Politische Philosophie

1. Begriff und Methode

Die p. P. ist in einem dreifachen Sinn politisch. Sie hat das Politische zum Gegenstand, zur Voraussetzung und zusätzlich zum Ziel. Die p. P. erfindet nämlich ihren Gegenstand nicht, also die politischen Verhältnisse, sondern geht von deren Wirklichkeit aus. Über diese, also die Welt von Wirtschaft, Gesellschaft, Recht und Staat, vielerorts auch von Religion, denkt die p. P. vor allem in Zeiten von Konflikt, Kritik und Krise nach. Sie untersucht die verschiedenen Gestalten des Politischen, überlegt deren Vor- und Nachteile und klärt Leitbegriffe politscher Selbstverständigung und Analyse wie Herrschaft und Macht, wie Gerechtigkeit, Recht und Staat. Sie fragt, wie ein Gemeinwesen entsteht und wie es zerfällt; wie man an die Macht gelangt und sie erhält, auch wie man sie stürzt und neue Verhältnisse schafft. Sie überlegt, welche Verhältnisse politisch wünschenswert sind, und sie versucht, dem Wünschenswerten zur Wirklichkeit zu verhelfen. Dies alles geschieht freilich nicht mittels politischer Aktion, sondern mit der Klärung von Begriffen, die der Sache des Politischen gerecht werden, sowie mit dem Vorbringen von schlagkräftigen Argumenten, auch mit dem Entwurf neuer Möglichkeiten. Auf diese Weise agiert die p. P. teils empirisch und phänomenologisch, teils begriffsanalytisch, teils normativ, teils im philosophischen Sinne spekulativ, in jedem Fall aber auf eine methodische Weise.

Der Begriff „politisch“ bezieht sich urspr. auf die für Griechenland charakteristische Gestalt eines Gemeinwesens, die Polis. Nach einer längeren Vorgeschichte wird diese bei Platon und Aristoteles zum Gegenstand der Philosophie. Im Laufe der Geschichte löst sich aber der Begriff des Politischen von der Bindung an griechische Verhältnisse und bezeichnet Gemeinwesen unterschiedlichster Art mitsamt deren Institutionen, Organisationen und Funktionieren.

Die p. P. ist keine den akademischen Lehrern vorbehaltene Domäne. Das Interesse, die politische Welt zu begreifen und über den Weg des Begreifens auf sie Einfluss zu nehmen, findet sich auch bei Theologen, Sozial- und Politikwissenschaftlern, nicht zuletzt bei politischen Intellektuellen. Also umfasst die p. P. im erweiterten Verständnis alles politische Denken, sofern es methodisch ist und in einer gewissen Grundsätzlichkeit erfolgt.

2. Ein Blick in die Geschichte

Die heutigen politischen Verhältnisse hängen nicht bloß von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, sondern auch von politischen Denkern ab, welche die Entwicklungen bald kommentierend, bald kritisierend begleiten. Infolgedessen gehört zur p.n P. ihre Geschichte wesentlich hinzu. Die großen Autoren behandeln allerdings ihren Gegenstand so facettenreich, oft geradezu enzyklopädisch, dass hier nur die allerbedeutendsten Autoren erwähnt und zudem bloß mit wenigen ihrer Gedanken berücksichtigt werden können.

Bei Platon als dem ersten „Kirchenvater“ der Philosophie zeichnet sich politisches Denken durch drei Leitgedanken aus: durch die „Sorge für die Seele“ (Plat. apol. 29d-e); sodann dadurch, dass man sich bei dieser existentiell wichtigen Aufgabe von keiner demokratischen Mehrheit abhängig machen darf; und schließlich durch die Einsicht, dass gute Argumente allein nicht überzeugen, weshalb zusätzlich ein der Sache angemessener Charakter nötig ist. Deshalb müssen an der Spitze eines Gemeinwesens Personen stehen, die sog.en Philosophen-Könige, die durch die Verbindung von Einsicht und Charakter sich ausschließlich und zuverlässig dem Gemeinwohl widmen. Zur Wappnung gegen die naheliegende Gefahr, persönliche und familiäre Interessen über das Gemeinwohl zu stellen, sieht Platon für die Führungselite (Elite) – aber nur für sie – eine Güter-, Frauen- und Kindergemeinschaft als unabdingbar an.

