Rotes Kreuz

1. Idee und Entstehung

Als „R. K.“ verstand man landläufig bis Mitte des vorigen Jahrhunderts eine aus Freiwilligen bestehende, v. a. in bewaffneten Konflikten aktive humanitäre Hilfseinrichtung mit weltweiter Verbreitung. Es war der Genfer Bürger Henry Dunant, der angesichts des Schlachtfelds von Solferino im Juni 1859 spontan Hilfeleistungen für die ihrem Leid überlassenen Verwundeten organisierte und drei Jahre später in seinem Buch „Eine Erinnerung an Solferino“ (1862) anregte, „in allen europäischen Ländern Hilfsgesellschaften zu gründen zu dem Zweck, die Verwundeten in Kriegszeiten ohne Unterschied der Volksangehörigkeit durch Freiwillige pflegen zu lassen“ (Dunant 1897: 55). Seine Überzeugung, „Menschlichkeit und Gesittung verlangen gebieterisch“ derartige „ständige Vereine“ (Dunant 1897: 62), führte im Februar 1863 gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, Gustave Moynier, und mit weiteren Schweizer Bürgern zur Gründung des Internationalen Comitees für Verwundetenhilfe und im Oktober 1863 zur ersten internationalen Konferenz von 16 Staaten, die eine Errichtung von Gesellschaften nach dem Schweizer Vorbild und als Erkennungszeichen in Würdigung der Schweizer Initiative mittels Umkehrung der Schweizer Nationalfarben die weiße Flagge und Armbinde mit dem roten Kreuz beschlossen. Schon im August 1864 unterzeichneten auf einer weiteren Genfer Konferenz zwölf Staaten die „Konvention zur Verbesserung des Loses der verwundeten Soldaten der Armeen im Felde“. Damit hatte die Initiative H. Dunants zur Schaffung einer Basis geführt, die seither für die Rotkreuzentwicklung grundlegend geblieben ist, nämlich ein stetiges zivilgesellschaftliches Bemühen um eine der Menschenwürde gemäße Opferhilfe unter Akzeptanz und Stützung durch den Staat. Ziel, Struktur und Tätigkeit der weltweiten Bewegung bezeugen dies fortwährend.

2. Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung

Die Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung idF von 2006 legen als „Mission“ der Bewegung fest, „menschliches Leiden überall und jederzeit zu verhüten und zu lindern, Leben und Gesundheit zu schützen und der Menschenwürde Achtung zu verschaffen, vor allem in Zeiten bewaffneter Konflikte und sonstiger Notlagen; Krankheiten vorzubeugen und zur Förderung der Gesundheit und der sozialen Wohlfahrt zu wirken; die freiwillige Hilfe und die ständige Einsatzbereitschaft der Mitglieder der Bewegung zu stärken sowie ein universales Solidaritätsbewusstsein mit allen, die ihres Schutzes und ihrer Hilfe bedürfen, zu wecken und zu festigen“. Auf diesen, gegenüber ihrem Ursprung beträchtlich erweiterten Aufgabenfeldern ist die Bewegung von sieben Grundsätzen geleitet, nämlich von den beiden fundamentalen Grundsätzen der Menschlichkeit und der Unparteilichkeit, die Ziel (Achtung der Menschenwürde) und Verhalten (striktes Diskriminierungsverbot) bestimmen; von den abgrenzenden Grundsätzen der Neutralität und Unabhängigkeit, die der Abwehr humanitätswidriger Einflüsse dienen, und von den institutionellen Grundsätzen der Freiwilligkeit, Einheit und Universalität, die auf die Struktur und das Zusammenwirken der Bewegung bezogen sind. – Die Statuten bestimmen als die drei Komponenten der Bewegung die Nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, das IKRK und die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. Ein Unikat ist die Einbeziehung nahezu aller Staaten dieser Erde in den Kooperationskreis der drei nichtstaatlichen Komponenten. So besagt Art. 2 Abs. 1 der Statuten: „Die Vertragsstaaten der Genfer Konventionen arbeiten mit den Komponenten der Bewegung in Übereinstimmung mit diesen Konventionen, den vorliegenden Statuten und den Resolutionen der Internationalen Konferenz zusammen“. Die genannten vier Genfer Konventionen von 1949 weisen mit 196 Vertragsparteien die höchste Mitgliedstaatenzahl aller derzeit geltenden völkerrechtlichen Verträge auf. Die oberste Beratungsinstitution für die Bewegung, die im Vierjahresturnus tagende „Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds“, besteht aus Delegationen der drei Komponenten und der 196 Vertragsstaaten der Genfer Konventionen (Art. 9 Abs. 1 der Statuten), so dass die Konferenzbeschlüsse gemeinsam durch die drei nichtstaatlichen Komponenten und die konferenzbeteiligten Staaten gefasst werden. Auch die Statuten der Bewegung selbst sind durch Konferenzbeschluss verabschiedet worden, womit völkerrechtliche Bindung zwischen den Beteiligten entstanden ist.

3. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz

Das IKRK ist angesichts seiner Entstehung 1863 die älteste der drei Komponenten der Bewegung. Seine Aufgaben und Befugnisse sind in seinen Statuten idF von 2003 (Art. 4) und in den Statuten der Bewegung (Art. 5) identischen Wortlauts enthalten. Ihm obliegt danach die Wahrung und Verbreitung der sieben Grundsätze der Bewegung. Es hat die Befugnis, die Anerkennung einer Nationalen Gesellschaft auszusprechen. Sodann hat das IKRK die ihm durch die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen, über die korrekte Anwendung des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten zu wachen sowie für sein Verstehen, seine Verbreitung und seine Fortentwicklung zu wirken. Es hat in bewaffneten Konflikten den zivilen und militärischen Opfern Schutz und Hilfe zu gewähren. Schließlich hat es den Suchdienst entspr. den Konventionen sicherzustellen. – Das IKRK besteht aus 15–25 Mitgliedern Schweizer Staatsangehörigkeit und ergänzt seine Mitglieder durch Kooptation. Seine Rechtsstellung ist eine doppelte: Zum einen hat es – so Art. 2 seiner Statuten – als Verein gemäß Art. 60 ff. ZGB Rechtspersönlichkeit in der staatlichen Rechtsordnung der Schweiz. Zum anderen kann es nach Maßgabe der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle Subjekt von Rechten und Pflichten sein. So kann es bspw. anstelle eines Staates mit den Aufgaben einer Schutzmacht betraut werden (d. i. Mitwirkung bei der Anwendung der Konventionen unter unparteiischer Wahrnehmung der Interessen der Konfliktparteien). Es ist insoweit (partielles) Völkerrechtssubjekt. Seine Statuten tragen dieser völkerrechtlichen Position auch dadurch Rechnung, dass es nach Art. 4 jede humanitäre Initiative ergreifen darf, die seiner Rolle als einer neutralen und unabhängigen Institution mit Vermittlungsfunktion entspricht.

4. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften

Die Verfassung der Internationalen Föderation idF von 2007 kennzeichnet diese Institution als eine von den Nationalen Gesellschaften gegründete und diese einschließende „Mitgliedschaftsorganisation“ (Art. 1), womit – ähnlich dem deutschen Vereinsverband – ein Zusammenschluss von Verbandseinheiten beschrieben ist, die ihre Rechtsstruktur und Rechtspersönlichkeit durch anderweitige einschlägige Rechtsvorschriften erhalten haben (bspw. durch nationales Vereinsrecht oder durch die Statuten der Bewegung und entspr.e Anerkennung durch das IKRK). Die Rechtspersönlichkeit der Föderation wird mit der knappen Feststellung begründet, sie handele „unter ihrer eigenen Verfassung mit allen Rechten und Pflichten einer Körperschaft mit Rechtspersönlichkeit“ (Art. 2). Die Statuten der Bewegung enthalten in Bezug auf die Rechtspersönlichkeit der Föderation den identischen Wortlaut (Art. 6 Abs. 1 der Statuten). Da die Statuten jedoch von der Internationalen Konferenz beschlossen worden sind, ist damit zugl. die Rechtspersönlichkeit der Föderation als Eigenschaft eines (partiellen) Völkerrechtssubjekts anerkannt. – Das grundlegende Ziel der Föderation ist, alle Arten humanitärer Aktivitäten der Nationalen Gesellschaften zur Verhütung und Linderung menschlichen Leids anzuregen, zu erleichtern und zu fördern und hierdurch zur Wahrung und Achtung der Menschenwürde und des Friedens in der Welt beizutragen (Art. 4 der Verfassung). Ihre vielfältigen Aufgaben (Art. 5) kennzeichnen sie als das für die Arbeit der Nationalen Gesellschaften dynamische Element, während das IKRK das – namentlich in Bezug auf das humanitäre Völkerrecht – zwar oft innovative, aber doch mehr bewahrende, prinzipienorientierte Element ist.

