Nachhaltigkeit

  1. I. Sozialethisch
  2. II. Rechtlich
  3. III. Politikwissenschaftlich
  4. IV. Ökonomisch

I. Sozialethisch

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1. Forstwirtschaftliche Impulse für das Gemeinwohl

Das Regulationsprinzip der N., das zuerst 1713 vom sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz formuliert wurde, ist ein Produkt der Frühaufklärung. Seine Herausbildung steht im Kontext des Kameralismus, von dem es die bis heute prägende Orientierung auf das Staats- und Gemeinwohl übernahm. H. C. von Carlowitz verwendet „nachhaltig“ als Gegenbegriff zu „nachlässig“. Gemeint ist eine ethische Haltung der aktiv plandenden Zukunftsgestaltung, die die schöpferische Kraft der Natur (natura naturans) zur Entfaltung bringt und erhält.

Auch wenn N. von Anfang an weit mehr ist als eine forstwirtschaftliche Erhaltungsregel, eignet sich diese als einprägsame Kurzformel: „Nicht mehr Bäume schlagen, als nachwachsen“, allg.er: „Nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als sich im gleichen Zeitraum neu bilden“. Hierzu kann man in zahlreichen Feldern anschauliche Analogien bilden. So bspw. in der Finanzwirtschaft: „Von den Zinsen und nicht vom Kapital leben“ gilt als Maßstab finanzieller N. (wobei die Gleichsetzung von Geld mit dem Konzept einer Ressource keineswegs unproblematisch ist).

Die vielseitige Verwendbarkeit der N.s-Formel beruht meist auf metaphorischen Übertragungen. Kern der N. ist der ethische Anspruch langfristigen Denkens hinsichtlich einer umsichtig vorausschauenden Einbindung der Wirtschaft in ökologische Stoffkreisläufe und Zeitrhythmen. Ihr liegt die Auffassung zugrunde, dass das Ressourceneigentumsrecht einer Generation auf den Charakter eines usus fructus begrenzt ist, also des Rechts, sich die Erträge anzueignen, solange die Ertragskraft als solche erhalten bleibt. Weil der Mensch die Natur nicht geschaffen hat, kann er auch nicht in einem emphatischen Sinn ihr Eigentümer sein. So formulierte es bereits der liberale Philosoph John Locke im 17. Jh. Heute wird N. oft mit dem Kollektivgutcharakter vieler globaler Ressourcen begründet. Deren Schutz setzt radikale Reformen des internationalen (Eigentums-)Rechtes voraus.

Das aus der Natur ableitbare Muster von nachhaltiger Entwicklung ist nur sehr begrenzt ein sinnvolles Vorbild für die Gestaltung der Gesellschaft. Konzipiert man sie als normativ aufgewertetes Gleichgewicht, ist das Modell als naturalistischer Fehlschluss zu charakterisieren. Denn sowohl in der Natur wie im Sozialen beruht Entwicklung auf je unterschiedlichen, komplexen Zuordnungen von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsprozessen. N. ist in gleicher Weise auf Erhaltung sowie auf technische und soziale Innovationen angelegt. Gerade darin liegt der politisch-strategische Gehalt des Konzeptes, das den Umweltschutz aus der Defensive eines bloß nachgelagerten Reparaturbetriebes herausführen will. Insofern dabei wesentlich der Gedanke der integrativen Vernetzung im Mittelpunkt steht, unterscheidet sich das politische N.s-Konzept grundlegend vom forstwirtschaftlichen Zugang (Land- und Forstwirtschaft). Im Sinne einer reflexiven Moderne zielt N. darauf, gesellschaftliche Nebenwirkungen technischer und sozioökonomischer Entwicklungen von Anfang an mitzudenken. Dafür sind die sich rasant wandelnden Wissensgesellschaften auf eine prospektive Verantwortung der Wissenschaftsinstitutionen angewiesen.

2. Gerechtigkeitstheoretische Perspektivenerweiterung (transformative Wissenschaft)

Ethische Basis der N. ist die Erweiterung des Verständnisses von Gerechtigkeit auf weltweite und generationenübergreifende Dimensionen (globale und intergenerationelle Gerechtigkeit). Dies ist eine logische Konsequenz der räumlichen und zeitlichen Entgrenzung technischer Entwicklungen, wirtschaftlicher Interaktionen und sozialer Interdependenzen, die eine entspr.e Erweiterung der Ethik erfordern. Ob N. anthropozentrisch, also mit einer auf den Menschen zentrierten Perspektive, hinreichend begründet werden kann, oder ob ökologische Gerechtigkeit als dritte Komponente der N. ergänzt werden muss, wird kontrovers diskutiert. Zu beachten ist dabei, dass N. einerseits von ihrem Ursprung als Naturnutzungskonzept her einen klar anthropozentrischen Ausgangspunkt hat; andererseits kann der ihr inzwischen zugewachsene Anspruch als umfassende ethische Orientierung für eine Transformation des Naturverhältnisses nicht ohne eine gestufte Anerkennung des Eigenwertes der Natur auskommen, sodass das Konzept deutlich über die Anthropozentrik hinausweist (Umweltethik).

Wenn man N. anthropozentrisch und egalitaristisch interpretiert, ergeben sich zwei ethische Grundpostulate: erstens gleiche Lebenschancen für künftige Generationen, zweitens gleiches Recht aller auf global zugängliche Ressourcen. Angesichts der tiefen Unterschiede hinsichtlich der geographischen, kulturellen und historischen Voraussetzungen, unter denen Menschen leben, sind solche Gleichheitspostulate jedoch problematisch. Peter Sloterdijk spricht von einem „Naturalsozialismus“ (Sloterdijk 2009: 695) pauschaler Gleichheitspostulate (Gleichheit). Für die ethische Diskussion ihrer Differenzierung und Eingrenzung sind die Begriffe equity und fairness hilfreich. Diese terminologischen Varianten lösen jedoch keineswegs das philosophische Grundlagenproblem, ob Gleichheit als eigenständiges Ziel von Gerechtigkeit aufgefasst werden kann, was im Nonegalitarismus abgelehnt wird.

Weil sich Zukunft oft nicht ausrechnen lässt und die Bedürfnisse und Fähigkeiten künftiger Menschen nur unvollständig bekannt sind, sollte man der Freiheit einen hohen Stellenwert einräumen. Zielgröße des intergenerationell Gerechten ist dann nicht die Idee einer Gleichverteilung der Ressourcen, sondern die Vermeidung von Engpässen, die die Entfaltungsmöglichkeiten der Nachkommen substanziell einschränken. Dabei sind Umweltgüter wie Klimastabilität, Biodiversität oder Zugang zu sauberem Süßwasser zunehmend relevant für die Garantie menschenrechtlicher Standards. Zur Entfaltung der innovativen Seite von N. und intergenerationeller Gerechtigkeit kann das Konzept der Bioökonomie wesentliche Orientierung bieten.

