Psychologie

P. als intuitive Betrachtungsweise von Gefühlen und Verhalten ist seit jeher ein zentraler Bestandteil menschlichen Denkens. Vor Einführung der P. als akademische Wissenschaft war sie ein Teilbereich der Philosophie. Aristoteles schrieb im Alter von 55 Jahren seine Abhandlung „Über die Seele“, welche als erstes Lehrbuch der P. angesehen wird. Im 18. Jh. erlangte die vergleichende Menschenkunde, die Typen- und Charakterlehre, eine gewisse Bedeutung. Die wissenschaftliche P. wurde im Jahre 1879 von Wilhelm Maximilian Wundt ins Leben gerufen, als er an der Universität Leipzig weltweit das erste experimentalpsychologische Labor gründete. Die moderne P. umfasst ein weites Spektrum von Denkrichtungen, Forschungsgebieten und praktischen Anwendungen, die sich von Fragestellungen der Philosophie (z. B. Leib-Seele-Problem, Willensfreiheit, Bewusstsein) über die Tiefen-P., Sozial-P. bis hin zu den Neurowissenschaften und somit hirnbiologischen Grundlagen erstreckt.

Die wichtigsten Ziele der wissenschaftlichen P. bestehen im Beschreiben, Erklären, Vorhersagen und Verändern menschlichen Verhaltens. Das Beschreiben ist an objektive, valide und möglichst quantifizierbare Messungen mittels psychometrischer Verfahren zur Hirnleistungs-, Persönlichkeits- und klinischen Diagnostik gebunden. Das Erklären beinhaltet die Entwicklung von Theorien zu psychodynamischen, verhaltenstheoretischen, sozialpsychologischen bis hin zu neuropsychologischen Ursachen menschlichen Verhaltens. Die Veränderung des Verhaltens ist sowohl eine Domäne der Psychiatrie als auch der klinischen P., die nach Verhaltensanalyse mittels tiefen- oder verhaltenspsychologischer Methoden verschiedene psychotherapeutische Verfahren zur Korrektur krankhafter seelischer Prozesse anbietet.

1. Subdisziplinen der wissenschaftlichen Psychologie

Die derzeitige Situation der P. ist nach wie vor durch eine Pluralität theoretischer Perspektiven gekennzeichnet. Hiervon sind derzeit tiefenpsychologisch/psychoanalytische und verhaltenstheoretisch/behavioristische Ansätze am bedeutsamsten, insb. im Hinblick auf therapeutische Anwendungen. Zwischen Psychoanalyse und Behaviorismus gab es lange Zeit eine erhebliche Rivalität über die Deutungshoheit psychischer Vorgänge. Es zeichnet sich nun aber eine Konvergenz dieser Sichtweisen ab, die einander nicht wechselseitig ausschließen, sondern kompatibel sind und sich ergänzen.

Psychodynamische Sichtweisen: Diese beinhalten die Tiefen-P., die sich mit der Interaktion zwischen unbewussten und bewussten psychischen Prozessen befasst. Als wichtigster Vertreter kann Sigmund Freud angesehen werden, der die Psychoanalyse begründet hat. Weiterhin gewannen die von seinen Schülern Carl Gustav Jung und Alfred Adler entwickelte Analytische P. bzw. Individual-P. an Bedeutung. Gemeinsam ist diesen tiefenpsychologischen Richtungen die Sichtweise, dass unbewusste Prozesse von Triebregulation und Konfliktverarbeitung sowohl normale als auch krankhafte psychische Verhaltensweisen formen. Diese drei bedeutsamen Schulen der Tiefen-P. unterscheiden sich dadurch, dass bei S. Freud der Sexualtrieb eine zentrale Rolle spielt, bei C. G. Jung eine unspezifische Triebenergie sowie ein kollektives Unbewusstes, bei A. Adler hingegen das Machtstreben. Die psychoanalytische Lehre S. Freuds und deren Weiterentwicklung spielt bis heute eine bedeutsame Rolle in der tiefenpsychologisch ausgerichteten Psychotherapie.