Der zweite „Kirchenvater“ p.r P., Aristoteles, erhebt dagegen Einspruch. Als erstes bestimmt er die Grundlage einer politischen Anthropologie. Ihr zufolge ist der Mensch von Natur aus ein politisches, nämlich auf das Leben in einer Polis angelegtes Lebewesen: physei politikon zôon. Für die Grundstruktur der Polis, also ihre Verfassung, unterscheidet er zweimal drei Arten: Als geglückt und gut gilt eine Verfassung, die dem Gemeinwohl dient, als missglückt und schlecht hingegen eine Verfassung, die v. a. den Interessen der Herrschenden dient. Je nachdem, ob nun einer, wenige oder viele bzw. alle an der Herrschaft beteiligt werden, liegt dann im Fall einer guten Verfassung eine Monarchie, Aristokratie oder Politie (d. h.: ein Bürgerstaat von Freien und Gleichen) vor, im Fall einer schlechten Verfassung hingegen eine Tyrannis, eine Oligarchie oder eine Demokratie (hier verstanden als eine Ordnung, in der sich das Volk, namentlich die Armen, an keinerlei Gesetze bindet). Zusätzlich entwickelt Aristoteles im Rahmen einer differenzierten Gerechtigkeitstheorie den Gedanken eines dem positiven Recht als „regulative Rechtsidee“ (NE V10) gegenüberstehenden Naturrechts, das sich durch Nichtbeliebigkeit und Universalität auszeichnet.

Beim christlichen Kirchenvater Augustinus tritt an die Stelle der p.n P. eine politische Theologie. In „De civitate dei“ („Vom Gottesstaat“) erklärt er, ein Königreich, dem es an Gerechtigkeit fehle, sei nichts anderes als eine große Räuberbande. Ferner operiert er mit einem schroffen Gegensatz von zwei sittlichen Grundeinstellungen und den ihnen entspr.en „Reichen“ (Augustin. civ. XIV 28). Dem weltlichen, von Selbstliebe beherrschten irdischen Staat (auch „Staat des Teufels“ [Augustin. civ. XVI 16] genannt) widersetzt sich das spirituelle, von Gottesliebe geprägte göttliche Gemeinwesen. Dieses himmlische Jerusalem ist allerdings erst am Ende aller Zeiten zu erwarten, also nach dem Jüngsten Gericht.

Den Übergang zur Neuzeit bilden zwei konträr entgegengesetzte Positionen p.r P. Auf der einen Seite steht Niccolò Machiavelli mit seiner „provisorische[n] Amoral“ (Höffe 2016: 186). In „Il principe“ („Der Fürst“) wird der Herrscher unter gewissen Bedingungen von jeder Moral entbunden: Weil der Mensch „undankbar, wankelmütig, verlogen, heuchlerisch, ängstlich und raffgierig“ (Machiavelli 1986: 129) ist und solange nicht die Macht der Gesetze als Korrektiv zur Verfügung steht, darf der Fürst eine von moralischen Skrupeln freie Machtpolitik betreiben, um nicht zur Beute fremder Unmoral zu werden. Die Gegenfigur – Thomas Morus – gibt hingegen in „Utopia“ einer neuen Gattung politischen Denkens sowohl ihren Titel, nämlich „Utopie“, als auch ihre geläufigste literarische Form, den Bericht einer fiktiven Reise in ein Land mit vorbildlichen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Zu diesen führen bei T. Morus der Verzicht auf Privateigentum und Geld, die Pflicht von jedermann zur Arbeit sowie in Religionsfragen konsequente Toleranz.

In Zeiten von teils religiösen, teils politisch motivierten Kriegen wird dann Thomas Hobbes zum Schöpfer einer der größten p.n P.n des Abendlandes, nämlich der Vertragstheorie. In charakteristischen Veränderungen wird diese auch von Baruch de Spinoza, John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant vertreten, von David Hume und später Georg Wilhelm Friedrich Hegel jedoch verworfen.

