Religionsunterricht

  1. I. Theologische und pädagogische Perspektive
  2. II. Rechtswissenschaftliche Perspektive

I. Theologische und pädagogische Perspektive

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Der R. in Deutschland ist in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit. Als bekenntnisorientierter R. ist er durch Art. 7 Abs. 3 GG als ordentliches Schulfach ausgewiesen und abgesichert wie kein anderes Fach. Als gleichzeitig vom Staat und den Religionsgemeinschaften verantwortet (res mixta) stellt er im europäischen Kontext eine Singularität dar, wie sie nur noch in Österreich, Malta, Litauen und der Slowakai vorkommt. Als bekenntnisorientierter R., der weder katechetisch noch religionskundlich oder im sog.en multi-faith approach verfasst ist, verfolgt er eigene Ziele und Wege religiösen Lernens.

1. Historisches zum Religionsunterricht

Dass sich dies so entwickelte, hat mit bildungstheoretischen, theologischen und insb. geschichtlichen Herausforderungen zu tun. Im Geist der Aufklärung als Schulfach etabliert (Einführung der allg.en Schulpflicht und damit des R.s in Preußen: 1763, Österreich: 1774, Bayern: 1802), blieb der R. bis 1968 – i. S. eines kirchlichen Vollzugsortes – katechetisch verfasst (neuscholastischer Katechismusunterricht, materialkerygmatischer R.). Trotz Bestrebungen der sog.en Münchner Methodenbewegung zu Beginn des 20. Jh., Erkenntnisse der Pädagogik und Psychologie für den R. fruchtbar zu machen und die Schüler zumindest als Adressaten religiöser Bildung mitzubedenken, dominierte den R. ein Inhaltelernen um seiner selbst willen. Erst unter dem Einfluss der sog.en hermeneutischen Wende, dem Erstarken von Pädagogik und (Lern-)Psychologie, den Impulsen aus der sog.en Curriculumstheorie, der „anthropologischen Wende“ in der Theologie und dem Emanzipationsverlangen der 1968er wurden religionsunterrichtliche Konzeptionen in Anlehnung an die lern-, bildungs-, informationstheoretisch-kybernetische und kommunikationstheoretische Didaktik entwickelt. Diese reflektierten sowohl die anthropogenen (Schüler, Lehrkräfte) als auch soziokulturellen Voraussetzungen und identifizierten Strukturelemente als Planungsinstrumente für den R. Bei Lernprozessen wurde u. a. auf Intention(en), Themen, Verfahren und Medien geachtet. Mit dieser vielfachen Passung – an die Allgemeine Fachdidaktik, die Rahmenbedingungen der Schule und eine anthropologisch gewendete Theologie – konnte der R. seinen Platz in der Schule trotz massiver gesellschaftlicher Anfragen seit den 1970er Jahren sichern.

Oft nebeneinander und in schneller Abfolge nacheinander wechselten sich dann der sog.e hermeneutische, religionskundliche, therapeutische und problemorientierte R. ab. Zunehmend gewann das lernende Subjekt für religiöse Lernprozesse Bedeutung und wurde mit dem Beschluss „Der Religionsunterricht in der Schule“ (Sekretariat der DBK 1974) der Würzburger Synode gewürdigt. Dieser firmiert bis heute katholischerseits als Magna Charta des R.s. Dort wurde mittels der sog.en Konvergenzargumentation herausgestellt, dass sich der R. in der Schule theologisch und (!) pädagogisch zu begründen hat, ferner, dass der R. einen diakonischen Auftrag verfolgt, die Schüler in je ihrer Situation und ihren Lebensfragen zu unterstützen, und von der Katechese in der Schule zu unterscheiden ist. Die Sinnfrage zu provozieren, die Gottesfrage wach zu halten, den Glauben „im Kontext des Lebens vollziehbar, und das Leben […] im Licht des Glaubens verstehbar“ (Sekretariat der DBK 1974: 136) zu machen (als Grundlage für das sog.e Korrelationsprinzip) sowie Schüler zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glauben zu befähigen, gelten seitdem als Spitzensätze religionsunterrichtlicher Zielsetzung.

