Schule

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1. Begriff

Die S. ist eine zumeist öffentliche, hierarchisch oder kollegial gegliederte Institution, in der Lehr- und Lernprozesse für qualifizierte und quantifizierte Gruppen dauerhaft und in einem vom alltäglichen Leben abgegrenzten Raum so organisiert werden, dass systematisch geordnete, d. h. didaktisch begründete Sachverhalte, Fertigkeiten und/oder Fähigkeiten auf geplante, d. h. methodisch begründete Weise von speziell professionalisierten Lehrkräften zum Lernen aufgegeben werden.

Im Zentrum einer jeden S.-Theorie stehen die Fragen nach den Gründen, dem Nutzen, dem Sinn oder der Bedeutung, den Gelingensbedingungen und den Folgen der Institutionalisierung des Lehrens und Lernens. Zu unterscheiden sind der Begriff der S. (konstitutiv); der Zweck von S. (regulativ); die Ziele, Absichten und Maßnahmen, um den Zweck zu erreichen; die Motive zur Einrichtung von S.; die (politisch und rechtlich an S. delegierten) Aufgaben; die Funktionen; die Auswirkungen; die (unbeabsichtigten) Folgen und Nebenfolgen; und das Selbstverständnis der S. (S.-Programme). Speziell erforscht wird die S. einerseits in der sich historisch ausdifferenzierenden S.-Pädagogik (als Schwerpunktbildung innerhalb der Erziehungswissenschaft; Pädagogik) oder in der Theorie der S. Beiträge sind zudem von anderen Wissenschaften zu erwarten, die mit ihren Methoden auch die Geschichte, Struktur oder Wirklichkeit der S. erforschen, ohne jedoch ins pädagogische Paradigma integriert zu sein. In historisch-systematischer Perspektive kann die Interdependenz von Struktur und Entwicklung beschrieben werden.

2. Historische Struktur

Das Althochdeutsche scuola (mittelhochdeutsch schuol[e]) wird aus lateinisch schola (Muße) sowie griech. scholé übernommen und benennt Tätigkeiten, die nicht dem Alltagshandeln zugerechnet werden. Die Begrifflichkeit fasst einen historischen Prozess zusammen: Spätestens seit der Nutzung des Feuers können Lernprozesse außerhalb von Anlernprozessen (Machen-Mitmachen, Vormachen-Nachmachen) situationsunabhängig, exemplarisch, explizit gestaltet, eigensprachlich und symbolisch repräsentiert stattfinden. Das Lernen wird vom Leben getrennt („Didaktische Differenz“) und institutionalisiert, um die pädagogische Aufgabe in der Gesellschaft dauerhaft bewältigen und verbessern zu können. So verweisen archäologische Funde frühgeschichtlicher Hochkulturen schon auf eine räumliche Institutionalisierung, wie z. B. die in Mesopotamien als (Schrift-)Tafelhäuser bezeichneten S.n, in denen normierte schriftsprachliche Kommunikation zur Organisation des politisch-ökonomischen Systems erlernt wurde. An Berichten und ägyptischen Schülerschriften um 2000 v. Chr. zeigen sich weitere Strukturmerkmale der S.: Vorratslernen, handlungszwangsentlastete Übungen, eine pädagogisch genutzte Fehlerkultur, stufenweises Lernen und damit die Ermöglichung von Prüfungen als Nachweis handlungsindifferenter und hypothetischer (zumeist kognitiver) Teilleistungen. Aus Lernergebnissen werden zudem Ansprüche auf gesellschaftliche Allokation abgeleitet, die mit sozialen Hierarchien kollidieren. Voraussetzung hierfür ist die begründete Auswahl, Anordnung und Standardisierung von Lerninhalten, die wiederum auf die Gesellschaft durch Optimierung von Kommunikations- und Verwaltungsprozessen zurückwirken. Diese Strukturmerkmale bleiben Ordnungs-, Traditions- und Stabilitätsfaktoren der Institution S., wenn diese die sichere Übergabe kultureller Standards an die nächsten Generationen trotz politisch-sozialer Varianzen gewährleisten soll. Gleichwohl ist frühgeschichtlich die S. die Ausnahme, sie ist nicht allgemein zugänglich und vorrangig berufsqualifizierend.

2.1 Phase erster Problematisierungen

Der sokratische Streit mit den Sophisten indiziert eine Neubegründung der S., da im neuen System der Polis nicht mehr nur jene, die durch Abstammung oder Profession am Regierungshandeln teilhaben, sondern nunmehr alle männlichen Vollbürger befähigt werden müssen, die Geschicke der Stadtstaaten zu lenken. Die Sophisten entwickeln ein (vorerst durch Wanderlehrer) organisiertes Unterrichtswesen, in dem gegen Bezahlung gesellschaftlich relevante Fähigkeiten (z. B. Protagoras: Eristik; Gorgias: Rhetorik) von qualifizierten Personen gelehrt werden. Gegen dieses S.-Bildungskonzept wendet Platon ein, dass sich mit formalen Fähigkeiten keine gültigen Handlungsnormen finden ließen. So artikulieren sich zwei bis heute strukturgebende Oppositionen, ob nämlich (1) schulische Lehre eine erlernbare Technik oder aber eine Urteilskraft erfordernde Kunst sei, und ob (2) schulisches Lernen Wirkung psychologischer Einflussnahme oder ein personaler Verstehensprozess sei. Platons Sokrates löst diesen Streit durch den Nachweis, dass Lehren nie als Belehren aufgefasst werden könne (Menon-Paradox), sondern als Befähigung, einen Dialogpartner mittels Argumenten zu dem zu führen, was dieser nur selbst denken (bzw. in einem vorausgesetzen Kosmos als Idee erinnern) kann (Mäeutik). In seiner Schrift „Politeia“ entwickelt Platon einen Lehrplan, der Schriftspracherwerb, Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Arithmetik, Musiktheorie und Astronomie sowie gymnastische Übungen vorsieht und später als Enkyklios paideia (Isokrates) für die S.-Geschichte Europas wegweisend wird.

Für die alteuropäische Geschichte maßgeblich wird die Differenz von Ausbildung/Anwendungskönnen (der Sklaven) und Bildung/Führungswissen (der Bürger) sowie der Übergang von häuslicher zu schulischer Bildung, die Aristoteles systematisch in seiner Staatsschrift reflektiert. Die schulische Unterweisung der männlichen Bürger als zoon politikon sei Bedingung für das Wohlergehen des Staates, sodass unter einer metaphysisch-teleologischen Perspektive die öffentliche und allgemeinbildende S. eine notwendige Institution zur Tradierung von erstrebenswerter Kultur sowie Befähigung zum politischen Handeln darstelle. In Athen wird um 400 v. Chr. das erste S.-Gesetz mit Regularien über Lehrinhalte, die Bestellung von Lehrern (Grammatisten) sowie das Eintrittsalter erlassen.

2.2 Phase erster Systematisierungen und vertiefender Kanonisierung

Das römische S.-System entwickelt sich über einen Zeitraum von etwa 1000 Jahren zu einer verlässlich qualifizierenden dreistufigen Einrichtung. Ihre Aufgabe ist die Ausbildung der Heranwachsenden zu öffentlich Einfluss nehmenden Personen (Rhetor), bei der die Kenntnis der Gesamtheit der Dinge angestrebt wird (Cicero), der orbis ille doctrinarum, später septem artes liberales genannt, also der Künste, die „eines Freien würdig“ sind. Der sprachliche Teil wird zum Trivium zusammengefasst. Daran schließt sich das Quadrivium an, bestehend aus den mathematischen Disziplinen. Quintilian sammelt und systematisiert das didaktische, methodische und lernpsychologische Wissen zur S. und entwickelt eine Bildungstheorie, die das Leitbild (imago) des sich vervollkommenden Redners in öffentlichen Angelegenheiten hat. Diese Bildung soll an öffentlichen S.n stattfinden, da dort bereits in sachlichen Lernakten der Umgang mit einer widerständigen Öffentlichkeit (res publica) geübt werden könne, eine angemessene Allokation komparativ möglich sei und sich ein sensus communis entwickle.

Mit Clemens von Alexandrien beginnt die pädagogische Reflexion auf die Spezifika des Lehrers, des Schülers und des Erziehungsprozesses im christlich-theologischen Kontext. Sein Ziel liegt im Ideal der Gottesebenbildlichkeit (nach Gen 1,26 f.; 1 Kor 15,49). Das kindliche Lernverhalten wird als Modell für institutionalisiertes lebenslanges Lernen bewertet, es sei für Frauen und Männer gleich, da es für beide nur einen Erzieher gebe, der nicht eine Person, sondern der Logos sei. In diesem Bildungsprozess werde der Mensch aus der ihm von Jugend an vertrauten weltlichen Gewohnheit gerissen – schulische Bildung sei also gerade nicht Sozialisation, weshalb es möglich werde, dass von der S. die Erneuerung der Welt ausgehe. Augustinus entwirft aus Einsicht in die Verfasstheit menschlicher Sprache die Idee eines Unterrichts, der nicht instruiere, sondern Aufforderung sei, Bedeutung selbst zu suchen.

