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Version vom 14. November 2022, 06:59 Uhr

  1. I. Geschichte
  2. II. Politisches System
  3. III. Volkswirtschaft

I. Geschichte

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1. Spätmittelalter bis Französische Revolution

Die Territorialpolitik der Habsburger trieb die Städte Zürich und Bern an die Seite der Bauerntalschaften, die sich 1291 zu einem Bündnis in der Gegend um den Gotthardpass zusammengeschlossen hatten. So entstand im Spätmittelalter der Kern des eidgenössischen Bündnissystems an der Südwestecke des Reiches. Bis 1513 erweiterte sich dieser Bund zur dreizehnörtigen Eidgenossenschaft. Als lockere Partner kamen sog.e Zugewandte Orte (= Verbündete) und Gemeine Herrschaften (= Untertanengebiete) hinzu. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 wurde der lose eidgenössische Staatenbund, der seit der Reformation in zwei christliche Konfessionsteile (Konfessionalisierung) gespalten war, völkerrechtlich unabhängig und konnte sich dank seiner außenpolitischen Passivität weitgehend aus den großen europäischen Kriegen heraushalten, wozu auch beitrug, dass die Kantone mit mehreren Monarchien Söldnerverträge für den Kriegsdienst abschlossen.

Die Invasion der französischen Revolutionstruppen am Ende des 18. Jh. ließ die Gesellschaftsordnung der alten Eidgenossenschaft zusammenbrechen. 1798 entstand die Helvetische Republik, die als Zentralstaat nach wenigen Jahren scheiterte, aber auf dem Gebiet der heutigen S. neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen schuf, die zur Voraussetzung für die erste industrielle Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution) wurden. 1803 stellte die von Napoleon Bonaparte diktierte Mediationsverfassung die alten staatenbündischen Strukturen weitgehend wieder her. Am Wiener Kongress erhielt die S. 1815 ihre bis heute unveränderten äußeren Grenzen und die definitive innere Gliederung in Kantone (mit Ausnahme der viel späteren Schaffung des neuen Kantons Jura 1979). Gleichzeitig wurde die Souveränität und Neutralität der S. international anerkannt und garantiert. Die anschließende Friedensepoche gab der Industrialisierung einen weiteren Schub. Nach der Juli-Revolution in Frankreich 1830 entstanden in zahlreichen Kantonen liberal-demokratische Staatsordnungen, die auch auf der Ebene des Staatenbundes Reformbestrebungen auslösten. Die Spannungen zwischen den stärker industrialisierten Mittellandkantonen und den wirtschaftlich zurückgebliebenen Bergkantonen führten zu heftigen Konflikten mit Unruhen. Auf eidgenössischer Ebene sollte der lockere Staatenbund nach den Reformern stärker vereinheitlicht und an die wirtschaftlichen Erfordernisse angepasst werden. In den 1840er Jahren verkonfessionalisierten sich die Gegensätze und wandelten sich zu eigentlichen Kulturkämpfen avant la lettre (Klosteraufhebungen, Jesuitenberufung an katholische Gymnasien, militärische Befreiungsbewegungen, Putschs). 1847 endete ein kurzer Bürgerkrieg zwischen den reformorientierten, mehrheitlich protestantischen Kantonen und dem Schutzbund („Sonderbund“) der katholisch-konservativen Kantone Luzern, Freiburg, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Wallis mit dem Sieg der fortschrittlichen Kräfte, die die nationale Einheit mit einem Bundesstaat, die Einführung der liberalen Grundrechte und den Primat des Staates über die Kirchen befürworteten. Mit dem neuen Bundestaat erhielt die S. eine neue Staatsstruktur (Bundesrat als Bundesregierung, Zweikammer-Parlament, allg.es Männerwahlrecht usw.). Nach einem revolutionären Jahrzehnt entstand im monarchisch geprägten Europa die erste liberal-demokratische Republik, die auf dem Kontinent Bestand hatte.

2. 1848–1914

Der neu errichtete Bundesstaat schuf – ähnlich wie später die europäische Integrationsbewegung – Schritt für Schritt einen einheitlichen Wirtschaftsraum mit einer gemeinsamen Franken-Währung, führte mit der Niederlassungsfreiheit die Personenfreizügigkeit ein und verwirklichte die Religionsfreiheit für die christlichen Konfessionen (für die Juden ab 1866). Mitten in einem von nationalen und liberalen Revolutionen erschütterten Europa schützte die eidgenössische Armee, vorerst noch aus kantonalen Kontingenten bestehend, die Unabhängigkeit des Kleinstaates. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 beschleunigte die internen Zentralisierungsprozesse, die 1874 zu einer revidierten Verfassung führten, die den Boden für die moderne S. legte. Diese revidierte Bundesverfassung, die mitten im europäischen Kulturkampf in einer Volksabstimmung wiederum gegen den Widerstand der katholisch-konservativen Bevölkerung durchgesetzt wurde, führte die Modernisierung im Rechts- und Militärwesen weiter, baute die Demokratie mit neuen Volksrechten aus (Referendum 1874 und 1891 Volksinitiative) und verstärkte den Primat des Staates über die Kirchen (Zivilehe, staatliche Volksschule etc.). Seither geben zahlreiche Volksabstimmungen dem politischen System eine direktdemokratische Note (Plebiszit). Als Republik mit vier anerkannten Sprachgemeinschaften bildete die multikulturelle (Multikulturalismus) und neutrale Eidgenossenschaft im damaligen Europa eine Art Antithese zu den Monarchien und den imperialistisch-aggressiv orientierten großen Nationalstaaten.

Bis in die 1880er Jahre blieb die siegreiche Parteienkoalition von 1848, die aus den linken Radikaldemokraten und den Liberalen der Mitte-Parteien bestand, die bestimmende politische Macht. Die im Bürgerkrieg unterlegenen konservativen (und romtreuen) Katholiken wurden als unzuverlässige Patrioten in den ersten Jahrzehnten von der Bundesregierung ausgeschlossen. Doch das 1874 eingeführte direktdemokratische Referendum gab dem politischen Katholizismus ein Instrument in die Hand, um die Bundesregierung und das Bundesparlament fallweise in die Schranken zu verweisen. Als die sozialistische Arbeiterbewegung vor der Jahrhundertwende von 1900 an Bedeutung gewann, verloren die kulturkämpferisch geprägten Gegensätze zwischen der regierenden Freisinnig-demokratischen Partei (FDP) und dem politischen Katholizismus an Bedeutung. 1891 erhielt die Katholisch-Konservative Partei (heute Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz [CVP]) einen ersten Sitz im siebenköpfigen Bundesrat.

Parallel verwandelte sich das Land im letzten Drittel des 19. Jh. gesellschaftlich in raschem Rhythmus. Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg brachten eine stürmische wirtschaftlich-soziale Entwicklung, die durch den raschen Ausbau des Eisenbahnnetzes (1882 das Pionierwerk des Gotthardtunnels für den europäischen Nord-Süd-Verkehr), die fortschreitende Mechanisierung der Industrie und durch das entstehende Bankensystem vorangetrieben wurde. Die Bevölkerung verdoppelte sich von 1,7 Mio. Einwohnern 1800 auf 3,3 Mio. im Jahr 1900. Die aufkommende Soziale Frage fand ihren ersten Niederschlag im Fabrikgesetz von 1877. Wegen der dezentralisierten Fabrikindustrie blieb eine wirkliche Proletarisierung der Arbeiterschaft wie in anderen europäischen Ländern aus. Da der Getreideanbau infolge der ausländischen Konkurrenz in eine Krise geraten war, konzentrierte sich die Landwirtschaft fortan stärker auf die Milch- und Käseproduktion.

