Privatisierung

  1. I. Rechtlich
  2. II. Wirtschaftswissenschaftlich

I. Rechtlich

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1. Privatisierungsbegriff und Privatisierungsformen

Eine Legaldefinition der P. existiert nicht; als Gesetzesbegriff hat sie im Bundesrecht nur vereinzelt Verwendung gefunden. Die Rechtswissenschaft verwendet P. vorwiegend als Dachbegriff für verschiedene Phänomene. Als gemeinsamer Nenner – und damit als allg.es P.s-Merkmal – könnte festgehalten werden, dass seitens des Staates bzw. der öffentlichen Hand voluntativ Rechtsmacht über einen Gegenstand an Privatrechtssubjekte überantwortet wird. Über Kategorien und Typologie besteht im Schrifttum kein Konsens. Nach dem P.s-Gegenstand lassen sich z. B. Vermögens-P. und aufgabenbezogene P. (mit Subkategorien wie Verfahrens-P., funktionale P. – wie bei Konzessionen – und möglicherweise auch Marktöffnung als „kompetitive“ P.) unterscheiden. Verbreitet ist der Begriff „Aufgaben-P.“; lässt P. Staatsaufgaben aber teils enden, teils fortbestehen, passt er allenfalls bei Beleihung (und bei Grundrechtsbindung staatsgetragener Gesellschaften privaten Rechts). P.s-Subjekte können natürliche und von ihnen getragene juristische Personen, aber auch juristische Personen des Privatrechts in öffentlicher Trägerschaft sein. Solche „Organisations-P.“ hat zur Folge, dass auch staatsgetragene Einheiten grundsätzlich nur noch privatrechtlich handeln können, und stellt häufig den Übergang für ihre Veräußerung an andere Private her.

2. Historische Entwicklung der Privatisierung

Der Begriff der P. kommt im 20. Jh. auf. Konstitutive Voraussetzung für P. ist die Unterscheidbarkeit von Staat und Gesellschaft, welche auch die kategoriale Differenzierung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht einleitete. P. wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt Gegenstand ökonomischer und rechtspolitischer Strategien, aber auch wirtschafts- und rechtswissenschaftlicher Forschung. Eine erste P.s-Welle in den 1950er und 1960er Jahren hatte Bundesbeteiligungen zum Gegenstand und sollte den Vermögensaufbau breiter Bevölkerungsschichten durch Ausgabe von „Volksaktien“ fördern. Damit ging teils auch die P.s-Welle der 1980er und 1990er Jahre einher; sie richtete sich darüber hinaus aber auch auf Liberalisierung von Märkten, v. a. im Bereich netzgebundener Dienstleistungen (Bahn, Post, Telekommunikation). Mit dem Rückenwind des Europa- und auch des Verfassungsrechts wurden Dienstleistungsmärkte geöffnet und öffentlich-rechtliche Monopolstrukturen durch privatrechtliche Unternehmen ersetzt, die auch im Ausland investiv tätig werden konnten. Katalytisch wirkte neben technologischem Fortschritt die ordnungspolitische Überzeugung (Ordnungspolitik), dass Private effizienter agierten als der Staat und sich dieser auf seine Kernfunktionen zurückziehen müsse („schlanker Staat“). Nach ambivalenten P.s-Resultaten v. a. in Versorgungsdienstleistungssektoren (Energieversorger, Krankenhäuser etc.) dominiert mittlerweile eine privatisierungskritischere Grundströmung. V. a. in Kommunen sind P.en vielerorts rückgängig gemacht worden („Deprivatisierung“, „Rekommunalisierung“ bzw. „Publizisierung“). Auf Ostdeutschland beschränkten sich die – vermögensbezogenen – P.en der Treuhandanstalt bzw. Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben nach der deutschen Wiedervereinigung. Ihr Umfang allerdings stellte, weil die Volkswirtschaft eines ganzen Landes erfasst war, alles zuvor Dagewesene in den Schatten.