2.3 Phase zunehmender Standardisierung

Der Niedergang des römischen Kultursystems in der Zeit der Völkerwanderung und die christliche Kritik am antiken Bildungskonzept der Rhetorik (Gregorius) führt in Nordeuropa (im Unterschied zum prosperierenden S.-System im arabischen Kulturraum) zu einem Substanz- und Bedeutungsverlust des antiken Bildungssystems. Erst mit der Expandierung des Frankenreiches unter Karl dem Großen gewinnt der Gedanke einer öffentlichen Organisation verschulter Allgemeinbildung, begründet als Gottes-Dienst zum Wohle der politischen Gemeinschaft, wieder an Bedeutung. Allerdings stiftet Karl der Große kein neues S.-System, sondern überträgt, auf Anraten des ehemaligen Domschülers Alkuin, die Aufgabe der Bildung (Vorbild: Hof-S. Karls) dem bereits ausdifferenzierten System christlicher Klöster. Ihr zuvor schon von Cassiodor formulierter Grundgedanke ist, dass durch Kanonisierung und Standardisierung guter Unterricht trotz gering qualifizierter Lehrer ubiquitär möglich sei.

Künftig werden die in Nordeuropa erst langsam entstehenden weltlichen S.n durch das gekennzeichnet, was in Theorie (Reformulierung der septem artes liberales bereits durch Cassiodor, Martianus Capella und Isidor von Sevilla; Benediktinerregel) und Praxis (Katechismen als standardisierte Lehrbücher) in der klösterlichen Bildungsorganisation, später auch in den Stifts- und Dom-S.n entwickelt wurde: Handlungszwangsentlastung durch die Trennung von beten, arbeiten und lernen (ora et labora et legere), die damit verbundene Abtrennung des (kontingenten) Alltagslebens außerhalb der Klostermauern vom (geplanten) Lernen zu einer festgelegten Zeit an einem speziellen Ort und in egalisierender Gemeinschaft. Strukturbildend sind die schriftliche Symbolisierung der Lerngegenstände (Latein als normierte Amts- und daher Bildungssprache) sowie das Qualifikations- oder Selbstwirksamkeitsprinzip, die Auflockerung des Herkunfts- oder Standesprinzips und die Beachtung der Mädchenbildung (exemplarisch: Roswitha von Gandersheim; später Ursulinen, Katharinerinnen, Englische Fräulein). Christine de Pizan fordert allgemeine S.-Bildung für Frauen, wobei als Geltungsgrund nicht die erforderliche Qualifikation für die Lebenswelt (Beginen-S.n) dient, sondern die prinzipielle, von Gott verliehene und daher allen Menschen eigene Vernunftfähigkeit. Als empirischen Beleg führt sie erfolgreiche Bildungsverläufe historisch bedeutsamer Frauen an.

2.4 Phase der Reformierungen und Innovierungen

Durch die Gründung von europäischen Universitäten (seit 1088) verändert sich die Aufgabe der S., da sie nicht mehr in das gesamte Wissen einführen muss, sondern nur noch obligatorische Voraussetzungen für den weiteren Wissenserwerb schafft.

Die kulturstiftende Bedeutung der Kloster-, Stifts- und Dom-S.n bis zum Hochmittelalter kann nur im Kontrast zu außerschulischen Bildungsprozessen angemessen gewürdigt werden: In der Lebenswelt dieser statischen Gesellschaften erfolgt mehrheitlich das Einüben von Fähigkeiten weiterhin durch Ausüben von Tätigkeiten; Lernen ist bereits Leben, sodass lebensweltlich Kultur eher reproduziert als fachlich fortentwickelt, Sittlichkeit mit herrschender Sitte gleichgesetzt und soziale Mobilität erschwert werden.

Die S.-Konzeption des durch die Eroberung Konstantinopels (Auswanderung griechischer Gelehrter nach Mitteleuropa) begünstigten und von Italien ausgehenden Humanismus orientiert sich am Leitbild des schöpferischen, sich selbst reflektierenden uomo nouvo (Pietro Paolo Vergerio), ist geschult an römischer und (erstmalig) griechischer Redekunst, der humanae litterae. Dies führt zur Neubewertung und Neugestaltung der National- als Unterrichtssprachen, die zunehmend das Latein ablösen, erfordert die Auswahl der Lerninhalte nach Begabung und Neigung der Schüler sowie einen beispielbezogenen Unterricht, der am didaktischen Prinzip der Altersangemessenheit orientiert ist. Zudem entwickelt sich ein neues Ethos des verständnisvollen, nicht normativ formenden, sondern Selbstbildung anregenden Lehrers (Erasmus von Rotterdam).

Die Erfindung des Buchdrucks verändert und reduziert die Aufgaben der S.: Nicht mehr das Memorieren der „Vorlesung“, sondern das Lesenkönnen wird zum Lernziel. Das Buch wandelt sich vom Lehrmedium zum Lernmedium. Erschwingliche Lehr- und Lernbücher erleichtern die Alphabetisierung größerer Bevölkerungsgruppen.

Aus religiösen Gründen (sola scriptura) fordern Philipp Melanchthon und Martin Luther von den „Radherrn aller stedte deutsches lands“ (Luther 1524) öffentliche, vom politischen System finanzierte, allgemeinbildende, einheitliche (modellbildende) S.n für Jungen und Mädchen aller Schichten, weil sowohl Lebenswelt als auch Klöster die für die Entwicklung von Kultur und Wirtschaft nötige Bildung nicht mehr gewährleisteten. Ignatius von Loyola entfaltet als Reaktion auf die protestantische Bildungsoffensive das bis heute in der ignatianischen Pädagogik weltweit verbreitete Konzept einer vom katholischen Glauben abgeleiteten S.-Verfassung. Ein nunmehr flächendeckendes, angesichts der zunehmenden Arbeitsteilung notwendig allgemeinbildendes S.-System konzipiert Johann Amos Comenius, da Eltern aufgrund des Fehlens fachlicher und pädagogischer Eignung die Aufgabe, alle alles allseitig und allgemeingültig zu lehren (omnes omnia omnino), nicht mehr wahrnehmen könnten oder wollten.

2.5 Phase der Intensivierung und Legitimierung

Die Erfahrung, dass sowohl der neue zentralistische Territorialstaat als auch das prosperierende Manufakturwesen größerer, angemessen qualifizierter Bevölkerungsgruppen bedürfen, führt in Mitteleuropa zur staatlichen S.-Pflicht: zuerst im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken (1592), in Straßburg (1598), und dann sich mittels zentralisierter Normierung (Kanzleisprache; Konzeption der „Orthographia“ von Frangk [1531]) und Lerninhalte flächendeckend ausbreitend. Die lebensweltlich nicht mehr zu erbringende Qualifikation der nachfolgenden Generation wird durch Institutionalisierungsprozesse intensiviert und beschleunigt. Exemplarisch hierfür steht ein „Kurtzer Bericht von der Didactica oder LehrKunst Wolfgangi Ratichii, Darinnen er Anleitung gibt/wie die Sprachen/Künste vnd Wissenschaften leichter/geschwinder/richtiger/gewisser/und vollkömlicher/als bißhero geschehen/fortzupflanzen seynd“ (Helwig/Jungius/Ratke 1613). Die S.-Pflicht betrifft und bestraft im Weigerungsfall die Eltern, die sich mehrheitlich bis ins 19. Jh. sträuben, ihre Kinder zur S. zu schicken, weil deren Arbeitskraft unverzichtbarer ökonomischer Faktor bleibt.

In der deutschen Aufklärung wird der umfassende Bildungsanspruch der humanistischen S.-Idee zugunsten ständischer Gesellschaftskonzepte (Karl Abraham von Zedlitz), ökonomischer Indienstnahme (Gottlieb Christoph Harles) und politischer Ordnungsvorstellungen (Martin Ehlers) sowie lebensweltlicher Unterrichts- und Erziehungspraxen („Schwarze Pädagogik“) einer zweckrationalen Bestimmung unter religiöser Orientierung zugeführt und im preußischen „Generallandschulreglement“ (1763) verankert, auch um den Integrationsverlust der inzwischen erodierenden Ständeordnung aufzufangen. Kritik an diesem Modell formuliert Jean-Jacques Rousseau in den „Considérations sur le gouvernement de Pologne“ (1772). In seinem Traktat „Émile“ (1762) rekonstruiert er postmetaphysisch die Grundlagen für eine prinzipiengeleitete, an der sozial verbindlichen Selbstbestimmung des Menschen (Autonomie) ausgerichtete S.-Organisation mit einem durch Prinzipienwissen und Urteilskraft qualifizierten Erzieher. Um der Perfektibilität des Einzelnen Willen soll Lernen zum Erkenntnisakt werden, in dem adressatengemäße Problemstellungen in einem vor gesellschaftlichen Einwirkungen geschützten Raum selbsttätig bearbeitet werden.