Internationale Konfliktherde wie die italienische Einigung und den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 überstand die S. dank der Neutralität in den alten Grenzen. Allerdings sah sich die Regierung gezwungen, eine schlagkräftigere Armee aufzubauen, um nicht zum Spielball kriegführender Mächte zu werden. Im Zeitalter des europäischen Nationalismus und Imperialismus wurde die außenpolitische Maxime der Neutralität für den Kleinstaat überlebenswichtig, denn der expansive Ethno-Nationalismus der Nachbarländer bedrohte die nationale Identität der sprachlich-kulturell vielfältigen S. Als Gegenleistung begann die S. in zunehmendem Maße der Völkergemeinschaft in der Diplomatie ihre guten Dienste zur Verfügung zu stellen. In Genf entstand 1863 das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (Rotes Kreuz).

3. 1914–1945

Im Ersten Weltkrieg gelang es der Schweiz, ihre Neutralität aufrechtzuerhalten. Allerdings führte der Krieg zu schweren inneren Spannungen, da in der deutschen und in den romanischen Sprachgemeinschaften unterschiedliche Sympathien für die Kriegsparteien herrschten. Vor diesem Hintergrund erließ der spätere Literatur-Nobelpreisträger Carl Spitteler 1914 einen Aufruf zur nationalen Einheit („Unser Schweizer Standpunkt“). Infolge der schlechten Versorgungslage während des Kriegs nahmen die sozialen Spannungen zu; sie gipfelten im November 1918 im Landesstreik, der vorübergehend zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte. Obwohl es der bürgerlich geführten Bundesregierung gelang, die Lage mit Hilfe der Armee zu beruhigen, blieb der innenpolitische Konflikt nicht ohne Auswirkungen. Seit 1919 wurde die Volkskammer, d. h. der Nationalrat, nach dem Proporzwahlsystem bestellt, wodurch die Linke auf einen Schlag zu einer starken politischen Kraft aufstieg und die seit 1848 regierende FDP ihre Parlamentsmehrheit verlor. Auf einen festen Koalitionspartner angewiesen, gestand die alte Regierungspartei dem seit 1891 mitregierenden katholisch-konservativen Juniorpartner einen zweiten Sitz im siebenköpfigen Bundesrat zu. 1929 trat auch die bäuerlich-konservative Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei mit einem Vertreter in die Landesregierung ein. Damit hatte sich die „Bürgerblock“-Regierung formiert, die in der Zwischenkriegszeit die S. politisch führte. Unter dem äußeren Druck des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus suchten das Bürger- und Bauerntum und die sozialistische Arbeiterbewegung den nationalen Schulterschluss. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) und die Gewerkschaften distanzierten sich vom marxistischen Klassenkampf und befürworteten 1935 die Stärkung der militärischen Landesverteidigung. 1937 folgte das Friedensabkommen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern in der wichtigen Metall- und Uhrenindustrie. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg kam auf diese Weise die nationale Einheitsfront gegen die Diktaturen, die die S. umringten, zustande. Doch erst, als sich der Endsieg der West-Alliierten abzeichnete, entschlossen sich die bürgerlichen Bundesratsparteien, die Sozialdemokraten 1943 in die Bundesregierung aufzunehmen.

In wirtschaftlicher Hinsicht setzten sich nach dem Ersten Weltkrieg die ökonomischen und die gesellschaftlichen Transformationen beschleunigt fort. Die Textilindustrie verlor an Boden, Handwerk und Gewerbe erlitten schwere Einbußen, und die Landwirtschaft musste staatlich unterstützt werden. Die Maschinen- und die chemische Industrie entwickelten sich zu Schlüsselindustrien. Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise der dreißiger Jahre (Weltwirtschaftskrisen) brachte schwere Arbeitslosigkeit.

In außenpolitischer Hinsicht wechselte die S. für einige Jahre zu einer aktiveren Neutralitätspolitik und trat 1920 mit dem Statut der „differentiellen Neutralität“ dem Völkerbund bei. Genf wurde sogar Sitz der neuen Weltorganisation. In dem Maße, in dem die internationale Ordnung in den 1930er Jahren zusammenbrach, kehrte die S. zur „integralen Neutralität“ zurück und begann sich abzuschotten. Den Zweiten Weltkrieg überstand sie, ohne ins Kriegsgeschehen militärisch hineingezogen zu werden. Politisch passten sich Regierung und Wirtschaft an die jeweilige Kriegslage an, was dazu führte, dass sie in der ersten Hälfte des Krieges insb. mit den Nachbarmächten Deutschland und Italien partiell zusammenarbeiteten. Wegen der restriktiven Flüchtlings- und Asylpolitik wurden zahlreiche politisch und rassisch Verfolgte, insb. jüdische Flüchtlinge, an der Grenze abgewiesen – mit dem Argument, das Boot sei voll. Diese Politik führte nach dem Krieg und später nochmals in den 1990er Jahren zu nationalen und internationalen Kontroversen im Zeichen der Vergangenheitsbewältigung. Der Streit um nachrichtenlose Vermögen aus der Weltkriegszeit führte 1998 zu einem finanziellen Vergleich mit jüdischen Klägerorganisationen in den USA, mit dem die zwei größten Schweizer Großbanken ihr Fehlverhalten während und nach dem Zweiten Weltkrieg abgalten.

4. Seit 1945

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich die neutrale S. in einer international isolierten Lage, da sie am siegreichen Kampf der Alliierten zur Befreiung des europäischen Kontinents von den faschistischen Diktaturen nicht aktiv teilgenommen hatte. Als Folge blieb die S. der neu gegründeten UNO fern. Mit dem Beginn des Kalten Kriegs zwischen dem Westen und der kommunistischen Sowjetunion wurde ihre neutrale Position indessen deutlich aufgewertet. Die Beziehungen zu den Großmächten USA und UdSSR normalisierten sich (1946 Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der UdSSR). Politischen und militärischen Bündnissen wie der NATO blieb die neutrale S. fern, machte aber bei Organisationen wirtschaftlicher, humanitärer und technischer Natur der westeuropäischen Partnerländer mit (OECD 1948, CERN 1954).