3. Rechtliche Privatisierungsdeterminanten

Vorgaben (Determinanten) für P. finden sich, auch wenn der Terminus nicht aufscheint, u. a. im Verfassungsrecht. Explizite P.s-Verbote und P.s-Grenzen statuieren nur Art. 87e Abs. 3 S. 3 GG und Art. 90 Abs. 2 GG (Veräußerungsverbote für das Schienennetz, die Bundesfernstraßen und Anteile an der Verwaltungsgesellschaft für die Bundesautobahnen), implizite, situativ wirkende verbinden sich u. a. mit Art. 33 Abs. 4 GG (Untersagung mit Beleihung verbundener P., wenn zentrale hoheitsrechtliche Befugnisse nicht prioritär durch Statusbeamte wahrgenommen werden), im Einzelfall auch Freiheitsgrundrechten der Dienstleistungsempfänger, dem Sozialstaatsprinzip oder – bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen – dem Demokratieprinzip (Anforderungen an Weisung, Abberufung, Akteneinsicht etc., v. a. im kommunalen Wirtschaftsrecht kodifiziert). Grundrechte sind als P.s-Determinanten ambivalent, weil sie P. einmal hindern und einmal fördern können. Genügt staatliche Gewährleistung privater Leistung zum Schutze des betroffenen Rechtsguts nicht, muss P. ggf. unterbleiben. Privatisierungsfördernd kann sich v. a. Art. 12 Abs. 1 GG auswirken: Monopole schließen freie Berufswahl aus, müssen daher grundsätzlich beseitigt und dürfen nach vollzogener P. nicht erneut begründet werden, wie auch Art. 14 GG das qua P. Erworbene schützt. Mitunter erzwingt das GG P. bzw. ihre Ergebnisse ganz explizit oder schreibt sie fest. Dies gilt für Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG und Art. 143b Abs. 1 GG – Organisations-P. bei Bahn, Post und Telekommunikation – und Art. 87 f. Abs. 2 S. 1 GG – Marktwirtschaftlichkeit und damit Marktöffnung bei Post und Telekommunikation. Geringe praktische Bedeutung kommt der Kontroverse um die Frage zu, ob für Staatskernaufgaben (wie Justiz oder Verteidigung) ungeschriebene verfassungsimmanente P.s-Verbote existieren.

Insb. die P.en bei netzgebundenen Dienstleistungen seit Ende der 1980er Jahre wurden v. a. vom europäischen Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht angestoßen. Obschon rechtsformneutral, erzwang es den Verlust von Exklusivrechten und Marktöffnung, die auf mitgliedstaatlicher Ebene mit Rechtsformwandel und auch Veräußerungen einhergingen. Auf Primärrechtsebene kommen Grundfreiheiten eine ähnliche Wirkung zu wie in Deutschland den Grundrechten. Privatisierungsfördernd wirken außerdem Art. 102 AEUV (als Verbot marktmissbräuchlicher Monopole), das finanzielle Unterstützung öffentlicher Unternehmen (Öffentliche Betriebe) durch ihre Träger beschränkende Beihilfenverbot des Art. 107 AEUV und – als Befugnisnorm – Art. 114 AEUV. Zu einem wichtigen P.s-Hebel erwuchs insb. Art. 106 AEUV, der die Einschränkung dieser Vertragsregeln auch bei Dienstleistungen von allg.em wirtschaftlichem Interesse einem Erforderlichkeitsvorbehalt unterwirft. Zahlreiche sekundärrechtliche Vorschriften (v. a. Richtlinien) geben Einzelheiten zur Öffnung der Märkte für netzgebundene Dienstleistungen vor.

4. Vollzug der Privatisierung

Was zur Durchführung der P. geboten ist, hängt von Typus, Inhalt und Ebene (Staat oder Gemeinden) ab. Auch soweit kein Gesetzesvorbehalt formuliert ist (wie in Art. 87e Abs. 3 oder Art. 90 Abs. 2 GG), kann Grundrechtswesentlichkeit eine gesetzliche Regelung erfordern. Insb. bei Vermögens-P. bedarf es zudem privatrechtlicher Verträge. Organisations-P. unterliegt, wenn die Entität bereits besteht, grundsätzlich dem Umwandlungsrecht. Selbst durch Gesetz darf der Staat zum Zwecke der P. grundsätzlich keine Ausnahmen von sonst nicht disponiblem Gesellschaftsrecht begründen, das andernfalls seinen privatrechtlichen Charakter verlöre. Nur einzelne Bestimmungen des Aktienrechts (wie etwa § 394 f. AktG) verwischen die Trennlinie zwischen öffentlichem und Privatrecht.

