Propaganda

P. bedeutet im Kern ein Werben um religiöse Bekehrung, weltanschauliche Übereinstimmung (Weltanschauung) oder politische Gefolgschaft. Es ist freilich geboten, mit diesem Begriff vorsichtig umzugehen. Das liegt an seiner wechselvollen Geschichte und noch mehr an den – überwiegend abschätzigen – Konnotationen, die sich mit dem Begriffswandel verbinden.

P. leitet sich her von dem lateinischen Verb propagare, das ausbreiten, ausdehnen bedeutet (und daneben das gärtnerische Fortpflanzen durch Setzlinge, daher unser pfropfen). Allein für sich stehend, ist diese Wortform (wörtlich: die auszubreitende …, ein Gerundiv) eigentlich sinnlos. Sie fand aber allmählich Eingang in den Sprachgebrauch, nachdem 1622 die Congregatio de propaganda fide, die heute Kongregation für die Evangelisierung der Völker genannte katholische Kirchenbehörde zur Ausbreitung des Glaubens, gegründet wurde. P. ist in diesem Zusammenhang noch längst nicht etwas, das man „macht“, eine Überzeugungstechnik also, vielmehr eine Institution, die sich um die Errichtung kirchlicher Strukturen in Missionsgebieten (Mission) kümmert. Gleichwohl werden in diesem Tun bereits bestimmende Faktoren eines Selbstverständnisses sichtbar, die auch spätere Konfliktlinien des Begriffes prägen. Denn diese P. will etwas als göttliche Wahrheit Geglaubtes verbreiten helfen und die von ihr erreichten Menschen zu dessen Anerkenntnis bringen. Das freilich wird genau dadurch notwendig, dass diese Wahrheit eben nicht überall anerkannt ist, und deshalb geht Missionstätigkeit über gewissermaßen alltägliche kommunikative Überzeugungsversuche weit hinaus, indem sie grundstürzende Lebensentscheidungen erheischt. Dies aber führt leicht zu personalen und zwischenmenschlichen Konflikten bis hin zu gesamtgesellschaftlichem Aufruhr. Denn wer auf der Seite der Wahrheit steht, mit dem ist in dieser Sichtweise Gott. Wer sich aber nicht auf diese Seite stellt, der gilt nicht nur als gottlos, sondern der ist des Teufels, des diabolos, d. h. des Durcheinanderwerfers der Wahrheit, des Prinzipals der Lüge und Verwirrung.

Es ist daher wohl wenig überraschend, dass die katholische P.-Institution im Ringen der Konfessionen unter Feuer gerät. Gegen Ende des 18. Jh. wenden sich protestantische Kräfte, nachdem sie sich des P.-Begriffs vorher selbst bedient hatten, gegen die spezielle katholische P., die sie aufklärerisch mit Finsternis und Unfreiheit gleichsetzen. Zur selben Zeit wandert P. auch als Kampfbegriff ins politische Feld: Nachdem sich die Vorkämpfer der Französischen Revolution selbst als Missionare für ein neues politisches Glaubensbekenntnis bezeichnen, behaupten gegenrevolutionäre Kräfte die Existenz eines club de la propagande in Paris, von dem die Ausbreitung der Revolution ins ganze Europa organisiert werde. Der P.-Begriff bleibt fortan mit der Politik verquickt; freilich beruhigt sich im Laufe des 19. Jh. der Begriffsgebrauch so, dass er sich auf breiter Front, durchaus positiv gemeint, quer durch das entstehende Parteienspektrum für politische Überzeugungsarbeit etabliert. Spektakulär sticht daraus allerdings der auf den russischen Anarchisten Pjotr Alexejewitsch Kropotkin zurückgehende Topos „Propaganda der Tat“ hervor; damit ist eine brachiale Erregung von Aufmerksamkeit und furchtsamer Gefügigkeit durch terroristische Gewalttaten (Terrorismus) gemeint. Vom Vorabend des Ersten Weltkrieges schließlich ist die heute skurril anmutende Episode zu berichten, dass Werbefachleute versucht haben, ihr weithin misstrauisch betrachtetes „Reklame“-Handwerk in P. umzubenennen: Reklame war seit Menschengedenken etwas gewesen, was nur Marktschreier betrieben hatten, aber keine ehrlichen Handwerker, die ihre Produkte einzeln auf Bestellung angefertigt hatten. Infolge der immer weiter ausgreifenden industriellen Massenproduktion musste aber immer stärker um Absatz geworben werden. Und dieses Geschäft sollte wohl unter einem markanten Namen vor sich gehen, der nicht, wie Reklame, von den Umworbenen schlicht mit bezahltem Eigenlob aus profitlichen Gründen gleichgesetzt wurde.