Zu Beginn der europäischen Integrationsbewegung nahm die S. eine abwartende Position ein. Sie schloss aus neutralitätspolitischen Gründen einen Beitritt zur EWG aus, bildete aber 1960 mit Großbritannien und nordischen Ländern die EFTA als konkurrenzierenden Freihandelsraum und trat 1963 dem Europarat und 1966 dem GATT (heute WTO) bei. Bes. aktiv beteiligte sie sich in der ersten Hälfte der 1970er Jahre am Prozess der KSZE (heute OSZE) und betrieb damit eine aktivere Außenpolitik. 1972 näherte sie sich den EG an, und das Schweizer Volk stimmte mit deutlicher Mehrheit einem Freihandelsabkommen (Freihandel) zu, das durch den Übertritt Großbritanniens von der EFTA in die EG notwendig geworden war. Zwanzig Jahre später, 1992, lehnten die Stimmbürger den Beitritt zum EWR ab, was die S. zwang, ihr Verhältnis zum zusammenwachsenden Wirtschafts-, Rechts-, Politik- und Sozialraum der EU über „bilaterale Verträge“ zu regeln. Nach der Osterweiterung der EU zu Beginn des 21. Jh. sah sich die S. in zunehmendem Maße gezwungen, ihre Beziehungen zur größer gewordenen EU auf neue institutionelle Fundamente zu stellen, was im Innern des Landes zu Diskussionen und Verwerfungen führte und die Regierung zu schwierigen Balanceakten zwang. Als wirtschaftlich und gesellschaftlich stark integriertes Land in der Mitte Europas übernimmt die S. bspw. in der Grenz- und Migrationspolitik (Schengen etc.), in der Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie in der Klimapolitik europäische Standards weitgehend im „autonomen Nachvollzug“. Parallel dazu versucht das Land, mit speziellen Anstrengungen in der globalen Außenwirtschaftspolitik neue Freihandelsverträge abzuschließen. Die weitaus wichtigsten Handels- und Kooperationspartner bleiben jedoch die europäischen Länder (2019 gingen über 50 % der Schweizer Exporte in die EU, 59 % der Importe kamen von dort).

Die schweizerische Wirtschaft nahm nach dem Zweiten Weltkrieg im Gleichschritt mit der Entwicklung in Westeuropa und Nordamerika enormen Aufschwung, der anfangs der 1970er Jahre durch die weltweite Rezession kurz gebremst wurde. Der Dienstleistungssektor mit Tourismus, Finanzindustrie etc. rückte an erste Stelle. Materielle Prosperität ermöglichte den Ausbau des Wohlfahrts- und Sozialstaates: 1946 die Einführung des Sozialwerks Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), 1960 die Invalidenversicherung usw. Mit großer Verzögerung gegenüber dem übrigen Europa wurde mit Blick auf den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention (1974) eine demokratische Anormalität liquidiert und das Stimm- und Wahlrecht für Frauen auf Bundesebene in einer Volksabstimmung 1971 eingeführt. Seither bewegt sich der Frauenanteil in der Politik auf dem Niveau der deutschsprachigen Nachbarländer.

Eine wichtige Zäsur in der politischen Geschichte bildete die Errichtung einer proportional zur Wählerstärke zusammengesetzten Mehrparteien-Regierung im Jahr 1959. Der damals eingeführte Regierungsproporz, d. h. die dauerhafte Koalition der vier großen Parteien aus zwei Freisinnigen, zwei Christdemokraten, zwei Sozialdemokraten und einem Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP [früher Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei]), hatte unter der Bezeichnung „Zauberformel“ bis 2003 Bestand und wurde nach stürmischen Übergangsjahren 2015 mit einer neuen Formel weitergeführt. Seit 1987 bilden die Grünen die stärkste parteipolitische Kraft außerhalb der vier Regierungsparteien. Um die gleiche Zeit entstanden am rechten Rand nationalkonservative und rechtspopulistische Bewegungen, die ab Mitte der neunziger Jahre von der SVP im Zug ihres Wandels zu einer nationalkonservativen Partei aufgesogen wurden. Die SVP wuchs damit innerhalb weniger Legislaturen zur mit Abstand stärksten Partei heran und erzielte in den Wahlen 2019 25,6 %. Diese fundamentalen Veränderungen der Parteienlandschaft führten 2003 zum Verlust des zweiten Sitzes der Christdemokraten im Bundesrat. Seit 2015 setzt sich die siebenköpfige Landesregierung aus zwei FDP-, zwei SP-, zwei SVP- und einem CVP-Vertreter zusammen.

Die Kulturrevolution der späten 1960er und der 1970er Jahre löste in der S. auf allen Gebieten gesellschaftliche Transformationen und Reformen aus. Die christlichen Kirchen verloren an Gläubigen, und der Anteil der Konfessionslosen wuchs rasant; im Zuge der internationalen Migration nahm die religiöse Vielfalt der Bevölkerung markant zu (2015 rund 5 % Muslime). Auch die sprachliche Vielfalt erweiterte sich: Der Anteil „anderssprachiger“ Einwohner (Englisch, Portugiesisch etc.) erhöhte sich von unter 5 % 1970 auf gegen 10 % im Jahr 2000. Als Nationalsprachen gelten nach wie vor Deutsch (ca. 65 %), Französisch (23 %), Italienisch (8 %) und Rätoromanisch (< 1 %). Im Zuge des Wirtschaftswunders nahm die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte rasch zu und erreichte schon 1970 über 17 % der Wohnbevölkerung, seit 2012 ein Viertel, der konstant wächst. Mitte der 1960er Jahre zeigten sich die ersten Vorboten der später ganz Europa erfassenden fremdenfeindlichen Bewegungen, die sich mit einem Reflex gegen die EU verbanden.

Trotz der starken Polarisierung bei Volksabstimmungen und Wahlen zeichnet sich die S. weiterhin durch politische Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand aus. Der frühere Kleinstaat zählt seit der Neuordnung Europas nach 1989 zu den mittelgroßen europäischen Staaten und bildet in der stark globalisierten Weltwirtschaft mit hohen Exportüberschüssen eine mittlere Wirtschafts- und Finanzmacht. In der Außenpolitik setzt die S. ihren Sonderweg der zögerlichen Annäherung an die EU fort, was angesichts des Anpassungsdrucks der Union immer schwieriger wird und ein neues Rahmenabkommen erfordert.

II. Politisches System

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1. Einleitung

Das politische System der S. gilt bis heute als Sonderfall unter den modernen Demokratien. Die Ursprünge dafür liegen in einer ausgesprochenen Pluralität unterschiedlicher Sprachen, Konfessionen und Gesellschaftsstrukturen sowie einer kontinuierlichen Entwicklung ohne die für zahlreiche europäische Länder typischen Strukturbrüche durch die beiden Weltkriege. Diese Rahmenbedingungen haben zur Herausbildung eines auf den ersten Blick einzigartigen politischen Systems geführt, das sich durch eine außergewöhnliche Kombination von ausgebautem Föderalismus, starker direkter Demokratie und ausgeprägter Konkordanz auszeichnet. Als eine der ersten republikanischen Männerdemokratien weltweit und als erster moderner Bundesstaat auf dem alten Kontinent hat die S. zudem schon bei der Ausgestaltung ihrer politischen Institutionen eine bes. Vorreiterrolle eingenommen. Auch im aktuellen Ländervergleich fällt die S. als Sonderling auf: Sie hat eine Spitzenposition inne mit dem weltweit am stärksten ausgebauten direktdemokratischen System, dem fehlenden Machtwechsel zwischen Regierung und Opposition sowie mit einem weder rein parlamentarischen noch rein präsidentiellen Regierungssystem. Sowohl die zahlreichen vierteljährlich stattfindenden Volksabstimmungen auf allen Staatsebenen als auch die seit Jahrzehnten vom Parlament auf eine festgelegte Periode gewählte, parteipolitisch mehr oder weniger gleich zusammengesetzte Kollegialexekutive von sieben gleichberechtigten Mitgliedern suchen ihresgleichen. Schließlich gilt die S. im internationalen Vergleich auch als Extremtyp einer Konkordanz- und Konsensdemokratie mit stark ausgebauten Elementen der Machtteilung in horizontaler wie vertikaler Dimension.