Zentrale Bewährungsprobe für intergenerationelle N. ist heute Gerechtigkeit im Umgang mit CO2. Auf der Basis eines menschenrechtlichen Ansatzes (Menschenrechte) ergibt sich dabei das Konzept der green development rights, das Armutsbekämpfung als Bedingung und Ziel systemisch in Klimaschutzstrategien integriert. Nach den gängigen Modellen der internationalen Klimaverhandlungen heißt CO2-Gerechtigkeit, dass die führenden Industrienationen ihren CO2-Ausstoß bis 2050 um mindestens 80 % reduzieren. Bisher (2018) haben alle politischen Zusicherungen, energietechnischen Innovationen und partiellen Regulierungsmechanismen nicht dazu geführt, dass eine Trendwende im stetig steigenden globalen CO2-Ausstoß erreicht wurde. Das Versagen im Klimaschutz nährt grundlegende Zweifel an dem Versprechen des N.s-Konzeptes, Ökonomie und Ökologie versöhnen zu können.

Die dreifache Erweiterung der Verantwortung im N.s-Diskurs – global, intergenerationell und naturethisch – mündet unter den gegenwärtigen Bedingungen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in eine radikale Überforderung. Das ethische Kernproblem der N.s-Kommunikation ist die „deklamatorische Verantwortungsüberlastung“ (Lübbe 1994: 298). Dabei besteht das ethische Dilemma der großen N.s-Versprechen darin, dass die mit ihnen adressierten Probleme einerseits kaum abweisbar sind, andererseits jedoch mit den bisherigen Strategien offensichtlich nicht hinreichend gelöst werden können. Es mangelt an Institutionen, die Ressourcenschutz und globale Verantwortung garantieren. Mit ihrer unaufgelösten Spannung zwischen entwicklungspolitischen und ökologischen Zielen fehlt es den 2015 von der UNO beschlossenen SDG (Nachhaltigkeitsziele) an konzeptioneller Kohärenz. Als eine kaum zu überbietende Harmonie aller wünschenswerten Ziele (z. B. vollständige Überwindung von Hunger bis 2030 oder nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle) wirken sie höchst utopisch. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Alltag ist offensichtlich, die Aushebelung der Zielerreichung durch anonyme Systemlogiken absehbar. Ethisch-systematisch kann darauf entweder mit einer Ablehnung des N.s-Konzeptes geantwortet werden oder mit einer Modifizierung. Letztere verlagert den Akzent von der Zielformulierung auf die Frage nach Hebelpunkten für Veränderungen. Vor diesem Hintergrund wird der N.s-Diskurs zunehmend mit dem der „Große[n] Transformation“ (WBGU 2011) verknüpft.

3. Nachhaltigkeit im Anspruch neuer Wohlstandsmodelle

N. steht nicht nur für ein sozialtechnisches Programm der Ressourcenschonung, sondern darüber hinaus für eine ethisch-kulturelle Neuorientierung. Das neuzeitliche Fortschrittsparadigma des unbegrenzten Wachstums soll durch die Leitvorstellung einer in die Stoffkreisläufe und Zeitrhythmen der Natur eingebundenen Entwicklungen abgelöst werden. Die Voraussetzungen, Grenzen und Ziele von Fortschritt müssen in neuer Weise mit den Bedingungen der Natur abgestimmt werden. Umsichtige Risikovermeidung und Resilienz im Umgang mit den ökologischen und sozialen Lebensräumen werden zu zentralen Bezugsgrößen gesellschaftlicher Entwicklung, technischer Planung und politischer Gestaltung. Ein Schlüsselbereich, der insb. in Deutschland seit nahezu fünf Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird, ist dabei die Stromversorgung (Energiepolitik). N.s-Konzepte verknüpfen meist drei Strategien: Substitution (erneuerbare statt fossile Energie), Effizienz (technische Optimierung) und Suffizienz (Sparsamkeit durch Verhaltensänderung).

Das unbequeme Element der Suffizienz ist in den bisherigen politischen und ökonomischen Modellen der N. unterbelichtet. Man spricht lieber von green economy und nachhaltigem Wachstum. Gesellschaftlichen Konsens finden Konzepte, die nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsstile durch intelligente, rohstoff- und umweltschonende Nutzungs- und Verteilungsstrukturen propagieren. Langlebige und reparaturfreundliche Produkte, Reparieren statt Wegwerfen, Qualität durch maßgeschneiderte Dienstleistungen sowie die gemeinsame Nutzung von Gütern sollen Ressourcen schonen, Geld sparen und zugl. Arbeitsplätze fördern. Der ethische Anspruch einer Überwindung „imperiale[r] Lebensformen“ (Brand/Wissen 2017) besteht jedoch unabhänigig von der Möglichkeit solcher Win-win-Strategien. Er kann auch substanzielle Einschränkungen an Wohlstand nötig machen. Er impliziert eine Ethik des Maßhaltens und der Genügsamkeit.

Ein konzeptioneller Fehler vieler N.s-Modelle ist, dass sie den Bereich des Lebensstiles bzw. der Lebensformen und des Konsums allein der Privatsphäre zuordnen. Es ist zwar richtig, dass dieser Bereich in pluralistischen Gesellschaften nicht unmittelbar politisch kontrolliert werden kann und auch nicht soll. Dennoch unterliegen die privaten Entscheidungen der Konsumenten vielfältigen strukturellen Prägungen und Zwängen, die sehr wohl politisch zu gestalten sind. Dabei hält die Hoffnung, dass ein gestiegener Verantwortungswille der Konsumenten zur „Moralisierung der Märkte“ (Stehr 2007) führe, einer nüchternen Bilanz kaum stand, da dieser Wirkungszusammenhang von der mehrheitlich ungebrochenen Jagd nach Billigprodukten überlagert und verdrängt wird. Die positive Ökobilanz „grüner“ Produkte kann aufs Ganze gesehen die zunehmende Umweltbelastung durch Umsatzsteigerungen nicht kompensieren. Aus N.s-Perspektive ist der mündige Konsument zu erheblichen Teilen eine Fiktion, insofern sich die Verbraucher in unübersichtlichen Strukturen gerne mit wirkungslosen Ersatzhandlungen oder Greenwashing-Kampagnen, die nicht das Kerngeschäft betreffen, täuschen lassen und so eine „Selbstentmündigung in Grün“ (Welzer 2013: 86) praktizieren. Nur durch ein Wechselspiel von Angebots- und Nachfragewandel lassen sich eingeschliffene Konsummuster ändern. N. ist nicht ohne Ordnungspolitik im Sinne einer Ökosozialen Marktwirtschaft realisierbar.