In der evangelischen Kirche zielen die Denkschriften zum R. „Identität und Verständigung“ (EKD 1994) sowie „Religiöse Orientierung gewinnen“ (EKD 2014) in dieselbe Richtung, betonen aber schon früher, dass der R. sowohl inhaltlich als auch organisatorisch in ökumenischer Offenheit und in Ausrichtung auf andere Religionen und Weltanschauungen zu erteilen ist. Die immer stärker werdende Verbindung von wissenschaftlicher katholischer und evangelischer Religionsdidaktik und Theologie, die ökumenischen Fortschritte (Ökumene) auf kirchenamtlicher Seite sowie die gesellschaftlichen Anforderungen an religiöse Bildung drängen dazu, den R. in diesem Sinne weiterzuentwickeln.

2. Aktuelle Diskurse

Durch die Bezogenheit des R.s auf gesellschaftliche und kirchliche/theologische Veränderungen drehen sich die aktuellen Diskussionen um den R. in Deutschland sowohl um seine organisatorische als auch inhaltliche Gestalt.

2.1 Debatte über Konzeption und Organisationsform des Religionsunterrichts

Die Debatten reichen vom Verweis von Religion ins Private und damit einer grundsätzlichen Infragestellung religiöser Bildung in der Schule über die Ausrichtung des R.s als weiterhin bekenntnisorientiertem oder religionskundlichem R. (vgl. „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ [LER] in Brandenburg) bzw. als R. im multi-faith approach (vgl. Dialogischer R. in Hamburg) bis hin zur Frage, ob der R. weiterhin in konfessionell homogenen bzw. konfessionell-kooperativen Lerngruppen oder im Klassenverband erteilt werden soll.

Quer durch die evangelische, katholische sowie orthodoxe Religionsdidaktik und die Kirchen zeichnen sich folgende Standards ab: Der positionelle (bekenntnisorientierte) R. wird einem religionskundlichem R. und einem R. im multi-faith approach vorgezogen. Dies wird sowohl rechtlich begründet (grundgesetzliche Absicherung) als v. a. auch theologisch (Bearbeitung von Religion als Diskurssystem und Lebensüberzeugung und der Wahrheitsfrage), bildungstheoretisch (doppelter Relevanzfilter: theologisch zentrale und zugl. existenziell bedeutsame Themen) sowie hermeneutisch (Ernstnehmen von Kontextualität und Perspektivität des eigenen religiösen Standpunktes).

Auch der islamische, jüdische, alevitische und der R., der von anderen Religionsgemeinschaften erteilt wird, erfolgt als bekenntnisorientierter/positioneller R. mit Ausnahme des R.s in Bremen, Berlin und Brandenburg und des Dialogischen R.s in Hamburg.

Die Organisationsform des R.s dagegen ist vielfältiger und umstrittener: Etablierte die EKD schon mit ihrer Denkschrift „Identität und Verständigung“ die sog.e Bias (Selbigkeit von Lehrkraft und Lehre) und ermöglichte damit konfessionell heterogene Lerngruppen als Normalfall des R.s, hielt die DBK bis 2016 („Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts“) an der Trias (Selbigkeit von Lehrkraft, Lehre und Schüler) und damit an konfessionell homogenen Lerngruppen als Regelfall fest – mit Ausnahme bestimmter Regionen (Niedersachsen: seit 1998, Baden-Württemberg: seit 2005, NRW, Kreis Lippe: seit 2005), in denen der konfessionell-kooperative R. über den Modellstatus hinausging und als Regelform des R.s anerkannt war. Allerdings drifteten die normativen Vorgaben der katholischen Kirche und die schulische Wirklichkeit vor Ort nicht selten auseinander. Dies führte dazu, dass die DBK 2016 den konfessionell-kooperativen R. als Regelfall zuließ und mit der sog.en erweiterten Kooperation sowohl die Teilnahme von Schülern aus anderen christlichen Konfessionen (z. B. der Orthodoxie) als auch ohne oder mit anderen Religionszugehörigkeiten (z. B. muslimisch) ermöglichte.