2. Verfassungssystem

2.1 Die Regierung: Der Bundesrat

Beim schweizerischen Regierungssystem handelt es sich weder um eine rein parlamentarische noch um eine rein präsidiale Demokratie, sondern um ein versammlungsunabhängiges Direktorialsystem. Dieses zeichnet sich durch eine Kollegialexekutive (Bundesrat) von sieben gleichberechtigten Mitgliedern aus, die sowohl als kollektives Staatsoberhaupt, als Bundesregierung sowie als Spitze der sieben Departemente (Ministerien) tätig ist. Sie wird von der Vereinigten Bundesversammlung (National- und Ständerat vereint) zu Beginn jeder Legislaturperiode für eine vierjährige Amtsdauer neu gewählt. Der Bundesrat ist damit oberste Leitungs- und Vollzugsbehörde des Bundes, wobei jeder Bundesrat einem Departement vorsteht. Während der vierjährigen Amtsperiode können weder der gesamte Bundesrat noch einzelne Bundesräte vom Parlament durch ein Misstrauensvotum zum vorzeitigen Rücktritt gezwungen werden. Umgekehrt kann die Exekutive auch nicht vorzeitig das Parlament auflösen. Der Vorsitzende des Bundesrates, der Bundespräsident, wird als Primus inter Pares von der Bundesversammlung für ein Jahr gewählt, wobei eine aufeinanderfolgende Wiederwahl ausdrücklich untersagt ist.

2.2 Das Parlament: Die Bundesversammlung

Die Bundesversammlung bildet das Schweizer Parlament (Parlament, Parlamentarismus) und besteht aus zwei gleichberechtigten Kammern, dem Nationalrat und dem Ständerat. Der Nationalrat als Volkskammer setzt sich aus 200 nach dem Verhältniswahlrecht gewählten Vertretern zusammen, wobei die Kantone die Wahlkreise bilden und sich die Zahl der Volksvertreter nach der Einwohnerzahl der Kantone richtet. Jeder Kanton entsendet aber mindestens einen Nationalrat. Der Ständerat als Kantonskammer umfasst 46 Abgeordnete, die nach kantonalem Wahlrecht, i. d. R. nach dem Majorzverfahren, für üblicherweise vier Jahre gewählt werden. Jeder Kanton hat zwei Vertreter, die früheren Halbkantone stellen hingegen nur einen Abgeordneten. In Form der Vereinigten Bundesversammlung (d. h. National- und Ständerat gemeinsam) übt das Parlament lediglich seine Wahlkompetenzen aus, insb. die Wahl des Bundesrates und der Bundesrichter. Seine Aufgaben der Rechtssetzung und der Oberaufsicht über die anderen Gewalten nimmt es hingegen in getrennten Kammern wahr. Damit kommt der durch Volkswahlen (Wahlen) unmittelbar legitimierten Bundesversammlung als „oberste Gewalt im Bund“ (Art. 148 BV) zwar eine gewisse Vorrangstellung gegenüber Bundesrat und Bundesgericht zu. Hingegen ist das Parlament dem Bundesrat und dem Bundesgericht gegenüber nicht umfassend weisungsbefugt.

2.3 Die Justiz: Das Bundesgericht

Die oberste rechtsprechende Gewalt ist das Bundesgericht, das zurzeit aus 38 hauptamtlichen Richtern besteht, die für eine Amtszeit von sechs Jahren von der Bundesversammlung gewählt werden; ihre Wiederwahl ist zulässig und üblich. Das oberste Gericht entscheidet als letzte Instanz über Rechtsstreitigkeiten in zivil- und öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie bei Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staatsebenen. Weiterhin ist es zuständig für die Beurteilung von Beschwerden bei der Verletzung verfassungsmässiger Rechte durch Bundes- oder Kantonsbehörden. Hingegen handelt es sich beim Bundesgericht nicht um ein eigentliches Verfassungsgericht, da in der S. keine Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze besteht. Die erst zu Beginn des 21. Jh. erfolgten Gründungen des Bundesstrafgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bezweckten v. a. die Entlastung des Bundesgerichts von aufwändigen erstinstanzlichen Prozessen. Die Richter dieser Spezialgerichtshöfe werden ebenfalls für sechs Jahre von der Bundesversammlung gewählt.

2.4 Politische Machtteilung: Direkte Demokratie und Föderalismus

Neben dem Grundsatz der Gewaltenteilung und der gängigen Zuordnung der klassischen Aufgaben an die drei Staatsgewalten zeichnet sich das schweizerische Verfassungssystem durch zwei weitere Kernelemente aus, nämlich die stark ausgeprägte direkte Demokratie (Plebiszit) und den weitgehenden Föderalismus. Die herausragende Bedeutung der beiden grundlegenden Prinzipien der Volkssouveränität und des föderalen Bundesstaates äußert sich in der Bundesverfassung (Art. 148 Abs. 1 BV) u. a. dadurch, dass das Parlament nur „unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Ständen die oberste Gewalt im Bund“ ausübt.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Regierungssystemen kann die Wählerschaft in der S. zudem nicht nur ihre Abgeordneten wählen, sondern ebenso über Bundesgesetze und Verfassungsänderungen abstimmen. Durch diese unmittelbaren Volksrechte können die Bürger direkten Einfluss auf die Verfassungs- und Gesetzgebungstätigkeit von Parlament und Regierung nehmen. So untersteht jede Verfassungsänderung dem obligatorischen Verfassungsreferendum. Zusätzlich können die Bürger einen Volksentscheid zu einer von ihnen gewünschten Änderung der Bundesverfassung verlangen, indem 100 000 Stimmberechtigte das Initiativbegehren innerhalb von 18 Monaten unterschreiben (Volksinitiative). Schließlich kann zu jedem neuen Bundesgesetz durch die Sammlung von 50 000 Unterschriften innerhalb von 100 Tagen eine Volksabstimmung verlangt werden (fakultatives Gesetzesreferendum).

Der ausgeprägt bundesstaatliche Charakter mit der starken Betonung der Mitwirkung und Autonomie der Kantone wiederum ist durch eine Reihe föderaler Verfassungsinstitutionen abgesichert. Neben dem Ständerat als gleichberechtigter Parlamentskammer und der Notwendigkeit des Ständemehrs bei Verfassungsänderungen (d. h., dass zusätzlich zum Volksmehr auch die Mehrheit der Kantone einer Verfassungsänderung zustimmen muss) bestehen im Kantonsreferendum und in der Standesinitiative zwei weitere föderale Einrichtungen auf der bundespolitischen Ebene als Ersatz für den Verlust der kantonalen Souveränität zur Verfügung. Während mittels des Kantonsreferendums auf Verlangen von acht Kantonen eine Volksabstimmung über ein neues Bundesgesetz gefordert werden kann, hat mit der Standesinitiative jeder Kanton die Möglichkeit, dem Bundesparlament einen Entwurf zu einem Erlass einzureichen bzw. die Ausarbeitung eines solchen vorzuschlagen.

