Populärkultur

1. Populärkultur, populäre Kultur, Massenkultur – ein Überblick

Eine Begriffsgeschichte zum Phänomen populärer Kultur ist vielschichtig und mitunter widersprüchlich. Mit dem Begriff der P. sind nicht nur Entwicklungen der jüngeren Nachkriegsgeschichte, wie etwa der Aufstieg der Popkultur in der Jugendkultur seit den 1950er Jahren oder die Veränderung der Kunst durch die Pop Art verbunden. Grundsätzlich schreibt dieser Begriff die Auseinandersetzung um die „Kultur der Massen“ seit dem Ende des 19. Jh. fort und verfolgt die aufgrund ökonomischer, sozialer, politischer aber auch ästhetischer Veränderungen nachweisbaren Entwicklungen der Gegenwartskultur, die eng mit dem kulturindustriellen Produktionszusammenhang populärer sowie unterhaltender Kulturangebote verbunden sind, aber in vielfältigen Aneignungs- und Rezeptionsprozessen münden. Aus je verschiedenen theoretischen Richtungen (Kritische Theorie, Funktionalismus, Systemtheorie, Post-Strukturalismus, Cultural Studies) und fachlichen Perspektiven (Literatur- und Kulturwissenschaften, Soziologie, Politische Wissenschaft, Medienwissenschaft und Pädagogik) werden dabei unterschiedliche Aspekte und Phänomenbereiche von der Literatur und den Medien (insb. Film, Fernsehen, Internet) sowie der Pop- und Rockmusik oder der Werbung, der Mode und der Künste wie des Designs bis hin zur Eventisierung kultureller Veranstaltungen vom Sport bis hin zur Inszenierung von Politik analysiert.

Aus soziologischer Perspektive geht es um die Frage inwiefern sich in der Kultur gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge ausdrücken, so dass diese als „repräsentative Kultur“ (Göttlich/Gebhardt/Albrecht 2002) den grundlegenden Sinn- und Bedeutungskontext vermittelt und liefert, also die zentrale Ressource gesellschaftlicher Integration durch kulturelle Symbolsysteme bildet. Die Massenkulturdebatte des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh. war einer solchen Perspektive gegenüber noch stärker auf die Unterschiede zwischen der Hochkultur und der Massenkultur, beide Begriffe wiederum in Abgrenzung von der Volkskultur, verhaftet, wobei alleine der Hochkultur diese repräsentative Rolle zugeschrieben wurde. Mit der kulturellen Ausdifferenzierung seit der Nachkriegszeit hat sich dieses Verhältnis grundlegend verändert. Unterschiedliche Kulturniveaus haben sich wechselseitig durchdrungen und miteinander verschränkt, so dass sich ein ständiger Prozess der Refiguration des alltäglichen Erlebens und der kulturellen Erfahrung mit der Aneignung der P. für unterschiedliche soziale Gruppen ergeben hat. Eine Entwicklung, die dadurch weiter mit angestoßen wurde, indem sich Mitglieder unterschiedlicher sozialer Gruppen die von der Kulturindustrie erschaffenen und vorgegebenen Angebote als Ressourcen für ihre kulturelle Ausdrucksweise und Interessen unterschiedlich aneignen. Wesentlich dafür ist die „ästhetische Zweideutigkeit“ (Hügel 1993: 119) der kulturindustriell hergestellten und vertriebenen unterhaltenden Angebote und Produkte, die sowohl deren selbstverständliche Verfügbarkeit im Alltag manifestiert, als auch darüber hinaus zu widerständigen Aneignungsprozessen beitragen kann, die den Prozess der populären Kultur mit der Schaffung immer neuer Stile und Ausdrucksweisen weiter vorantreiben. Diese Problemstellung ist insb. durch die von den britischen Cultural Studies beeinflussten Forschungen zur Rolle und Stellung der populären Kultur seit den 1970er Jahren erhellt worden, die der Auseinandersetzung um die populäre Kultur entscheidende Erkenntnisse über die Rolle, Stellung, Folgen und deren Wirkungsweise hinzugefügt hat. Den Cultural Studies geht es bei der Analyse kultureller Kontexte und Entwicklungen um die Erforschung und Aufschlüsselung der Bedingungen und Möglichkeiten kultureller Selbstvergewisserung und Identitätsbildung (Identität) von (z. T. auch marginalisierten) gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Schichten in ihrem Alltag. Hervorgehoben wird dabei die produktive Leistung der Rezipienten, dominante Sichtweisen auch gegen den Strich zu lesen und sich so dem insb. von der Kritischen Theorie beschriebenen Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis durch eigenständige Lesarten zu entziehen.