Dabei ist jedoch zu beachten, das eine Kultur der N. nicht per Beschluss von oben erreicht werden kann. Sie erfordert ein komplexes Zusammenspiel von Pionieren transformativer Praxis, breitem kulturellem Wertewandel und institutioneller Gestaltung von Rahmenbedingungen. Eine Schlüsselbedeutung kommt dabei einer werte- und praxisbezogenen sowie politisch-zivilgesellschaftlich aktivierenden Bildung zu. Hierfür hat die UNO nach der Dekade Bildung für nachaltige Entwicklung (2005–14) dazu ein Weltaktionsprogramm (2015–19) ausgerufen. Dieses versteht sich als normativ fundiertes Querschnittskonzept, das nahezu alle Bereiche von Bildung und Forschung druchdringt und der Aufmerksamkeit für systemische Wechselwirkungen zwischen ökologischen, sozioökonomischen, entwicklungspolitischen, kulturellen und gesundheitlichen Faktoren eine Schlüsselbedeutung zumisst.

In der Suche nach nachhaltigen Wohlstandsmodellen wird auch den Religionsgemeinschaften eine zentrale Rolle zugeschrieben. So geht das Worldwatch Institute in Washington davon aus, dass der „Kurswechsel“ der Weltgesellschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung gelingen kann, wenn die Religionen intensiv Mitverantwortung übernehmen. Die spezifisch religiösen Potentiale liegen in der spirituellen Orientierung, der langfristigen Ethik, der globalen Gemeinschaftsbildung, der rituellen Sinnstiftung und ihrer institutionellen Verankerung. Der weit über die Kirchen hinaus rezipierte schöpfungstheologische und kulturtheoretische Ansatz nachhaltiger Entwicklung in der Enzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus hat weltweit ein hohes und anhaltendes Echo erzeugt. Substantiell für eine Ethik der N. ist nicht zuletzt die kritische Funktion theologischer Perspektiven, insofern diese einer ideologischen Überhöhung des Konzepts überall dort widersprechen, wo es mit einem umfassenden, unterschwellig sinnstiftenden und utopisch aufgeladenen Allzuständigkeitsanspruch verknüpft wird. Der Stellenwert der N. als Sozialprinzip christlicher Ethik wird kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht sozialethisch jedoch darin, dass nachhaltige Entwicklung eines Gesellschaftsvertrags bedarf, in dessen Mittelpunkt eine Transformation des Naturverhältnisses steht, die die Grundlagen des menschlichen Selbst-, Welt- und Wissenschaftsverständnisses sowie der Wirtschafts- und Lebenformen betrifft.

Für eine systematische Ethik der N. geht es im Kern um komplexe Abwägungs- und Institutionenbildungsprozesse, die eine kluge Unterscheidung zwischen Vorrangigem und Nachgeordnetem sowie zwischen verschiedenen Ebenen von Zuständigkeiten voraussetzen. Sie ist pluralistisch und zielt auf Befähigungsgerechtigkeit durch subsidiäre Stärkung (Subsidiarität) von Autonomie, Eigenpotenzialen und Partizipation. Sie ist nicht deklamatorisch vom Wünschenswerten her zu denken, sondern von den Bedingungen der langfristigen, globalen und naturverträglichen Sicherung von Freiheit.

II. Rechtlich

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1. Begriffsfragen

Die Vertreter eines materialen N.s-Begriffs unterscheiden zwischen einem engen (eindimensionalen) und einem weiten (dreidimensional-integrativen) Verständnis: Der eindimensionale N.s-Begriff wird v. a. auf die Ökologie bezogen. Anknüpfend an die Begriffsgenese in der preußischen Forstwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) zielt die ökologische N. auf die Beachtung der Belastungsgrenzen der Umwelt bei allen – insb. weit in die Zukunft reichenden – staatlichen Entscheidungen und stellt mithin ein von den Gedanken der Sparsamkeit und Dauerhaftigkeit geprägtes Ressourcenbewirtschaftungskonzept dar. Ökologische N. lässt sich daher definieren als die auch und gerade den Interessen der künftigen Generationen dienende Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen durch vorausschauende Planung, Pflege und Bewirtschaftung. Nach dem Konzept der „starken“ ökologischen N. ist dabei der vollständige Verbrauch einer Ressource (z. B. nicht erneuerbare Energieträger) in jedem Fall unzulässig. Das Konzept einer „schwachen“ N. ist hier großzügiger, sofern und soweit ein funktionaler Ersatz (z. B. erneuerbare Energieträger) geschaffen werden kann. Zutreffend dürfte insoweit ein vermittelnder Ansatz sein. Neben dem ökologischen, gibt es noch weitere eindimensionale N.s-Begriffe: Ökonomische N. bedeutet, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft durch angemessenes Wirtschaftswachstum dauerhaft erhalten bzw. hergestellt wird. Das Ziel sozialer N. ist die Gewährleistung der Voraussetzungen für eine dauerhafte Deckung ressourcenunabhängiger menschlicher Grundbedürfnisse durch funktionsfähige Sozialversicherungssysteme und Daseinsvorsorgeeinrichtungen (Daseinsvorsorge) unter Vermeidung einer Bedürfnisbefriedigung der heute Lebenden zu Lasten der künftigen Generationen.

Der dreidimensional-integrative N.s-Begriff (Drei-Säulen-Konzept) geht auf den „Erdgipfel“ der UN von Rio de Janeiro (1992) und den anschließenden sog.en Rio-Nachfolge-Prozess zurück. Das Drei-Säulen-Konzept zielt auf eine Balance von wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Sicherheit und Erhaltung der natürlichen Ressourcen unter bes.r Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen. Leitidee ist also der angemessene Ausgleich von Ökonomie, Ökologie und Sozialem im Interesse intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit.

Kritiker sehen in einem solchen materialen N.s-Konzept einen romantischen, mit disparaten Inhalten aufgeladenen Begriff, der über den seit jeher aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Auftrag des Staates, bei Interessenkonflikten eine umfassende, gerechte Abwägung im Interesse des Gemeinwohls vorzunehmen, kaum hinausweise. Sie lehnen das Konzept der N. entweder völlig ab oder ziehen ein formales Begriffsverständnis vor. Letzteres reduziert die N. auf eine rein temporäre Aussage (Verpflichtung zur langfristigen Entwicklung).