2.6 Phase der Pädagogisierung

In der Rezeption dieser Ideen beginnen im deutschen Sprachraum die Philanthropen (u. a. Johann Heinrich Campe, Ernst Christian Trapp) S.-Versuche (z. B. 1774 in Dessau), die durch Immanuel Kant forschungsmethodisch als Konzept einer sich selbst immerzu reflektierenden und reformierenden S.-Pädagogik legitimiert werden. Johann Bernhard Basedows „Elementarwerk“ (1774) begleitet als Medium weitere philanthropische Institute mit den didaktischen Gründsätzen der Kindzentriertheit, einer dem natürlichen Denkprozess und den angeborenen Fähigkeiten entsprechenden Methodik (Friedrich Eberhard von Rochow) und Handlungsorientierung, mit Bildmedien, die ausdrücklich (von Johann Wolfgang von Goethe scharf kritisiert) Sach- und keine Lebenszusammenhänge darstellen. Schulische Bildung erscheint als Mittel, den zivilisatorischen, kulturellen, sittlichen, ökonomischen Fortschritt oder die Humanität insgesamt zu beförden. Das Finanzierungsproblem sollen Industrie- oder Fabrik-S.n lösen (Heinrich Philipp Sextro), in denen Kinder durch zeitlich begrenzte Eingliederung in den industriellen Produktionsprozess für ihre eigene Ausbildung arbeiten und zugleich professionsrelevante Fähigkeiten und Tugenden (ein-)üben. In England findet dieser S.-Typ u. a. durch Robert Owen schnell Verbreitung.

Nunmehr wird der Begriff Bildung als Deutungsmuster (Georg Bollenbeck) für all jene Lernprozesse wiederbelebt, die nach der Aufklärung die einzig verbleibende Bestimmung des Menschen, nämlich die zur Selbstbestimmung, zusammenfassen (Moses Mendelssohn). Ermutigt durch das „Geschichtszeichen“ (Kant 1968: 357) der Menschenrechtsdeklaration 1789 in Frankreich entwickeln die Repräsentanten der Weimarer Klassik und des deutschen Idealismus, verbunden mit einer Kritik des nun als zweckorientiert und daher affirmativ bewerteten Philanthropismus, den Gedanken der Bildung, der aus kulturellen (Johann Gottfried Herder), personalen (J. W. v. Goethe), ästhetisch-anthropologischen (Friedrich Schiller), politischen (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel), religiösen (Johann Michael Sailer), humanistischen (Wilhelm von Humboldt) oder genuin pädagogischen (Johann Friedrich Herbart) Gründen als regulative Idee von S. verstanden wird und die Selbstbestimmung des Menschen telosfrei ermöglicht. Dabei wird die berufliche Qualifikation keinesfalls abgelehnt, sondern dem allgemeinen Leitbild eines eigenverantwortlich handelnden Menschen untergeordnet bzw. ergänzend zur Seite gestellt.

2.7 Phase zunehmender Verstaatlichung

Das PrALR (1794) fasst – für den deutschen Sonderweg folgenreich – die S. als „Veranstaltung des Staates“ auf, sodass sie nicht länger kirchlicher Aufsicht unterstellt bleibt, aber auch nicht den zufälligen gesellschaftlichen Kräften überlassen wird. August Hermann Niemeyer resümiert allerdings, dass die Positionen des Natur- und Staatsrechts über die Grenzen dieser obrigkeitlichen Gewalt widersprüchlich seien. Das Interesse des Staates an qualifizierten Bürgern mit „Bürgersinn“ und „Nationalcharakter“ und das Interesse der Eltern an Selbstbestimmung über den Bildungsweg ihrer Kinder kollidierten. Damit sind die Pole der S.-Organisation abstrakt bestimmt: Auf der einen Seite die vom Staat gelenkte S., die am nützlichen Wissen ausgerichtet ist und den Einzelnen zum Mitglied der existierenden oder noch zu schaffenden (utopischen) Gesellschaft formen will; auf der anderen Seite der Elternwille, der sich patriachal absolut setzt und das zu erwerbende Wissen der Individualität des Kindes aussetzt, die keine Rechenschaft schuldig ist. Zudem stellt sich das (in geschlossenen Kulturen unbekannte) Zukunftsparadox, in der Gegenwart mit bekannten Sachverhalten für eine Zeit ausbilden zu müssen, die niemand kennen kann.

Im Anschluss an I. Kants Unterscheidung der pädagogischen Aufgabe differenziert J. F. Herbart die pädagogischen Aktionsformen als Unterricht, (pädagogischer) Zucht (Erziehung) und (institutioneller) Kinderregierung (Disziplinierung) aus. Anliegen der S. solle ein erziehender Unterricht sein, der neben der Vorbereitung auf sittliche Urteilskraft insb. der Entfaltung eines vielseitigen (Sach- und Fach-)Interesses im wissenschaftsorientierten Fachunterricht diene, um den künftigen Bürgern die mannigfaltigen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Handelns zu eröffnen.

W. v. Humboldt, der als Minister nach den für Preußen desaströsen Folgen der Feldzüge Napoleons S.-Reformen i. S. d. Neuhumanismus durchzuführen versucht, hat allerdings schon 1792 auf die „Gränzen der Wirksamkeit des Staates“ im Hinblick auf die Gestaltung von Bildungsprozessen hingewiesen und darauf, dass erst die subjektive Sinnstiftung der Bürger (Bürger, Bürgertum) unter den freiheitlich anerkannten regulativen Ideen von Wahrheit und Sittlichkeit jene kreativen Lern- und Lebensenergien freisetze, derer offene Gesellschaften bedürfen, die das Konzept einer sich stetig humanisierenden Welt mittels gültiger Argumentation entwickeln wollen. Als Ergebnis dieser Diskussion zu Beginn des 19. Jh. ist festzuhalten, dass die S. zwar einen Zweck im Hinblick auf Gemeinwohl und Humanisierung der Gesellschaft erfülle, dies allerdings nur durch ihre Orientierung an pädagogischen Regularien gelingen könne. Diese Dialektik wird künftig als Maßstab aller S.-Organisation und -Gestaltung Geltung beanspruchen.

2.8 Phase der Genderisierung und Professionalisierung

Ab 1802 entstehen zögerlich Höhere Mädchen-S.n (Lyzeum), die bis zum 14. Lebensjahr besucht werden können. 1887 fordert eine Petition an das Preußische Unterrichtsministerium die Gleichstellung der Mädchenausbildung mit der höheren Knabenausbildung. 1893 wird in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium gegründet. Seitdem gleichen sich Mädchen- und Jungen-S.n immer mehr an, bis die – heute zumeist ländergesetzlich geregelte – Koedukation gleichen Unterricht sicherzustellen sucht. Die in Gender-Studies (Gender) geäußerte Kritik an diesem Konzept führt derzeit zu neuen Überlegungen einer spezifischen Jungen- und Mädchenpädagogik (Michael Matzner u. a.), auch zu Mischformen wie der Bi-Edukation (bes. an katholischen S.n).

Seit der sogenannten Süvern-Beckedorff-Kontroverse, die um die Frage nach der Aufrechterhaltung oder Abschaffung von Standes-S.en kreiste, setzt sich mit Beginn der rasanten Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) politisch die Aufassung durch, dass der Zweck des Staates eine Gleichförmigkeit der Bildung seiner Bürger verlange. Zugleich werden in der pragmatischen Adaption der Herbartschen Formalstufen im Herbartianismus Regularien für gelingenden Unterricht entwickelt, die auch außerhalb Europas große Beachtung finden und zum Aufbau nationaler S.-Systeme herangezogen werden. Den Gedanken der Funktionalität von S. verstärken die „Preußischen Regulative für das Volksschul-, Präparanden- und Seminarwesen“ („Stiehlschen Regulative“) von 1854. Ihr Ziel ist die Orientierung der S. an bürgerlicher, christlicher und patriotischer Gesinnung.

Ende des 19. Jh. ist die Einrichtung eines öffentlichen, verpflichtenden, wissenschaftlich reflektierten und professionell betriebenen S.-Wesens und damit die grundlegende Alphabetisierung der sich zunehmend dynamisierenden und öffnenden Gesellschaft auch in Deutschland erreicht. Es ist gegliedert in ein durch privilegierte Zugangswege (S.-Geld, Stadt-Landgefälle) und Abschlüsse (verkürzte Militärzeit bei bestimmten Abschlüssen: „Einjährige“) stabilisiertes niederes („Volks-S.n“, ca. 90 % eines Jahrgangs) und höheres S.-System ([Real-]Gymnasien), das die sozial-ökonomische Situation nicht transzendiert, sondern spiegelt.