Verhaltenstheoretische (behavioristische) Sichtweise: Die von John Broadus Watson und Burrhus Frederic Skinner maßgeblich entwickelte Verhaltenstheorie geht davon aus, dass tiefenpsychologischen Interpretationen und Deutungen eine spekulative Komponente innewohnt, weshalb sowohl normales wie auch krankhaftes menschliches Verhalten besser mit naturwissenschaftlichen Methoden der Verhaltensbeobachtungen und der Analyse von auslösenden Reizkonstellationen der Umwelt zu beschreiben und zu erklären sind. Ausgangsbasis hierfür waren die Entdeckung der klassischen Konditionierung durch Iwan Petrowitsch Pawlow sowie der operanten Konditionierung nach Edward Lee Thorndike. Der Behaviorismus (Behaviorismus, Behavioralismus) untersucht Verhaltensreaktionen, die messbar und somit quantifizierbar sind sowie deren Beziehung zu vorangehenden Reizgegebenheiten in der Umwelt, wobei nach urspr.er behavioristischer Auffassung innerpsychische Prozesse außer Acht gelassen werden können. Später wurde die Verhaltenstheorie durch eine sog.e kognitive Wende modifiziert, die innerpsychische Prozesse, wie die biografische und persönlichkeitsinhärente kognitive Situation des Individuums, als Zwischenstation zwischen Reizen und daraus resultierenden Verhalten anerkennt. Die aus dem Behaviorismus hervorgegangene Verhaltenstherapie legte dabei von Anfang an Wert auf die wissenschaftliche Evaluierung ihrer Therapieerfolge. Insb. bei Angststörungen, Zwangserkrankungen und depressiven Syndromen zeigt sie die am besten fundierten wissenschaftlichen Nachweise therapeutischer Effektivität. Tiefenpsychologen warfen der Verhaltenstherapie lange Zeit vor, dass sie komplexe psychische Phänomene nur an der Oberfläche behandele, ohne deren tiefere Ursachen zu berücksichtigen, wohingegen die Verhaltenstherapeuten der Psychoanalyse unterstellten, dass sie auf spekulativen, unwissenschaftlichen Annahmen aufbaue. Der derzeitige Trend der Psychotherapie geht dahin, dass weniger schulenorientierte Kontroversen ausgetragen werden, sondern in Abhängigkeit von der Art der psychischen Störung entweder die eine oder die andere Therapieform bzw. Komponenten mehrerer psychotherapeutischer Richtungen angewandt werden.

Die kognitive Sichtweise, die auf W. M. Wundt und William James zurückgeht, interpretiert menschliches Verhalten als Ergebnis eines individuell einzigartigen Musters von Wahrnehmungen, Interpretationen, Erwartungen, Überzeugungen und Erinnerungen, die auf psychischen Teilfunktionen – wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Motivation und Problemlösefähigkeit – beruhen. Dabei kommt dem Aspekt der Informationsverarbeitung sowie Lern- und Gedächtnisprozessen eine bes. Bedeutung zu.

Biopsychologische Sichtweisen: Im Verlauf der letzten 100 Jahre konnte durch die sich stürmisch entwickelnden Neurowissenschaften nachgewiesen werden, dass alles Denken, Fühlen und Handeln an neuronale Korrelate und damit an bestimmte Formen von Hirnfunktionen gebunden ist, sodass sich in Ergänzung zu klassischen philosophischen Betrachtungsweisen auch eine naturwissenschaftliche Perspektive mentaler Prozesse etablierte (Hirnforschung). Es konnte nachgewiesen werden, dass elementare menschliche Triebe und Emotionen mit der Funktion phylogenetisch alter Hirnregionen im limbischen (emotionsrelevanten) System und in bestimmten Arealen von Zwischenhirn und Hirnstamm einhergehen. Strukturschäden bzw. Funktionsstörungen der Hirnrinde oder darunterliegender Hirnbereiche gehen je nach Art und Lage der Läsion mit verschiedenartigen Störungen mentaler oder emotionaler Prozesse einher. Ähnliches kann durch eine Beeinträchtigung der Übertragung neuronaler Botenstoffe mittels Drogen oder Psychopharmaka hervorgerufen werden. Die Erforschung normaler und krankhafter Hirnstrukturen und -funktionen erhielt in den letzten 20 Jahren durch die Entwicklung bildgebender Verfahren einen immensen Aufschwung, wodurch es möglich wurde, hirnbiologische Korrelate mentaler Prozesse visuell darzustellen. Mit Entwicklung funktionsbildgebender Verfahren wie Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Single-Photon-Emissions-Tomografie (SPECT) und Funktionskernspintomographie (fMRT) konnten hirnregionale Aktivierungen oder Deaktivierungen normaler und krankhafter psychischer Prozesse nachgewiesen werden. Mittels Tiefenhirnstimulation konnte Walter Rudolf Hess schon 1932 zeigen, dass durch schwache elektrische Impulse in kleinen Arealen des Zwischenhirns und des limbischen Systems ein breites Spektrum archaischer Triebe und Emotionen ausgelöst werden konnte. Neurobiologisch orientierte Forschung ist auch vor dem Hintergrund der sich rasant weiterentwickelnden technologischen Möglichkeiten zur Untersuchung des Nervensystems die derzeit am schnellsten expandierende Forschungsrichtung in P. und Psychiatrie.

