Prognose

  1. I. Philosophisch
  2. II. Wirtschaftswissenschaftlich

I. Philosophisch

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1. Begriff

Eine P. (griechisch: prógnōsis, wörtlich „Vorwissen“ oder „vorher-Wissen“) ist ein Versuch, eine zutreffende Aussage über zukünftige Ereignisse, Zustände oder Entwicklungsverläufe zu treffen. Zur Erstellung von P.n wird dabei eine wissenschaftliche Analyse vergangener Begebenheiten angestrebt, durch die Gesetzmäßigkeiten hergeleitet werden sollen, die einen Rückschluss auf zukünftige Ereignisse ermöglichen. Derartige Gesetzmäßigkeiten sind Vorbedingungen von P.n und erlauben das Abgrenzen eigentlicher P.n von Prophezeiungen; denn Letztere ergeben sich nicht aus Daten und angenommenen Gesetzmäßigkeiten.

Allen P.n liegt die Auffassung zu Grunde, dass Ereignisse in der Welt erstens eine kausale Strukturierung aufweisen und dass zweitens vernunftbegabte Geschöpfe die Fähigkeit besitzen, derartige über Einzelphänomene hinausreichende Strukturen zu erkennen und zu beschreiben. Damit ist bereits das Problem der Erkennbarkeit von Kausalbeziehungen angedeutet. Denn in der Beobachtung zweier aufeinanderfolgender oder zusammen auftretender Zustände wird zwar ihre Unterschiedlichkeit unmittelbar deutlich, nicht aber eine eventuelle logische Verknüpfung dieser Zustände. Letztere muss durch eine von dem konkreten Einzelfall abstrahierende Verstandesleistung erst aufgesucht oder erzeugt werden. Der genaue Prozess der Erkenntnis von Kausalität ist dabei in der Philosophiegeschichte sehr unterschiedlich behandelt worden. Bes. drei Hauptpositionen stehen sich entgegen: Erstens ein Ursachenrealismus, der das Bestehen von Kausalverhältnissen unabhängig von deren Beobachter annimmt; zweitens die Position Immanuel Kants, in der Kausalität als eine jeder Erkenntnis vorhergehende Kategorie des menschlichen Verstandes (Vernunft – Verstand) angenommen wird; drittens die Position David Humes, nach der Kausalität nichts anderes als die Gewöhnung an häufig gemeinsam oder in zeitlicher Abfolge auftretende Phänomene ist. Für P.n ist allein das Vorliegen von Kausalität in einer zeitlichen Abfolge relevant. Das Feststellen einer Kausalbeziehung sowie ihrer in einer bestimmten Gattung von Phänomenen vorliegenden spezifischen Wirkweise stellt die erste Voraussetzung für das Erstellen einer P. dar. Die zweite Voraussetzung ist das Erkennen der Anwendbarkeit der bekannten Kausalbeziehung auf einen vorliegenden Einzelfall, mit dem Ziel, auf den zukünftigen Zustand bereits vor dessen Eintreten schließen zu können.

2. Prognosearten und Reichweite des Prognosebegriffs

Umgangssprachlich ist es unüblich, im Bereich des Alltagswissens von P.n zu sprechen. So würde bspw. die Vorhersage, dass eine über den Rand des Tisches geschobene Tasse zu Boden fallen wird, kaum als P. bezeichnet werden. Vielmehr wird der Begriff P. meist in Bezug auf komplexe und nicht leicht vorherzusehende Phänomene angewandt, bspw. auf die Vorhersage der Änderung der Güterpreise bei Änderung des allg.en Zinsniveaus. Eine vollständige und genaue P. ist bei derart komplexen Phänomenen nicht zu erwarten, da meist weder alle zu Grunde liegenden Daten hinreichend bekannt sind noch die angenommenen Kausalbeziehungen alternativlos und mit abschließender Gültigkeit beweisbar sind. In Bezug auf komplexe Phänomene ist zudem nicht immer klar, ob eine Beschreibung sinnvollerweise überhaupt durch Kausalbeziehungen im strengen Sinne erfolgen kann. So ergibt sich etwa im angeführten Beispiel die Änderung der Güterpreise aus der Reaktion der Marktteilnehmer auf das sich ändernde Zinsniveau und damit aus freien menschlichen Handlungen, die nicht vollständig vorhersehbar sind. Um diesem Problem zu begegnen werden zwei Arten von P.n unterschieden: Qualitative P.n zielen nur darauf ab, die Art einer zu erwartenden Entwicklung vorherzusagen (bspw. ob bei Änderungen im Zinsniveau die Güterpreise überhaupt beeinflusst werden), während quantitative P.n die qualitativen Änderungen durch zusätzliche Vorhersage der Intensität der Änderung zu präzisieren suchen (bspw. in welcher Proportion sich die Güterpreise im Verhältnis zum Zinsniveau ändern). Dabei bedienen sich bes. quantitative P.n meist der Angabe von Wahrscheinlichkeiten des Eintretens verschiedener möglicher Ereignisse, so dass im Falle einer unwahrscheinlicheren Entwicklung die P. nicht unmittelbar als widerlegt gelten muss. Zudem werden in der Praxis verschiedene P.-Gütemaße verwendet, um Genauigkeit und Treffsicherheit von verschiedenen P.-Verfahren und P.-Modellen gegeneinander abwägen zu können und um den durchschnittlichen P.-Fehler abzuschätzen.

