Prostitution

  1. I. Sozialethisch
  2. II. Rechtlich

I. Sozialethisch

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1. Begriff, Erscheinungsformen und Umfang

P. bezeichnet im Bereich der Sexarbeit die sexuellen Dienstleistungen, die mit dem eigenen Körper gegen ein Entgelt erbracht werden, das meist in Form von Geld entrichtet wird und zu Erwerbszwecken dient. Dabei geht es um eine emotionalisierte Sexualität. Das Erbringen wie der Erwerb dieser sexuellen Dienstleistungen ist nicht nur von ökonomischen und rechtlichen, sondern auch von kulturellen Faktoren beeinflusst.

In überwiegender Mehrheit (durchschnittlich 87 % in Europa) sind es Frauen, die diese Dienstleistungen für eine männliche Kundschaft erbringen. Der Anteil an männlichen und transgender Prostituierten variiert je nach europäischem Land. In den alten EU-Staaten beträgt der Anteil an Prostituierten mit Migrationshintergrund durchschnittlich rund 70 %, wobei es Unterschiede zwischen den Staaten sowie zwischen urbanem und ländlichem Raum gibt. In der Schweiz ist die Situation vergleichbar. Der hohe Anteil an Migranten in der P. ist ein typisches Merkmal für Arbeiten, die als prekär, auch schmutzig, gefährlich oder minderwertig gelten.

P. ist ein heterogenes Feld, abhängig vom Ort, an dem die sexuellen Dienstleistungen erbracht werden, und geprägt von einer großen Fluktuation. Die Tätigkeit wird haupt- oder nebenberuflich sowie kurz- oder längerfristig ausgeübt. Die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich je nach dem, ob die sexuelle Dienstleistung indoor oder outdoor, insb. auf dem Straßenstrich, erbracht wird. Die Indoor-P. reicht von der Wohnungs-P. zu zweit bis zu (Groß-)Bordellen und umfasst auch Kontakt-Bars und Escort-Services.

Oft wird aufgrund unterschiedlicher, einander z. T. widersprechender Interessen auf eine hohe Anzahl an Prostituierten und Kunden verwiesen. Demgegenüber ist zu betonen, dass es hierüber keine gesicherten Zahlen gibt. Deswegen relativieren Lorenz Biberstein und Martin Killias (2015) auch die hohen Umsatzzahlen, die für die Schweiz genannt werden.

2. Kontroverse Debatte

P. ist „bis heute ein ausgegrenzter und wenig anerkannter Bereich des Sozialen geblieben“ (Löw/Ruhne 2011: 135) und nach wie vor Gegenstand höchst kontroverser Debatten, dies auch in feministischen Kreisen (Feminismus). Für eine radikalfeministische oder abolitionistische Position ist P. Ausdruck männlicher Gewalt gegen Frauen und stellt eine Verletzung der Menschenwürde der Frau dar. Aus dieser Sicht kann es keine P.s-Tätigkeit geben, die frei von Zwang ist, demnach auch keine frei gewählte, wie eine liberale Position (Liberalismus) mit Verweis auf „ein Job wie jeder andere“ vertritt. Aus deren Perspektive ist es nicht die Tätigkeit an sich, sondern sind die Umstände für allfällige Gewalterfahrungen und prekäre Verhältnisse im Job verantwortlich. Weder bei der einen noch bei der anderen Position wird die männliche Nachfrage nach käuflichem Sex problematisiert und die Frage nach der Verantwortung der Kunden gestellt.

Die einander entgegenstehenden Positionen manifestieren sich in unterschiedlichen Politiken. Während sich in Europa in Schweden und anderen nordeuropäischen Staaten sowie Frankreich die radikalfeministische bzw. abolitionistische Sicht mit einem Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen durchgesetzt hat, führte eine liberale Sicht zu einer gewerblichen Regulierung. Die bekanntesten Beispiele sind Deutschland und die Niederlande.

3. Sozialethische Anfragen

Gewalt und Menschenhandel sind ernstzunehmen, weil sie gegen Menschenrechte und Personwürde verstoßen. Diesbezüglich belegen Studien, dass Frauen in der P. zwar vermehrt Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, aber je nach Arbeitsbedingungen in unterschiedlichem Maß, was auch von den jeweiligen rechtlichen Regelungen bzw. deren Umsetzung abhängt (das Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen in Schweden thematisieren Jay Levy und Pye Jakobsson, und Migration und Menschenhandel analysiert Julia O’Connell Davidson). In Deutschland hat das ProstG zu einer verschärften Konkurrenz unter den Prostituierten geführt und die Position der Besitzer von Etablissements gestärkt. Die P.s-Tätigkeit stellt größere Anforderungen als andere Dienstleistungen, weil sie eine „physisch und psychisch belastende, risikoreiche und auch gefährliche Tätigkeit“ ist, „die nicht selten von besonders vulnerablen Gruppen ausgeübt wird“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007: 9). Deswegen gilt es, die Arbeitsbedingungen von Prostituierten zu verbessern. Konkrete Maßnahmen wie z. B. Standards für Etablissements sind an ihren Folgen für die Betroffenen zu messen.

Als klar gegendertes (Gender) Feld trägt P. zur Reproduktion der ungleichen Geschlechterverhältnisse bei. Mit Verbotspolitik ist dem nicht beizukommen. Weiterführender scheinen Sensibilisierung in Bezug auf die Problematik und die damit verbundenen Frauen- und Männerbilder sowie bessere Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Kurz- und mittelfristig dürfte eine umsichtige, pragmatische Politik, welche die Handlungsfähigkeit der Prostituierten stärkt, dem am besten Rechnung tragen. Das schließt effektive Ausstiegshilfen für jene ein, die aussteigen wollen, und erfordert ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Anerkennung. Ob die verstärkte Präsenz und Sichtbarkeit der P. im Internet dazu beiträgt oder zu mehr Ausgrenzung führt, wird sich zeigen.