Weil im gedanklichen Konstrukt „Naturzustand“ (Hobbes 1996: 102) aufgrund der drei Konfliktursachen Konkurrenz, Misstrauen und Ruhmsucht sowie mangels von Recht und Staat ein latenter Krieg aller gegen alle herrscht, schließen die Menschen um ihres Leitzieles, des Friedens, willen einen (Gesellschafts-)Vertrag ab. Aus ihm, einem Unterwerfungsvertrag unter einen alle schützenden Oberherrn, geht eine absolute Souveränität hervor (von lateinisch superioritas, d. h. Überlegenheit), die in der von T. Hobbes bevorzugten Gestalt einer Monarchie (eventuell aber auch als Aristokratie oder als Demokratie) die uneingeschränkte Autorität über Gesetzgebung, Justiz und Exekutive besitzt. Für das moderne positive Recht (Rechtspositivismus) bringt T. Hobbes’ Formel „nicht die Wahrheit, sondern eine Autorität schafft [geltendes] Recht“ das Wesen rechtlicher Geltung, aber nicht Gültigkeit auf den Punkt.

Das praktische Hauptwerk des Erzvaters des Liberalismus, J. Locke, die „Zweite Abhandlung über die Regierung“, erhält – auch weil die gleichwertigen Schriften der Zeitgenossen B. de Spinoza und Samuel von Pufendorf weniger gelesen wurden – rasch den Rang einer Stiftungsurkunde des wirtschaftlichen und politischen Bürgertums (Bürger, Bürgertum). Wie T. Hobbes begründet J. Locke den Staat aus der Zustimmung freier Menschen, dem Gesellschaftsvertrag. Bei J. Locke kommt es aber auf mehr als den Frieden an. Die zu schützenden Grundgüter heißen Leben, Freiheit und Eigentum. J. Locke legt großen Wert auf die Gewaltenteilung, auf ein Widerstandsrecht, auf wirtschaftliches Wohlergehen und auf Toleranz. Nach J. Lockes Arbeitstheorie rechtfertigt das „unbestreitbare Eigentum des Arbeitenden“ (Locke 1974: 22), die Arbeit, die Unterscheidung von Mein und Dein und stellt den wichtigsten wertschaffenden Faktor dar. Wie schon bei Platon spielt auch bei J. Locke die Erziehung der politischen Elite eine wichtige Rolle.

Ebenso legt J.-J. Rousseau auf die Erziehung größten Wert, jetzt allerdings auf die jedes Menschen. In seiner „Ersten Abhandlung“ übt er eine scharfe Kulturkritik, und in der „Zweiten Abhandlung“ brandmarkt er zwei soziale Ursünden, nämlich das Privateigentum und den Staat. Im Gegensatz dazu entwickelt er in seiner Schrift über den Gesellschaftsvertrag eine Alternative zu den entfremdeten Gesellschaften, nämlich einen Staat, der auf dem Gemeinwillen (volonté générale) gründet, dem Gemeinwohl verpflichtet ist, das Privateigentum zulässt und in einer offenbarungsfreien, rein funktionalen Staatsreligion, der Bürgerreligion (religion civile; Zivilreligion), politische Einheit stiftet.

In den „Federalist Papers“, dem politisch wichtigsten Beitrag zur p.n P. der USA, legen Alexander Hamilton, John Jay und James Madison die geistige Grundlage einer konstitutionellen Demokratie. I. Kant gibt auf dem Höhe- und Wendepunkt der Aufklärung für die Rechts- und Staatsordnung eine von Empirie und Theologie vollständig unabhängige Begründung aus reiner praktischer Vernunft. Den Kern bildet das allg.e Rechtsgesetz, ein kategorischer Rechtsimperativ: „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“ (Kant 1914: 231). Daraus folgert I. Kant als ein „inneres Mein und Dein“ das urspr.e, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende und insofern „angeborene“ Recht (Kant 1914: 237). Im Rahmen einer dreidimensionalen Theorie des öffentlichen Rechts setzt er sich in seiner Staatsphilosophie für einen liberalen Rechtsstaat, im Völkerrecht für eine weltumspannende Rechtsordnung und im neuartigen Weltbürgerrecht für ein globales Besuchs-, kein Gastrecht ein. Von drei Antriebskräften – der Erfahrung mit den Schrecken des Krieges, der Errichtung von Republiken und der „ungesellige[n] Geselligkeit“ (Kant 1923: 20) des Menschen – erwartet er, dass sie nach und nach zur Herausbildung einer globalen Friedensordnung führen. Platons Forderung nach Philosophen-Königen stellt I. Kant eine rechtstaatlich-demokratische Alternative entgegen: Philosophen sind lediglich für die Begründung rechtsmoralischer Prinzipien zuständig, während deren konkrete Durchsetzung den Politikern mitsamt deren juristischen Beratern obliegt.

