Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ)

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1. Entstehung und Geschichte – bis 1945

Die SPÖ wurde 1889 im Kaiserreich gegründet, in der „cisleithanischen“ Reichshälfte Österreich-Ungarns. Unter dem ersten Vorsitzenden, Victor Adler, hatten sich verschiedene, bereits bestehende sozialistische Gruppierungen zusammengeschlossen. Die Partei war auch, dem transnationalen Charakter des Kaiserreiches entspr., urspr. für alle im multinationalen Österreich existierenden „Nationalitäten“ (Sprachgruppen) konzipiert. Nach der Abspaltung der tschechischen Sozialdemokratie sah sie sich aber faktisch auf die Rolle einer „deutschösterreichischen“ Partei reduziert.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) war an der Gründung der Republik 1918 wesentlich beteiligt, die – mit Berufung auf das „Selbstbestimmungsrecht“ – sich als Teil der „Deutschen Republik“ verstand. Der Sozialdemokrat Karl Renner unterzeichnete, als „Provisorischer Staatskanzler“, am 10.9.1919 in St. Germain den im Wesentlichen von den Siegermächten diktierten „Staatsvertrag“, der formell den Kriegszustand beendete und den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland untersagte. Vertreter der SDAP waren auch an der Ausarbeitung der republikanischen Verfassung beteiligt, die von der „Verfassungsgebenden Nationalversammlung“ am 1.10.1920 als „Bundes-Verfassungsgesetz“ beschlossen wurde. In der darauffolgenden Wahl des österreichischen Nationalrates erhielt die Partei zwar mit 40,8 % die relative Mehrheit der Stimmen, ging aber dennoch in die Opposition – eine Rolle, die sie bis zum Untergang der (Ersten) Republik 1934 beibehielt.

Zwischen 1920 und 1934 konzentrierte sich die Sozialdemokratie auf die Hauptstadt (und das Bundesland) Wien, wo sie ihre absolute Mehrheit zum Ausbau eines auch international beachteten Modells sozialdemokratischer Politik nutzte („Rotes Wien“). Nachdem die zunehmend autoritären Tendenzen des regierenden Bürgerblocks schon 1933 zu einer Ausschaltung des Nationalrates geführt hatten, besiegte die Regierung unter Engelbert Dollfuß in einem am 12.2.1934 begonnenen kurzen Bürgerkrieg die Sozialdemokratie, verbot die Partei, und erließ am 1.5.1934 eine autoritäre Verfassung. Zwischen 1934 und 1938 existierte die Partei im Untergrund (Revolutionäre Sozialisten) und im Exil.

Der 1938 gewaltsam vollzogene „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland versetzte die österreichische Sozialdemokratie in Ratlosigkeit. Ein Teil der Partei akzeptierte diese Entwicklung als nicht mehr revidierbare Tatsache und orientierte sich an der Idee einer „gesamtdeutschen Revolution“. Erst als die Alliierten am 1.11.1943 („Moskauer Deklaration“) die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs in den Grenzen von 1937 zu ihrem Kriegsziel erklärten, begann sich die Partei – im Exil, im Untergrund – mit der Wiederherstellung der Republik zu beschäftigten. Im April 1945 erklärte die neu formierte Sozialistische Partei Österreichs – gemeinsam mit der in der Nachfolge der Christlichsozialen gegründeten ÖVP und der KPÖ – Österreich für unabhängig und beschloss, ebenfalls in Übereinstimmung mit den anderen Parteien, die Republik auf der Grundlage der Verfassung von 1920 wieder aufzubauen.

2. Entwicklung seit 1945

Anders als 1920 verließ die SPÖ nach der Wahl des Nationalrates vom November 1945 nicht die Regierung, sondern verblieb in einer Koalition mit der ÖVP – eine „Große Koalition“, die bis 1966 an der Regierung blieb. In dieser Phase nahm die SPÖ faktisch Abschied von ihrer marxistischen Programmatik der Vergangenheit („Austromarxismus“) und wurde zu einer pragmatisch orientierten Partei, die sich v. a. um Stimmenmaximierung bemühte. Nach einer Oppositionsphase zwischen 1966 und 1970 wurde die SPÖ unter Bundeskanzler Bruno Kreisky zur allein regierenden Partei („Ära Kreisky“).