Entwicklungspsychologische und soziokulturelle Sichtweisen: Die Entwicklungs-P. befasst sich mit der Ausformung der psychischen Konstellationen eines Individuums durch soziale Einflüsse, v. a. in Kindheit und Jugendzeit, und ist damit auch eine wichtige Grundlage der Pädagogik. Das kindliche Gehirn reagiert auf Umwelteinflüsse viel plastischer als das erwachsene Gehirn, in Form von nachhaltigen Funktions- und Strukturveränderungen. Die soziokulturelle Perspektive untersucht den Einfluss des sozialen Umfeldes auf das Verhalten und psychische Prozesse unter Berücksichtigung kultureller Unterschiede. Bekannt wurden die Experimente von Stanley Milgram und Philip George Zimbardo. Sie wiesen nach, dass ethisch-moralische Verhaltensnormen und Empathie durch bestimmte soziale Konstellationen (Obrigkeitshörigkeit, gruppenkonformes Verhalten, Rollenübernahme) soweit außer Kraft gesetzt werden können, dass aggressives bis gewalttätiges Verhalten resultiert. Umgekehrt betont die humanistische Perspektive nach Abraham Harold Maslow und Carl Ransom Rogers – sowie die daraus hergeleitete Psychotherapierichtung – die Bedeutung von Selbstkonzept und Selbstwertgefühl sowie das Potenzial zur Selbstverwirklichung als Voraussetzung psychischer Gesundheit.

2. Aktuelle Situation in Deutschland

P. wird als Studienfach an deutschen Universitäten und zunehmend auch an Fachhochschulen angeboten, urspr. als Diplomstudiengang, als Ergebnis des Bologna-Prozesses (1999) seit Anfang 2000 im konsekutiven Bachelor-Master-System. Die Regelstudienzeit beträgt für den Bachelorabschnitt sechs (alternativ acht) Semester und zusätzliche vier (bzw. zwei) Semester für den Masterabschluss.

Laut StBA gab es zum Wintersemester 2017/2018 an deutschen Hochschulen im Studiengang P. über 10 000 Studienanfänger bei insgesamt 80 000 Studierenden der P., mit jährlich etwa 8 000 Absolventen und 600 Promotionen.

Für die Absolventen gibt es vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten. Folgende Verteilung der Arbeitsmöglichkeiten wurde für 2015 festgestellt: Forschung und Lehre 33,9 %, Kliniken und Beratungsstellen 24,5 %, eigene Praxis 22 %, Arbeits- und Organisations-P. 13 %, Schulen und andere Bildungseinrichtungen 3,7 %, und andere Tätigkeiten 2,9 %. Zu Letzteren zählen Tätigkeiten in der Medien-P., Verkehrs-P., Wirtschafts-P. und Rechts-P./Forensischen P.

3. Psychologische Psychotherapie

Eine wesentliche Neuerung für die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendpsychotherapeuten brachte das am 1.1.1999 in Kraft getretene PsychThG, das die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/in“ gesetzlich schützte, eine Approbation als Voraussetzung zur Ausübung von Psychotherapie als psychologischer Psychotherapeut verlangte, die Voraussetzungen und Anforderungen hierfür regelte sowie eine klare Abgrenzung zwischen Therapie und Beratung vornahm. Bis dahin konnte Psychotherapie im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur durch Ärzte durchgeführt werden. Diplom-Psychologen konnten nur im Delegationsverfahren durch einen für die Therapie verantwortlichen Arzt tätig werden. Zugangsvoraussetzung für die Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten ist ein abgeschlossenes Studium der P. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein Psychologe eine Psychotherapie bei behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen nach dem Erwerb einer Kassenzulassung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung durchführen. Im Jahr 2020 soll erstmals ein Direktstudium zur Approbation als Psychotherapeutin/Psychotherapeut, gegliedert in ein drei-jähriges Bachelor- sowie ein zwei-jähriges Master-Studium, eingeführt werden.

Anerkannte Richtlinienverfahren sind psychoanalytisch begründete Verfahren (psychoanalytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) sowie die Verhaltenstherapie. Die wissenschaftliche Anerkennung von Psychotherapieverfahren erfolgt durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie. Zu Beginn einer psychologischen Psychotherapie ist zum Ausschluss einer medizinischen Ursache (z. B. einer internistischen Erkrankung oder einer körperlich begründbaren Erkrankung des Gehirns) die Konsultation eines Arztes – möglichst eines Psychiaters – unerlässlich.