2.5 Die machtteilende Verfassung

Insgesamt ist das schweizerische Regierungssystem durch eine starke (v. a. personelle, weniger funktionelle) Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative auf der horizontalen Ebene geprägt. Auch die vertikale Machtteilung zwischen Bund und Kantonen ist ausgesprochen ausgebaut. Zwar ist damit die verfassungsmässige Grundlage für ein stark auf Machtbegrenzung und Gewaltenteilung ausgerichtetes System gelegt. Jedoch lassen sich aus dieser Betrachtungsweise noch keine Schlüsse über das effektive Zusammenwirken der einzelnen Gewalten und das reale Machtverhältnis zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sowie weiteren Akteuren ziehen. Ebenso wenig lassen sich Aussagen über die sich im Verlaufe der Zeit gewandelten föderalen Beziehungen oder darüber machen, welchen Einfluss die Einführung bestimmter Volksrechte, wie z. B. das fakultative Gesetzesreferendum, auf die Zusammensetzung und Funktionsweise von Regierung und Parlament sowie auf das politische System insgesamt ausgeübt hat. Sie beschreibt nur den verfassungsmässigen Rahmen der Machtteilung und -verteilung.

3. Der politische Entscheidungsprozess

In ihrem Werk zur schweizerischen Demokratie stellen Wolf Linder und Sean Mueller das machtteilende Entscheidungssystem auf Bundesebene als einen Kreislauf von vier aufeinanderfolgenden Phasen dar: Der politische Entscheidungsprozess zeichnet sich durch die Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren aus. In der vorparlamentarischen Phase treten Parteien, Verbände und andere Akteure über das Parlament, mittels Volksinitiative und weiteren Kanälen mit ihren Anträgen an den Bundesrat heran, sofern dieser nicht selbst Reformen initiiert. Zunächst arbeitet dann das zuständige Departement (Ministerium) oder eine von ihm beauftragte Expertenkommission ein Vorprojekt aus, zu dem die unmittelbar betroffenen Kreise angehört werden. Der Entwurf des Bundesrates wird in einem nächsten Schritt den interessierten Kreisen wie Parteien, Verbänden, Kantonen und weiteren Organisationen zur Vernehmlassung unterbreitet, worauf diese ihre Stellungnahmen abgeben und das zuständige Departement die Vorlage auf der Basis der eingegangenen Kommentare überarbeitet. Die bereinigte Vorlage wird dann als sog.er Bundesratsentwurf mit zusätzlichen Erläuterungen durch die Regierung dem Parlament vorgelegt. Damit beginnt die zweite Phase. In der parlamentarischen Phase wird dieser Entwurf in der vorberatenden Kommission des National- oder Ständerats (je nach Erstrat) behandelt und je nachdem abgeändert, wobei die Legislative mit der parlamentarischen Initiative zusätzlich die Möglichkeit besitzt, den vorparlamentarischen Prozess auszuklammern. Der Kommissionsentwurf wird daraufhin vom Plenum des Erstrats beraten und beschlossen. Anschließend beschäftigen sich die zuständige Parlamentskommission und das Plenum des Zweitrats mit dem Geschäft. Kommt eine Einigung zustande, wird die Parlamentsvorlage in den Schlussabstimmungen der beiden Räte verabschiedet. Darauf folgt die direktdemokratische Phase, in der bei Verfassungsänderungen zwingend eine Volksabstimmung mit der notwendigen doppelten Zustimmung von Volk und Ständen erfolgt, wobei Bundesrat und Parlament bei Volksinitiativen die Möglichkeit besitzen, einen direkten oder indirekten Gegenentwurf vorzulegen. Bundesgesetze unterstehen lediglich dem fakultativen Referendum: Eine Volksabstimmung findet nur dann statt, wenn 50 000 Stimmberechtigte sie mit ihrer Unterschrift innerhalb von 100 Tagen fordern. Bei der Abstimmung entscheidet dann das einfache Volksmehr. In der nachfolgenden Implementationsphase schließlich arbeiten die zuständigen Departemente die konkretisierenden Verordnungen und Politikprogramme aus. Eine äußerst wichtige Rolle spielen im Kontext des schweizerischen Vollzugsföderalismus die Kantone. Sie sind in vielen Fällen für die Ausführungsgesetze und die Umsetzung der Bundeserlasse vor Ort zuständig und können z. B. über Standesinitiativen Anträge an das Bundesparlament stellen. Ggf. sorgen dann die Gerichte auf den verschiedenen Staatsebenen für die konkrete Auslegung der Bundeserlasse. Zusammenfassend fällt auf, dass die Schweizer Bürgerschaft aus einer vergleichenden Perspektive über außerordentliche Einflussmöglichkeiten verfügt: Zusätzlich zum in repräsentativen Demokratien üblichen Recht, die Legislative zu bestellen, kommen als unmittelbare Volksrechte namentlich die Volksinitiative in der frühen (vorparlamentarischen) Agenda-Setting-Phase und das Referendum in der nachparlamentarischen Phase hinzu. Damit verfügt das Schweizer Volk in nahezu jeder Phase über einen beträchtlichen direkten oder indirekten Einfluss.

4. Schlussfolgerungen

Aus langfristiger Perspektive zeichnet sich die schweizerische Demokratie durch einen beeindruckenden Wandel von einem urspr.en mehrheitsdemokratischen System der freisinnigen Staatsgründer im 19. Jh. hin zum Extremfall einer Konsensdemokratie mit der Integration aller politisch relevanten Kräfte während der zweiten Hälfte des 20. Jh. aus. Allerdings haben in den beiden letzten Dekaden offensichtliche Veränderungen stattgefunden, die verstärkte Zweifel an der S. als Musterbeispiel einer perfekten Konkordanzdemokratie aufkommen lassen. Sichtbarer Ausdruck davon sind die zunehmende Polarisierung des Parteiensystems, der fulminante Aufstieg der sich im klassischen Oppositionsstil gebärdenden Schweizerischen Volkspartei (SVP), die konfrontativer geführten Wahl- und Abstimmungskampagnen, das autonom agierende Parlament, die oft nicht mehr als Kollegialorgan auftretende Regierung und das zunehmend pluralistische Interessengruppensystem (Interessengruppen). Trotzdem befindet sich die schweizerische Demokratie noch lange nicht an der Schwelle zum Übergang zur Wettbewerbsdemokratie mit der klassischen Rollenteilung von Regierung und Opposition. Davon ist sie noch weit entfernt und darüber hinaus sind in der Schweizer Referendumsdemokratie, in der systembedingt dem Stimmvolk die Oppositionsrolle zukommt, die Hindernisse für einen Systemwechsel zu einem Konkurrenzsystem bekanntlich hoch und vielfältig. Vielmehr zeigt ein Blick zurück, dass die bedeutendsten Reformen seit der Bundesstaatsgründung (wie die Einführung der Volksrechte, der Wechsel zum Proporzwahlsystem für den Nationalrat und die Modernisierung des Finanzföderalismus) in erster Linie der fortlaufenden Integration und Stärkung von Minderheiten und damit zur Erhöhung der politischen Stabilität beigetragen haben, was längerfristig auch der demokratischen Leistungsfähigkeit des Systems diente.