Aus religionspädagogischen, theologischen und gesellschaftspolitischen Gründen werden aber selbst diese Organisationsformen als unzureichend erachtet. Da der Klassenverband die originäre Lerngruppe in der Schule ist, Religionsfragen gerade aufgrund gesellschaftlicher Zerrbilder von Religion(en) (v. a. Islam) von größer werdendem Gewicht sind, der R. als Mikro-Lernort für die gesellschaftliche Frage nach dem Umgang mit (religiöser) Pluralität prädestiniert ist, werden zurzeit Modelle diskutiert, den R. zwar nach wie vor bekenntnisorientiert/positionell, aber zugl. im Klassenverband zu erteilen: Modell des positionell-religionspluralen R.s im Klassenverband (Mirjam Schambeck), des mehrperspektivischen R.s (Uta Pohl-Patalong), der kooperierenden Fächergruppe (Katja Boehme). Diese Vorschläge sind auch deshalb dringlich, weil die Zahl von Schülern ohne Religionszugehörigkeit wächst, diese Schüler ein Recht auf religiöse Bildung haben, das mit dem Ethikunterricht bislang nicht abgedeckt ist, die Bearbeitung des Religionsplurals wie auch der missbräuchlichen Funktionalisierung von Religion wichtiger wird und die nach wie vor bestehende Resonanzfähigkeit von Kindern und Jugendlichen für Religion zeigt, dass Schüler eine vernunftbezogene, intersubjektiv kommunizierbare Position zu Religion ausbilden müssen.

2.2 Zur inhaltlichen Ausrichtung des Religionsunterrichts

Daran angelagert sind inhaltliche Debatten: Wie kann der R. deutlicher darauf reagieren, für die meisten Schüler der erste Ort der expliziten Auseinandersetzung mit Religion zu sein (Stichwort: Performativer R.)? Wie kann der R. Schüler befähigen, sich eine eigene, begründete Position zu Religion zu erarbeiten, und zwar durch ausgewählte Inhalte (Stichwort: Kompetenzorientierung)? Wie kann der R. die wachsende Bedeutung des Religionsplurals ernst nehmen, die Ausprägung des Christentums in unterschiedlichen Konfessionen respektieren, einen Beitrag zur Zivilisierung von Religion leisten und zugl. Sorge tragen, den Lerngegenstand Religion sowohl als Diskurssystem als auch als Lebensüberzeugung im Unterricht zu präsentieren (Stichworte: interreligiöses und ökumenisches Lernen). Bleibend begleitet den R. die Frage, wie religiöse Bildung, die aufgrund ihres Lerngegenstands immer ein unverfügbares Moment kennt, trotzdem den Standards von Schule entspricht. R. weder auf sachkundliches Wissen zu beschränken noch zum Ort dauernder Ich-Rede zu stilisieren, markiert eines dieser Spannungsfelder. Ein anderes ergibt sich aus der Bezogenheit theologischer Themen und der Subjekte. Insofern religiöses Lernen als solches nach der Bedeutung für die Subjekte fragt, stellt sich die u. a. durch die Korrelationsdidaktik, das Elemantarisierungskonzept, die Kinder- und Jugendtheologie sowie das konstruktivistische Lernen zentral bearbeitete Frage, wie die theologischen Gehalte und die Lebensdeutungen der Subjekte in einen produktiven Dialog gebracht werden können.

3. Regelungen des Religionsunterrichts in deutschen Bundesländern

Der R. in Deutschland ist mit Ausnahme von Bremen, Berlin, Brandenburg und Hamburg ordentliches Schulfach, das bekenntnisorientiert erteilt wird, notenpflichtig und versetzungsrelevant ist. Als Ausdruck der negativen Religionsfreiheit nach Art. 4 GG wird Ethikunterricht als Ersatzfach (in Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, NRW, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein) bzw. Alternativfach (Brandenburg, Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) zum R. vorgehalten und je nach Bundesland unterschiedlich benannt: Ethik: Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen; Ethikunterricht: Sachsen-Anhalt; Allgemeine Ethik: Saarland; LER: Brandenburg; Philosophie: Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern (ab Sekundarstufe II), NRW (Sekundarstufe II), Schleswig-Holstein; Philosophieren mit Kindern: Mecklenburg-Vorpommern (Jahrgangsstufe 1–10); Praktische Philosophie: NRW (Sekundarstufe I); Werte und Normen: Niedersachsen.

Aufgrund der sog.en Bremer Klausel (Art. 141 GG) wird der R. in Bremen (bis 2014: „Biblische Geschichte“; seit 2014: Religion) als christliche Religionskunde allein in der Verantwortung des Staates erteilt – ohne Beteiligung von Religionsgemeinschaften. Er ist versetzungsrelevant und notenpflichtig.

In Berlin ist seit 2006 Ethik ordentliches Lehrfach in Jahrgangsstufe 7–10. R. kann als Wahlfach (nicht versetzungsrelevant) ab Klasse 1 gewählt werden.

In Brandenburg wird seit dem Schuljahr 2008/09 LER in den Jahrgangsstufen 5–10 angeboten. Erziehungsberechtigte bzw. religionsmündige Schüler können die Abmeldung von LER erwirken und R. wählen. Damit wird der R. anstelle von LER zum Ersatzfach.