Der Staat kann sich durch P. konkreter Aufgaben entledigen, jedoch nicht seiner grundlegenden, verfassungsrechtlich vorgegebenen Aufgaben, v. a. seiner Pflicht zum Schutz der Grundrechte. P. ist mit dem Rechtsmachtübergang voll-, aber insoweit nicht beendet, als der Staat Verantwortung für die P.s-Folgen trägt. Das „P.s-Folgenrecht“ soll insb. den Grundrechtsausgleich zwischen privaten Leistungserbringern und privaten Leistungsempfängern herstellen. Insoweit geht der Staat von der Leistung eigener Dienste zur Gewährleistung der Dienste Privater über („Gewährleistungsverantwortung“), die Leistungsverwaltung weicht einer – oft wesentlich komplexeren – Regulierungsverwaltung. Wo Monopolstrukturen nachwirken, wie bei den netzgebundenen Dienstleistungen, hat die („sektorspezifische“) Regulierung zugl. die Versorgung mit essenziellen Dienstleistungen von allg.em Interesse bzw. der „Daseinsvorsorge“ (wie u. a. durch Art. 87e Abs. 4 und Art. 87 f. Abs. 1 GG vorgegeben) zu gewährleisten und funktionsfähige Märkte herzustellen. Für die meisten Bereiche obliegt diese Aufgabe der BNetzA als zentraler Regulierungsbehörde.

II. Wirtschaftswissenschaftlich

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1. Begriff und Anwendungsgebiet

Der Begriff der P. bezeichnet die Umwandlung von staatlichen (Staat) in private Unternehmen. Auch in marktwirtschaftlichen Ordnungen gibt es Staatsbetriebe, was zumeist historische Gründe hat. In Deutschland etwa war die Post ein Beispiel für ein staatliches Monopol mit einem speziellen Versorgungsauftrag, aber auch mit monopolistischen Privilegien. Mit den Postreformen 1989 wurde die Deutsche Post dann in Teilbereiche aufgegliedert (Postdienste, Postbank und Telekom) und einzeln privatisiert.

Das letzte große Staatsunternehmen in Deutschland ist die Deutsche Bahn. Auch hier ist die staatliche Trägerschaft historisch bedingt. Obwohl viele Gründe für eine P. der Bahn sprechen, gestaltet sich die Realisierung schwierig, was mit dem Grundversorgungsauftrag der Bahn erklärbar ist. Während manche Strecken, insb. zwischen Großstädten, sehr profitabel wären, sind viele ländliche Kurzstrecken defizitär, weshalb private Investoren nicht zur Übernahme bereit sind.

2. Gründe für staatliche Großbetriebe – und deren Privatisierung

Wenn die P. als ökonomischer Tatbestand diskutiert wird, muss zunächst geklärt werden, wie es zur Entwicklung von staatlichen Großbetrieben kam. Hier sind historische, politische und ökonomische Gründe zu nennen. Die historische Begründung ist weitestgehend unideologisch: Zu Beginn der Industriellen Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution) war der Staat an vielen Innovationen unmittelbar beteiligt. Dies lag auch daran, dass zu dieser Zeit kaum funktionsfähige Kapitalmärkte (Kapital) existierten, über die private Investoren sich hätten finanzieren können. Deshalb entstanden Staatsbetriebe, etwa im Verkehr, in der Energiegewinnung und in der Telekommunikation. Durch den wachsenden Welthandel, offene Grenzen (Globalisierung) und verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten wurden diese Monopole angreifbar und private Trägerschaften wurden möglich. Die politische Dimension der staatlichen Betriebe liegt in der sozialistischen Idee (Sozialismus) verwurzelt. Helmut Leipold sieht die Abschaffung des Privateigentums als Kernpunkt des sozialistischen Systems: „Dieses Postulat, gleichsam paradiesische Verhältnisse auf Erden zu schaffen, gründete sich letztlich auf der Idee des Gemeineigentums“ (1992: 2). Die sozialistischen Planer setzten dabei primär auf Großbetriebe, um die Produktion durch die Ausnutzung von steigenden Skalenerträgen zu maximieren. Allerdings zeigte sich im Zeitablauf, dass die technische Maximierung keinesfalls zu einer betriebswirtschaftlich optimalen Produktion führte.