Im Kern verfügt die S. auch heute nach wie vor über die zentralen Institutionen einer Konkordanzdemokratie: eine breit abgestützte Mehrparteienregierung, eine ausgebaute föderale Autonomie, eine hohe Bedeutung des Proportionalitätsprinzips und ein starkes Minderheitenveto in Form des Ständerats. Allerdings setzt das Funktionieren des Konkordanzsystems nicht nur den institutionellen Überbau durch machtteilende Elemente, sondern auch die Bereitschaft der politischen Elite zu kooperativer Kompromissfindung (Kompromiss) voraus. Tatsächlich stellen die erhöhte Konfliktualität und die abnehmende Bereitschaft der politischen Elite zur kooperativen Zusammenarbeit die Belastbarkeit und Funktionsfähigkeit der Konkordanzinstitutionen zunehmend infrage. Damit entspricht die S. zu Beginn des 21. Jh. eher dem gewöhnlichen Durchschnittsfall mit sichtbaren Schwachstellen als dem Idealtypus einer perfekten Konsensdemokratie und erfüllt die hohen Anforderungskriterien einer funktionierenden Konkordanzdemokratie nicht mehr vollständig. Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, dass die S. aufgrund ihrer ausgebauten Garantie rechtsstaatlicher Prinzipien (Rechtsstaat), der vielfältigen vertikalen Gewaltenkontrolle, der hohen politischen Stabilität, dem niedrigen Korruptionsniveau (Korruption) und dem leichten Zugang zum politischen Wettbewerb nach wie vor einen der vordersten Plätze unter den entwickelten Demokratien besetzt. In der zweiten Dekade des 21. Jh. entspricht die S. einer Konsensdemokratie, die zunehmend auch konkurrenzdemokratischen Randbedingungen wie steigender parteipolitischer Polarisierung und stärker konfrontativ geprägter Konfliktaustragung in Regierung, Parlament und Öffentlichkeit unterworfen wird. Aus der Perspektive des internationalen Vergleichs handelt es sich dabei in erster Linie um eine Annäherung an die anderen kleinen kontinentaleuropäischen Verhandlungsdemokratien wie etwa Belgien und die Niederlande, die sich im Verlaufe der Jahre ebenfalls von klassischen Konkordanzdemokratien hin zu Mischtypen mit zunehmend kompetitiven und zentrifugalen Zügen gewandelt haben.

Der Text basiert auf Teilen des Werks von A. Vatter: „Das politische System der Schweiz“, 42020.

III. Volkswirtschaft

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1. Die Schweiz im internationalen Wettbewerb

Die S. zählt bevölkerungs- und flächenmäßig zu den kleinen Staaten. Nach ihrem politischen Gewicht liegt sie im unteren, wirtschaftlich aber im oberen Mittelfeld. Mit einem nominalen BIP (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung) von 706 Mrd. US-Dollar lag sie 2018 an 20. Stelle, also noch vor z. B. Polen oder Argentinien. Zudem gehört sie mit dem nominalen Pro-Kopf-Einkommen von rund 83 000 US-Dollar zu den zwei wohlhabendsten Ländern der Welt.

Land BIP in Mio. US-Dollar Rang BIP/Kopf in US-Dollar Rang
Schweiz 705 546 20 83 161 2
Deutschland 3 951 340 4 47 662 18
Frankreich 2 780 152 6 42 953 21
Italien 2 075 856 8 34 321 27
Österreich 456 166 27 51 344 14
Großbritannien 2 828 833 5 42 580 22
USA 20 580 250 1 62 869 9
China 13 368 073 2 9 580 72
Russland 1 657 290 12 11 289 65
Japan 4 971 767 3 39 304 26

Tab. 1: Nominales BIP ausgewählter Länder, 2018
Quelle: IWF

Auch bei vielen anderen Indikatoren des Wohlstands und der Wohlfahrt, wie dem HDI der UNCTAD, dem Where-to-be-born-Index des Economist, den Wettbewerbsfähigkeitsindizes des Institute for Management Development und des World Economic Forum, dem Globalen Innovationsindex der Weltorganisation für geistiges Eigentum und sogar dem Glücksindex der UN liegt die S. seit Jahren unter den zehn besten Ländern, bei einigen steht sie ganz an der Spitze. Da das Land – das lange Zeit als „Armenhaus Europas“ galt – klein, rohstoffarm und gebirgig ist, über keinen Meeranstoß verfügt und nie Kolonien besaß, spricht einiges dafür, dass dieser Wohlstand nicht trotz, sondern wegen dieser Defizite erarbeitet wurde. Kleinheit und natürliche Armut zwangen früh zu Exportorientierung und Offenheit sowie zu Innovation und Besetzen von Nischen. Daher gehörte die S. bereits vor 1900 zu den wohlhabendsten Staaten Europas, vor Großbritannien und den Niederlanden. Die Neutralität und das Abseitsstehen in zwei Weltkriegen sowie die Institution des 1934 eingeführten und 2009 für Bewohner ausländischer Staaten weitgehend wieder abgeschafften Bankgeheimnisses haben den Wohlstand zusätzlich befördert, sind aber nicht dessen wichtigste Erklärungsfaktoren.

2. Dreifacher Stabilitätsausweis

In den vergangenen Jahrzehnten durchlief die S. eine Tertiarisierung und Spezialisierung – Prozesse, wie sie für viele OECD-Länder charakteristisch sind. 2017 waren im Dienstleistungssektor 3,8 Mio. Erwerbstätige beschäftigt, der Anteil des dritten Sektors an der Bruttowertschöpfung des Landes betrug 73,3 %. Seit Mitte der 1990er-Jahre blieb der relative Anteil des Industriesektors stabil (derzeit bei 26 %), während der Beitrag des primären Sektors auf 0,7 % (2017) sank.

Im europäischen Vergleich ist die S. ein Beschäftigungswunder. Die Zahl der Beschäftigten stieg zwischen 1991 und 2019 um über 1 Mio. auf 5,1 Mio. und legte damit gemäß schweizerischer Statistik um 26 % und nach Zählweise der ILO sogar um 31 % zu. In Italien stieg die Beschäftigung im gleichen Zeitraum um 8 %, in Deutschland um 10 % und in Frankreich um 18 %. Die Erwerbsquote der Männer (2018: 88,5 %) übersteigt jene der Frauen (2018: 79,9 %), die Differenz nimmt allerdings seit einigen Jahren ab. Das Beschäftigungswachstum wurde in erster Linie von der Zuwanderung genährt. Der Anteil der ausländischen Erwerbstätigen betrug 2019 mit 1,6 Mio. knapp 32 %, im Industriesektor lag er sogar bei 39 %. War die Zuwanderung lange unterschichtig, erhöhte sich zwischen 1991 und 2008 die Zahl der Einwanderer mit Tertiärbildung von 30 000 auf ungewöhnlich hohe 70 000 pro Jahr. In Europa liegt der Anteil nur in Luxemburg noch höher. Von den ausländischen Erwerbstätigen sind rund 320 000 Grenzgänger, die höchste Zahl in Europa; mehr als die Hälfte lebt in Frankreich.

Zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den 1990er-Jahren verharrte die Erwerbslosenquote in der S. auf rekordtiefem Niveau, meist unter 1 %. In den letzten 20 Jahren bewegte sie sich zwischen 2 % und 4 %. Die von der ILO erhobenen, international vergleichbaren Quoten liegen ungefähr zwei Prozentpunkte höher, das ist aber europaweit nach Tschechien und Deutschland immer noch der drittbeste Wert. Wegen des Fehlens branchenübergreifender Mindestlöhne sowie flächendeckender Tarifverträge und eines restriktiven Kündigungsschutzes kann der Arbeitsmarkt als flexibel gelten. Die im internationalen Vergleich hohen direkten Lohnkosten werden durch niedrigere Lohnnebenkosten und hohen Arbeitseinsatz relativiert. Die Arbeitsproduktivität ist im internationalen Vergleich ebenfalls hoch.

Erwerbstätige 1991 2000 2010 2019
Männer 2 370 2 265 2 472 2 769
Frauen 1 672 1 749 2 006 2 330
Schweizer 3 014 3 069 3 268 3 489
Ausländer 1 028 944 1 209 1 611
Total 4 042 4 014 4 477 5 099
Erwerbslose (gemäß ILO) 72 112 205 213

Tab. 2: Wichtige Arbeitsmarktindikatoren, 1991–2019 (in 1000)
Quelle: Bundesamt für Statistik

Die S. erfüllt, obwohl nicht Mitglied der EU, als eines der wenigen Länder seit vielen Jahren die Maastricht-Kriterien: Das jährliche Defizit übersteigt die 3 % des BIP nicht (häufig gibt es sogar einen Überschuss), und die Verschuldung der öffentlichen Hand lag 2018 mit 41 % deutlich unter den maximal erlaubten 60 % des BIP. Wesentlich zur niedrigen Staatsverschuldung hat die Einführung einer Schuldenbremse beigetragen. Sie wurde 2001 in einer Volksabstimmung mit 85 % Ja-Stimmen angenommen und postuliert, dass die nominellen Schulden über einen Konjunkturzyklus hinweg stabilisiert werden müssen. Wenn die Volkswirtschaft wächst (Wirtschaftswachstum), nimmt dadurch die Schuldenquote (gemessen am BIP) laufend ab.

Die im internationalen Vergleich etwas größere Finanzdisziplin hat auch viel mit einer sehr spezifischen Finanzordnung zu tun. Die drei Ebenen des Staates (Gemeinden, Kantone, Bund) erheben selbständig Steuern und bestreiten autonom ihre Ausgaben. Dabei präferiert die S. direkte Steuern (72 %), unter den indirekten Steuern (28 %) schlägt v. a. die Mehrwertsteuer zu Buche. 2016 entfielen gerundet 20 % des Steueraufkommens auf die Gemeinden, 33 % auf die Kantone und 46 % auf den Bund. Zwischen den Gemeinden und zwischen den Kantonen herrscht Steuerwettbewerb. Die Bandbreite bspw. der Spitzensteuersätze reicht an den Kantonshauptorten für 2020 von gut 22 % in der Stadt Zug bis ungefähr 45 % in der Stadt Genf (ohne Kirchensteuern). Je nach Kanton und Zivilstand liegt die Schwelle für diese Höchstsätze irgendwo zwischen 200 000 und 400 000 Schweizer Franken Jahreseinkommen. Zu diesen Spitzensätzen kommen neben der Kirchensteuer noch die Beträge für die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und andere Sozialversicherungen, sodass je nach Kanton und Gemeinde die Grenz-Zwangsabgabenbelastung auf hohen Lohneinkommen (ohne Vermögenssteuer) zwischen 35 % und 58 % liegen dürfte, in der Realität näher bei 35 %, da Inhaber hoher Einkommen teure Standorte meiden. Ein horizontaler und ein vertikaler Finanzausgleich sorgen dafür, dass die schwächeren Gemeinwesen ihre Aufgaben trotzdem erfüllen können. Der Steuerwettbewerb hat die Staatsquote nicht viel niedriger gehalten als in anderen Ländern. Offiziell weist die S. eine Fiskalquote von lediglich rund 28 % (2018) und eine Staatsquote von gut 32 % aus, aber dieser tiefe Wert hat in erster Linie damit zu tun, dass Altersvorsorge, Unfall- und Krankenversicherung in der S. teilweise zwar mit Zwangsabgaben, aber über private Institutionen abgewickelt werden. Unter Einbezug dieser Abgaben liegt der Zwangsabgabenquotient sieben bis acht Prozentpunkte höher und damit über dem OECD-Durchschnitt (34,3 %) und nicht viel tiefer als in Deutschland (38,2 %).

Die S. betreibt trotz ihrer Kleinheit eine eigenständige Geldpolitik. Den Schweizer Franken gibt es seit 1850, zunächst als schwaches Anhängsel des französischen Francs. Erst als 1907 die Schweizerische Nationalbank (SNB) gegründet wurde, begann der Aufstieg zur starken Währung. Zwar musste 1936 im Gefolge der Weltwirtschaftskrise auch der Schweizer Franken gegenüber dem Gold um 30 % abgewertet werden, seither hat er sich indessen zu einer der stärksten Währungen der Welt entwickelt. Dieser Erfolg war jedoch nicht nur ein Segen. Zwar konnte die S. die Inflation relativ niedrig halten – zwischen 1950 und 2016 betrug die durchschnittliche jährliche Inflationsrate 2,3 %. Die Tendenz zur Höherbewertung des Schweizer Franken wurde mit der Zeit aber zu einer Belastung für die Wirtschaft. Die SNB sah sich daher im September 2011 gezwungen, die seit 1973 betriebene Politik flexibler Wechselkurse aufzugeben und über Nacht einen Mindestkurs von Euro 1,00 = Schweizer Franken 1,20 festzulegen. Am 15.1.2015 hob sie diesen Mindestkurs ebenso überraschend wieder auf.

Seither versucht sie mittels Negativzinsen und Interventionen eine zu starke und v. a. zu abrupte Höherbewertung des Schweizer Franken zu verhindern. Eine Folge davon ist, dass die S. wie kaum ein anderes Land Währungsreserven anhäuft. Sie betrugen Ende 2019 gut 820 Mrd. Schweizer Franken. Das entspricht mehr als 100 % des BIP und bringt das Land in einer weltweiten Rangliste auf Platz 3, hinter China und Japan. 70 % der Reserven werden in Form von Staatsanleihen gehalten, hauptsächlich von hochliquiden Anleihen der großen europäischen Länder. 40 % der Anlagen entfallen auf den Euro. Das macht die S. zu einem wichtigen, wenn nicht dem wichtigsten Gläubiger der Euro-Staaten, und es macht sie, obwohl sie nicht Mitglied dieses Raumes ist, stark vom Schicksal des Euro abhängig.

Die Wirtschaft hat weitgehend gelernt, mit einem starken Schweizer Franken zu leben. Der Finanzplatz profitiert ohnehin von ihm, weil die Anlage von Vermögen in Schweizer Franken guten Schutz gegen Währungsturbulenzen zu bieten verspricht. Der Werkplatz und der Dienstleistungsplatz mussten dem starken Schweizer Franken mit Produktivitätserhöhungen, Innovationen und dem Besetzen lukrativer Marktnischen begegnen. Einzig dem Tourismus stehen diese Auswege nur in beschränktem Maße offen.