In Hamburg hatte der R. aufgrund der religionspluralen Bürgerschaft eine eigene Form gefunden. Nach intensiven Debatten ab den 1970ern wurde 1997 der „Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung (RUfa)“ als interreligiös-dialogischer R. etabliert. D. h., dass die unterrichtende Lehrkraft zwar der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zugehört, am R. aber alle Schüler teilnehmen. In jüngster Zeit wurde der Dialogische R. wieder zurückgenommen und auf einen faktisch konfessionell-kooperativen R. festgeschrieben.

Katholischen R. gibt es in Hamburg seit November 2005 auch an öffentlichen Schulen als Angebot. Zuvor hatte sich die katholische Kirche darauf beschränkt, das Privatschulwesen auszubauen, so dass faktisch alle katholischen Schüler katholische Privatschulen und dort katholischen R. besuchten.

Insgesamt wird in Deutschland folgender R. von Religionsgemeinschaften angeboten: evangelisch, römisch-katholisch, altkatholisch, orthodox, neuapostolisch, jüdisch, alevitisch und islamisch (zum großen Teil als Modellversuch) bzw. von der Ahmadiyya-Gemeinde.

4. Einrichtung des islamischen und jüdischen Religionsunterrichts

Weil R. in Art. 7 Abs. 3 GG als Ausfaltung der positiven und negativen Religionsfreiheit von Art. 4 GG gilt, haben Religionsgemeinschaften das Recht, die Einrichtung eines R.s in der Schule zu erwirken.

4.1 Islamischer Religionsunterricht

Seit der Anwerbung von Gastarbeitern aus der Türkei und der damit wachsenden Anzahl von Muslimen in Deutschland wuchs die Notwendigkeit, islamischen Schülern (Islam) eine bekenntnisorientierte religiöse Bildung in der Schule zu ermöglichen. Der (religions-)pädagogische und bildungspolitische Wille, islamischen R. als ordentliches Schulfach zu etablieren, scheiterte bislang daran, dass die Muslime in Deutschland nicht i. S. einer verfassungsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaft verfasst sind. Damit fehlt dem Staat der Kooperationspartner auf Religionsseite. Angesichts dieses Dilemmas behalfen sich nicht wenige Bundesländer damit, Modellversuche für den islamischen R. über sog.e Beiratsmodelle einzurichten: in Baden-Württemberg „Islamische Religionslehre“ (sunnitische Prägung) seit Schuljahr 2006/07; Bayern: „Islamische Religionslehre“ seit 2009; Berlin: Islamische Föderation Berlin beteiligt sich am „Religions- und Weltanschauungsunterricht“, der allerdings kein ordentliches Lehrfach ist; Bremen: neben dem für alle Schüler religionskundlichen Fach „Religion“ seit Schuljahr 2004/05: „Islamischer R.“; Rheinland-Pfalz: „Islamischer R.“ seit 2003/04.

NRW war das erste Bundesland, das 2011 bekenntnisorientierten Islamischen R. als ordentliches Schulfach nach Art. 7 Abs. 3 GG einrichtete. Ihm folgten Hessen und Niedersachsen (seit Schuljahr 2013/14). In Hamburg wird neben dem R. für alle seit 2012 die Möglichkeit eröffnet, „Islamischen R.“ als bekenntnisorientierten R. einzurichten.

4.2 Jüdischer Religionsunterricht

Anders verhält es sich mit dem jüdischen R. (Jüdische Organisationen): Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 27.1.2003 kommt es dem Zentralrat der Juden in Deutschland zu, verfassungsrechtlich die Funktionen einer Religionsgemeinschaft auszuüben, so dass die Einrichtung eines jüdischen R.s nach Art. 7 GG verfassungsrechtlich unstrittig ist. Allerdings gibt es in Deutschland aufgrund der geringen Anzahl jüdischer Schüler und Eltern, die einen solchen Unterricht in öffentlichen Schulen in Anspruch nehmen, nach wie vor nur sehr selten jüdischen R.

5. Ausblick auf den Religionsunterricht in der EU

Wie religiöse Bildung verfasst ist, ob überhaupt R. an öffentlichen Schulen vorgehalten wird und wie er ausgerichtet ist – ob bekenntnisorientiert, religionskundlich, im multi-faith approach, ersetzt durch sog.en Werteunterricht –, sagt nicht nur etwas über staatskirchenrechtliche Regelungen (Staatskirchenrecht) aus, sondern auch über den gesellschaftlichen Status von Religion(en).