2. Entwicklungen seit der Nachkriegszeit

Diese einleitende generelle Bestimmung zum Bedeutungsspektrum des Begriffs der populären Kultur speist sich aus einer langen und dabei immer auch – mitunter heftig – umkämpften Entwicklungsgeschichte in der Betrachtung und Bewertung der Massen- und P., die ihre in Sorge um die gesellschaftliche Entwicklung vorgetragenen, vielfach sozialpolitisch ausgerichteten Kritiken bis heute nicht entschlagen kann. Damit ist die Auseinandersetzung mit der P. immer auch ein Kampf um die Durchsetzung gesellschaftlicher und politische Interessen und Ziele, wie z. B. die in der jüngeren Geschichte der BRD erfolgte Vereinnahmung der populären Kultur durch die Politik in unterschiedlichen Wahlkämpfen seit den 1990er Jahren aufzeigt. Ein Prozess, in dem z. B. Sigmar Gabriel zum Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs der SPD ernannt wurde. Zugl. sind es nicht zuletzt die bpb sowie weitere politische Bildungsinitiativen, die sich in den letzten Jahren verstärkt des Themas in ihrer Vermittlungsarbeit angenommen haben. Darüber hinaus hat sich auch die populäre Kultur im globalen Zusammenhang mit unterschiedlichen Events – etwa den Live Aid Konzerten und weiteren Initiativen seit den 1980er Jahren – zum Sprachrohr für die Unterstützung und anderer entwicklungspolitischer Ziele entwickelt. Selbst die Kirchen nehmen zunehmend Elemente populärer Kultur in ihre Konzepte von Jugendpastoral und Jugendarbeit auf.

Nimmt man die vor diesem Entwicklungshintergrund weiterhin vorgetragene Kritik an der P. in den Blick, so zeigt sich eine erstaunliche Beharrungskraft von Urteilen, die von ihrer absoluten Verdammung bis zu einer den populärkulturellen Widerstand überhöhenden Perspektive reichen. So gesehen schwankt die Auseinandersetzung über die populäre Kultur bis heute weiterhin zwischen den Verächtern und Kritikern der „Massenkultur“ und den Befürwortern subkultureller Praktiken und populärkulturellen Widerstands hin und her. Dabei vielfach aber außer Acht lassend, dass sich diese Prozesse in eine europäische bzw. westliche (u. a. zeitweise auch US-amerikanisch dominierte), mittlerweile aber transnationale Geschichte des Aufstiegs der Massenkultur und des populären Vergnügens einschreiben lassen.