Auch ökonomisch gibt es Argumente für Großbetriebe, etwa die Theorie natürlicher Monopole sowie Lern- und Erfahrungskurven. Allerdings gibt es kaum Argumente für eine staatliche Trägerschaft, wohl aber für staatliche Regulierung i. S. einer Ordnungsfunktion. Zudem ist die Frage nach einer optimalen Betriebsgröße nicht nur von positiven Skaleneffekten dominiert: KMU können häufig flexibler auf Veränderungen an Märken reagieren. Ein wichtiges und zugl. umstrittenes Argument wurde in diesem Zusammenhang von Harvey Leibenstein entwickelt, der die Zunahme von leistungsfeindlichen Anreizen in Großunternehmen postulierte und neben mikroökonomischen auch soziologische und verhaltenstheoretische Argumente in die Debatte einführte. Der wirtschaftliche Niedergang der sozialistischen Kombinate wurde häufig mit diesen sog.en X-Ineffizienzen erklärt.

Der aktuelle Stand der Debatte geht davon aus, dass es nicht nur eine optimale Betriebsgröße gibt, sondern dass ein Kontinuum effizienter Betriebsgrößen existiert. Der Staat sollte sich dabei auf seine Ordnungsfunktion konzentrieren und nicht als eigener Marktteilnehmer agieren.

3. Privatisierung in der Systemtransformation

Die P.s-Debatte hatte ihren Höhepunkt nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme im Jahre 1989. Wenngleich sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in den sozialistischen Ländern für den Übergang zu einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ausgesprochen hatte, war die Abschaffung der Staatsbetriebe politisch heftig umstritten. H. Leipold stellte hierzu fest: „Die Privatisierung des Kollektiveigentums markiert den entscheidenden und zugleich auch den schwierigsten Schritt beim Übergang von den sozialistischen Ordnungen hin zu Marktwirtschaft und Demokratie“ (1992: 6). Die P. umfasste drei zentrale Probleme: „Erstens die Unbestimmtheit der Vermögenszuordnung, zweitens die Unsicherheit bei den Bewertungsfragen und drittens das Problem des Kapitalmangels“ (Wentzel 1995: 147).

In den Transformationsländern hatte die P. von Banken und Produktionsbetrieben Priorität. Der gesamte Prozess gestaltete sich allerdings zeitaufwendig, was mit dem nach 40 Jahren zentraler Wirtschaftslenkung größtenteils völlig entwerteten Kapitalstock zusammenhing. Der polnische Politiker Janusz Lewandoski formulierte dies einmal prägnant: „Unsere Privatisierung ist der Verkauf herrenlosen Vermögens mit unbekanntem Wert an Leute, die kein Geld besitzen“ (zit. n. Wentzel 1995: 147). Auch in Deutschland hatte man zu Beginn der Transformation Ostdeutschlands gehofft, dass die P.s-Erlöse der Treuhandanstalt die Deutsche Einheit finanzieren würden. Am Ende wurden diese Hoffnungen jedoch enttäuscht.

Die P. erforderte zugl. eine außenwirtschaftliche Öffnung, um Kapitalimporte zu ermöglichen. Die Öffnung für ausländische Investoren war politisch jedoch umstritten, weil der Ausverkauf der „Kronjuwelen“ in den Transformationsländern befürchtet wurde. Zudem machte die P. den Aufbau einer Wettbewerbsordnung notwendig, denn mit einer Überführung staatlicher Monopole in private Monopole wäre ordnungspolitisch nichts gewonnen gewesen. Zudem musste die P. „von oben“ durch eine P. „von unten“ ergänzt werden, in dem die Neugründung von KMU befördert wurde. Außerdem mussten unrentable Betriebe in Konkurs geschickt werden, um Subventionszahlungen (Subvention) und damit Belastungen für die Staatshaushalte zu vermeiden.

4. Schlussbilanz der Privatisierung

Die P. in den Transformationsländern gilt fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer als abgeschlossen. Die Integration in den Europäischen Binnenmarkt mit den vier Grundfreiheiten hat sich ebenfalls als sehr förderlich für privates Unternehmertum ausgewirkt.