Der hohen Wertschätzung des Bargeldes und des Schutzes der finanziellen Privatsphäre in der S. trägt die SNB dadurch Rechnung, dass sie mit der 1 000-Franken-Note die Banknote ausgibt, die unter den bekannteren Währungen weltweit mit Abstand die höchste Kaufkraft aufweist.

3. Kleine, offene Volkswirtschaft

Die S. zeichnet sich durch einen relativ kleinen Binnenmarkt und hohe außenwirtschaftliche Orientierung aus. V. a. die Außenwirtschaft trägt zu einer marktwirtschaftlichen Prägung bei. Der eher lokale Teil der Wirtschaft ist dagegen in vielerlei Hinsicht durch Kartelle, lokale Absprachen und Wettbewerbsverzerrungen geprägt. Trotzdem gehört die S. gemäß dem Fraser Institute in Vancouver zu den wirtschaftlich freiesten Staaten der Erde. Im Jahr 2017 lag sie auf Platz 4 der Rangliste.

In der Nachkriegszeit erfuhr der Außenhandel eine stürmische Entwicklung. Die traditionell defizitäre Handelsbilanz kompensierte die S. durch Überschüsse aus Dienstleistungstransaktionen und Kapitaleinkommen. Seit den 1980er-Jahren weist das Land durchgehend einen Ertragsbilanzüberschuss aus. In Spitzenjahren betrug dieser Überschuss 15 % des BIP. Hierfür zeichneten in erster Linie die Kapitalerträge aus dem Nettoauslandsvermögen verantwortlich. 2018 betrug der Ertragsbilanzüberschuss gut 56 Mrd. Schweizer Franken, 8 % des nominalen BIP.

Alles überragender Handelspartner ist die EU, dort liegt wiederum Deutschland an der Spitze. Im Referenzjahr 2019 stammten 59 % der Wareneinfuhren in die S. aus der EU (163 Mrd. Schweizer Franken), dorthin gelangten 50 % der eidgenössischen Warenausfuhren (rund 155 Mrd. Schweizer Franken). Noch zu Beginn der 1990er-Jahre waren diese Anteile allerdings bei 79 % bzw. 66 % gelegen. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Dienstleistungsaußenhandel: Das größte Volumen weist der Austausch mit der EU auf, darauf folgen die USA. Der Anteil der Exporte von Waren und Dienstleistungen am nominalen BIP beträgt circa 62 %, der Anteil der Importe gut 54 %.

Exporte nach Importe aus
Land Waren Dienstleistungen Waren Dienstleistungen
Deutschland 47,69 13,23 57,19 15,86
Frankreich 19,24 7,29 18,92 6,68
Italien 16,06 5,74 22,24 5,20
Österreich 6,36 1,46 8,45 3,65
Großbritannien 28,14 9,64 16,41 8,73
USA 44,21 20,47 18,88 24,21
China 21,44 3,90 15,05 2,01
Japan 8,14 2,65 4,53 2,07
EU – 28 154,94 59,04 163,46 57,87
Total 311,98 120,88 276,06 103,38

Tab. 3: Schweizer Waren- und Dienstleistungsaußenhandel – die wichtigsten Partner, 2019 (in Mrd. Schweizer Franken)
Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung; Schweizerische Nationalbank

Bereits im 19. Jh. begann sich die Schweizer Wirtschaft auf die Herstellung von hochwertigen Gütern und Dienstleistungen zu verlegen. Zu den Exportschlagern zählen aber nicht nur Schokolade, Uhren oder Bankdienstleistungen; die Branchenstruktur der S. ist breit gefächert. Zu den Branchenclustern mit internationaler Ausstrahlung und hoher Wertschöpfung gehören Life Sciences, d. h. Chemie-, Pharma-, Medtech- und Biotech-Unternehmen; Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie; im Transit- und Rohstoffhandel aktive Firmen; sodann Dienstleister im Bank- und Versicherungswesen. Ungefähr ein Drittel der Exporte entfällt auf Chemie und Pharma; Instrumente und Uhren sowie Maschinen und Elektronik kommen dagegen zusammen nicht einmal auf zwei Drittel der Zahlen von Chemie und Pharma. Über die Drehscheibe S. wurden 2017 mehr als 3 Mrd. Tonnen Rohstoffe gehandelt, wobei sich die Einnahmen der Schweizer Transithandelsfirmen auf 25 Mrd. Schweizer Franken (3,8 % des BIP) beliefen. Außerdem verwaltete der Schweizer Finanzplatz Ende 2018 27 % der weltweit grenzüberschreitend angelegten Vermögen. Damit die international ausgerichteten Firmen innovativ und wettbewerbsfähig bleiben, investieren sie im großen Stil in Forschung und Entwicklung. 2017 betrugen die Aufwendungen im Inland 15,6 Mrd. Schweizer Franken, im Ausland 15,3 Mrd. Schweizer Franken.

Die wichtigsten Warengruppen Ausfuhr Einfuhr
Chemisch-pharmazeutische Produkte 114 575 52 705
Maschinen, Elektronik, Präzisionsinstrumente 49 074 40 438
Uhren 21 718 3 789
Metalle 13 585 14 942
Fahrzeuge 5 652 19 503
Bijouterie und Juwelierwaren 11 673 16 582
Nahrungs- und Genussmittel 9 056 10 784
Übrige 86 644 117 315
Total 311 977 276 058

Tab. 4: Gliederung des Außenhandels nach wichtigen Warengruppen, 2019 (in Mio. Schweizer Franken)
Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung

Über 99 % der Unternehmen in der S. sind KMU, die nicht mehr als 250 Personen beschäftigen. Sie bilden das Rückgrat der Schweizer Volkswirtschaft. Die größte wirtschaftliche Potenz liegt indessen bei den in der S. ansässigen multinationalen Unternehmen. Allein in den Mutterkonzernen waren 2017 insgesamt 872 000 Personen angestellt, in den Tochtergesellschaften im Ausland sogar fast 2,1 Mio. Arbeitskräfte. Wegen der großen Potenz dieser Firmen zählt die S. weltweit zu den zehn größten Investoren (Investitionen). Seit 1990 haben die Direktinvestitionsflüsse stark zugenommen. 2017 betrug der Kapitalbestand der in der S. domizilierten Firmen im Ausland 1 227 Mrd. Schweizer Franken; über zwei Drittel davon lagen in Europa bzw. Nordamerika. Der in der S. investierte ausländische Kapitalbestand lag im selben Jahr bei 1 088 Mrd. Schweizer Franken.

Die starke weltwirtschaftliche Integration wird durch Freihandelsabkommen (Freihandel) wie mit der EU 1972 und bilaterale Verträge gestützt. Der Entscheid des Schweizer Volkes im Jahr 1992, dem EWR nicht beizutreten, stellt eine Zäsur dar. Seither gestaltet die S. ihre Beziehungen mit der EU mittels bilateraler Abkommen, inzwischen mehr als 100. Die Bilateralen I (1999) regeln Themenfelder wie Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, technische Handelshemmnisse und das öffentliche Beschaffungswesen. Die Bilateralen II (2004) behandeln u. a. Zinsbesteuerung, landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte oder Bildung. Damit ist die weltwirtschaftliche Integration des WTO-Mitglieds (WTO) aber noch keinesfalls erschöpft, unterhält die S. doch mit 40 Partnerländern insgesamt 30 Freihandelsabkommen.