Die allgemeine S.-Pflicht zieht eine systematische Neuorganisation der Lehrerbildung nach sich. Während die Philanthropen ihren Lehrernachwuchs noch an den bereits eingerichteten Instituten und durch Lehrbücher (Christian Gotthilf Salzmann, F. E. v. Rochow, J. M. Sailer), Hospitationen und eigene praktische Unterrichtsversuche ausbilden, führen Bayern 1809 und Preußen 1810 Staatsexamina für das Lehramt an höheren S.n ein. Im Laufe des 19. Jh. entstehen entsprechende Prüfungsordnungen, die eine Ausdifferenzierung nach S.-Fächern und -arten berücksichtigen. Nunmehr müssen Universitäten germanistische, romanistische, anglistische, mathematische und naturwissenschaftliche Seminare einrichten, die, künftig in hochschuldidaktischen Konzepten reflektiert (Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg), dem Lehrerberuf zuarbeiten. Um 1890 wird das universitäre Lehramtsstudium um eine zweite Phase der Vermittlung von Berufsfertigkeiten ergänzt. Die Ausbildung von Volks-S.-Lehrern setzt ab den 1820er Jahren ein, die an eigens eingerichteten Seminaren (Präparandenanstalt) stattfindet, an denen eine Ausbildung in der pragmatisch-normativen „Unterichtslehre“ (Matthäus Cornelius Münch) aller Fächer erfolgt. Frauen erkennen im Lehrerberuf die Möglichkeit, eine gesellschaftlich anerkannte Tätigkeit auszuüben, sodass 1832 das erste preußische Lehrerinnenseminar gegründet wird. Während es bereits nach der Revolution von 1848/49 kurzfristig die Tendenz zur Umstrukturierung der Volks-S.-Lehrerbildung an die Universität gibt, setzt in der Weimarer Republik (u. a. durch Eduard Spranger) die Gründung Pädagogischer Akademien ein. Diese werden nach 1933 reichseinheitlich in „Hoch-S.n für Lehrerbildung“ umgewandelt, bevor sie ab 1945 in Pädagogische Hochschulen überführt und in den 1980er Jahren in den universitären Lehrbetrieb eingegliedert werden.

2.9 Phase der Kritik und Reformpädagogisierung

Bereits zu Beginn des 19. Jh. wird in publizistischen Debatten bezweifelt, dass humane Bildung mit dem institutionellen Charakter der S. vereinbar sei und vermutet, dass „Schulbildung zur Bestialität“ führe (Evers 1807). In der Kritik (u. a. J. F. Herbart, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Friedrich Nietzsche) sieht von nun an die nationalstaatliche, kollektivierende, das Wissen im „Fetzenstundenplan“ (Peter Petersen) fragmentierende, nur instruierende, disziplinierende statt erziehende, kurz: die standardisierte „Zwangsschule“ (Müller-Holm 1927), die über das Leben herrsche, statt ihm zu dienen. Diese literarische (Sammlung von Martin Gregor-Dellin), konzeptionelle (Bund Entschiedener S.-Reformer), politische (Fritz Karsen, Karl Liebknecht), sozial-psychologische (Siegfried Bernfeld) und organisatorische (Georg Kerschensteiner, John Dewey) Kritik sucht aufzuzeigen, dass sich der Staat aus einem obrigkeitsstaatlichen Teilinteresse der S. ordnungspolitisch bemächtige (z. B. in der Eröffnungsrede Kaiser Wilhelms II. auf der S.-Konferenz 1890), um verabsolutierend die (vom Neuhumanismus allerdings nie in Abrede gestellte) Qualifikations- und Disziplinierungsaufgabe zu organisieren. S. sei insgesamt „Frevel an der Jugend“ (Borgius 1930), sodass im „Jahrhundert des Kindes“ (Key 1900) eine (antischulische) Reformpädagogik vom Kinde aus entsteht. Es differenzieren sich neue S.-Typen (Freie S.n) heraus: die (zuerst nur vorschulische) casa dei bambini (Maria Montessori) mit Freiarbeit und vorbereiteter Umgebung; das Landerziehungsheim (Hermann Lietz), mit Betonung der sozialen, anlassbezogenen und handwerklichen Bildung; die Lebensgemeinschafts-S. (William Lottig); die Arbeits- oder Produktions-S. (Hugo Gaudig); die Werkstatt-S. (Célestin Freinet); die elastische Einheits-S. (Paul Oestreich); die (ontologisch orientierte) Waldorf-S. (Rudolf Steiner); Gesamt-S.n, in denen „Erziehung zur Gemeinschaft durch Gemeinschaft“ (P. Petersen) eine neue „Freie S.-Gemeinde“ (Gustav Wyneken) entstehen lassen soll. Das romantische Konzept der „Wohnstubenerziehung“ (Johann Heinrich Pestalozzi) wird als human zu gestaltendes S.-Leben adaptiert; die bes. für Gymnasien typische Abspaltung der Erziehung vom Unterricht soll in einer S.-Gemeinschaft oder S.-Genossenschaft überwunden werden, die als „Vorschule der Demokratie“ (Wilhelm Dörpfeld) verstanden wird, in einer zum selbstständigen Lernen auffordernden Lernumgebung, einer erziehlichen „just community“ (Lawrence Kohlberg) oder „Polis“ (von Hentig 2003; 183).

Die inzwischen popularisierte Diskussion darum, ob die S. Kindern einen Schonraum gewähre, in dem sie individuell wachsen und sich entfalten können, oder ob man sie bereits beim Lernen den Normen der Gesellschaft aussetzen müsse, wird indes als verkürzte und daher falsche Polarisierung analysiert. Trotzdem artikulieren sich weiterhin einerseits ordnungspolitische (Ordnungspolitik) Konzepte eines etatistisch-ökonomischen, auf Unterricht und Sozialisation reduzierten Qualifikationsbegriffs als Leitziel (Funktionalismus), anderseits vehemente S.-Kritik aus antiautoritären (Alexander Sutherland Neill), antiedukativen (Alice Miller) oder antipädagogischen (Ekkehard von Braunmühl) Beweggründen, die bis zur Forderung nach Abschaffung der S. (Ivan Illich) und neuerdings dem unschooling (John Caldwell Holt) führen. Die sogenannte Geisteswissenschaftliche Pädagogik entwickelt eine Lehre von den Funktionen der S., sieht den Lehrer als Anwalt des Kindes und schreibt der Institution als „Vorhof des Lebens“ vorrangig schützende, personal zu gestaltende Erziehungs- (Hermann Nohl) und sozial- sowie heilpädagogische Aufgaben zu. Der Neukantianismus (Richard Hönigswald, Paul Natorp, Alfred Petzelt) betrachtet die S. unter der Maßgabe, Inhalte des (bereits unter Geltungsanspruch der Gesellschaft bewerteten) Lehrplans im Unterricht mit den Schülern dialogisch auf Gültigkeit hin zu prüfen, sodass S. Kultur nicht vermittle, sondern auf methodische Weise im Prozess der Bildung erst hervorbringe.

2.10 Phase der Politisierung

In der WRV wird 1919 die allgemeine, mindestens achtjährige S.-Pflicht eingeführt, das gesamte S.-Wesen unter Aufsicht des Staates gestellt, der Beamtenstatus (Beamte) für alle Lehrkräfte obligatorisch, Lehrmittelfreiheit gewährt, das Leistungsprinzip als alleiniges Kriterium für die S.-Laufbahn gefordert und der gemeinsame Besuch der Grund-S. als Mittel sozialer Kohäsion eingeführt.

Der Nationalsozialismus nimmt reformpädagogische Konzepte insofern (ideologisch eingebunden) auf, als er Bildung als funktionale Disziplinierung durch die Gemeinschaft („Formationserziehung“; Baeumler 1943: 167) versteht und körperliche Ertüchtigung in außerschulische Institutionen (HJ, Bund deutscher Mädel, Reichsarbeitsdienst) verlegt, während gleichzeitig die „Rasse“-Ideologie (Rassismus) in den elitären und in Konkurrenz zum – fast unverändert belassenen – Gymnasium gegründeten Adolf-Hitler-S.n realisiert wird. Spätestens seit dem Runderlass des Reichsministers Bernhard Rust über die „Errichtung gesonderter jüdischer Schulen“ vom 10.9.1935 beginnt die zentral gesteuerte, strukturelle Diskriminierung jüdischer Schüler und Lehrer.

Das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schulen“ (1946) leitet die Umformung des S.-Systems in der SBZ hin zu einer von der SED beherrschten Einheits-S. in einem zentralisierten System ein. Es wird durch das „Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik“ (1959) und das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ (1965) modifiziert. Hiermit scheint die DDR an reformpädagogisch ganzheitliche Konzepte der Arbeits-S.-Bewegung (Polytechnischer Unterricht) und der außerschulischen Sozialerziehung (FDJ) anzuknüpfen, praktiziert dann aber faktisch einen stark lernzielorientierten, an sozialistischen Verfassungszielen (Verfassung der DDR Art. 25) und Persönlichkeitskonzepten des Marxismus-Leninismus ausgerichteten Unterricht (L. Klingenberg).