3. Problematik

Sozio-ökonomische P.n stehen in Wechselbeziehung mit Meinungen, Erwartungen und Reaktionen von Individuen. Daraus ergeben sich Probleme hinsichtlich der Stellung des Verfassers einer P. und hinsichtlich der Wechselwirkungen zwischen prognostiziertem Ergebnis und Verhaltensänderungen durch ein Wissen um die jeweilige P. So können P.n die Erwartungen von Handlungsträgern derart verändern, dass die P. selbst entweder selbstbestätigend oder selbstzerstörend wirkt. Daher wird in sozio-ökonomischen P.n zunehmend versucht, auch den Prozess der Erwartungsbildung und der Verhaltensänderungen mitzuberücksichtigen, was jedoch stets nur näherungsweise möglich ist, will man einen Regress durch eine immer neue Berücksichtigung von Erwartungsänderungen durch die je angepasste P. vermeiden. Für den Verfasser einer sozio-ökonomischen P. ergeben sich Probleme durch seine Beziehung zum P.-Objekt: Denn einerseits ist die erkenntnistheoretische Stellung des P.-Stellers eine bedingte, da er selbst Teil des Systems ist, über das eine P. angestrengt wird, andererseits wird bes. in der Politiktheorie das Bedenken geäußert, dass durch P.n gezielt die öffentliche Meinungsbildung im Interesse des P.-Stellers beeinflusst werden könnte.

II. Wirtschaftswissenschaftlich

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1. Prognosearten

Die verschiedenen P.-Techniken können nach unterschiedlichen Arten geordnet werden, wobei grundsätzlich zunächst zwischen quantitativen und qualitativen Verfahren differenziert wird. Hierbei ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal in der jeweiligen Informationserhebung und -aufzeichnung zu sehen: Die quantitativen Verfahren erfolgen auf der Grundlage von mathematisch-statistischen Schätzmethoden und verfolgen die Zielsetzung, P.-Aussagen zum mengen- oder wertmäßigen Ausmaß einer Entwicklung zu liefern, wie dies z. B. bei der Trendanalyse, der Indikator-P. oder bei exponentiellen Glättungen der Fall ist. Demgegenüber basieren die qualitativen Verfahren auf Erfahrungswerten, Expertenkenntnissen und auch dem „Fingerspitzengefühl“, um hierdurch die Art und Richtung einer Entwicklung zu prognostizieren. Qualitative Verfahren werden daher häufig angewendet, wenn die Phänomene entweder nicht quantifizierbar sind oder aufgrund der Komplexität und Langfristigkeit nicht adäquat quantitativ prognostiziert werden können. Als Beispiele können die Szenariotechnik, das Delphi-Verfahren oder Expertenbefragungen genannt werden.