5. Das Deutsche Rote Kreuz als Nationale Gesellschaft der BRD

Das DRK nimmt auf Grund der Vielfalt seiner satzungsgemäßen Aufgabenfelder und der auf diesen hoch anerkannten Leistungen eine geachtete Stellung unter den 190 Nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften der Welt ein. Mehr als 3,5 Mio. Menschen sind Mitglieder des DRK. Davon sind knapp 3 Mio. fördernde Mitglieder, ca. 525 000 aktive Mitglieder in den Gemeinschaften (Bereitschaften, Bergwacht, Jugendrotkreuz mit allein ca. 140 000 Mitgliedern, Wasserwacht, Wohlfahrts- und Sozialarbeit); von den über 160 000 hauptamtlich Beschäftigten sind die meisten ebenfalls Mitglieder ihrer örtlichen Verbandseinheit. – Die Satzung des DRK e. V. idF von 2015 ist von dem anerkennenswerten Bemühen, aber auch von der Schwierigkeit geprägt, Verbandsstrukturen, die in rund eineinhalb Jahrhunderten auf deutschem Gebiet in unterschiedlichen staatlichen Rechtsordnungen gewachsen sind, mit ihrem derzeitigen, nach deutschem Recht erreichten Stand in Einklang mit den Anerkennungsbedingungen für Nationale Gesellschaften gemäß Art. 4 der Statuten der Bewegung zu bringen. Dies gilt zum einen für die satzungsrechtliche Regelung, die historisch entstandene, dezentrale und dem staatlichen Vorbild entspr.e föderative Struktur in Übereinstimmung mit dem Einheitsgrundsatz der Bewegung zu halten. So wird in § 1 Abs. 3 DRK-Satzung klar und nicht weiter auslegungsfähig festgestellt: „Das Deutsche Rote Kreuz e. V. (Bundesverband) ist die nationale Rotkreuzgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland“. Mitglieder dieser „Nationalen Gesellschaft“ i. S. Art. 3 f. der Statuten der Bewegung sind jedoch nach § 3 Abs. 2 DRK-Satzung ausschließlich die 19 Landesverbände und der Verband der Schwesternschaften. Menschen, deren Mitwirken in den Nationalen Gesellschaften gemäß den Grundsätzen der Unparteilichkeit und der Freiwilligkeit ein bes.s Gewicht beizumessen ist, sind erst in § 3 Abs. 5 DRK-Satzung bedacht: „Persönliche Mitgliedschaften bestehen auf der Ebene der Kreisverbände und Ortsvereine“ (sowie des Verbandes der Schwesternschaften und seiner Gliederungen). Was zum anderen die in Art. 4 Nr. 2 der Statuten der Bewegung festgelegte Anerkennungsbedingung anbetrifft, wonach eine Nationale Gesellschaft „von einem Zentralorgan geleitet“ sein muss, so scheint § 6 Abs. 1 DRK-Satzung mit dieser Ausprägung des Einheitsgrundsatzes ein wenig generös umzugehen, wenn er statuiert: „Soweit in dieser Satzung nichts anderes bestimmt ist, führen die Landesverbände die satzungsmäßigen Aufgaben des Deutschen Roten Kreuzes in ihrem Bereich in eigener Verantwortung durch“. Ob eine Ausstattung der Landesverbände mit einer solchen Residualkompetenz nach dem Modell des Länder-Bund-Verhältnisses i. S. Art. 30 GG mit dem Einheitsgrundsatz der Bewegung kompatibel ist, erscheint ebenfalls diskussionswürdig, zumal § 1 DRK-Gesetz (BGBl I 2008: 2346) ausdrücklich bestimmt: „Das Deutsche Rote Kreuz e. V. ist die Nationale Gesellschaft des Roten Kreuzes auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und freiwillige Hilfsgesellschaft der deutschen Behörden im humanitären Bereich. Es beachtet die Grundsätze der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung“. Mithin ist das DRK über die Rot-Kreuz-Statuten hinaus auch durch deutsches Gesetzesrecht gebunden, den Einheitsgrundsatz zu beachten. Die Verwirklichung des rechtlich daher mehrfach abgesicherten Einheitsgrundsatzes trifft im DRK auf die Struktur eines Vereinsverbandes, der nicht die Homogenität eines Gesamtvereins (ein Verein mit bundesweiter Ausdehnung) erreicht. Dieser Divergenz ist – wenn der Gesamtverein vermieden werden soll – nur dadurch abzuhelfen, dass inhaltsgleiche Satzungsanteile, die dem Völkerrecht, dem internationalen Verbandsrecht und dem Gesetzesrecht entsprechen, in den Satzungen der vier Verbandsebenen (Bundesverband, Landesverbände, Kreisverbände, Ortsvereine) gleichermaßen verankert werden.

Trotz der unbestreitbaren Unwucht innerhalb der DRK-Satzung ist ein Axiom gleichfalls unbestreitbar: Keine andere Institution kann in einer Zivilgesellschaft die anspruchsvollen Rotkreuzaufgaben in größerer Bürgernähe erfüllen als der auf Orts- oder Kreisebene geschaffene und dort weitgehend autonome Verein.