In der BRD wird aufgrund der Erfahrungen mit einem totalitär-zentralisierten Bildungssystem die S.-Politik – in Übereinstimmung mit den Plänen der Allierten – föderal (Föderalismus) organisiert. Dies führt zu einer Rehabilitierung des dreigliedrigen S.-Systems und des Halbtagsunterrichts (Stärkung des Elterneinflusses). Qualifikation, Sozialisation und Allokation (Helmut Fend) werden als Funktionen der S. ausgewiesen. In einer ersten Phase scheint diese Reproduktionsaufgabe durch eine materiale Bildungskonzeption gewährleistet, die dann durch ein formales lerntheoretisches Modell der Lernzielorientierung (Wolfgang Schulz) abgelöst wird (Syntheseversuch: Wolfgang Klafki; Bewertung: Herwig Blankertz). Seit 1964 erfährt das als „Bildungskatastrophe“ (G. Picht) beurteilte S.-System dauerhaft (oft kurzatmige) und selten evaluierte Reformen; von innen u. a. durch die Einsetzung des Deutschen Bildungsrats, den Versuch einer Curriculumrevision (Saul Benjamin Robinsohn), die Abkehr vom statischen Begabungsbegriff, einer von der OECD übernommenen PISA-Studie (1971), den Ausbau des zweiten Bildungswegs („Kolleg-S.n“), Versuche mit Gesamt-S.n, die Aktivierung von sogenannten „Bildungsreserven“ (bes. bei Mädchen aus bildungsfernen Schichten; SchülerBafög); von außen als Vision vom „Ende der Schule: oder Alternativprogramme im Spätkapitalismus“ (Winkel 1974), durch Gründung von „Schulen, die ganz anders sind“ (Borchert/Derichs-Kunstmann 1980). Ein zuerst „Ausländerpädagogik“, dann „interkulturelle Bildung“ (Krüger-Potratz 2005) genanntes schulisches Bemühen gilt den Kindern von inzwischen über vier Millionen Arbeitsmigranten. Leitideen werden nun Mündigkeit (Theodor Wiesengrund Adorno) und Emanzipation (Klaus Mollenhauer) in der (für S.-Gesetze und Lehrpläne) üblichen Formel „Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung“. Die (traditionell nach eigenem Paradigma gestaltete) berufliche Bildung (Berufs- und Fach-S.n) orientiert sich fortan an berufsübergreifenden „Schlüsselqualifikationen/-kompetenzen“, ein Konzept, das den Bildungsbegriff lernpsychologisch zu reformulieren versucht hatte. Die nach Art. 7 Abs. 4 GG möglichen Privat-S.n (davon ca. 2000 in konfessioneller Trägerschaft; Bekenntnis-S.) lehnen ihr Profil mehrheitlich eng an die staatlichen Vorgaben an. Zur größten bzw. besuchsstärksten S.-Art avanciert das Gymnasium, das in Großstädten über 50 % eines Jahrgangs aufnimmt, während die ehemals als Haupt-S. (heute zumeist Mittel-S.) gedachte S.-Form unterfinanziert, vernachlässigt, abgewickelt oder in Sekundar-S.n (z. B. als integrierte Haupt- und Real-S.) überführt wird. Bis etwa zur Jahrtausendwende lässt sich eine Sozialpädagogisierung der S. beobachten (Bonner Forum „Mut zur Erziehung“, 1978; S.-Leben; Öffnung von S.; Fachübergreifender Unterricht; no-child-left-behind-Initiative; Fördern als Ersatz des Lernbegriffs; Inklusion [ Inklusion, Exklusion ]), die zuerst aus sozialpolitisch-ökonomischen Gründen (Wiedervereinigung), später dann auch aus pädagogischen Motiven den Rückbau des erst seit 1918 etablierten Halbtags- zum Ganztags-S.-System nach sich zieht.

2.11 Phase der Ökonomisierung und Digitalisierung

Mit der politischen Umsetzung von OECD-Vorgaben durch das Instrument der PISA-Studien wird seit 2001 „S.-Qualität“ im Zuge des parteienübergreifend erstarkenden Neoliberalismus als Gewährleistung der ökonomischen Ressource „Humankapital“ verstanden (Jürgen Baumert, „Klieme-Gutachten“). Mit aus der neueren Verwaltungslehre (New Public Management [ Public Management ]) übernommenen Instrumenten wie Kundenorientierung, learn management, Benchmarking, Controllingkonzepten zur Outputsteuerung, S.- u. Personalentwicklung, Qualitäts- und Change Management wird die Vereinheitlichung von S.n als Versuch einer Qualitätssteigerung unternommen (Zentralabitur; Länderübergreifende Vergleichsstudien; KMK-Kerncurricula). Der Anspruch sachbezogener Qualifikation wird in der Abbreviatur „Lernen des Lernens“ formal mit der Zielangabe „Employability“ als Erwerb fachlicher, sozialer und personaler Kompetenzbereiche eingelöst, deren Verhältnis zueinander offen bleibt. Erziehung wird als sachimmanent zu lernende Motivation für gesellschaftliche Teilhabe („Partizipation“) umgedeutet. Globalisierungstaugliche Kompetenzlehrpläne und S.-Abschlüsse (Europäische Qualifikationsrahmen) sollen dabei unter Zuhilfenahme psychometrischer Testkonzepte und lernpsychologischer Vorannahmen soziale Integration, internationale berufliche Qualifikation und dadurch weltweite Allokationen der Absolventen ermöglichen. Seit den 2010er Jahren formieren sich institutionalisierte Kritik (Gesellschaft für Bildung und Wissen) und wissenschaftliche „Einsprüche“ gegen das „Unternehmen Bildung“ (Frost 2006) und der dadurch ausgelösten „Unbildung“ (Liessmann 2006), in der Bildung zur „Ware“ werde (Krautz 2014) und ein „Land seine Zukunft verspielt“ (Klein 2019).

Seit der Absicht, bedeutsame Sachverhalte unabhängig von der kontingenten Qualifikation einer Lehrperson zu vermitteln (Katechismus), sind Versuche unternommen worden, Lehre mechanistisch zu steuern (Modularisierung des Wissens). In der kybernetischen Didaktik (Felix von Cube) wird der Lehr-/Lernprozess als autopoietisch zu steuernder Regelkreis dargestellt, der selbstdiagnostizierte Defizite zu Lernaufgaben transformiert und so auf korrigierend führende Lehrer verzichten könne. Es entstehen automatisierte Unterrichtskonzepte, die die Bedeutung der S. grundsätzlich in Frage stellen – insb. im Zeitalter der Digitalisierung (Big Data). Es scheint möglich, Qualifikationen ohne Unterrichtspräsenz und zugeordnete Lehrperson zu erwerben (Fernabitur; Electronic und Mobile Learning). Im „Programmierten Unterricht“ verlagert sich die Idee der S. völlig in das didaktisch aufbereitete Material. Mit dem PC (seit 1980) in Verbindung mit dem Internet könnte die zum Transportmedium reduzierte S. Verlinkungen mit außerschulischen Wissensressourcen vornehmen, interaktive Mensch-Maschine-Lernschleifen einbauen, Selbstkontrolle optimieren, Fremdkontrolle automatisieren und sich so als „virtuelle S.“ gesellschaftlich etablieren. Prognostiziert wird die Individualisierung aller schulischen Lernprozesse, eine Entkopplung von Personen, Räumen und Zeiten bei Beibehaltung von Standards – und damit das Ende der traditionellen S. (Digitale Bildungsrevolution).

Freilich implizieren solche Konzepte die Vorstellung eines normativ als einzig richtig anerkannten statischen Wissens oder Könnens, das auf undiskutierbaren Axiomen ruht und sich kulturneutral durch Anwendung einer linearen Logik notwendig und für alle Akteure gleich darstellt. Individualismen werden in diesem System nur als (vorab einkalkulierte) Regelabweichungen toleriert. Zudem ist vorausgesetzt, dass die Geltung von Wissen nicht nur personal, sondern auch institutionell-anonym verbürgt werden kann und sich durch kleinschrittiges Schlussfolgern für jeden Menschen gleich erschließt. Körpersprachliche Signale und emotionale Intelligenz, individuelle, soziale, kulturell-ethnische oder genderspezifische Motivationslagen und personal verbürgtes Fürwahrhalten werden irrelevant. Es ist derzeit nicht abzusehen, ob die Digitalisierung einen epistemischen Wechsel auslöst, der S. revolutioniert oder gar abschafft, oder ob die Technik lediglich eine optionale Qualitätsverbesserung der S.-Medien zur Folge hat.

3. Systematische Struktur

3.1 Strukturmerkmal: Differenz von Leben und Lernen

Lebensvollzüge werden seit der Antike explizit in Wahrheits-, Herstellungs- und Handlungsdiskurse (Theorie, Poiesis, Praxis) differenziert. Was in geschlossenen Kulturen noch in einem teleologisch-holistischen Weltbild (kósmos) zusammengehalten werden konnte, erfährt unter dem neuzeitlichen Telosschwund eine differenztheoretische Radikalisierung: Erkennen und Handeln fallen nicht nur zeitlich, sondern auch logisch auseinander. Bildung für das zukünftige Handeln erfolgt zudem an kulturellen Objektivationen der Gegenwart. Der moderne Bildungsbegriff vermittelt dieses Zukunftsparadox, allerdings nun nicht mehr teleologisch, sondern im Rückgriff auf den modernen Begriff von Wissenschaft, der methodengeneriertes Wissen als hypothetisch sowie system-, handlungs- und sinnoffen versteht. Zukunftsorientierung der Bildung meint fortan keine prognostische oder utopische Antizipation eines Zeitraums, sondern die Befähigung, künftig in offenen Gesellschaften sinnvoll handeln zu können. Diese Fähigkeit setzt telosfreie Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, eigenverantwortete Sittlichkeit sowie situationsbezogene Urteilskraft und personale Sinnfindung voraus. Lernen ist nach diesem Verständnis nicht Handeln, weil es nicht eigenverantwortlich vollzogen, sondern vom Lehrer im Unterricht geführt wird. Für die S. ist diese Unterscheidung konstitutiv, wenngleich es immer wieder Versuche gab, sie zu ignorieren (Industrie-S., S. als Lebensraum, Polytechnische S., volkstümliche Bildung, ganzheitliche Bildung, Handlungsorientierung, Projektunterricht, Selbstlernzentren, Kompetenzorientierung).