Eine erste grundlegende Auseinandersetzung stellt hier nach wie vor die amerikanische Debatte um die Massenkultur dar, die der Verschränkung und Vermischung kultureller Niveaus und Unterschiede mit großer Skepsis gegenübergetreten ist, während in anderen Auseinandersetzungen, u. a. ausgehend von der Kulturindustriekritik der Kritischen Theorie, die Sorge um eine Amerikanisierung der Kulturen ihren nachhaltigen Niederschlag gefunden hat, insb. auch in Lateinamerika. Wendet man den Blick von dem Streit über grundlegende Positionen auf die Folgen der unterschiedlichen Entwicklungen in der Gegenwart, so ist eine eindeutige Bewertung aber nur schwer durchzuhalten, will man sich nicht in unauflösliche Widersprüche verstricken. Dazu muss man nicht die Problemstellung der Manipulation durch die „Kulturindustrie“ (Horkheimer/ Adorno 1987) außer Acht lassen. Zumal die populäre Kultur auch kulturpolitisch betrachtet zu einer nicht mehr wegzudenkenden Größe in den modernen Cultural Industries und deren ökonomischer Rolle und Bedeutung geworden ist, gerade wenn es um die Rolle und Stellung populärkultureller Angebote in kulturellen Auseinandersetzungen über die Teilhabe an der Gegenwartskultur geht. Pierre Bourdieus Position ist in diesem Rahmen für die Analyse und den Aufschluss der „feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1982) in der Gegenwartskultur weiterhin belastbar, wenn man in Rechnung stellt, dass die einst nationalkulturell geprägten Kulturniveaus eine vielgestaltige Veränderung und Überlagerung durch transnationale Strömungen und Beeinflussungen erfahren haben, für deren Aufschluss die eingespielten Kulturbegriffe kaum mehr ausreichen. Das gilt auch für die üblichen Vorstellungen von den mit der Massenkultur assoziierten Mechanismen der Manipulation und Beeinflussung, die im Kontext von supranationalen Voraussetzungen für Aneignungs- und Rezeptionsprozesse gesehen werden müssen. Die kultursoziologische Frage (Kultursoziologie), inwiefern die populäre Kultur als „repräsentative Kultur“ (Göttlich/Albrecht/Gebhardt 2002) in der Gegenwart verstanden, gedeutet und analysiert werden kann, verändert sich vor dem Hintergrund des gewachsenen Einflusses transnationaler und transkultureller Entwicklungen und Beeinflussungen erneut. An die Stelle ehemals national voneinander getrennter kultureller Einheiten, die in die Analyse Eingang fanden, tritt ein von verschiedenen Einflussgrößen bestimmter transnationaler Entwicklungsrahmen, dessen Rolle vielfach noch unbestimmt ist. Zugl. bilden unterschiedliche Kontinente ihre eigene kulturindustriell betriebene P. aus, wie frühzeitig z. B. bereits das Phänomen des Bollywood-Films zeigte. Kulturpolitisch spielen bei der Vermittlung solcher Einflüsse insb. Einwanderungs- und weltweite Migrationsprozesse (Migration) eine zunehmend wichtiger werdende Rolle.

3. Aktuelle Herausforderungen

Mögen sich viele der in den Auseinandersetzungen um die Massen- und P. beschriebenen Mechanismen im soziologischen Sinn auch weiterhin bewahrheiten, so ist die Deutung der Folgen und der Herausforderungen für das Zusammenleben und die Integration von Gesellschaften im politischen und kulturellen Sinn doch vielfach unbestimmt und offen. Die beobachtbare Angst um den Verlust der „eigenen Kultur“, kann sich nicht einer Bewusstwerdung über das „Fremde“ am Eigenen verschließen, wenn Kultur auch im Rahmen kulturpolitischer Vermittlungen (Kulturpolitik) als Kitt der (Mehrheits-)Gesellschaft nicht zum Ausschluss und zur Marginalisierung sozialer Gruppen beitragen will, sondern ihre vermittelnde Rolle einlöst. Kulturelle Übersetzungsverhältnisse kann die populäre Kultur an dieser Stelle mit vorbereiten helfen. Insb. wenn man die medienkulturellen Entwicklungen und Beschleunigungen von Entwicklungen in der internationalen Verbreitung von neuen Stilen und Moden in Betracht zieht, die im jeweiligen nationalkulturellen Rahmen zu unterschiedlichen Folgen beitragen können. Die Entwicklung einer Medienkultur durch die Digitalisierung und das Internet trägt nicht nur zur beschleunigten Verbreitung laufend neuer Angebote bei. Rezeptionsgemeinschaften zu international verbreiteten Angeboten – etwa der Serie „Game of Thrones“ – bilden sich über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg und führen zur Ausbildung kultureller Vergemeinschaftungen im virtuellen Raum, die sich längst nicht mehr mit politischen Grenzen decken noch durch solche abbilden lassen. Auf diesem Gebiet liegt eine der wesentlichen Herausforderung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der populären Kultur in den kommenden Jahren.