Hinsichtlich der Art der Vorhersage wird generell zwischen Punkt- und Intervall-P.n unterschieden. Bei einer Punkt-P. wird eine spezifische Wertangabe für eine Variable in Bezug auf einen zukünftigen Termin angegeben, wohingegen bei einer Interval-P. ein Wertebereich angegeben wird, innerhalb dessen sich ein zukünftiger Wert mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (sog.es Konfidenzniveau) bewegen wird. Die P. von Wendepunkten, d. h. die Schätzung einer Veränderung von Richtung bzw. des Vorzeichens der Steigung, kann ebenfalls als Vorhersageart angesehen werden. Unter der Annahme, dass Trendentwicklungen vorliegen, werden hierbei jedoch keine Wertangaben geschätzt, sondern vielmehr Zeitpunkte. Als ein weiteres Unterscheidungskriterium kann die zeitliche Reichweite einer P. genannt werden. Üblicherweise wird zwischen kurzfristigen P.n, deren P.-Horizont bis zu einem Jahr beträgt, mittelfristigen P.n mit einem Zeithorizont von ein bis zu fünf Jahren und langfristigen P.n mit einem P.-Zeitraum von bis zu zehn Jahren unterschieden. Zwar sind möglichst lange P.n oftmals wünschenswert, jedoch steigt i. d. R. auch die Unsicherheit der P. mit einem längeren P.-Horizont. Schließlich kann noch zwischen Ergebnis- und Wirkungs-P.n differenziert werden.

2. Quantitative Prognosemethoden

Innerhalb der quantitativen P.-Methoden kann grundsätzlich zwischen Zeitreihenanalysen und regressionsanalytischen Kausalmodellen unterschieden werden. Wenn eine P. ausschließlich aus den historischen Daten einer Zeitreihe einer einzelnen Variablen abgeleitet wird, so wird von univariaten Modellen gesprochen. Diese P.-Methoden beruhen auf der Annahme, dass die Informationen und die Struktur der Vergangenheitsdaten einer Variablen die Ableitung von Rückschlüssen auf die zukünftige Entwicklung dieser Variablen zulassen. Als typische P.-Methoden dieser Art werden die Methode der gleitenden Durchschnitte, die Methode der exponentiellen Glättung, die Methode der Trendextrapolation, die autoregressiven Verfahren, Methoden der Saisonzyklen-P. sowie Wachstums- oder Sättigungsmodelle verwendet. Wird eine P. mittels der Methode der gleitenden Durchschnitte durchgeführt, so ergibt sich als P.-Wert das arithmetische Mittel der Zeitreihenwerte. Das Verfahren zielt darauf ab, zufällige Schwankungen im Verlauf der Zeitreihe auszuschalten. Je größer daher die Fallanzahl n der Zeitreihenwerte ist, desto besser können Niveauveränderungen bzw. zufallsbedingte Abweichungen der zu prognostizierenden Größe ausgeglichen werden. Bei der Methode der exponentiellen Glättung werden die Zeitreihenwerte der Vergangenheit anders gewichtet, d. h. die älteren Beobachtungswerte der Zeitreihe werden exponentiell geringer gewichtet als die jüngeren Zeitreihenwerte. Die Verfahren zur P. von Saisonzyklen werden eingesetzt, wenn Zeitreihen mit zyklischen Schwankungen analysiert werden sollen. Diese Saisonverfahren können nochmals in zwei unterschiedliche Klassen eingeteilt werden, und zwar einerseits in P.-Verfahren, bei denen die Saisonbereinigung auf der Grundlage von gleitenden Durchschnitten bzw. mittels einer exponentiellen Glättung vorgenommen wird, und andererseits Verfahren, bei denen die Saisonkomponente durch eine Sinus- bzw. Cosinusfunktion nachgebildet wird. Die Methode der Trendextrapolation (auch einfache Regression) stellt ein P.-Verfahren dar, bei dem die beobachteten Zeitreihenwerte durch ein Polynom abgebildet werden, dessen einzige exogene Variable die Zeit t ist. Sofern die Hypothese der Zeitstabilität als erfüllt gelten kann, basiert die P.-Gleichung der zukünftigen Zeitreihe auf diesem Polynom, wodurch die Werte in die Zukunft extrapoliert werden können. Im Rahmen von autoregressiven Verfahren wird der zu prognostizierende Wert ebenfalls regressionsanalytisch aus den Vergangenheitswerten abgeleitet, jedoch wird zusätzlich der Versuch unternommen, die Gewichtung für jeden einzelnen Beobachtungswert innerhalb der Zeitreihe zu optimieren. Mit Hilfe von sog.en Sättigungsmodellen soll ein langfristiger Trend einer Zeitreihe prognostiziert werden, bei denen die Zeitreihenwerte nicht linear verlaufen, sondern auf ein spezifisches Sättigungsniveau (bspw. Marktsättigung) zusteuern.