3.2 Strukturmerkmal: Privatheit und Öffentlichkeit des Generationsverhältnisses

Die Kollision elterlicher Sorge (elterliches Sorgerecht) mit staatlicher Vorsorge ist historisch oft mit der Dominanz der einen (S.-Pflicht; Solidaritätsprinzip [ Solidarität ]) oder der anderen Seite (Hauslehrer, Subjektivitätsprinzip) zu lösen versucht worden. Einen Ausgleich versuchte G. W. F. Hegel, indem er die S. als Mittelglied zwischen den faktisch geltenden Ansprüchen und Normen der Gesellschaft und der liebevoll verstehenden und beratenden Fürsorge der Eltern bestimmte, deren Vermittlung im Lernen er gemäß seiner Geschichtsphilosophie (Geschichte, Geschichtsphilosophie) harmonisch gedacht hat, sodass Eltern und Staat letztlich das gleiche Ziel haben. S. versucht demnach die subjektive Aneignung des kulturell Bedeutsamen um der Objektivität des Ganzen willen (Gemeinwohlprinzip). Denkbar ist auch das Konzept, welches das Generationenverhältnis der Familie als Anstoß zum lebensweltlichen Lernen aus elterlicher Fürsorge deutet und die S. als Ort methodischen Lernens unter Selbstwirksamkeits- und Geltungsansprüchen bestimmt. S. bedürfe so der elterlichen Fürsorge (Ermöglichung lebensweltlicher Erfahrungen), wie umgekehrt Eltern der S. bedürfen, deren (objektive) Methodik sie lebensweltlich nicht einholen können. S. und Elternhaus verhalten sich komplementär (Subsidiaritätsprinzip [ Subsidiarität ]).

Gegenwärtig besteht in der S.-Politik parteiübergreifend die Auffassung, um der Bildungsungerechtigkeit willen alle Kinder weniger in der Einflusssphäre ihrer Eltern zu belassen und das Generationenverhältnis zunehmend öffentlich zu gestalten (Ganztags-S.). Das GG sieht eine je auszuhandelnde Kooperation vor: Nach Art. 6 GG ersetzt der Staat die elterliche Fürsorge (Elternrecht) nicht, sondern wacht über deren Gewährleistung und verpflichtet Eltern mit der S. auf eine Institution, die das sichert, was sie nicht zu leisten vermögen. Allerdings sieht das GG keine S.-Pflicht vor. Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte S.-Wesen „unter der Aufsicht des Staates“, woraus sich nach einer Entscheidung des BVerfG (BVerfG 15.10.2014–2 BvR 920/14) das Recht der Länder ergibt, durch Landesgesetze die S.-Pflicht zu bestimmen. In Konfliktfeldern wie Sexualerziehung oder Politikunterricht hat sich inzwischen eine hochkomplexe Rechtsprechung entwickelt, die die Ansprüche von Eltern und das Interesse des Staates auszugleichen sucht.

Ob aus der Aufsichtspflicht des Staates die Verpflichtung abzuleiten ist, eine S. besuchen zu müssen, kann durchaus bestritten werden, denn die Befreiung von der S.-Pflicht zugunsten einer Bildungspflicht (wie in Österreich oder der Schweiz) würde die Aufsichtspflicht des Staates über die S.n nicht tangieren. Bis auf Deutschland ist daher – nach internationaler Auffassung (vgl. den UNO-Bericht von Vernor Muñoz, 2007) – in nahezu allen europäischen Ländern und in den USA das Homeschooling als legaler und vom Staat begleiteter alternativer Bildungsweg möglich.

3.3 Strukturmerkmal: Institutionalisierung

Für die Legitimation von S. ist die Möglichkeit der Institutionalisierbarkeit von Bildung Voraussetzung. S. ist zwar eine in allen Gesellschaftssystemen nachzuweisende, in ihnen aber unterschiedlich gewichtete Institution zur Optimierung von Bildungsprozessen. Der bisher längste bekannte Teil der Menschheitsgeschichte ist jedoch in allen Kulturen ohne allgemeinbildende S.n für alle Heranwachsenden ausgekommen.

Versteht man Bildung als Prozess, bei dem der Einzelne durch Lernen befähigt wird, sein Leben selbstverantwortlich zu führen, so legt dies die Annahme nahe, dass sowohl Auswahl wie Bewertung der Lerninhalte im Hinblick auf den individuellen Lebenssinn nur subjektiv bestimmt werden können. Zugleich wird die Auffassung vertreten, dass eine Verantwortung für die Initiation bildender Lernprozesse letztlich nur von realen Personen übernommen werden kann („Institutionelle Aporie“). Eine personalistische Pädagogik (Winfried Böhm) bewertet daher den immer funktional und mechanistisch gestalteten Institutionalisierungsprozess der Massen-S. als defizitär. Andere bildungstheoretische Konzepte tolerieren die S. lediglich als notwendige, d. h. fürsorgliche oder „parapädagogische Organisation“ (Fischer 1978). Der Zwangscharakter der Pflicht-S. widerspreche dem Gedanken menschlicher Freiheit; die (als authentisch bewertete) intrinsische Motivation werde systematisch durch ein Gratifikations- und Bestrafungssystem (Zensuren) zur extrinsischen Motivation pervertiert. Aus Perspektive der Kritischen Theorie wird S. zum Symbol einer autoritären und zweckrationalen Reduktion dessen, was ehemals als Kultur bezeichnet wurde. Die „verwaltete Schule“ (Becker 1954) erscheint – unabhängig von politischen Optionen und Systemen – als Herrschaftsform instrumenteller Vernunft, die in der Quantifizierung aller Qualitäten und in der Normierung aller Individualitäten zum Zweck ihrer ökonomisch-technischen Manipulation den Ausweg aus und nicht die Ursache von epochaler Barbarei sieht. In der französischen (durch F. Nietzsches Kulturkritik inspirierten) Postmoderne erscheint die S. (analog zu Gefängnis, Krankenhaus oder Militär) als zentrale Institution zur Kontrolle eines Diskurses, der die willkürlichen Grundlagen der Erkenntnisordnung („Ontologische Differenz“) nicht mehr offenlegt (Michel Foucault, Martin Heidegger).

Freilich vernachlässigen diese Fundamentalkritiken, dass bereits die Zurkenntnisnahme dieser Kritik kulturell einheitliche Standards an Denk-, Lese- und Schreibfähigkeit voraussetzt. Es ließe sich daher geradezu umgekehrt der S. die Aufgabe zuschreiben, allen Gesellschaftsmitgliedern jene basalen Kulturtechniken (Mindeststandards) zu vermitteln, die Voraussetzungen für die Teilhabe an öffentlicher Kommunikation sind. Allerdings übersieht das soziologisch begründete Standardisierungsmanagement, dass es selbst allein aufgrund von Normabweichung entstehen konnte, da es nicht jener Kultur entsprach, aus der heraus es entstand – sich also gerade gegen die gegebenen Kulturstandards der eigenen Entstehungszeit wandte.

Die fundamentalistische Kritik der Institutionalisierung betrachtet ebenso wie ihre fundamentalistische Verteidigung den Bildungsprozess des Individuums verkürzend entweder als individuellen Willkürakt oder als gesellschaftliche Normierung. Beides ist aber nach modernem Wissenschaftsverständnis nicht zwingend. Wissenschaftsorientierter S.-Unterricht kann sich auf methodisch kontrollierte, d. h. intersubjektiv nachprüfbare Begründungsverfahren beziehen – unabhängig davon, ob sie partnerschaftlich (face to face) oder kollektiv (Vortrag, Buch) stattfinden. Regulative Idee des Unterrichts ist Wahrheit – und nicht die Person oder das anonyme Regelsystem einer Gesellschaft, wie Ideologiekritik oder Bildungsökonomie annehmen.

Erst im Handeln ist das Individuum als sich vor sich selbst verantwortendes Wesen gefragt, woraus sich erhellt, dass in der S. nicht gehandelt wird und nicht zum Handeln aufgefordert werden darf. Auch individuelle Sinnfindung und Identitätsstiftung können in der modernen S. nicht erfolgen, sondern nur als Bildungsaufgabe artikuliert werden. Aber dies trifft ebenso auf die personale Interaktion zu. Im Hinblick auf sachliche und sittliche Geltungsansprüche lassen sich Bildungprozesse daher ohne Substanzverlust institutionalisieren.

