Staatsaufsicht

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1. Begriff und Abgrenzungen

Aufsicht wird nach der klassischen Definition von Heinrich Triepel verstanden als „die Gesamtheit aller staatlichen Handlungen, die zum Zweck haben, das Verhalten der dem Staate Unterstellten in Übereinstimmung mit einem feststehenden Richtmaß zu setzen oder zu erhalten“ (Triepel 1917: 121). Demnach umfasst Aufsicht die Befugnis zur Überprüfung der Konvergenz eines Ist-Zustandes und eines Soll-Zustandes (Aufsichtsmaßstab) einschließlich ggf. zur Berichtigung, d. h. der Einwirkung auf das Aufsichtsobjekt durch Information, Dialog, Korrektur, Sanktion etc., um dessen Verhalten mit dem (i. d. R. rechtsnormativen) Aufsichtsmaßstab in Einklang zu bringen. (Staats-)Aufsicht bildet damit eine wichtige Unterkategorie der auf einen Soll-/Ist-Abgleich gerichteten (Verwaltungs-)Kontrolle. Bei Aufsicht geht es um Kontrolle innerhalb der Exekutive, während Verwaltungskontrolle auch von außerhalb der Exekutive stehenden staatlichen Organen (z. B. Gericht [ Gerichtsbarkeit ], Parlament [ Parlament, Parlamentarismus ], Ombudsmann [ Ombudswesen ], Rechnungshof) oder sozialen Akteuren (z. B. Öffentlichkeit, Medien) ausgeübt werden kann.

Der Begriff Aufsicht lässt sich in die Subkategorien der Wirtschaftsaufsicht und die S. im weiten Sinne einteilen. Wirtschaftsaufsicht bezeichnet die Aufsicht über private Wirtschaftssubjekte, welche deren selbstverantwortliche Teilnahme am Wirtschaftsverkehr mit dem geltenden Recht in Einklang halten soll. S. im weiten Sinne ist ein heuristischer Sammelbegriff, der alle Aufsichtsvorgänge gegenüber Trägern öffentlicher Verwaltung sowie deren Organen (Behörden) und Organ- bzw. Amtswaltern erfasst. Darunter fallen die völkerrechtliche Aufsicht, die Unionsaufsicht, die Bundesaufsicht, die Behördenaufsicht, die Dienstaufsicht sowie die S. im engeren Sinne. S. umfasst dabei auch die Aufsicht über Private, sofern diese Verwaltungsaufgaben erfüllen (Verwaltungshelfer, Beliehene) sowie die Aufsicht über vom Staat beherrschte Unternehmen (sog.e öffentliche Unternehmen). Die S. im engeren Sinne beschreibt die Aufsicht über verselbständigte Verwaltungseinheiten (v. a. Selbstverwaltungsträger), soweit diese zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben (Staatsaufgaben) tätig werden. Insb. fällt die Kommunalaufsicht hier herunter, aber etwa auch die Hochschul- oder Rundfunkaufsicht.

Ein Teil der Literatur (Gunnar Folke Schuppert, Birgit Schmidt am Busch) hält die tradierte, der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft folgende, „binäre“ Einteilung in S. und Wirtschaftsaufsicht (mit jeweiligen Subkategorien) für unterkomplex und schlägt daher ein Viersektorenmodell mit zwei zusätzlichen, am neueren Wandel öffentlicher Aufgabenerfüllung orientierte Aufsichtstypen vor, namentlich der Steuerungs- und der Gewährleistungsaufsicht. Erstere soll bei Einheiten mit dezentraler Ressourcenverantwortung im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells sowie im Fall von Organisationsprivatisierungen (Privatisierung) greifen. Letztere umfasst die Beaufsichtigung privater Unternehmen, entweder als Regulierungsaufsicht im Rahmen der materiellen Aufgabenprivatisierung oder als Überwachungsaufsicht in Fällen, in denen zunächst eine private Eigenüberwachung erfolgt. Neuere („systemische“) Risiken (insb. im Finanzsektor) haben zur Forderung nach hierzu passenden, eigenständigen Aufsichtsstrukturen („Systemaufsicht“ [Kaufhold 2016]) geführt.

2. Verfassungsrechtliche Gründe der Staatsaufsicht

Das Erfordernis von S. leitet sich aus dem Demokratieprinzip (Demokratie) ab. Gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Ausübung staatlicher Gewalt bedarf daher grundsätzlich der hinreichenden personellen und sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation. Letztere wird für die Verwaltung neben deren Bindung an das parlamentarische Gesetz durch den mit Sanktionen bewehrten Grundsatz der Ministerialverantwortlichkeit, die Weisungsgebundenheit der Amtsträger sowie das Institut der S. vermittelt. Ihre zweite verfassungsrechtliche Grundlage findet die S. im Rechtsstaatsprinzip (Rechtsstaat). Der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes besagt als Teilausprägung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dass jegliche öffentliche Gewalt bei der Ausübung ihrer Befugnisse umfassend an das geltende Recht gebunden ist. Um die praktische Wirksamkeit dieses Grundsatzes nicht zu gefährden, bedarf es der S. zur verbindlichen Durchsetzung der Rechtsbindung. Schließlich folgt das Erfordernis der S. aus der Selbstverwaltungsgarantie (vgl. für den kommunalen Bereich Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG: „im Rahmen der Gesetze“). Die S. stellt das „verfassungsrechtlich gebotene Korrelat der Selbstverwaltung“ (BVerfGE 78,331 [341]) dar (Selbstverwaltung).