2. Rechtsgrundlagen

N. spielt zunächst im Völkerrecht eine zentrale Rolle. In den Abschlussdokumenten des „Erdgipfels“ von Rio de Janeiro (1992) wurde der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) zum globalen Schlüsselbegriff erhoben und in zahlreichen Folgekonferenzen weiter konkretisiert. Heute ist die N. völkervertragsrechtlich vielfach als Rechtsprinzip ausgeformt (z. B. Klimaschutz-, Wasser-, Biodiversitäts- und Welthandelsrecht). Dabei dominiert klar das dreidimensional-integrative Verständnis. Die N. stellt nach überwiegender Ansicht noch kein Völkergewohnheitsrecht dar. Nicht zu unterschätzen ist aber ihre Bedeutung gerade als politische Leitidee (soft law).

Im EU-Recht (Europarecht) ist die N. ein Verfassungsprinzip (vgl. nur Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV, Art. 3 Abs. 5 S. 2 EUV, Art. 21 Abs. 2 lit. d EUV). Eine bes. wichtige Verankerung findet sich in der umweltrechtlichen Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV. Danach sind die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und –maßnahmen insb. zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einzubeziehen. N. soll, mit anderen Worten, instrumentell gerade durch (externe) Integration ökologischer Belange in die sonstigen Politiken der EU bewirkt werden (Greening the Treaty). Art. 11 AEUV beinhaltet auch ein bereichsspezifisches Prinzip des Umweltrechts (N. im ökologischen Sinne, vgl. auch Art. 21 Abs. 2 lit. f EUV). Gleiches gilt für Art. 37 EuGRC, der ebenfalls die N. im weiten und engen Sinne zugl. garantiert. Bereichsspezifisch konkretisiert wird das unionsverfassungsrechtliche Prinzip der N. durch zahlreiche Sekundärrechtsakte der EU (vgl. etwa nur die Fauna-Flora-Habitat- oder die Vogelschutz-RL der EU).

Auf der Ebene des nationalen Rechts kennt das GG bislang keine Bestimmung betreffend die N. im weiten Sinne, sondern lediglich implizite, mehr oder weniger deutliche Normierungen einzelner N.s-Säulen. So findet die ökologische N. Ausdruck in der Staatszielbestimmung Umweltschutz (Art. 20a GG); danach schützt der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“. Thematische Überschneidungen der sozialen N. mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) ergeben sich zwar mit Blick auf das Existenzminimum und die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme (Sozialversicherung), das Sozialstaatsprinzip ist aber primär auf die gegenwärtige soziale Bedürfnisbefriedigung („soziale Gerechtigkeit“) ausgerichtet und wirkt daher der Generationengerechtigkeit tendenziell sogar eher entgegen. Die sog.e Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3 S. 1, Art. 115 Abs. 2 GG) schützt einen wesentlichen Aspekt wirtschaftlich-finanzieller N. Auf einfach-gesetzlicher Ebene zeigt sich ein uneinheitliches Bild: Grob gesprochen dominiert in den Gesetzen der räumlichen Gesamtplanung die dreidimensionale N. (vgl. § 1 Abs. 2 ROG, § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB), während in den Umweltfachgesetzen eher Ausprägungen der ökologischen N. vorherrschen (vgl. § 1 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG, § 1 Abs. 1 BBodSchG).

3. Rechtsnatur und -wirkungen

Für alle Rechtsebenen gilt, dass die N. – egal in welcher inhaltlichen Ausprägung – i. d. R. nur eine abwägungsoffene Grundsatznorm (Prinzip, Optimierungsgebot) und keine Regel (Gebot, Verbot) darstellt. Ihre normative Steuerungskraft ist daher gering. Sie geht nicht über die Wirkung einer „Leitplanke“ hinaus, die der Politik die grobe Richtung weist und äußerste Schranken zieht, die nicht durchbrochen werden dürfen (idée directrice). N. ist dabei auf einen abwägenden Ausgleich mit kollidierenden Belangen, Prognose zukünftiger Entwicklungen und mithin stufenweise Konkretisierung (Umsetzung und Anwendung) durch alle drei Staatsgewalten angewiesen. Insofern handelt es sich in erster Linie um einen Gesetzgebungsauftrag mit einer hohen Einschätzungsprärogative des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments (Demokratieprinzip, Gewaltenteilung). Aber auch der Verwaltung und dem Richter kommt im Rahmen dieses gestuften Konkretisierungs- und Operationalisierungsvorgangs bei der („nachhaltigkeitsfreundlichen“) Auslegung und Anwendung der Normen im konkreten Einzelfall eine wesentliche Rolle zu.

4. Nachhaltigkeit und Demokratie

Das zwingend durch begrenzte Legislaturperioden gekennzeichnete System der parlamentarischen Demokratie („Herrschaft auf Zeit“) und das damit verbundene (Wieder-)Wahlinteresse der Politiker ist – gleichsam „systemimmanent“ – mit Problemen bei der Umsetzung der N. verbunden. Politik für die „ferne Zukunft“, zumal wenn sie mit tiefergreifenden Reformen und Verzichtszumutungen gegenüber dem Volk verbunden ist, erscheint vor diesem Hintergrund vielfach als weniger wählerwirksam als eine an einer bestimmten Klientel (z. B. Rentner) orientierte „Politik der Wahlgeschenke“. Kurzum: Es besteht die Gefahr einer Dominanz eher kurzfristigen, auf den nächsten Wahltermin ausgerichteten Denkens zu Lasten langfristiger, am öffentlichen Interesse ausgerichteter Politik. Dieses strukturelle N.s-Defizit parlamentarischer Systeme ist nicht auf Deutschland begrenzt, wird aber in „rein“ repräsentativ-demokratischen Systemen (wie in Deutschland auf Bundesebene) noch verschärft. Die Erfahrung mit direktdemokratischen Instrumenten (Plebiszit) auf der Landes- und Kommunalebene in Deutschland hat ebenso wie die Systemvergleichung (z. B. Schweiz) gezeigt, dass direktdemokratische Elemente das Monopol der Parteien in der politischen Willensbildung mit in der Tendenz überwiegend positiven Effekten für das Ziel der N. auflösen können.