Diese Idylle verflüchtigt sich mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Unter P. wird man sich fortan das – bei der Entente freilich ungleich zielstrebigere und erfolgreichere als bei den Mittelmächten – unablässige Mühen der Regierungen der kriegführenden Staaten vorstellen, ihre Anstrengungen und Kriegsziele überzeugend zu vertreten: gegenüber der eigenen Bevölkerung, um sie zu mobilisieren, gegenüber der feindlichen Bevölkerung, um sie zu destabilisieren, und gegenüber der restlichen Welt, um sie möglichst für die eigene Sache zu gewinnen. Dies ist ein vielschichtiger Prozess, den es noch genauer zu betrachten gilt, und dies umso stärker, als die totalitären Bewegungen des 20. Jh. (Totalitarismus) diese – auch und gerade von demokratischen Staaten genutzten – Mittel des totalen Krieges nach innen und nach außen aufgriffen und P. auch im Frieden für sich nutzbar zu machen suchten. Die Frage nach der allein heilbringenden Wahrheit, dem ausschließlich auf einer Seite liegenden Recht und der ausschließlich auf dieser einen Seite liegenden Macht, diesem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen, ist damit im Maßstab „politischer Religion“ wiederum gestellt. Kommunistische (Kommunismus) und nationalsozialistische (Nationalsozialismus) Diktatur waren sich dabei womöglich näher, als man glauben würde: Adolf Hitlers skizzenhafter Aufriss von P. in „Mein Kampf“ (1925) lässt erkennen, wie sehr er von Wladimir Iljitsch Lenins diesbezüglichen Maximen profitiert hat. P.-Minister Joseph Goebbels’ in die Praxis umgesetzte Lenkungsbemühungen und gleichermaßen seine Reflexionen darüber enthüllen indes, wie man sich das Vorhandensein einer politisch zutiefst enttäuschten, desorientierten Bevölkerung zunutze machen kann, sich erfolgreich an ihre Spitze zu setzen vermag und ihr Vertrauen behält, solange Verlautbarung und Realität nicht allzu weit auseinanderdriften. Der Zweite Weltkrieg schließlich überflügelte die Erfahrungen von 1914–18 sowie aus der Zwischenkriegszeit auch im Propagandistischen noch in ungeheuerlichem Ausmaß. Alle Seiten verschärften, beginnend schon im Ersten Weltkrieg, ihre Wahrheitsansprüche immer noch weiter, indem sie nur das, was sie selbst als Überzeugungsarbeit betrieben, als P. gelten ließen, kommunikative Anstrengungen der Gegenseite aber anders bezeichneten (etwa als „Hetze“, wie es die Deutschen im Zweiten Weltkrieg handhabten). Oder aber sie diskreditierten umgekehrt das Treiben der Gegner als rundheraus lügnerische P., während sie selbst wahrheitsgetreue political bzw. psychological warfare betrieben (wie Briten und Amerikaner).

Es ist ganz und gar nicht verwunderlich, dass solche kompromisslosen Vereinnahmungen im Krieg und in totalitären Systemen auf den vorwissenschaftlichen Gebrauch des P.-Begriffes abfärbten. Bis auf den heutigen Tag gilt P., jedenfalls in unserem Kulturkreis und nach dem Scheitern der Diktaturen, umgangssprachlich vorwiegend als verwerflicher, weil lügenhafter und rein auf den eigenen Nutzen des P.-Treibenden berechneter Überredungs- oder Übertölpelungsversuch. Der Begriff lässt sich insofern vortrefflich als Instrument der Brandmarkung des politischen Gegners und der Distanzierung von seinen Argumenten gebrauchen, und solchermaßen als Kampfbegriff wird er auch i. d. R. eingesetzt. So wie P. – freilich auch, wenn man sie nicht P. nennt – bestrebt ist, ein Halt und Richtung gebendes Schwarz-Weiß-Bild bestehender Gegensätze in der politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzung zu zeichnen, so fällt das Schwarz-Weiß-Denken auch auf die P. selbst zurück. Die Wirklichkeit dürfte indessen nicht so einfach zweifarbig darstellbar sein.