Die pragmatische Orientierung der SPÖ nach 1945 und insb. in den Jahren nach 1970 äußerte sich in einem erfolgreichen Bemühen um einen Modus Vivendi mit der katholischen Kirche, die in der Vergangenheit mit dem „Politischen Katholizismus“ der Christlichsozialen identifiziert worden war; um eine Integration ehemaliger Nationalsozialisten nicht nur in die Republik, sondern auch (v. a. als Wähler) in die SPÖ; und um einen pragmatischen Kurs in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der einen in den ersten Jahrzehnten nach 1945 wesentlichen verstaatlichten Wirtschaftssektor mit einer grundsätzlich markt- und privatwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsordnung verband.

Nach dem Ende der „Ära Kreisky“ regierte die SPÖ in verschiedenen Koalitionsformen weiter, bevor sie 2000 erstmals seit 1945 in die parlamentarische Opposition gedrängt wurde. Davor hatte sie sich – unter der Führung des Parteivorsitzenden (und Bundeskanzlers) Franz Vranitzky – in Sozialdemokratische Partei Österreichs umbenannt, um auf diese Weise auch semantisch einen klaren Trennungsstrich zum Sozialismus à la Marxismus-Leninismus zu ziehen. Es war auch F. Vranitzky, der im Zusammenspiel mit dem Koalitionspartner ÖVP 1994 den Beitritt zur EU vereinbarte und mit einer Volksabstimmung direkt demokratisch absicherte.

Beginnend mit den 1980er Jahren sah sich die SPÖ mit einer gesellschaftlichen Entwicklung konfrontiert, die auf eine allmähliche Erosion ihrer traditionellen Wählerklientel hinaus lief: Die österreichische Arbeiterschaft, i. V. m. dem wachsenden Wohlstand zunehmend an der Sicherung des gewonnenen sozialen Status interessiert, wurde – wie dies auch in anderen Staaten (West-)Europas zu beobachten war – partiell zu einem neuen „Kleinbürgertum“, das für populistisch vorgetragene xenophobe Apelle (Populismus) anfällig war. Gleichzeitig mündete die auch von der SPÖ forcierte „Bildungsexplosion“ zum Anstieg eines neuen „Bildungsbürgertums“. Zwischen einem für (rechts-)populistische Parolen anfälligen neuen Kleinbürgertum und einem grün-affinen, neuen Bildungsbürgertum sucht die SPÖ ihren Weg – in einem Parteiensystem, das generell durch abnehmende politische Loyalitäten und wachsende Unberechenbarkeit gekennzeichnet ist.

3. Die SPÖ als Parteitypus

Die österreichische Sozialdemokratie war urspr. von einer fast einmaligen strategischen Ausgangslage bestimmt: Die SPÖ hatte – innerhalb der traditionellen Linken – eine faktische Monopolstellung. Die traditionelle Schwäche der KPÖ – verursacht auch von der programmatischen Radikalität des „Austromarxismus“ – erlaubte einen „linken“ Alleinvertretungsanspruch der SPÖ, die – in Verbindung mit sozialdemokratischen Gewerkschaften (seit 1945 mit der im Rahmen des ÖGB dominanten Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter) – keine relevante kommunistische (Kommunismus) oder linkssozialistische Konkurrenz zu berücksichtigen hatte.

Das hat sich seit den 1980er Jahren geändert: Eine nicht proletarische, „postmaterialistische“ Linke hat zwar die Dominanz der SPÖ links von der Mitte nicht aufgehoben, aber das Erscheinungsbild der SPÖ verändert. Die SPÖ hat – beginnend mit dem Ende der „Ära Kreisky“ – zunehmend ökologische Positionen bezogen und sich ebenso „feminisiert“.

Die SPÖ, die nach der Nationalratswahl 2017 zum zweiten Mal in ihrer Geschichte nach 1945 in die Opposition ging, ist nach wie vor eine der erfolgreichsten sozialdemokratischen Parteien Europas. Mit einem zwar gesunkenen, aber langfristig stabilen Wähleranteil von etwa 25 %; mit einer zwar sinkenden, aber nach wie vor großen Organisationsdichte; und mit führenden Positionen in einigen Bundesländern (v. a. in Wien) ist die SPÖ eine das gesamte politische System Österreichs (mit)bestimmende Größe.