Im Unterschied zur Zeitreihenanalyse wird bei ökonometrischen Modellen (Ökonometrie) versucht, die relevanten Variablen auch kausal zu erklären, d. h. es wird die Interdependenz von unterschiedlichen Variablen quantitativ erfasst und dargestellt. Aufgrund der Tatsache, dass die zu prognostizierende Variable nicht aus der Zeitreihe der Vergangenheitswerte vorhergesagt wird, sondern vielmehr aus anderen Variablen abgeleitet wird, von denen angenommen wird, dass sie durch eine Kausalitätsbeziehung mit der zu prognostizierenden Variablen in Verbindung stehen, wird auch von multivariaten Modellen gesprochen. Die P. erfolgt also durch die Vorhersage einer Variable mit Hilfe von anderen Variablen Hervorzuheben ist hierbei, dass die angenommenen Kausalbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Zeitreihen nicht auf statistischen Auswertungen basieren, sondern auf den Erkenntnissen der ökonomischen Theorie aufbauen. Es werden folglich zuerst Kausalbeziehungen zwischen den Variablen unterstellt, die sodann mit den empirischen Fakten überprüft werden. Im Kontext von ökonometrischen Modellen werden die unabhängigen Variablen als exogen bezeichnet, weil sie nicht innerhalb des Modellrahmens erklärt werden, während die abhängigen Variablen als endogen beschrieben werden, da ihre Merkmalsausprägungen die jeweiligen zu prognostizierenden Größen darstellen, die innerhalb des Modells erklärt werden. Die Anzahl an endogenen Variablen wird dabei durch die verwendete Anzahl und Art der Gleichungen in einem Modell bestimmt: Im Gegensatz zu Eingleichungsmodellen, bei denen lediglich eine abhängige Variable existiert, während alle erklärenden Variablen exogen sind, können mit Hilfe von sog.en Mehrgleichungsmodellen mehrere Gleichungen bzw. mehrere endogene Variablen geschätzt werden. Dieses Verfahren ermöglicht die endogene Bestimmung einer exogenen, erklärenden Variable, d. h. in einer Gleichung kann eine bestimmte Variable zuerst als abhängige Variable ermittelt und anschließend in einer anderen Modellgleichung als erklärende Variable verwendet werden.

3. Bedeutung und Probleme

P.n stellen eine Orientierungshilfe für private, unternehmerische oder staatliche Entscheidungen dar, indem sie die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte beeinflussen und damit die Planungs- und Entscheidungsgrundlage für zukunftsorientiertes Handeln liefern sollen. Allen Arten von wissenschaftlichen P.n gemeinsam ist der Sachverhalt, dass jeweils versucht wird, eine möglichst widerspruchsfreie, theorieorientierte Auswertung aller relevanten empirischen Beobachtungen eines sozio-ökonomischen Prozesses aufzustellen. Nichtsdestotrotz kann keine P. für sich in Anspruch nehmen, völlig frei von subjektiven Einflüssen und Ermessen zu sein. Die Auswahl eines P.-Verfahrens wird einerseits durch die Verfügbarkeit der Datenlage beeinflusst, andererseits aber auch durch die Interpretation der Problemstellung. Weiterhin ist für die Auswahl und Bewertung einer P.-Methode auch entscheidend, welche Relation zwischen den notwendigen Informationskosten und der P.-Güte (Treffsicherheit) besteht. Eine bes. Schwierigkeit im Bereich von sozio-ökonomischen P.n ist zudem darin zu sehen, dass sie i. d. R. auch Angaben über individuelle Reaktionen beinhalten. Diese Reaktionen bzw. die Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte selbst wird jedoch oftmals durch die Veröffentlichung der P. entscheidend beeinflusst, so dass es zu selbstbestätigenden oder selbstzerstörenden P.-Ergebnissen kommen kann. Sofern der Prozess der Erwartungsbildung nicht adäquat berücksichtigt wird, können Modell-P.n daher immer der Gefahr unterliegen, aufgrund von solchen Signal- und Rückkopplungsmechanismen ein fehlerhaftes Ergebnis zu liefern. Schließlich sei ebenfalls auf die Gefahr hingewiesen, dass durch die Anwendung von hochgradig formalisierten P.-Modellen eine wissenschaftliche Exaktheit suggeriert werden kann, die den generellen Problemen von P.n nicht ausreichend gerecht wird.