Dies gilt auch angesichts des Vorwurfs, schulisches Lernen erfolge als standardisiertes Lernen. Zwar sind die Lernvoraussetzungen durch Biographie, Umwelt und eigenen Willen individuell, sodass faktisch immer inhomogene Lerngruppen entstehen. Das Ziel für alle Schüler besteht aber darin, Geltungsansprüche sachlicher und sittlicher Herausforderungen allgemeingültig und handlungsrelevant zu prüfen (Thomas Mikhail). Diese Geltungsansprüche lassen sich nicht in Idiosynkrasien auflösen, ohne Wahrheit und Sittlichkeit zu suspendieren. Ein vielgliedriges S.-System (vom Internat bis zum Homeschooling; Volker Ladenthin) mit unterschiedlichen Bildungsgängen (Fundamentum/Additum; berufsorientiert/weiterbildungsorientiert; theoretisch/praktisch) und differenzierendem Unterricht vermag es zudem durchaus, individuelle Lernvoraussetzungen und sachliche wie sittliche Geltungsansprüche („Allgemeinbildung“) zusammenzuführen. Radio (S.-Funk) und Fernsehen (Telekolleg) als Bildungsmedien haben dies über Jahrzehnte demonstriert; die Digitalisierung ermöglicht weitere Diversifikationen.

Die S.-Pflicht rechtfertigt sich aus dem humanen Interesse des Staates am Kindeswohl, dessen versäumte Bildung nicht zu jeder späteren Lebensphase nachgeholt werden kann, und an seiner Aufgabe der Daseinsvorsorge, die der Tradierung gesicherter Kultur ebenso bedarf wie der Entwicklung handlungsleitender Fähigkeiten. Arbeitsteilige und demokratische Gesellschaften (Demokratie) bedürfen zudem der wechselseitigen und qualifizierten Interaktion aller, da niemand mehr das Privileg einer von anderen zu alimentierenden Muße oder Exklusivität für sich reklamieren kann. Schließlich orientiert sich das Ideal einer (ausschließlich) intrinsischen Motivation des menschlichen Handelns an der Vorstellung einer apriorischen Identität von Welt und Mensch sowie von Zweck- und Sinnbestimmungen. Deren doppelter Bruch wurde aber schon in der überlieferten Frühgeschichte der Menschheit, etwa in der Zeitalterlehre Hesiods, als seitdem unhintergehbare Lebensbedingung des denkenden Menschen ausgewiesen: Seither ist nicht mehr davon auszugehen, dass das Begehren des Einzelnen den Notwendigkeiten des (Über-)Lebens in einer vorgefundenen Welt enspricht, dass also der Wille des Einzelnen mit dem schlechthin Guten ineinszusetzen sei; auch haben die Sachverhalte nicht schon deshalb einen guten Sinn, weil man sie lernen will. Die S.-Pflicht ist Teil der Aufgabe aller Menschen, in der sie tragenden Gemeinschaft verantwortungsvoll und über ihr Leben hinaus zur Gestaltung dieser Gemeinschaft beizutragen – eine Verpflichtung, die man Heranwachsenden in je angemessener Form („Pädagogischer Takt“) zumuten können muss.

3.4 Strukturmerkmal: Staatliche Aufsicht

S. kann – wie die unterschiedlichen S.-Systeme weltweit zeigen – allgemeinbildend oder berufsqualifizierend sein und in staatlicher (zentral/regional), öffentlicher oder privater Trägerschaft verantwortet werden. Unterstehen S.n der staatlichen Aufsicht und Kontrolle, ergibt sich das Paradox, durch die gegenwärtige staatliche Verfasstheit die Vorbereitung auf die zukünftige (Mit-)Gestaltungsnotwendigkeit des Staates zu ermöglichen. Demokratische Staaten können das institutionelle Paradox lösen, wenn Ziele, Inhalte, Methoden und Medien der S. dem geltenden Recht nicht widersprechen, zugleich aber die Erkenntnisse der Wissenschaften maßgeblich sind („Beutelsbacher Konsens“). Durch die Freiheit von Forschung und Lehre (Wissenschaftsfreiheit) nach Art. 5 GG legt der demokratische Staat als eine seiner Gelingensbedingungen fest, dass seine sachlichen Grundlagen permanent einer Prüfung ausgesetzt sind. Im schulischen Bildungsprozess beginnt diese Revision hypothetisch. Die Reglementierung durch eine demokratische Verfassung und die Orientierung an Wissenschaft zusammen ermöglichen ein herausforderndes Verhältnis zwischen der Wahrnehmung gegenwärtiger staatlicher Aufgaben einerseits und der Vorbereitung auf künftige Herausforderungen andererseits. Konsequent scheint es daher, wenn das Lehrpersonal in einem (beamtenrechtlichen) Treueverhältnis zum Staat steht. So ist gewährleistet, dass keine bildungsfremden (dogmatischen oder willkürlichen) Interessen und Anreize an die Lehrenden herangetragen werden.

Maßgeblich für das deutsche S.-System sind Art. 26 AEMR, Art. 24 CRPD und Art. 7 GG sowie die entsprechenden Paragraphen der Landesverfassungen oder die S.-Gesetze.

3.5 Strukturmerkmal: Juristische Reglementierung

Als öffentliche, vom Staat beaufsichtigte, kontrollierte, organisierte und/oder finanzierte Einrichtung unterliegt die S. juristischen Regularien und Vorgaben. Im S.-Recht werden der Zweck von S., ihre Ziele, Aufgaben und Funktionen sowie die (Zugangs- und Freiheits-)Rechte und Pflichten von Lernenden und Lehrenden festgelegt. Im Verhältnis von Bildung und Recht konfligieren allerdings (ordnungs-)politische, funktionale, ökonomische und pädagogische Ansprüche. Weist man der S. formal allein den pädagogischen Zweck der Bildung zu, dann müssten rechtliche Vorgaben der pädagogischen S.-Idee untergeordnet werden. Gesetze und Verordnungen dürften dann nur sicherstellen, dass die Zugangsrechte der Lernenden nicht zweckwidrig beschnitten, unterrichtliche Gestaltungsspielräume der Lehrenden nicht eingeengt werden, während die S. eigene, dem Recht vergleichbare Normen schafft (Beispiele für strittige Autonomieansprüche: Kruzifixe im Klassenzimmer; Kopftuchverbot; Handyverbot [in den meisten Bundesländern schulinterne Reglung]; Erlaubnis von Demonstrationen während der Unterrichtszeit).

Versteht man hingegen die S. als Organ des Staates, so müssten sich pädagogische Maßnahmen nicht nur innerhalb des geltenden Rechts bewegen, sondern staatliche Ansprüche auch aktiv exekutieren. Die Rechtsordnung würde dann auch pädagogisches Handeln normieren, sodass es in S.n zu einer „Staatspädagogik“ (Kritik: Dietrich Benner) käme und der Staat als „Erziehungsstaat“ (Kritik: Hermann Giesecke) agierte. Im Modell der Bildung in einer demokratisch legitimierten Rechtsordnung lässt sich diese Antithetik mildern: S.-Gesetze stehen zwar weiterhin in der institutionellen Aporie, durch staatliche Vorgaben („Zwang“) das Erlernen freiheitlicher Selbstbestimmung „kultivieren“ (Kant 1968: 711) zu wollen. Schwebend gehalten wird die Antithetik aber, indem das positive Recht sich selbst als unter dem Regulativ der Sittlichkeit verwantwortet versteht, dessen Revision eine unabschließbare Bildungsaufgabe darstellt und auch als solche für die und in der S. verstanden wird. Zwar lernen die Schüler den sittlichen Anspruch des Rechts unter Normen positiven Rechts, aber sie lernen ihn so, dass sie befähigt werden, geltendes Recht stets auf seine Geltung und mögliche Verbesserung im Hinblick auf Sittlichkeit zu prüfen. Daher ist Rechtsgehorsam politisch ein hohes Gut, aus pädagogischer Sicht aber allein deshalb, weil das Recht begründbar und daher seine Begründung verbesserungsfähig ist. Schulische Bildung vermittelt zwischen Faktizität und Geltung weder rechtspositivistisch (Carl Schmitt) noch faktisch aushandelnd (Jürgen Habermas), sondern unter dem Aspekt der dialogischen Befähigung zur Prüfung von sittlichen Geltungsansprüchen als Aufgabenstellung des Rechtssystems.

