Sozialhilfe

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1. Historische Wurzeln

Als ältester Teil des heutigen Sozialrechts hat sich die S. in Deutschland entwickelt aus dem Fürsorge- und Armenrecht in Polizeiverordnungen und kommunalen Armen-(ver-)ordnungen der frühen Neuzeit. Zu einer großen Aufgabe sozialer Staatlichkeit wurde sie mit dem Aufkommen von Massenarmut als Folge der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution). Nach dem Zweiten Weltkrieg war v. a. das BSHG (1961) prägend, das einen gesetzlichen Anspruch auf S. vorsah. Seit 2003 ist die S. im SGB XII (Sozialgesetzbuch) geregelt. Neben der S. besteht die freie Wohlfahrtspflege v. a. durch die Kirchen, aber auch nicht konfessionell gebundene Organisationen (z. B. DRK, AWO, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband; Wohlfahrtsverbände).

2. Wesentliche Prinzipien

S. wird als nachrangige, beitragsfreie Sozialleistung gewährt, die bedarfsabhängig zur Bewältigung von Notlagen erbracht wird, wenn der Bedarf nicht durch den Einsatz von Arbeitskraft, Einkommen oder Vermögen gedeckt werden kann und sonstige Sozialleistungen nicht oder nur unzureichend zur Verfügung stehen (§ 2 SGB XII). S. soll die Führung eines menschenwürdigen Lebens (Menschenwürde) sichern und zugleich dazu befähigen, unabhängig von ihr zu leben (Hilfe zur Selbsthilfe). Auf den Grund der Hilfsbedürftigkeit kommt es nicht an. Die Hilfe ist an sich nicht von einem Antrag abhängig, sondern wird von Amts wegen gewährt. In der Praxis muss der Anspruch auf S. (§ 17 SGB XII) gleichwohl regelmäßig bei der zuständigen Stelle geltend gemacht werden.

3. Träger der Sozialhilfe

Träger der S. sind v. a. die kreisfreien Städte und Kreise (§ 3 SGB XII). Ihre finanzielle Belastung ist erheblich (2017: netto ca. 30 Mrd. Euro). Die örtlichen Träger der S. sind grundsätzlich sachlich zuständig für die S. (§ 97 SGB XII). Örtlich zuständig ist der Träger, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten sich aufhalten (§ 98 SGB XII). Die überörtlichen Träger wie auch ihre Zuständigkeit werden nach Landesrecht bestimmt.

4. Einzelfragen

S. wird geleistet nach den Besonderheiten des Einzelfalls (§ 9 SGB XII). Sie ist als individuelle Hilfe gedacht. S. kann (demgemäß) in Gestalt von Dienstleistungen, Sach- oder Geldleistungen erbracht werden (§ 10 SGB XII). Aus dem Kreis der gesetzlich vorgesehenen S.-Leistungen hat die Hilfe zum Lebensunterhalt die größte Bedeutung. Sie wird Personen gewährt, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insb. aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können (§ 27 SGB XII). Dem Hilfebedürftigen sollen die Mittel zur Verfügung gestellt werden, die er benötigt, um seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Der (gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare) Begriff des notwendigen Lebensunterhalts meint die materiellen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der Hilfeempfänger ein menschenwürdiges Leben führen kann. Das erfordert mehr als ein Minimum an Nahrung und Kleidung zum Überleben, also mehr als das Existenzminimum, an das das Gesetz mit dem Begriff des zum Lebensunterhalt Unerlässlichen (§ 26 SGB XII) anknüpft. Was jeweils zum notwendigen Lebensunterhalt gehört, lässt sich abstrakt-generell nicht abschließend festlegen, sondern kann nur für den Einzelfall ermittelt werden. Dabei sind die herrschenden Lebensgewohnheiten zu berücksichtigen, die einem kontinuierlichen Wandel unterliegen. Nach der beispielhaften Aufzählung in § 27a SGB XII umfasst der notwendige Lebensunterhalt Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Hierzu gehört in vertretbarem Umfang auch eine Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der notwendige Lebensunterhalt wird der Höhe nach weitgehend anhand von monatlichen Regelsätzen bemessen. Zu deren Bestimmung wird ein Statistikmodell zugrunde gelegt, das auf Daten basiert, die das StBA erhoben hat. Nicht mit dem Regelsatz abgegolten sind die Kosten für die Wohnung. Insoweit erbringt der S.-Träger laufende Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen (§ 35 SGB XII). Übernommen werden allerdings grundsätzlich nur die angemessenen Kosten der Unterkunft. Dabei wird auf die gesetzliche Regelung aus dem Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende abgestellt (§ 22 SGB II), woraus sich für eine alleinstehende Person z. B. eine angemessene Wohnfläche zwischen 45 und 50 Quadratmeter ergibt. Die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt soll keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung sein. Der S.-Fall bedarf vielmehr ständig der Überprüfung und Regelung, weil die S. stets an einen gegenwärtigen Bedarf anknüpft und auch nur einem solchen abhelfen soll. Ein bewilligender S.-Bescheid entfaltet daher, soweit nicht ohnehin etwas anderes vorgesehen ist, an sich nur Wirkung für die Vergangenheit und den laufenden Monat. Regelmäßig werden aber Leistungen nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und S. für mehrere Monate bewilligt. Bestimmten Gruppen von Hilfeempfängern erkennt das Gesetz (§ 30 SGB XII) von vornherein einen Mehrbedarf zu. Das betrifft Personen, die mindestens 65 Jahre alt sind, werdende Mütter, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung (Behinderung) und Kranke, die einer aufwendigeren Ernährung bedürfen. Auch die Mehrbedarfe werden überwiegend pauschaliert erbracht. Zudem kennt das Gesetz Bedarfe für Bildung und Teilhabe (§ 34 SGB XII), die Schülern zugestanden werden, die eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen; auch sind Bedarfe von Kindern und Jugendlichen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben gesetzlich anerkannt. Sie werden neben dem Regelbedarf gesondert berücksichtigt. Neben der Hilfe zum Lebensunterhalt standen vormals Hilfen in besonderen Lebenslagen. Statt ihrer kennt das Gesetz heute stärker differenzierte Hilfen zur Bewältigung einzelner Bedarfssituationen (§§ 47 ff. SGB XII). Dazu gehören Hilfen zur Gesundheit, die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die Hilfe zur Pflege, die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten sowie die Hilfe in anderen Lebenslagen. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die S.-Träger haben die Möglichkeit, Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen zu erbringen, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (§ 73 SGB XII). Diese Regelung dient häufig als Auffangnorm für Bedarfe, die nicht gesetzlich geregelt sind.

5. Abgrenzungen

Zu unterscheiden ist die S. von der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“), die im SGB II geregelt ist, und von Leistungen an Asylbewerber, die grundsätzlich keine S. erhalten sollen (§ 23 Abs. 2 SGB XII), sondern deren notwendiger Bedarf durch Sachleistungen und ggf. auch Geldleistungen nach dem AsylbLG gedeckt wird (Asyl). Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers, Ausländern möglichst keine Anreize zu bieten, aus wirtschaftlichen Erwägungen nach Deutschland zu kommen, stand in einem Spannungsverhältnis zur verfassungsrechtlichen Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums, wie das BVerfG 2012 feststellte. Das Gesetz wurde daraufhin geändert. Doch bleibt insb. das Niveau der Gesundheitsversorgung (§§ 4, 6 AsylbLG) erheblichen verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Bedenken ausgesetzt.