5. Perspektive

Ungeachtet zahlreicher, auch ambitionierter N.s-Strategien und abstrakter N.s-Ziele hinkt die Umsetzung in „konkrete Politik“ vielfach noch immer spürbar hinterher (Vollzugsdefizit). Eine klarere und normativ verbindlichere Verpflichtung des deutschen Staates auf das Prinzip der N. könnte insofern positive Impulse geben und dazu beitragen, dass es tatsächlich zu einer verstärkten Herstellung einer dauerhaft tragfähigen, generationengerechten Entwicklung unter den Bedingungen begrenzter (ökologischer, finanzieller und sozialer) Ressourcen kommt. Hierfür ist auch das Verfassungsrecht als Rahmenordnung gefordert. Der Verfassungsvergleich zeigt, dass die Erwähnung der N. als Verfassungsziel heute nahezu den Regelfall bildet. In Deutschland war dagegen verfassungspolitischen Anläufen, eine Staatszielbestimmung N. (Art. 20b nF) in das GG aufzunehmen, bislang kein Erfolg beschieden. Verfassungspolitisch wäre eine solche Verfassungsergänzung gleichwohl zu empfehlen, zumal es sich bei der N. nicht um ein zeitgeistiges „Mode-“ oder Partikularanliegen, sondern um ein langfristig für das Gemeinwesen insgesamt relevantes Fundamentalziel vergleichbar mit anderen Fundamentalzielen wie Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat handelt. Von der verfassungsrechtlichen Verankerung einer Staatszielbestimmung N. könnte eine wesentliche Direktions-, Signal- und Integrationswirkung für Staat und Gesellschaft ausgehen, ohne dass – wie auch die Beispiele anderer Staatszielbestimmungen (z. B. Art. 20a GG) zeigen – der Gesetzgeber hierdurch übermäßig gebunden oder das BVerfG in die Rolle eines „Ersatzgesetzgebers“ gedrängt würde. Ein zukünftiger Art. 20b GG sollte lauten: „Der Staat hat in seinem Handeln insb. mit Blick auf die Interessen künftiger Generationen das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten“. N. wäre dabei im dreidimensional-integrativen Sinne zu verstehen.

III. Politikwissenschaftlich

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N. gewinnt seine zentrale politische Bedeutung heute nicht primär aus dem ressourcenökonomischen Prinzip der N. („nicht mehr nutzen, als nachwächst“), sondern aus der institutionellen Verankerung eines neuen globalen Leitbilds „nachhaltiger Entwicklung“ (sustainable development) auf UN-Ebene zu Beginn der 1990er Jahre. Während das Konzept in seinen Grundzügen von der sog.en Brundtland-Kommission erarbeitet wurde, erfuhr es seine institutionelle Verankerung durch die Verabschiedung einer Reihe zentraler internationaler Dokumente und Rahmenkonventionen auf der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 (Rio-Deklaration, Agenda 21, Klimaschutz- und Biodiversitätskonvention, Walddeklaration). Das setzte einen äußerst heterogenen, auf den unterschiedlichsten Ebenen und in mannigfachen Themenfeldern ansetzenden Prozess der Konkretisierung und Umsetzung dieses Leitbilds in Gang. Er wurde auf verschiedenen UN-Nachfolgekonferenzen bilanziert und in unterschiedlichen Weisen weiter konkretisiert (Rio+5 in New York; Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg; Rio+20 in Rio de Janeiro). In enger Verbindung mit dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung standen auch die aus der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen im Jahr 2000 abgeleiteten Millenium Development Goals, die auf eine drastische Reduktion der drängendsten Armuts- und Entwicklungsprobleme der Welt in den folgenden 15 Jahren zielten, sowie die Aktualisierung dieser Ziele in den – 2015 verabschiedeten – SDGs (Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen 2016), wo die Verknüpfung sozialer mit ökologischen und wirtschaftlichen Aspekten nachhaltiger Entwicklung wieder stärker in den Vordergrund rückte.

1. Kernelemente des politischen Leitbilds Nachhaltiger Entwicklung

Der Diskurs zu nachhaltiger Entwicklung ist entscheidend durch den institutionellen Kontext der Vereinten Nationen geprägt. Die spezifische Art der Problemrahmung und der Handlungskonzepte dieses Konzepts werden jedenfalls in Bezug auf vorangegangene UN-Debatten, Berichte, Kommissionen, Konferenzen und Deklarationen entwickelt. Der Fokus der Vereinten Nationen liegt dabei zum einen auf globalen Problemlagen, zum anderen auf Zielen und Handlungsstrategien, die das Wohlergehen der Menschheit insgesamt zum Gegenstand haben. Dem dienten, mit Blick auf bedrohte ökologische Voraussetzungen menschlicher Entwicklung, bereits die 1972 in Stockholm durchgeführte UN-Umweltkonferenz, das dort gegründete UNEP sowie die im Auftrag der UNEP von der International Union for Conservation of Nature erarbeitete „World Conservation Strategy“. Auf globale Problemlagen waren allerdings auch die Kommissionsberichte der frühen 1980er Jahre gerichtet, die sich mit der wachsenden Armutskluft zwischen Nord und Süd sowie mit fehlender sozialer sowie ökonomischer Entwicklung in den meisten Entwicklungsländern beschäftigten. Beide Diskussionsstränge blieben aber zunächst, trotz aller Formelkompromisse, weitgehend unverbunden, ja gegensätzlich, weil die Umweltthematik in den 1970er Jahren primär unter der Perspektive von „Grenzen des Wachstums“ (Meadows u. a. 1972) diskutiert wurde und damit Entwicklungsperspektiven für den Süden blockiert schienen. Vor diesem Hintergrund sollte die von Gro Harlem Brundtland geleitete World Commission on Environment and Development die kontroversen Diskussionsstränge zusammenführen und geeignete Lösungsvorschläge entwickeln. Mit dem Konzept Sustainable Development schien dann die „Zauberformel“ gefunden, um Umwelt- und Entwicklungsinteressen in ein gemeinsames Leitbild globaler zukünftiger Entwicklung integrieren zu können.

Was sind die Kernelemente dieses Leitbilds? Die vielzitierte Brundtland-Definition – „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (WCED 1987: 43) – macht deutlich, dass es sich um ein anthropozentrisches Entwicklungskonzept handelt, das auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen zielt, also der gegenwärtig sowie der künftig Lebenden. Die intra- und intergenerative Gerechtigkeitsperspektive (Gerechtigkeit) dieses Leitbilds bezieht sich auf die universelle Teilhabe an historisch erreichten Lebens- und Wohlfahrtschancen. Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit natürlicher Systeme wird (nur) als eine zentrale Voraussetzung dafür betrachtet. Dieser normativen Vision liegt auch eine bestimmte Problemdiagnose zugrunde. Diese begreift die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Krisenlagen als eng miteinander verflochtene globale Problemkomplexe. Diese haben komplexe Ursachen, wozu – neben der Bevölkerungsexposion (im globalen Süden) – auch defizitäre Technologien sowie mangelhafte institutionelle Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung gehören. In den Rio-Dokumenten rücken v. a. die industriellen Produktions- und Konsummuster (Konsum) des Nordens als Hauptursache ökologischer Belastungen in den Vordergrund. Technologische und institutionelle Faktoren gelten aber grundsätzlich als gestaltbar; nicht die ökologischen „Grenzen des Wachstums“, sondern nur die bisherigen, umweltbelastenden Formen des Wachstums seien das Problem. Als Lösung der miteinander verknüpften Umwelt- und Entwicklungsprobleme ergibt sich daraus ein neues, „qualitatives“ und umweltverträgliches Wachstumsmodell. Dieses setze nicht nur neue Technologien, verbesserte Ressourceneffizienz, ein rationales, globales Ressourcenmanagement sowie die Öffnung der Märkte und die Liberalisierung des Handels voraus; sondern nachhaltige Entwicklung erfordere auch grundlegende institutionelle Innovationen, um eine integrative Bearbeitung der miteinander verflochtenen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Problemlagen auf lokaler wie auf globaler Ebene zu ermöglichen. Der umfassenden Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure (Zivilgesellschaft) – insb. auch der Wissenschaft – wird dabei eine zentrale Rolle für die Entwicklung nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensformen beigemessen. Integration und Partizipation gelten so als zentrale Elemente der Realisierung nachhaltiger Entwicklung.