3. Funktionen

Neben den Funktionen der Herstellung sachlich-inhaltlicher Legitimation und der Gewährleistung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erfüllt S. eine Funktionssicherungsfunktion. Die Aufsichtsbehörden haben bei ihrer Tätigkeit die Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltungsträger zu sichern. Dies verlangt Schutz, Förderung und Vermittlung. Der Staat hat allen unrechtmäßigen Einwirkungen auf die Selbstverwaltungskörper entgegenzutreten, seine Aufsicht derart auszuüben, dass Entschlusskraft und Verantwortungsfreudigkeit der beaufsichtigten Einheiten nicht beeinträchtigt werden, und im Falle eines Konflikts zwischen den verselbständigten Verwaltungseinheiten und Dritten zu vermitteln. S. zielt mithin nicht nur negativ auf die Abwehr etwaiger Rechtsverstöße, sondern auch positiv auf die bestmögliche Erfüllung der Aufgaben, welche dem Beaufsichtigten obliegen.

4. Maßstäbe

Aufsicht über die Erfüllung der eigenen (Selbstverwaltungs-)Angelegenheiten der verselbständigten Verwaltungseinheiten (z. B. Gemeinden) ist grundsätzlich bloße Rechtsaufsicht. Ihr liegt allein der Maßstab der Rechtmäßigkeit zugrunde. Bei der Fachaufsicht über die Erfüllung der nach Weisung bzw. im Auftrag des Staates wahrgenommenen Aufgaben hingegen prüft die Aufsichtsbehörde daneben auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns.

5. Mittel

Die Mittel der S. lassen sich in drei Gruppen einteilen: Die informatorischen Aufsichtsmittel (z. B. Auskunftsverlangen), die präventiven Aufsichtsmittel des Anzeige- und Genehmigungsvorbehalts, der Beratung oder Unterrichtung sowie die repressiven Aufsichtsmittel der Beanstandung, Anordnung, Ersatzvornahme, Bestellung eines Beauftragten/Staatskommissars oder der Amtsenthebung bzw. Auflösung von Organen. Im Rahmen der Fachaufsicht stellen Weisungen das zentrale Instrument dar. Existenz sowie Inhalt und Umfang der Aufsichtsmittel ergeben sich aus den jeweiligen konkreten gesetzlichen Bestimmungen.

6. Grundsätze

Im Rahmen der S. gilt das Opportunitätsprinzip. Es liegt daher im (pflichtgemäßen) Ermessen der Aufsichtsbehörde, ob sie einschreitet und wie sie die ihr zur Verfügung stehenden Aufsichtsmittel anwendet. Dabei kann das Ermessen ausnahmsweise auf Null reduziert sein und infolgedessen eine Pflicht der Aufsichtsbehörde zum Einschreiten bestehen, etwa zum Schutz von Grundrechtspositionen Dritter oder bei offensichtlichen und schwerwiegenden Rechtsverstößen. Aus der Schutz- und Förderungsfunktion der S. sowie aus dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Erforderlichkeit) folgt grundsätzlich das Gebot der aufsichtsrechtlichen Zurückhaltung (Verhältnismäßigkeit), v. a. was den Einsatz der repressiven Aufsichtsmittel betrifft. Die S. ist schonend und moderat auszuüben. So sind informale vor formalen Aufsichtsmitteln zu ergreifen, ausreichende Fristen zu setzen und Aufsichtsmittel zunächst anzudrohen.

7. Rechtsschutz

Die S. dient allein dem öffentlichen Interesse. Der Bürger hat daher keinen Anspruch auf ein aufsichtsrechtliches Tätigwerden der staatlichen Behörden und kann ein solches infolgedessen auch nicht gerichtlich erzwingen. Der Rechtsschutz der Beaufsichtigten gegen aufsichtsrechtliche Maßnahmen unterscheidet sich je nach Art der Aufsicht: Bei der Rechtsaufsicht stellen die Aufsichtsmaßnahmen Verwaltungsakte dar, welche etwa die vom Land beaufsichtigte Gemeinde in ihrem Selbstverwaltungsrecht betreffen. Der Beaufsichtigte kann hier vor Gericht Rechtsschutz erhalten, z. B. in Form der Anfechtungsklage. Maßnahmen im Rahmen der Fachaufsicht kommt hingegen nach überwiegender (z. T. bestrittener) Meinung keine Außenwirkung zu, es handele sich vielmehr um schlichtes Verwaltungshandeln. Die Gemeinden werden hierdurch grundsätzlich nicht in eigenen subjektiven Rechten berührt, weshalb Rechtsschutz ausscheide. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn eine Weisung den Rahmen der Fachaufsicht überschreitet und in den Bereich der Selbstverwaltung eingreift.