Aktuell ist der R. in den Staaten der EU bzw. der EFTA folgendermaßen verfasst:

a) Kein R. oder allein Ethik: Frankreich (außer Haut-Rhin und Moselle), Luxemburg (seit 2016/17), Tschechien (R. als wenig gewähltes Wahlfach), Ungarn (R. als Wahlfach);

b) Bekenntnisorientierter R. (als Pflicht- oder Wahl[pflicht-]fach): Belgien, Bulgarien, Deutschland, Estland (in Privatschulen), Finnland, Griechenland bis 2017, Kroatien, Irland, Italien, Lettland (interkonfessionell), Liechtenstein, Litauen, Malta, Niederlande (Option in Sekundarstufe II), Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweiz (einige, wenige Optionen), Slowakei, Spanien, Zypern;

c) Religionskundlicher R.: Dänemark, Estland (an staatlichen Schulen), Griechenland seit 2017, aber rechtlich bislang strittig, Irland (bei Schulen, die dem National Council for Curriculum and Assessment zugeordnet sind), Island, Niederlande (Grundschule und Sekundarstufe I), Norwegen, Schottland, Schweiz, Slowenien;

d) Multi-faith approach: England und Wales, Schweden, Spanien (wenige Optionen).

Damit wird deutlich, dass in vornehmlich katholisch geprägten Ländern bekenntnisorientierter R. dominiert, während in Ländern mit protestantischer Tradition der religionskundliche R. bzw. der multi-faith approach vorherrscht. Eine Ausnahme stellt Frankreich dar mit seiner strikten Trennung von Staat und Kirche seit Beginn des 20. Jh. sowie derzeit Ungarn wegen der autoritaristischen Züge der Staatsregierung. In Veröffentlichungen des Committee on Culture and Education des Europäischen Parlaments wird der religionskundliche R. sowie insb. der multi-faith approach favorisiert und den europäischen Staaten als Modell des R.s vorgeschlagen.

II. Rechtswissenschaftliche Perspektive

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Mit dem R. bezweckt die Kirche, das Evangelium auch auf der Ebene der schulischen Ausbildung zu Geist und Herz der Schüler gelangen zu lassen und so zur Harmonisierung ihrer Kultur im Licht des Glaubens beizutragen („Catechesi tradendae“ 69). Ermöglicht der religiös neutrale Staat, wie etwa in Deutschland, sein Abhalten auch an der öffentlichen Schule, fördert er nicht allein die Ausübung des Grundrechts der Religionsfreiheit im staatlichen Raum, sondern verfolgt auch ein eigenes Interesse und Bedürfnis, nämlich die Erziehung sittlich verantwortlicher Bürger. Gehört der R. zum staatlichen Unterrichtsprogramm, bedarf er notwendigerweise des Zusammenwirkens von Kirche und Staat (Kirche und Staat), er stellt eine res mixta dar.

1. Staats(kirchen)rechtliche Gewährleistungen

In staats(kirchen)rechtlicher Hinsicht ist der R. nahezu umfassend abgesichert. Obwohl Schulfragen grundsätzlich der Kultushoheit der Länder unterfallen, garantiert ihn Art. 7 Abs. 3 GG für das gesamte Bundesgebiet (die Ausnahme des Art. 141 GG, sog.e Bremer Klausel, gilt nach BVerwGE 110, 326 auch für Berlin; ob sich auch Brandenburg auf die Norm berufen kann, blieb verfassungsgerichtlich ungeklärt, s. BVerfGE 106,210). Diese Grundaussage greifen die meisten Länder in ihren Verfassungen auf und gestalten sie in ihren Schulgesetzen näher aus. Neben das einseitige staatliche Recht treten ergänzend die Gewährleistungen des Konkordats- (Konkordat) und Vertragsrechts, nicht allein zugunsten der katholischen Kirche und der evangelischen Landeskirchen, sondern auch im Hinblick auf kleinere christliche Denominationen und die jüdischen Kultusgemeinden (Judentum). Vertragliche Abmachungen mit muslimischen Gemeinschaften (Islam) bestehen insoweit seit 2012 in Hamburg. Ein muslimischer R. ist außerdem in Hessen, NRW und Niedersachsen eingerichtet, in anderen Ländern wird er durch Modellprojekte erprobt. Indes beinhaltet die Verfassungsgarantie des R.s ein Angebot an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, welches sie annehmen können, aber nicht müssen.