G. W. F. Hegel setzt die gesamte natürliche, soziale und politische Welt der Kraft dialektischen Denkens (Dialektik) aus. An der Französischen Revolution diagnostiziert er als Preis für die „absolute Freiheit“ den „Schrecken“ (Hegel 2015: 316). Gemäß seinem Lehrstück über „Herrschaft und Knechtschaft“ (Hegel 2015: 109) in der „Phänomenologie des Geistes“ findet die Konstruktion der menschlichen Subjekte als ein Kampf um Anerkennung statt, in dem drei Dimensionen ineinander greifen: die persönliche Auseinandersetzung der Menschen mit sich selbst; die soziale mit seinesgleichen; sowie – in Form von Arbeit – die ökonomisch-ökologische Auseinandersetzung mit der Natur.

In G. W. F. Hegels Hauptwerk zur p.n P., den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, bildet der freie Wille jenes Leitprinzip, bei dem es – in Stufen immer gehaltvollerer Gestaltung – schließlich auf die („Dasein“ [Hegel 1955: 45] genannte) „volle Wirklichkeit“ ankommt. Sie wird erreicht in jener Synthese von abstraktem Recht und subjektiver Moralität, die G. W. F. Hegel als Sittlichkeit bezeichnet. Diese beginnt in der Familie, setzt sich fort in der Wirtschafts- und Arbeitsgesellschaft der „bürgerlichen Gesellschaft“ (Hegel 1955: 149) und gipfelt im Staat. G. W. F. Hegel betrachtet die Weltgeschichte dabei als Rechtsfortschritt, der sich aber nicht – wie bei I. Kant – in einer globalen Friedensordnung vollendet, sondern gewissermaßen national (Geschichte, Geschichtsphilosophie).

Der Liberalist und Utilitarist, Philosoph und Sozialreformer John Stuart Mill war nicht bloß politischer Philosoph, sondern als Abgeordneter der liberalen Whigs für einige Jahre auch aktiver Politiker. In den „Grundsätze[n] der politischen Ökonomie“ entwirft er einen sozialen Wirtschaftsliberalismus mit gewissen sozialstaatlichen Aufgaben (Sozialstaat), die er in einer späteren Auflage – vorübergehend – um gewisse sozialistische Gedanken (Sozialismus) ergänzt: um die Umwandlung des Privateigentums in genossenschaftliches und staatliches Eigentum und um die politische Gleichberechtigung der Arbeiterschaft. In der Abhandlung „Über die [bürgerliche oder soziale] Freiheit“ plädiert er – unter Berufung auf Wilhelm von Humboldt – für Gedanken- und Gewissensfreiheit (Gewissen, Gewissensfreiheit), nämlich gegen die „Tyrannei der Mehrheit“ (Mill 2014: 310), sowie für das Recht, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen. In den „Betrachtungen über die repräsentative Regierung“ fordert er einerseits ein gewähltes Parlament, Gewaltenteilung und Kontrolle der Regierung (Politische Kontrolle). Andererseits hält er die Demokratie nur dann für die vorzugswürdige Staatsform, wenn sie die geistigen, sittlichen und praktischen Fertigkeiten der Bürger fördert. In seiner Schrift „The Subjection of Women“ (1869) kritisiert J. S. Mill vehement die Unterdrückung der Frauen.

Als wirkungsmächtigster Kritiker bürgerlicher Volkswirtschaftslehre, der – v. a. britischen (Adam Smith, J. S. Mill u. a.) – politischen Ökonomie, nimmt sich Karl Marx gemäß seiner Elften These über Ludwig Feuerbach nichts weniger vor, als die Welt mittels philosophischer Überlegungen zu verändern. Die Gesellschaft werde bislang vom Widerspruch von Kapital und Arbeit beherrscht, der mit einer Entfremdung der Arbeiterschaft von ihrer Arbeit, von sich selbst und von ihren Mitmenschen Hand in Hand gehe. Auflösen lasse sich dieser Widerspruch nur durch die – schon von T. Morus geforderte – Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, was letztlich zur Emanzipation der Arbeiterklasse führe.