2. Institutionelle Herausforderungen

Welche Probleme wirft nun aber die institutionelle Umsetzung dieses Leitbilds auf, und welche Lösungsoptionen werden gesehen? Zu betrachten ist in diesem Zusammenhang einesteils das Problem umstrittener, konkurrierender Definitionen dieses Leitbilds, und andernteils das institutionelle Problem einer Entwicklung sowohl integrativer wie partizipativer Formen von Sustainability Governance.

Als Kompromissformel stellt Sustainable Development auf genereller Ebene zwar ein weitgehend konsensfähiges Leitbild dar. Bei dessen Operationalisierung werden aber sehr grundlegende Divergenzen erkennbar. Nachhaltige Entwicklung ist ein „contested concept“ (Jacobs 1999); es eröffnet ein im Spannungsfeld gegensätzlicher Natur- und Gesellschaftsbilder sich auffächerndes, kontrovers strukturiertes Diskursfeld. Während N. üblicherweise als Verknüpfung ökologischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungsdimensionen gesehen wird, wird die Art einer solchen Verknüpfung doch sehr unterschiedlich bestimmt. Positionen, die ökologischen Zielen absoluten Vorrang einräumen („Leitplankenmodell“), stehen solchen gegenüber, die nachhaltige Entwicklung als Aushandlungsprozess zwischen den verschiedenen Belangen begreifen oder auch soziale oder wirtschaftliche N.s-Aspekte priorisieren. Technisch und ökonomisch orientierte Lösungsansätze („Effizienz- und Konsistenzstrategie“) konkurrieren mit sozio-kulturellen Lösungsstrategien („Suffizienzstrategie“). In diesen Definitionskämpfen geht es nicht nur Wert-, sondern auch um Macht- und um Verteilungskonflikte, um „umweltgerechte“ und „klimagerechte“ Lösungen, um „fairen“ Handel, um fossile oder postfossile Wirtschaftsstrukturen, um alte oder neue Wohlstandsmodelle. An den radikaleren Rändern der N.s-Debatte werden darüber hinaus auch die zentralen Prämissen des hegemonialen Konzepts nachhaltiger Entwicklung in Frage gestellt: seine anthropozentrische Ausrichtung, seine Fokussierung auf grünes Wachstum und auf ein (westliches) Modell von „Entwicklung“, das die heutigen N.s-Probleme überhaupt erst geschaffen habe.

Während diese Kontroversen in der Suche nach Win-Win-Lösungen oft umgangen oder in öffentlichen Definitionskämpfen sowie in den Interessenkonflikten politischer Verhandlungsarenen ausgetragen werden, plädieren die Vertreter reflexiver N.s-Modelle für einen offensiven, experimentellen Umgang mit der Strittigkeit, mit den Ambivalenzen und den Ungewissheiten der jeweils eingeschlagenen Strategien, was nachhaltiger Entwicklung einen dynamischen, entwicklungsoffenen, immer wieder korrigierbaren Charakter verleiht.

Dies beseitigt allerdings nicht strukturelle gesellschaftliche Machtasymmetrien. Denn wie lässt sich das Postulat der Entwicklung nachhaltiger, integrativer Problemlösungen institutionell umsetzen? Das umfasst nicht nur die Herausforderung einer systematischen Verknüpfung von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Problem- und Entwicklungsaspekten in einem durch sektorale Zuständigkeiten geprägten politisch-administrativen Handlungsumfeld, sondern auch die Herausforderung, Lösungen zu entwickeln, die den räumlichen und zeitlichen Problemskalen angemessen sind. Beides überschreitet meist nationale Problemzuständigkeiten und kollidiert mit der Kurzfristigkeit politischer Handlungsorientierungen. Eine erste grundsätzliche Antwort auf diese Herausforderung besteht in der Veränderung der Steuerungs- oder Governanceperspektive. Als komplexer gesellschaftlicher Transformationsprozess lasse sich nachhaltige Entwicklung, so der generelle Tenor, nicht mehr staatlich-hierarchisch verordnen, sondern nur durch neue, partizipative Governanceformen realisieren. Nur diese ermöglichen es, das Wissen und die Gestaltungsressourcen gesellschaftlicher Akteure in kollektive Such- und Lernprozesse einzubinden. Das verleiht auch individuellen Akteuren, v. a. in ihrer Rolle als Konsumenten, eine höhere Bedeutung für sozial-ökologische Transformationsprozesse. Die Verschiebung von hierarchischer Steuerung hin zu kooperativer Governance ist zwar ein seit den 80er Jahren generell beobachtbarer Trend, der eine Antwort auf das Scheitern umfassender politischer Planungskonzepte darstellt und mit der Verbreitung neuer, neoliberaler Regulierungsmodelle (Neoliberalismus) einhergeht. Im Rahmen der N.s-Debatte finden die neuen partizipativen Governancemodelle aber eine bes. hohe Resonanz. Das gilt sowohl für nationale wie für sub- und transnationale Governanceebenen.