Wer sich aber, jenseits eines bloßen Kampfbegriffes, nach einem wissenschaftlich tragfähigen Konzept von P. umsieht, wird eine erstaunliche Entdeckung machen: Die hier v. a. geforderte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, die nach 1918 zu einem nicht unerheblichen Teil aus Forschungsanstrengungen zum Thema Kriegs-P. hervorging (hier wäre bes. Harold Dwight Lasswell oder, auf deutscher Seite, Edgar Stern-Rubarth zu nennen), schweigt sich zu diesem Objekt heute weitgehend aus. Vermutlich liegt dem zugrunde, dass diese Wissenschaft ihren auf persuasive Kommunikation hin enggeführten Gegenstand nicht durch eine in totalitären Systemen anrüchig gewordene Begrifflichkeit belasten will. Annotierte Spezialbibliographien, die unter Mitwirkung H. D. Lasswells noch unter den Titeln „Propaganda and Promotional Activities“ (Lasswell/Casey/Smith 1935) bzw. „Propaganda, Communication and Public Opinion“ (Smith/Lasswell/Casey 1946) erschienen, wurden zehn Jahre später als „International Communication and Political Opinion“ (Smith/Smith 1956) fortgeschrieben. Ein anderes sprechendes Beispiel dafür sind modische Begriffskreationen wie Public Diplomacy, diese speziell verhüllt alte Begrifflichkeiten wie Kultur- oder Wirtschafts-P. euphemistisch. Dergleichen kreativ benannte Forschungsfelder blühen heute innerhalb der gesamten PR, die vorgeblich aus den USA stammen und nach dem Zweiten Weltkrieg importiert wurden (obgleich doch Öffentlichkeitsarbeit neben Werbung hierzulande wenigstens seit dem Ende des 19. Jh. systematisch betrieben und auch zu erforschen begonnen wurde). Und wo der Begriff P. nicht totgeschwiegen wird, findet er sich – wie bei Michael Kunczik – zusammen mit PR und Werbung zu einem einzigen Persuasionskonstrukt namens „Öffentlichkeitsarbeit“ verschnitten, das vom Investiturstreit und den Kreuzzügen bis heute konturlos dargestellt wird, wo es doch dringend der Differenzierung bedürfte. Solche Differenzierung wird in jüngerer Zeit verdienstvollerweise in einem theoriegeschichtlichen Aufriss von Thymian Bussemer versucht, doch von einer tragfähigen P.-Theorie ist das Fach noch entfernt.

Wenn man zumindest die wohl reintypischste Form von P. im neueren Verständnis skizzieren will, so bietet sich dafür die Kriegs-P. an, wie sie v. a. in den beiden Weltkriegen durchgeführt wurde. In ihrer Unerbittlichkeit geht es um Leben und Tod, um die Schicksale ganzer Staaten, und sie tritt neben die militärische und wirtschaftliche Ausschöpfung der gesamten Volkskraft als unabdingbares weiteres Merkmal des sog.en totalen Krieges. Wenigstens fünf Merkmale lassen sich für solche Kriegs-P. anführen.

a) Kriegs-P. ist kein nach Gutdünken frei durchzuführendes Unterfangen. P.-Abteilungen unterstehen den Weisungen der Staatsführung; ihre Fachleute haben das und nur das mit geeigneten Mitteln in die Öffentlichkeit umzusetzen, was nach politisch-strategischer Willensbildung verlautbart werden soll.

b) Kriegs-P. wird unbeirrbar daran festhalten, die Wahrheit zu verkünden und der Gerechtigkeit zu dienen, die beide einzig und allein auf der eigenen Seite liegen. Da der Gegner ebenso verfährt, wird – zumal bei längerdauerndem Ringen – charakteristischerweise auch „P. über P.“ gemacht werden müssen, die den eigenen Wahrheits- und Rechtsanspruch untermauert und den des Gegners zu untergraben sucht.

c) Soweit es in der Macht der Staatsführung steht, werden alle Verlautbarungen, die ihrer P.-Linie entgegenstehen, tunlichst unterdrückt werden, seien es kritische Einlassungen in der eigenen Bevölkerung oder Verlautbarungen des Gegners, letztere z. B. durch Einrichtung von Störsendern gegen feindliche Rundfunkstationen, weitgehendes Einsammeln abgeworfener Flugblätter oder harte Strafen für die Weitergabe von Feindnachrichten.