Der Soziologe und Volkswirtschaftler Max Weber ist für die p. P. vor allem dank zweier Verdienste wichtig. Im monumentalen Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ unterscheidet er drei Herrschaftstypen: die rationale, die traditionale und die charismatische Herrschaft; und in „Politik als Beruf“ nimmt er die folgende Bestimmung eines guten Politikers vor: er habe die eigenen Überzeugungen („Gesinnungsethik“ [Weber 1988: 551]) mit der Verantwortung für die Folgen seines politischen Tuns in Einklang zu bringen („Verantwortungsethik“ [Weber 1988: 551]).

Sieht man für die zeitgenössischen Debatten von derzeit noch lebenden Autoren ab, so kann als wichtigster Autor der p.n P. der von I. Kant inspirierte John Rawls gelten. Bahnbrechend ist seine die Vertragstheorie erneuernde „Theorie der Gerechtigkeit“. Diese entwickelt die politische Gerechtigkeit qua Fairness entlang von zwei Prinzipien: dem Prinzip der größten politischen Freiheit und dem Prinzip der Zulässigkeit von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten, sofern diese – zum einen – den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und – zum anderen – alle Ämter und Positionen im Prinzip allen offenstehen. Ferner muss das politische Vorbild, eine konstitutionelle Demokratie, angesichts der Konkurrenz „umfassender Lehren“ (Rawls 1998: 219) einen „übergreifenden Konsens“ (Rawls 1998: 220) suchen sowie der „öffentlichen Vernunft“ (Rawls 1998: 317) freien Raum bieten.

3. Der Begriff der Politik

Dieser Kern- und Leitbegriff der p.n P. ist vieldimensional. „Politik“ meint zunächst das Ringen um eine konkrete Staatsform bzw. um die öffentliche Ordnung eines Gemeinwesens (polity). Sodann gehören zur Politik die Programme und Grundsätze zielorientierten politischen Handelns (policy). Unter ihren Begriff fallen des Weiteren die politischen Prozesse selbst (politics), etwa das konkrete „Politikmachen“ sowie die öffentlichen Debatten sowie die Tätigkeit der Zivil- bzw. Bürgergesellschaft, mithin das Tun der dies alles tragenden oder durchführenden Personen, etwa der Verfassungs- und Gesetzgeber, der Politiker und Bürger.

Diese – seit dem Übergang zur Sesshaftigkeit – in anscheinend allen Kulturen und Epochen zu findenden Phänomene werfen die Frage auf, warum es die „Politik“ überhaupt gibt: Welche allgemeinmenschlichen Sachverhalte und ebenso allgemeinmenschlichen Erfahrungen und Interessen führen zur Selbstorganisation des Zusammenlebens? Damit befasst sich die politische Anthropologie. Diese stößt auf zwei keineswegs konkurrierende, vielmehr komplementäre Antriebskräfte: Politik als Kooperation und als Konflikt. Weil die Regeln des Gemeinwesens sich mit einer Zwangsbefugnis verbinden und deren Inbegriff „Recht“ heißt, hat die Politik zusätzlich zu den schon genannten Begriffen auch in einem doppelten Sinn einen Rechtscharakter: Einerseits spielt sie sich im Rahmen des jeweiligen Rechts ab, andererseits geht aus der Politik Recht hervor. Allerdings entstammt nicht alles Recht der Politik, sondern kann ihr auch – wie vielerlei Gewohnheitsrecht – vorgelagert sein. Wo aber die Politik mit zwangsbefugten Regeln operiert, hat sie den Charakter von Herrschaft, sichtbar im Inbegriff der öffentlichen Gewalten: der legislatorischen Regelfestsetzung, der exekutiven Regeldurchsetzung und der autoritativen, judikativen Regelauslegung.

Jede Herrschaft von Menschen über Menschen bedarf einer Rechtfertigung, die sich etwa auf gemeinsame Zwecke wie die Selbsterhaltung des Gemeinwesens oder wie Frieden und Gerechtigkeit berufen kann. Weil der Inbegriff all dessen „Gemeinwohl“ heißt, ist die Politik nach einem weiteren, ihrem legitimatorischen und finalen Begriff idealerweise als die Aufrichtung oder Aufrechterhaltung einer Ordnung im Dienste des Gemeinwohls zu verstehen. Zwei Ressourcen dienen dabei der Rechtfertigung von Herrschaft sowie ihrer Ausübung: Zustimmung und Macht. Weil beide Ressourcen knapp sind, wird um sie gekämpft. Infolgedessen braucht es auch einen Machtbegriff des Politischen, nämlich die Politik als Ringen um Einfluss und Macht, einschließlich der all dem dienenden Auseinandersetzung mit Programmen, Strategien und Taktiken. Ab einer gewissen Größe der Gemeinwesen und Komplexität der politischen Prozesse entstehen weitere Subjekte der Politik, was den Begriff der Politik noch einmal ausweitet, bspw. auf die Aktivität von Parteien.