Nach Art. 7 Abs. 3 GG ist der R. ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen, wobei weder die Schüler zur Teilnahme noch die Lehrer zur Erteilung gezwungen werden dürfen (Art. 7 Abs. 2, Abs. 3 S. 3 GG). Die Festlegung, der R. ist „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ abzuhalten (Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG), meint die Bekenntnisbindung des Fachs, welches nach der Konzeption des GG nicht bloße Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte sein darf, sondern die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft als bestehende Wahrheiten zu vermitteln hat (BVerfGE 74,244 [252]). Charakteristikum des R.s ist damit seine Konfessionalität, wie das BVerfG in expliziter Übernahme der von Gerhard Anschütz bereits zu Weimarer Zeiten geprägten kanonischen Formel („in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ [Anschütz 1933: 691]) festgehalten hat. Sie bezieht sich auf die Unterrichtsinhalte, das Unterrichtspersonal (Erfordernis der Bevollmächtigung durch die betreffende Religionsgemeinschaft) und die zu unterrichtenden Schüler (die grundsätzlich am R. ihres Bekenntnisses teilzunehmen haben).

Die Aufteilung der Verantwortungssphären des R.s infolge seines Charakters als res mixta erfolgt dergestalt, dass einerseits der Staat kraft seiner allg.en Aufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) Veranstalter des R.s ist, er ihn also (in seinen äußeren, weltlichen Rahmenbedingungen) zu organisieren und zu finanzieren hat (explizit BVerwGE 110,326 [333]). Andererseits ist er an der materiellen Festlegung seiner Inhalte und der diese beeinflussenden Faktoren infolge der Verfassungsprinzipien der Säkularität und Neutralität gehindert; insoweit sind allein die „Grundsätze der Religionsgemeinschaften“ (Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG) maßgeblich.

Diese Grundsätze, so das BVerfG, können im Lichte „von zeitbedingten und damit wandelbaren Problemen“ modifiziert und fortgeschrieben werden, sofern nur die vom „Verfassungsrechtsbegriff ‚Religionsunterricht‘“ gezogenen Grenzen gewahrt sind (BVerfGE 74,244 [252]). Relevant wird dies vor dem Hintergrund diverser politisch geforderter wie religionspädagogisch elaborierter Tendenzen einer „Entkonfessionalisierung“: Der vom GG gewollte und garantierte R. ist bekenntnisgebunden. Ein inter- oder multireligiöser R. („für alle“) bewegt sich damit außerhalb des von Art. 7 Abs. 3 GG Geschützten. Diverse Modalitäten einer „konfessionellen Kooperation“ (regelmäßig zwischen katholischem und evangelischem R.) sind dagegen grundsätzlich von der Verfassungsgarantie gedeckt.

2. Kirchenrechtliche Grundaussagen

Nach der kirchlichen Rechtsordnung dient der schulische R. der Verwirklichung des Verkündigungsdienstes der Kirche (cann. 747 ff. CIC), im Kontext der Erziehung speziell im Hinblick auf die ganzheitliche Bildung der menschlichen Person (can. 795 CIC). Bei allen konzeptuellen und methodischen Unterschieden zur Katechese (cann. 773 ff. CIC) hat der R. mit ihr – neben dieser Zugehörigkeit zur gleichen Grundfunktion kirchlichen Handelns (auch wenn seit den 1970er Jahren manche Stimmen den R. als Ausprägung der Diakonie reformulieren wollen) – gemeinsam, dass er im Namen und im Auftrag der Kirche erteilt wird. Aus diesem Grund unterfällt der R. der Regelungskompetenz von Bischofskonferenz ]). Entfällt eine dieser Voraussetzungen, ist die missio canonica zu entziehen, was zur Folge hat, dass der betreffende Lehrer die Fakultas zur Erteilung des R.s verliert.

Auch nach evangelischem Kirchenrecht ist der R. Ausfluß des Verkündigungsauftrags Christi und soll „in die Inhalte christlichen Glaubens in reformatorischem Verständnis“ einführen (so § 1 Abs. 3 R.s-Gesetz der badischen Landeskirche). Über Lehrpläne und Lernmittel entscheiden die kirchlichen Oberbehörden (statt aller: §§ 3 und 4 des genannten Gesetzes). Religionslehrer bedürfen der kirchlichen Bevollmächtigung in Gestalt der Vocatio nach Maßgabe der landeskirchlichen Vokationsgesetze und -ordnungen.