriffen kommt ein Anspruch nur dann in Betracht, wenn die Beeinträchtigung des Betroffenen über das hinausgeht, was allen anderen Bürgern zugemutet wird. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so hat der Betroffene Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, nicht auf vollen Schadensersatz. Nach neuerer Rechtsprechung kann die Entschädigung im Falle einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit auch ein Schmerzensgeld beinhalten.

4. Folgenbeseitigung sowie sozial-rechtlicher Herstellungsanspruch

Ebenfalls zu den ungeschriebenen S.s-Ansprüchen zählt der Folgenbeseitigungsanspruch. Er findet seine normative Grundlage in den Grundrechten.

Inhaltlich vermittelt der Folgenbeseitigungsanspruch einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands, der dem Staat zugerechnet werden kann. Er ist auf die Wiederherstellung des Status quo ante gerichtet, weshalb er einen Schadensersatz in Geld im Grundsatz nicht gewährt. Nur wenn die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, wandelt sich der Folgenbeseitigungsanspruch in einen Folgenentschädigungs- bzw. Folgenersatzanspruch.

Parallel zum Folgenbeseitigungsanspruch hat die sozialrechtliche Rechtsprechung den sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch entwickelt. Er reagiert auf Fehler der Sozialverwaltung und vermittelt den betroffenen Bürgern einen Anspruch auf Herstellung desjenigen Zustands, der bestünde, wenn sich die Sozialverwaltung rechtmäßig verhalten hätte. Anders als der Folgenbeseitigungsanspruch kann der sozialrechtliche Herstellungsanspruch dabei allerdings auch in einem Anspruch auf eine Geldleistung bestehen.

5. Einfachgesetzlich geregelte Ansprüche

Neben diesen mit Ausnahme des Amtshaftungsanspruchs aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG nicht ausdrücklich geregelten S.s-Ansprüchen enthält das deutsche S.s-Recht eine Vielzahl spezieller einfachgesetzlicher Ausgleichsregelungen.

Insb. in einigen Polizeigesetzen der Länder finden sich öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche. Umfang und Ausgestaltung der Haftungstatbestände unterscheiden sich dabei aber teils erheblich. In den meisten Landespolizei- bzw. -ordnungsgesetzen enthalten ist allerdings ein Anspruch auf angemessene Entschädigung für Nichtstörer, sofern sie zur Gefahrenabwehr in Anspruch genommen wurden und ihnen hierdurch einen Schaden entstanden ist.

Daneben enthalten auch die §§ 39 ff. BauGB Ansprüche auf Gewährung einer angemessenen Entschädigung, wenn ein zur Grundstücksnutzung Berechtigter im berechtigten Vertrauen auf den Bestand eines rechtswirksamen Bebauungsplans Aufwendungen gemacht hat, die infolge einer Änderung des Bebauungsplans an Wert verlieren. Gleiches gilt, wenn der Grundstückseigentümer durch fremdnützige Festsetzungen im Bebauungsplan Vermögensnachteile erleidet oder das Grundstück infolge einer Änderung zulässiger Nutzungen in nicht unwesentlichem Umfang an Wert einbüßt.

Ausfluss des Vertrauensschutzgedankens sind die in § 48 Abs. 3 S. 1 und § 49 Abs. 6 S. 1 VwVfG vorgesehenen Ausgleichsansprüche. Sie gewähren im Fall von Rücknahme oder Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts einen Anspruch auf Ausgleich des negativen Interesses. Entsprechende Regelungen finden sich auch in Fachgesetzen, bspw. in § 18 AtG oder in § 21 Abs. 4 BImSchG.

Im Rahmen verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse, der öffentlich-rechtlichen Verwahrung, der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag sowie den verwaltungsrechtlichen Verträgen, können sich öffentlich-rechtliche Schadensersatzansprüche ferner aus §§ 280 ff. BGB ergeben. Im Falle von Pflichtverletzungen findet das bürgerlich-rechtliche Haftungsregime hier entsprechende Anwendung.

Kraft Anordnung des Einigungsvertrags gilt daneben in einigen Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auch das S.s-Gesetz der DDR noch als Landesrecht fort. Dieses etabliert eine verschuldensabhängige S. für Schäden, die daraus erwachsen, dass die staatlichen und kommunalen Organe bei ihrer hoheitlichen Tätigkeit eine Rechtsnorm verletzen, die dem Schutz der Haftungsinteressen des Geschädigten dient.

6. Europarechtliche Haftungsansprüche

Neben diesen nationalrechtlichen Grundlagen des S.s-Rechts vermittelt auch das Europarecht öffentlich-rechtliche Haftungsansprüche, die sich einerseits gegen die Organe der EU, andererseits gegen die Mitgliedstaaten richten.

Nach Art. 340 Abs. 2 AEUV sowie gemäß Art. 41 Abs. 3 EuGRC haftet die Union selbst, wenn ein Bediensteter oder ein Organ der Union in Wahrnehmung seiner amtlichen Tätigkeit eine unionsrechtliche Bestimmung verletzt, die auch den Schutz desjenigen intendiert, der den Anspruch geltend macht, und ihm daraus ein Nachteil an seinem Vermögen oder seinen sonstigen rechtlich geschützten Gütern erwächst. Ein Verschulden wird dabei nicht vorausgesetzt. Seiner Rechtsfolge nach vermittelt der Haftungsanspruch gegen die Union einen Anspruch auf Schadensersatz in Geld. Ob die außervertragliche Haftung der Union auch auf Naturalrestitution gerichtet sein kann, wie das im Schrifttum zuweilen behauptet wird, ist umstritten.

Der unionsrechtliche Haftungsanspruch gegen die Mitgliedstaaten ist hingegen nicht ausdrücklich normiert. Der EuGH hat ihn zur Absicherung der Effektivität des Unionsrechts richterrechtlich entwickelt. Demnach haften die Mitgliedstaaten für Schäden, die dadurch entstehen, dass sie gegen eine Norm des Unionsrechts verstoßen, die den Zweck verfolgt, dem geschädigten Bürger ein subjektives Recht zu verleihen. Der Rechtsverstoß muss dabei hinreichend qualifiziert, also offenkundig und schwerwiegend sein.

7. Haftung nach der EMRK

Öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche ergeben sich schließlich auch auf Grundlage der EMRK. Art. 41 EMRK sieht vor, dass der EGMR einer verletzten Partei einen Entschädigungsanspruch gegen den beklagten Staat zusprechen kann, wenn drei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss eine Konventionsverletzung festgestellt worden sein, durch die der verletzten Partei zweitens Nachteile entstanden sind; drittens bedarf es der Feststellung, dass das nationale Recht des beklagten Staates für die nachteiligen Folgen nur eine unvollkommene Wiedergutmachung gestattet. Ob der EGMR im Fall des Vorliegens dieser Voraussetzungen einen Entschädigungsanspruch zuspricht, steht in seinem billigen Ermessen.

Für konventionswidrige Festnahmen und Freiheitsentziehungen gewährt Art. 5 Abs. 5 EMRK daneben einen eigenständigen Anspruch auf Schadensersatz. Anders als der Entschädigungsanspruch aus Art. 41 EMRK hängt er nicht davon ab, dass der EGMR eine Entschädigung ausdrücklich zuspricht. Zudem steht er nicht im Ermessen. Er kann daher unmittelbar vor den nationalen Gerichten eingeklagt werden.