II. Rechtlich

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1. Rechtliche Entwicklung

Die Reglementierung der P. ist Spiegelbild sowohl der Änderung gesellschaftlicher Anschauungen als auch der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Rechtsordnung. 1927 wurde mit dem Geschlechtskrankheitengesetz die Strafbarkeit der P. abgeschafft und durch ein polizeirechtlich geprägtes Modell abgelöst, das die P.s-Ausübung außerhalb behördlich festgesetzter Sperrbezirke straffrei stellte, Prostituierte aber einer Pflicht zur regelmäßigen Gesundheitsuntersuchung unterwarf (sog.er Bockschein). Mit dem 2002 in Kraft getretenen ProstG wurde ein weiterer Politikwechsel vollzogen. § 1 S. 1 ProstG anerkennt ausdrücklich, dass die Vereinbarung über die entgeltliche Vornahme sexueller Handlungen eine wirksame Forderung der Prostituierten begründet. Hierdurch wurde der kritikwürdigen Judikatur, die Verträge zwischen Prostituierten und Kunden als sittenwidrig i. S. v. § 138 BGB und damit als nichtig qualifizierte, endlich der Boden entzogen. Zudem wurde durch die Änderung von §§ 180a, 181a StGB die Förderung der P. teilweise entkriminalisiert und damit der Betrieb von Bordellen legalisiert. Mit dem 2017 in Kraft getretenen ProstSchG hat der Gesetzgeber die Tätigkeit von Prostituierten und den Betrieb von P.s-Betrieben durch verwaltungsrechtliche Regelungen näher ausgestaltet. Die Vorschriften schaffen für Prostituierte einen Aufsichtsrahmen unter Berücksichtigung ihrer Schutzbedürftigkeit. Für P.s-Betriebe wurde ein gewerberechtliches Konzessionsmodell etabliert.

2. Rechtsstellung der Prostituierten

Der Gesetzgeber hat mit § 1 S. 1 ProstG nicht nur die Rechtswirksamkeit von Verträgen über die entgeltliche Vornahme sexueller Handlungen als einseitige Verbindlichkeit angeordnet, sondern hiermit auch das Unsittlichkeitsverdikt der P. beseitigt. Hatte die frühere Rechtsprechung P. in Gleichsetzung mit dem „Berufsverbrechertum“ als „gemeinschaftsschädliche Tätigkeit“ außerhalb des Schutzbereichs der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit qualifiziert (BVerwGE 22, 289), so ist nunmehr davon auszugehen, dass die auf Dauer ausgeübte P. als Beruf verfassungsrechtlich geschützt ist. Dieses Verständnis wurde durch eine bahnbrechende Entscheidung des VG Berlin vorbereitet und entspricht der Judikatur des EuGH, der P. als durch die Grundfreiheiten geschützt ansieht.

Gleichwohl ist die P. kein Beruf wie jeder andere. Den Regelungen des ProstSchG liegt die Erwägung zugrunde, dass ein einseitiges Leitbild der selbstbestimmt arbeitenden Prostituierten die durch persönliche und ökonomische Abhängigkeiten geprägte Lebenswirklichkeit vieler Prostituierter verzeichnet. Das ProstSchG schafft deshalb nicht nur einen Rahmen zur Ermöglichung der P.s-Ausübung, sondern stellt zugl. Informations- und Beratungsangebote bereit. Als Kontaktpunkt dient die Anmeldepflicht für Prostituierte (§ 3 ProstSchG). Die Anmeldung ist persönlich vorzunehmen und wird von einem Informations- und Beratungsgespräch begleitet, das rechtliche, soziale und gesundheitliche Fragen einschließt. Sie setzt zudem eine regelmäßig wiederkehrende gesundheitliche Beratung, nicht aber eine Untersuchung voraus (§ 10 Abs. 3 ProstSchG). Einer behördlichen Genehmigung bedarf die P.s-Ausübung nicht.

3. Reglementierung von Prostitutionsbetrieben

§§ 13 ff. ProstSchG sieht ein Genehmigungsverfahren für den Betrieb sog.er P.s-Stätten vor. Die Erteilung der Erlaubnis setzt insb. die Zuverlässigkeit des Betreibers voraus (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 ProstSchG). Einer Angebotsgestaltung, die mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung unvereinbar ist oder der Ausbeutung von Prostituierten Vorschub leistet, ist die Genehmigung zu versagen (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 ProstSchG). Mit der abstrakten Umschreibung sollen Geschäftsmodelle zurückgedrängt werden, die wie „Rape Gang-Bang“-Veranstaltungen oder Flat-Rate-Bordelle ungeachtet des vorherigen Konsenses aller Beteiligten die gebotene jederzeitige Rückholbarkeit der Bereitschaft zu sexuellen Handlungen erschweren.

Der Betreiber hat bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf Genehmigungserteilung. Sollte die Verwaltung zu einem späteren Zeitpunkt für den örtlichen Bereich des P.-Betriebs eine Sperrbezirksverordnung erlassen, darf die Genehmigung nur gegen Zahlung einer Entschädigung widerrufen werden. Die Gewährleistung eines rechtssicheren Rahmens kann die Bereitschaft des Betreibers zur Investition in gute Arbeitsbedingungen erhöhen.