Dem Ziel, die Politik nachhaltig auf die Sorge für das Gemeinwohl auszurichten, dient der Tugend- oder Moralbegriff der Politik. Unter ihn fallen jene politischen Tugenden, welche schon die gewöhnlichen Bürger benötigen, noch dringender aber die Hauptträger von Politik, nämlich die professionellen Politiker. Ohne solche Tugenden ist nämlich ein Gemeinwesen vor Machtmissbrauch, Korruption, Nepotismus oder der Perversion politischen Streits im reinen Freund-Feind-Denken (Carl Schmitt) nicht gefeit. Geht die Herrschaft ausdrücklich von den Bürgern aus und wird sie auch von diesen selbst ausgeübt, so erreicht die Selbstorganisation des Zusammenlebens um des Gemeinwohls willen ihre Vollendung: Es entfaltet sich Politik als Demokratie, die sich im Zeitalter der Globalisierung in einer Kosmo-Politik vollenden kann, also in einer „subsidiäre[n] und föderale[n] Weltrepublik“ (Höffe 2002: 294).

4. Zeitgenössische Aufgaben

Die Ausdifferenzierung der Wissenschaften hat auch die p. P. erfasst und dabei eine sich verselbständigende Theorie des Politischen sowie die politische Ideengeschichte hervorgebracht. Die p. P. könnte zwar mit dem Rückzug auf eine reine, etwa analytische oder transzendentale Philosophie des Politischen antworten. Doch die Klärung der Grundbegriffe und Leitaspekte des Politischen ist der Philosophie und der Theorie der Politik ohnehin gemeinsam. Obendrein spricht allein schon die politische Intention der p.n P. für thematische und methodische Offenheit. Nach dem Vorbild etwa von Aristoteles schließt sie deshalb auch jene Bereiche ein, die sich erst später aus der p.n P. herausgelöst haben, wie etwa die Innenpolitik, die Außenpolitik und Internationalen Beziehungen, die Friedens- und Konfliktforschung, die Vergleichende Systemanalyse, die Politische Soziologie und die Empirische Politikforschung. Eine genuin p. P. des Politischen ist jedenfalls offen für Interdisziplinarität.

Im Übrigen hat die komplexe Globalisierung in ihren drei jeweils facettenreichen Dimensionen, der globalen Gewaltgemeinschaft, der globalen Kooperationsgemeinschaft und der globalen Schicksalsgemeinschaft, den Gegenstandsbereich eines politischen Grundbegriffs – der Souveränität – bis in seinen Kern verändert. Dabei drängt ein extensiv und intensiv immer reicheres Völkerrecht langfristig auf eine Weltrechtsordnung, am Ende auf die genannte subsidiäre und föderale Weltrepublik hin. Die einschlägigen Debatten sind als jene interkulturellen Politik- und Rechtsdiskurse zu führen, die – wider alle Gefahr eines Euro- oder Americo-Zentrismus – sowohl in der politischen Theorie als auch in der politischen Ideengeschichte und in der politischen Praxis für sachgerechte Elemente aller politischen Kulturen offen sind.

Weitere Themen einer zeitgenössischen politischen Philosophie verstehen sich mittlerweile von selbst: Umwelt- und Klimaschutz; die Abhängigkeit der Politik von Sachverstand, ohne zur Expertokratie zu degenerieren; die Politik als Markt mit Phänomenen wie Marktleistung und Marktversagen; die neue Macht einer vornehmlich schichtspezifischen Zivil- bzw. Bürgergesellschaft; eine Öffnung des Gemeinwohls auf das Wohl der künftigen Generationen bzw. zur Gerechtigkeit gegenüber ihnen; die Digitalisierung mitsamt der Informationstechnik; nicht zuletzt die Gefährdung des Gemeinwohls durch medienvermittelte Skandalisierungen des Politischen.