3. Die Umsetzung: Sustainabilty Governance

Auch wenn dem Staat im Rahmen kooperativer Governancemodelle üblicherweise eher koordinierende als steuernde Funktionen zugewiesen werden, übernimmt er im Rahmen von N.s-Politiken doch eine aktive, gestaltende Rolle. Diese besteht v. a. in einer leitbildorientierten strategischen Steuerung von N.s-Prozessen. Nationale N.s-Strategien gelten als entscheidendes Instrument dafür. Da auf UN-Ebene die Verpflichtung zur Erstellung nationaler N.s-Pläne eingegangen wurde, wurden entspr.e Leitfäden auch auf dieser Ebene erarbeitet (z. B. UNDESA/CSD 2002). Unter N.s-Strategien werden dabei langfristig angelegte, staatlich koordinierte, partizipative und lernorientierte Prozesse verstanden, die sich zwar an generellen N.s-Zielen orientieren, diese aber in ein kontextspezifisches, anhand von Indikatoren überprüfbares Bündel nationaler Ziele, Programme und Aktivitäten übersetzen: „A sustainable development strategy is defined as a coordinated, participatory and iterative process of thoughts and actions to achieve economic, environmental and social objectives in a balanced and integrated manner at the national and local levels. The process encompasses situation analysis, formulation of policies and action plans, implementation, monitoring and regular review“ (UNDESA/CSD 2002: 8). Neben N.s-Strategien finden sich in den meisten OECD-Ländern auch institutionelle Innovationen einer integrativen N.s-Politik. Dazu gehören bspw. interministerielle Koordinationsgremien (z. B. der deutsche Staatssekretärsausschuss für Nachhaltige Entwicklung) oder nationale, mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen besetzte N.s-Räte. Grundsätzlich implizieren integrative N.s-Politiken auch neue Verfahren und institutionelle Vernetzungen der Abstimmung innerhalb und zwischen den verschiedenen Politikebenen. So wurden auch auf EU-Ebene mit der Verabschiedung der Europäischen N.s-Strategie in Göteborg 2001 regelmäßige Reviewprozesse nicht nur der erreichten inhaltlichen Fortschritte, sondern auch der als dringlich erachteten Reformen in Bezug sektorübergreifende Politikintegration und Politikkohärenz vereinbart.

Anders als die institutionell inzwischen breit verankerten Instrumente der „Environmental Policy Integration“, die auf die Inkorporation von Umweltbelangen in die verschiedenen Sektorpolitiken zielen, verfolgen N.s-Politiken somit einen umfassenderen, mehrdimensionalen Integrationsanspruch. Während allerdings bereits die konsequente Integration von Umweltzielen in Sektorpolitiken auf erhebliche institutionelle Widerstände und Interessenblockaden stößt, setzt eine an den Kriterien von „comprehensiveness, consistency and aggregation“ (Lafferty/Hovden 2003: 8) gemessene integrative Politik der N. noch einen sehr viel konsequenteren Umbau etablierter politischer Strukturen voraus. Dieses Vorhaben bricht sich bereits am strukturellen Dilemma, dass eine möglichst umfassende Integration thematischer Belange immer nur auf Kosten der Konsistenz der Problembearbeitung gelingt. Strategisch orientierte, integrative N.s-Politiken schärfen so bislang zwar die Sensibilität für die Nebenfolgen und die wechselseitige Beeinflussung ökonomischer, sozialer und umweltpolitischer Entscheidungen, sind aber kein Motor für grundlegendere strukturelle Transformationen. Das ist ganz wesentlich auch der hegemonialen Deutung von N. als inhaltlich offener, mehrdimensionaler Abwägungsprozess sowie der meist peripheren institutionellen Anbindung strategischer N.s-Prozesse geschuldet. Sektorale politische Entscheidungen im energie-, verkehrs-, wirtschafts-, sozial- oder umweltpolitischen Bereich haben nämlich nach wie vor sehr viel entscheidendere Folgen für die (nicht) nachhaltige Entwicklung eines Landes oder eines Staatenverbundes wie der EU. Auf lokaler und regionaler Ebene – etwa im Rahmen lokaler Agenda 21-Prozesse oder eines reflexiv gesteuerten „Transition Managements“ – führen partizipative N.s-Prozesse gleichwohl oft zu innovativen Ergebnissen.

Lokale wie nationale N.s-Prozesse sind in einer globalen Problemperspektive verortet. Sie legitimieren sich unter Bezug auf internationale, im UN-Kontext entwickelte Handlungsprogramme und Verträge. Sie weisen eine hohe internationale Vernetzung auf und orientieren sich weltweit an Best Practice-Modellen. Viele N.s-Probleme erfordern darüber hinaus auch globale Regulierungen und internationale Kooperation. Das betrifft nicht nur die Klima- oder die Biodiversitätsproblematik (Klimawandel, Biodiversität), sondern z. B. auch die Erfüllung der SDGs. Die Ebene der Global Governance hat deshalb im Rahmen der N.s-Debatte eine zentrale Bedeutung erlangt. Ein bes. Merkmal globaler Governance ist zum einen die Aufwertung zivilgesellschaftlicher Organisationen und ihre Einbindung in die Entwicklung und Umsetzung von Regulierungen. Zum anderen vollzieht sich die globale Governance von nachhaltigkeitsrelevanten Problemen im Rahmen einer „unkoordiniert gewachsenen, unübersichtlich besiedelten Organisationslandschaft“ (Mayntz 2008: 50). Dazu gehören internationale Organisationen (UNO und ihre Unterorganisationen), internationale Wirtschaftsorganisationen (Weltbank, IWF, WTO etc.), informelle staatliche Zusammenschlüsse (wie z. B. die G7 oder G8), zwischenstaatliche Ausschüsse (wie z. B. der IPCC), NGOs unterschiedlichster Art, global public policy networks (in denen Vertreter von UN-Organisationen, Regierungen, Unternehmen und NGOs zur Lösung bestimmter Probleme für eine bestimmte Zeit kooperieren, z. B. die Global Water Partnership) sowie private Organisationsnetzwerke von NGOs und Unternehmen, die im Rahmen der Selbstregulierung (private governance) bestimmte Standards und Zertifizierungsverfahren von Produkten und Produktketten entwickeln (wie etwa das Forest Stewardship Council-Zertifizierungssystem). Politisch verbindliche Wirkungen haben zwar nur Vereinbarungen und Regelungen, die in zwischenstaatlichen Verhandlungssystemen erarbeitet wurden (z. B. die Klimarahmen- und die Biodiversitätskonvention). Aber auch in diesem Fall spielen NGOs eine wesentliche Rolle, und zwar sowohl im Rahmen der Verhandlungen und der Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit als auch bei der Umsetzung und beim Monitoring der Ergebnisse.

