Patientenverfügung

1. Einfachrechtliche Regelung und verfassungsrechtlicher Hintergrund

Der im Jahre 2009 in das BGB eingefügte § 1901a Abs. 1 S. 1 umschreibt den Rechtsbegriff der P. dahingehend, dass „ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt [hat], ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt“. Nach langen und intensiven Debatten im wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und parlamentarischen Raum ist mit dem sog.en P.s-Gesetz – korrekt: Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (Betreuung) vom 29.7.2009 (BGBl I: S. 2286) – nunmehr in der (einfachen) Rechtsordnung anerkannt, dass eine entspr.e Vorausverfügung, unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betroffenen (§ 1901a Abs. 3 BGB), Beachtung und Befolgung beanspruchen kann. Damit trägt das einfache Recht den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantiert, zielt in seiner Abwehr- und Schutzdimension auf eine doppelte Gewährleistung: Zum einen umfasst es einen (statischen) Anspruch auf Bewahrung der Integrität, zum anderen umfasst es ein (dynamisches) Freiheitsrecht der Selbstbestimmung über die leiblich-seelische Integrität. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beinhaltet dementsprechend auch das Recht zu sterben, jedenfalls in dem Sinne, dass ein Behandlungsveto eines Patienten von Ärzten und Pflegenden beachtet werden muss, selbst wenn die Nichtbehandlung zum Tode führt. Vor diesem grundgesetzlichen Hintergrund ist es auch medizinrechtlich zweifelsfrei, dass jede ärztliche oder pflegerische Intervention nicht nur grundsätzlich einer entspr.en Indikation bedarf, sondern vom Willen des Betroffenen getragen sein muss. Dies gilt nicht nur in den Situationen, in denen der Betreffende noch einsichts- und kommunikationsfähig ist, sondern auch für zukünftige Konstellationen der Einwilligungsunfähigkeit. Diese Selbstbestimmungsbefugnis garantiert auch die Freiheit zur Selbstbestimmung durch zukunftswirksame Festlegungen.

Jede Begrenzung dieses – auch antizipativen – Selbstbestimmungsrechts erweist sich in grundrechtsdogmatischer Perspektive als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in ein grundrechtliches Schutzgut. Rechtfertigungsbedürftigkeit schließt allerdings Rechtfertigungsfähigkeit nicht aus. Unter Wahrung der Anforderung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Verhältnismäßigkeit) können verfassungslegitime Gegengründe eine Beschränkung der Selbstbestimmung durchaus legitimieren. Insofern kommen nicht nur Rechte anderer, etwa das berechtigte Interesse der am Behandlungsverhältnis beteiligten Ärzte und Pflegenden an einer hinreichend sicheren Basis für ihre (Nicht-)Behandlungsentscheidungen, sondern auch Interessen des Grundrechtsberechtigten selbst in Betracht. So kennt die Rechtsordnung auch in anderen Zusammenhängen zahlreiche unterschiedliche Formen des Schutzes vor nicht ausreichend überlegten Willensbekundungen bei geschäftsfähigen Personen (Formvorschriften, Rücktrittsrechte, Altersgrenzen usw.). Damit trägt die Rechtsordnung im Blick auf die Schutzfunktion der grundrechtlichen Selbstbestimmung Sorge dafür, dass fremdbestimmende Übergriffe in die körperliche Integrität möglichst ausgeschlossen werden.

2. Einwände und Kritik

Vor diesem Hintergrund sind die einschlägigen Regelungen der §§ 1901a ff. BGB durchaus kritisch zu sehen. Sie folgen nämlich einem eher formalistischen Selbstbestimmungsverständnis. Auf nähere Vorschriften zur Sicherung einer informierten und reflektierten Entscheidung – wie etwa durch eine Beratungspflicht vor der Abfassung eines entspr.en Schriftstücks oder eine Aktualisierungspflicht – hat der Gesetzgeber ausdrücklich verzichtet. Der Verzicht auf derartige Schutzvorkehrungen vor nicht hinreichend reflektierten Vorausverfügungen und vor integritätsbeeinträchtigender Fremdbestimmung verkennt aber die strukturelle Asymmetrie zwischen einer grundsätzlich in einen kommunikativen Prozess eingebetteten Willensbekundung eines Einwilligungsfähigen einerseits und einer antizipativen P. andererseits. Während ersterer sich auf die jeweilige Krankheitskonstellation bezogenen fachkundigen Rat einholt, sich mit Angehörigen oder anderen Vertrauenspersonen beraten kann, besteht diese Möglichkeit bei der Vorausverfügung nicht mehr. Es ist genau diese Fragilität der Entscheidungsbasis und der Verlust an individueller Bestimmungs- und Vetomacht in der konkreten Entscheidungssituation, die die Gefahr fremdbestimmender Übergriffe auf Selbstbestimmung und Integrität intensiviert. Die Lebensweltkompatibilität der gesetzlichen Regelungskonzeption erweist sich somit als problematisch. Hinzu tritt ein weiteres Praxisproblem: § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB verlangt bestimmte Festlegungen hinsichtlich zukünftiger Behandlungen und Eingriffe. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat hohe Anforderungen an die Konkretheit der Vorausverfügung formuliert (BGH, NJW 2016: 3297 ff. und NJW 2017: 1737 ff.).

Daran scheitern in der Alltagspraxis nicht in einem Beratungsprozess entstandene Vorausverfügungen nicht selten. Die Betroffenen eröffnen damit aber den Weg für die Ermittlung des sog.en mutmaßlichen Willens (s. § 1901a Abs. 2 BGB), der ebenfalls ein Einfallstor für nicht immer nur fürsorgliche Fremdbestimmung darstellt.

3. Advance Care Planning als Fortentwicklung

Diese und weitere Einwände gegen die theoretische Konstruktion und die konkreten Umsetzungsprobleme haben in den zurückliegenden Jahren v. a. in der medizinethischen Debatte zu einer immer stärkeren Kritik am Instrument der P. geführt und als Alternativmodell die gesundheitliche Vorausplanung – ACP – verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Das Rahmenkonzept ACP will für die letzte Lebensphase einen selbstbestimmten und informierten Entscheidungsprozess der Betroffenen gewährleisten, indem ein dauerhafter qualifizierter Gesprächsprozess zwischen den Betroffenen und einer oder mehreren Gesundheitsfachpersonen unter Einbeziehung naher Angehöriger/Vertrauenspersonen implementiert wird. Der deutsche Gesetzgeber hat hierauf bereits reagiert und mit der neuen Vorschrift des § 132g SGB V das Institut der „gesundheitliche[n] Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“ in das Recht der GKV eingeführt. Das ACP-Konzept zielt auf die Stärkung von Selbstbestimmung durch institutionell eingebettete, kontinuierliche und professionell begleitete Kommunikationsprozesse. Ein solcher Ansatz ist dem Modell einer (isolierten) P. überlegen. Er trägt nämlich dem Umstand Rechnung, dass Selbstbestimmung am Lebensende stets prekäre Selbstbestimmung ist.