3.6 Strukturmerkmal: Äußere Organisation

Aufgrund politischer Entwicklungen können S.-Systeme immer nur nachträglich zu ordnen versucht werden. Für den deutschen Sprachraum waren seit der Aufklärung die Konzepte von K. A. v. Zedlitz (dreigliedrig: Bauern-, Bürger,- Gelehrten-S.) und W. v. Humboldt (horizontal eingliedrig: Elementar-S., allgemeinbildende S., Berufsbildung/Universität) polarisierend. Man versuchte dann, das S.-System nach Lerntypen (G. Kerschensteiner) oder Erwartungen der Arbeitswelt zu gliedern – was in der BRD zuletzt den Vorwurf der restaurativen Stabilisierung sozialer Verhältnisse ausgelöst hat (Helmut Schelsky). Im Unterschied dazu richtete die DDR ein Einheits-S.-System mit horizontaler Gliederung ein, das allerdings politisch selektiv war. Pädagogische Konzepte zur Neugliederung des bundesrepublikanischen Systems haben zu Gesamt-S.n geführt oder – um die bei der Elternschaft und Wirtschaft angesehenen tradierten S.-Formen zu berücksichtigen – eine Gliederung nach Lerngeschwindigkeit vorgeschlagen, oder statt der (räumlichen) S.-Arten schulinterne Bildungsgänge in Betracht gezogen. Diskutiert und erprobt wurden die zwischen Primar- und Sekundarstufe eingeschobene Orientierungsstufe, die Gemeinschafts- oder Bürger-S. von Klasse 1–10, die Integrations-S. oder die Inklusions-S. (UN-BRK). Um eine sozial möglicherweise diskriminierende „äußere Differenzierung“ nach S.-Arten zu umgehen, werden Konzepte der „inneren Differenzierung“ (reguliert durch Streaming oder Setting) oder durch Unterrichtsformen (Karl Gerhard Pöppel/Jürgen Rekus: Lehrgangsunterricht, Projektunterricht, Freiarbeit) entwickelt. Faktisch können derzeit in allen Bundesländern S.-Abschlüsse hochindividuell über bis zu fünfzehn unterschiedliche S.-Laufbahnen erworben werden. Das in Deutschland vorbildlich ausgebaute Förder-S.-System mit eigens auf die jeweilige Beeinträchtigung hin qualifiziertem Personal nimmt organisatorisch stets eine Sonderstellung ein, ist aber durch die Ratifizierung der CRPD und die sich anschließende Debatte um Inklusion in Legitimationszwang geraten.

3.7 Strukturmerkmal: Innere Organisation

Das Grundproblem der inneren S.-Organisation besteht in der Zusammenstellung der Lerngruppen. Praktiziert wurde eine Zusammensetzung nach dem Rechtsstatus (Bürger-Nichtbürger; Staatsangehörigkeit), nach biologischen Kriterien (Geschlecht, Alter, Reifegrad, Gesundheitszustand; früher auch nach rassischen Gesichtspunkten, z. B. im Deutschen Reich und in den USA), räumlicher Herkunft (einklassige Volks-S. mit „Abteilungsunterricht“; S.-Bezirke), nach sozialer Herkunft (z. B. DDR), Finanzverhältnissen der Eltern (S.-Geld), nach kognitiven Eingangskriterien (Wissen, Intelligenz, Begabung), kognitivem Leistungshandeln (jahrgangsübergreifend), gruppendynamischen Erwägungen („S.-Familien“ an S.-Landheimen), weltanschaulichen oder religiösen Vorentscheidungen (konfessionelle Privat-S.n). Jedes dieser Kriterien lässt sich jedoch letztlich ausschließlich pragmatisch und nicht pädagogisch begründen.

Allgemeinbildende S.n sind immer durch Unterricht in Gruppen bestimmt. Zugleich ist jeder einzelne Schüler so anzusprechen, dass ihm Unterricht und Erziehung gerecht werden. Aus diesen aporetischen Ansprüchen ergeben sich für die innere Organisation von S. maßgebende Prinzipien: Es muss vermieden werden, Eingangsdiagnosen als Präjudikation von Abschlüssen zu funktionalisieren, sondern stattdessen die Bildsamkeit aller Menschen, die individualpsychologische Entwicklung, Motivation, Lebensplanung und Arbeitshaltung ebenso als Kriterien bei der Zusammenstellung von Lerngruppen zu berücksichtigen wie den Entstehungsgrund von S., d. h. Unterricht in Gruppen mit vergleichbaren Abschlüssen finanzierbar zu gewährleisten. Spezifische frühzeitige Förderung (Früherziehung) ist ebenso notwendig wie die Verhinderung zu früher Festlegung. Lernbeeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen sind ebenso zu beachten wie Hochbegabung und überdurchschnittliche Leistungsmotivation. In der äußeren und inneren, zielgleichen und zieldifferenten, fundamentalen und additiven Differenzierung (Enrichment) ist der Versuch unternommen worden, alle Kinder der nachwachsenden Generation so zu befähigen, dass diese ein selbstverantwortetes Leben in einer politisch-sozialen Gemeinschaft führen können. Der Begriff der Bildung, das haben alle Diskussionen um die Ordnung von S.-Systemen gezeigt, ist unteilbar. Demokratische Gesellschaften müssen zudem ihrem Selbstverständnis gemäß voraussetzen, dass sich alle Bürger kundig und verantwortungsvoll an allen politischen Entscheidungsprozessen aktiv beteiligen können. Der Staat hat daher aus Eigeninteresse dafür Sorge zu tragen, dass schulische Abschlüsse weder nach sozialen, ökonomischen, geschlechtlichen noch nach regionalen Kriterien vergeben werden.

3.8 Strukturmerkmal: Didaktisierung und Methodisierung

Wenn S.-Pflicht die S. zur vorherrschenden Organisation von Bildungsprozessen bestimmt, kann ihr Ziel nur darin liegen, alle Absolventen zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der sich stets reformierenden politischen Ordnung zu befähigen. Inhalte von Bildungsprozessen müssen ein Wissen und Können sein, das der Wissenschaft nicht widerspricht, wissenschaftlich begründet oder wissenschaftspropädeutisch ist. Schichten des Lehrplans sind Ansprüche der objektiven ‚Mächte‘ (Wissenschaft, Wirtschaft, Künste, kulturelle Einrichtungen, Militär und Kirchen – während der Staat nicht eigene Interessen verfolgen, sondern nur als „gerechter Makler“ [Erich Weniger] zwischen den Interessen vermitteln sollte), geistige Grundrichtungen sowie nützliche Kenntnisse und Fertigkeiten. Sie können ausgewählt und angeordnet werden nach traditionellen Wissensformen, anthropologisch und kulturell konstanten Aufgaben (z. B. normierte Schriftsprachlichkeit) und/oder bezogen auf Adressat, Gesellschaft und Wissenschaft. Kriterien wie Vergangenheitsbezug (Traditionssicherung), Gegenwartsbezug (Handlungsfähigkeit) und Zukunftsbezug (Selbstständigkeit) sind hinzuzuziehen (Wolfgang Klafki). Unter dem Begriff „heimlicher Lehrplan“ werden Nebenwirkungen des Lehrplans und Sozialisationsaspekte theoretisch erfasst, die als legitime Einflussnahmen auf die Lehrplangestaltung gelten. Dabei umfassen zwei Unterrichtsmethoden alle Ausdifferenzierungen: Zum einen die Lernmethode, d. h. die Fachmethoden der Wissenschaften, sodass für Schüler Lernen und Erkennen zusammenfallen; zum anderen die Lehrmethode, d. h. die Aufforderung zum methodischen Lernen. Kern- und Bezugsmedien sind die Lautsprache (in Sonderfällen auch Gebärdensprache) und die Schrift („Bildungssprache“), d. h. die symbolische, zur Abstraktion tendierende Verallgemeinerung, Verdichtung und damit Beschleunigung von Erfahrungen. Prüfungen und S.-Abschlüsse stellen den Grad der Selbstwirksamkeit fest und dienen der Allokation, sodass gesellschaftliche Anerkennung nicht nach Privilegien, sondern nach Befähigung vergeben werden kann. Die S.-Gemeinschaft muss so organisiert sein, dass sie dem Gedanken der Bildung nicht widerspricht oder aber Anlässe bietet, Bildungsprozesse zu initiieren.

3.9 Strukturmerkmal: Schulzeit

Bei der Festlegung der Mindest-S.-Zeit muss unterschieden werden zwischen dem Gesamtvolumen der abzuleistenden S.-Stunden (bezogen auf Kalenderjahre) und der täglichen Präsenzzeiten. Die Dauer der S.-Zeit lässt sich ebensowenig allein aus pädagogischen Vorannahmen ableiten wie allein aus psychologischem Wissen über Reifung und Entwicklung oder aus kulturellen oder wirtschaftlichen Erwartungen an Absolventen, auch nicht aus sozialen Gegebenheiten wie der Familienstruktur und sozialpädagogischen Institutionen, aus medizinischen Aspekten wie der durchschnittlichen Lebenserwartung, aus sozialpolitischen Zielvorstellungen (Vereinbarkeit von Beruf und Familie), internationalen Vergleichen und politischen Mehrheiten. S.-Zeiten müssen daher unter allen (berechtigten) Ansprüchen ausgehandelt werden. Die Dauer von absoluter wie täglicher S.-Zeit hat hohe didaktische Bedeutung. Die Stauchung oder Gewährung von Unterrichtszeiten wirkt immer selektierend oder integrierend und kann so erhebliche soziale Verwerfungen zeitigen.