d) Zentral für das Verständnis von Kriegs-P. ist, dass sie in ganz heterogenen Formen betrieben wird, die, so gut es eben geht, voneinander säuberlich abgeschottet bleiben. Da ist einmal die propagandistische Mobilisierung der eigenen Bevölkerung. Diese sog.e Eigenpropaganda versteht sich als Integrationsbemühen, das an die Kraft der Gemeinschaft unter ihrer politischen Führung appelliert, Vertrauen auf die eigene gerechte Sache, Opferbereitschaft, Durchhaltewillen im langwierigen Kampf und Glauben an den endlichen Sieg einimpfen will. Ganz ähnlich zu solcher Eigen-P. erfolgt auch auf die Neutralen abzielende P., die diese womöglich sogar ins eigene Lager zu ziehen strebt. Der Gegner wird in dieser Art P. weitestgehend ins Unrecht gesetzt und bis hin zu Gräuelbehauptungen verunglimpft werden. Ganz anders funktioniert die auf den Gegner gerichtete P., die sog.e Feindpropaganda Sie mutet viel weniger „feindlich“ an, als ihr Name es vermuten lässt. Denn sie wendet sich i. d. R. in sehr wohlgesetzter Form an Soldaten und Zivilbevölkerung der Gegenseite und sucht den Menschen klarzumachen, dass man gegen sie nur widerwillig kämpfe, weil man in ihnen gar nicht den Feind sehe. Der eigentliche Feind sei vielmehr ihre eigene Obrigkeit, die sie verbrecherisch ins Verderben führe, und von der man sich lossagen solle. Diese Feind-P. ist also Desintegrations-(Zersetzungs-)P.

e) Da solche Feind-P. in offener Form („weiße P.“) wohl das undankbarste kommunikative Tun darstellt, das sich denken lässt – man versucht, einen Gegner zu überzeugen, der genau weiß, dass man ansonsten nur tödliche Gewalt gegen ihn ins Feld führt –, hat es auf diesem Gebiet mitunter spezielle Ansätze zu punktueller Irreführung gegeben; auch umfassende Desorientierung ist versucht worden. Punktuelle Irreführung (sog.e schwarze P.) funktioniert so, dass sie sich als Verlautbarung nicht des Gegners, sondern der eigenen Seite tarnt (z. B. verbreiten die Briten 1940 per Flugblatt die Aufforderung eines fiktiven Kreisleiters, sich auf einen langen, entbehrungsreichen Krieg mit fraglichem Ausgang vorzubereiten). Umfassende Desorientierung haben v. a. die Briten jahrelang mit ihren fiktiven deutschen Soldatensendern und einer – von Invasion bis Kriegsende täglich in hoher Auflage abgeworfenen – fiktiven deutschen Soldatenzeitung geliefert. Ihr Meisterpropagandist Sefton Delmer hat es mit dieser „grauen P.“ verstanden, auf diesem Wege zahlreiche in Deutschland schon existierende, aber auch eigens erfundene zersetzende Gerüchte zu verbreiten und zu verstärken. Das hier zutage tretende Phänomen, dass P. vermutlich am mächtigsten ist, wo sie nicht frontal gegen Überzeugungen anrennt, sondern unmerklich in die Denkweise des Gegners einsickert, bedarf noch gründlicher Erforschung.

Im jüngsten Zeitalter der elektronischen „sozialen Medien“ (Social Media) ist die Sorge um derartige propagandistische Desinformation und Desorientierung in ein neues Stadium getreten. Wenn sich, unter Umgehung traditioneller Massenmedien und herkömmlicher journalistischer Vermittlung (Journalismus), per Internet scheinbar jeder im Deckmantel der Anonymität und unter falscher Identität an jeden wenden kann, politische Entscheidungen manipuliert und offenbar ganze Wahlkämpfe von „Trollfabriken“ in fremden Ländern beeinflusst werden können, dann wächst bei vielen Menschen die Verunsicherung, wie weit man Informationen überhaupt noch trauen kann. Derartige Risiken sind sicher nicht gering zu schätzen. Aber vielleicht wirkt hier ein Blick zurück in die P.-Geschichte beruhigend: Im Zweiten Weltkrieg gab es zwei Strategien zur Bekämpfung gegnerischer P.: die totalitäre, kurzfristig sicher ausgesprochen wirksame Strategie des Totschweigens, und die in demokratischen Ländern bevorzugte mühevolle und unablässige, mittel- und längerfristig jedoch erfolgreiche Strategie des aufklärenden Besprechens. Diese demokratische Herangehensweise, so unbequem sie sein mag, wird auch heutiger Desinformation Grenzen setzen.