4. Kritische Bilanz

Nachhaltige Entwicklung ist ein auf UN-Ebene entwickeltes Leitbild, das menschliches Wohlergehen mit dem Erhalt der natürlichen Umwelt verknüpfen möchte. Es lenkt das Augenmerk auf die aus den Wechselwirkungen gesellschaftlicher und natürlicher Entwicklungsdynamiken erwachsenden globalen Problemlagen, und es ist an intra- wie an intergenerationellen Gerechtigkeitsprinzipien orientiert. In seinem Mainstream folgen dieses Leitbild und die daraus erwachsenden Umsetzungsstrategien allerdings Problemdeutungen und Lösungsstrategien, die grundlegende Innnovationen eher blockieren. Die gleichgewichtige, dreidimensionale Ausdeutung nachhaltiger Entwicklung richtet die Aufmerksamkeit auf integrative Strategien, die zwar kooperative, dialogische Governanceformen begünstigen, desgleichen die Suche nach Win-Win-Lösungen und die Abstimmung sektoraler Politikmuster, die aber an den strukturellen Treibern nicht-nachhaltiger Entwicklungen wenig ändern. Wachstum, wenn auch neues grünes Wachstum, bleibt das Mantra der etablierten N.s-Politik. Ökonomische Steuerungsinstrumente in der Klima- und Biodiversitätspolitik (Emissionshandelsrechte [ Emissionshandel ], Clean Development Mechanisms, ökonomische Inwertsetzung biologischer und genetischer Ressourcen etc.) befördern letztlich die Kommodifizierung der Natur. Die Strukturen des globalen Kapitalismus verfestigen obendrein krisenhafte „imperiale Lebensweisen“ (Brand/Wissen 2017) sowie moderne „Externalisierungsgesellschaften“ (Lessenich 2016). So offenkundig diese Begrenzungen auch sind, so sehr treiben der utopische Kern, die Offenheit und die Strittigkeit des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um angemessenere Umsetzungsstrategien doch auch voran. Aktuelle Debatten um eine „große“ sozial-ökologische Transformation sowie das weltweite Aufblühen von Postwachstumsdebatten und Degrowthbewegungen weisen in diese Richtung.

IV. Ökonomisch

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Die Idee der N. erlangte mit dem Aufkommen der Umweltbewegung an Bedeutung, die den nicht-nachhaltigen Charakter heutiger Gesellschaften mit ihren hohen Ressourcenverbräuchen, der alleinigen Fokussierung auf das Wachstum von Sozialproduktgrößen sowie verschwenderischen Konsummustern (Konsum) anprangerte, weil diese die Integrität von Ökosystemen und die Lebenschancen zukünfiger Generationen bedrohen. N. wird daher als Alternative zu kurzfristigem, einseitig auf wirtschaftliche Vorteile zielendem und ressourcenintensivem Wirtschaften gesehen. N. bezieht sich dabei üblicherweise auf die drei Dimensionen („Säulen“) ökologisch, sozial und ökonomisch. Eine ökonomische Perspektive auf N., wie sie hier eingenommen wird, kann zwei Arten von Hinweisen geben:

a) Sie kann übergreifend Herausforderungen der N. aus einer ökonomischen Sicht beleuchten.

b) Sie kann Handlungs- und Entscheidungsregeln für die ökonomische Dimension der N. entwickeln.

1. Schwache und starke Nachhaltigkeit

Die ökonomische, soziale und ökologische N. stellen drei „Säulen“ dar, die aus ökonomischer Sicht auf unterschiedliche Kapitalbestände (Kapital) Bezug nehmen: die ökonomische Dimension bezieht sich auf das Sachkapital (z. B. Sachgüter, technische Infrastrukturen), die soziale auf das Humankapital (z. B. Wissen, Fertigkeiten, Ausbildungsstand) und die ökologische auf das Naturkapital (z. B. Zustand der Natur, Ökosystemleistungen). Diese Kapitalbestände sollen in der Gesellschaft jeweils so genutzt werden, dass die Lebensbedingungen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden (intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit). Dies bedeutet, dass zum einen ein Ausgleich zwischen heute armen und reichen Gesellschaften erfolgt und zum anderen in der Zukunft ein ausreichender Kapitalstock an die nächsten Generationen weitergegeben werden soll.

Für die Unterscheidung zwischen schwacher und starker N. ist bedeutsam, ob und inwieweit die verschiedenen Kapitalarten gegeneinander substituiert werden können. Wenn Naturkapital vollständig oder weitgehend durch Sachkapital ersetzt wird, so könnte zukünftigen Generationen weniger Naturkapital überlassen werden, weil andere Kapitalarten dann mindestens einen gleich hohen Nutzen stiften würden. Das Konzept der „schwachen N.“ geht grundsätzlich von einer Substituierbarkeit von Natur- durch Sachkapital aus; es sieht keinen Vorrang für das Naturkapital. Entscheidende ökonomische Größe ist hierbei die Substitutionselastizität, die das Ausmaß der Möglichkeiten der Ersetzung von Natur- durch Sachkapital widerspiegelt. Zentral für die intergenerationelle Gerechtigkeit ist gemäß der schwachen N. somit, dass das Gesamtportfolio an Kapital mit einem mindestens konstanten Gesamtkapitalbestand erhalten und weitergegeben wird, nicht seine Struktur. Begründet wird dies u. a. damit, dass alle Kapitalbestände (unabhängig von ihrer Art) eine Nutzenstiftung für die Menschen erbringen und dass zukünftigen Generationen mehr technische Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um Naturkapital zu ersetzen und damit auch mit weniger Natur umgehen zu können.

Die Vertreter der „starken N.“ stehen hingegen einer Substitution von Natur- durch Sachkapital skeptisch gegenüber. Nach dieser Sichtweise sind die natürlichen Ressourcen essentiell und nicht durch andere Kapitalarten substituierbar. Dies ergibt sich schon daraus, dass das wirtschaftliche und das gesellschaftliche System als Teilsysteme des weiter gefassten natürlichen Systems angesehen werden und somit letztlich von diesem abhängen. Demzufolge sind Bestandsreduktionen beim Naturkapital in der Gegenwart nicht hinzunehmen. Nur selten wird bei der starken N. jedoch eine perfekte Komplementarität zwischen Natur- und Sachkapital unterstellt (Substitutionselastizität gleich Null), die dazu führt, dass keinerlei Substitution des Naturkapitals erfolgen darf. Häufiger wird davon ausgegangen, dass die Substitutionselastizität gering ist (zwischen Null und Eins), somit ein gewisser Verlust von Naturkapital hinzunehmen ist. Letztlich ist entscheidend, ob der Beitrag des Naturkapitals an der zukünftigen Produktion verringert werden kann und ob durch technischen Fortschritt in der Zukunft eine Substitution von Natur- durch Sach- oder Humankapital möglich ist. Es ist anzunehmen, dass kleinere Einbußen an Naturkapital leichter zu substituieren sind als irreversible und große Einbußen. Künftige Verlierer von Umweltschädigungen können zudem angemessen entschädigt werden, wenn der Verlust von Naturkapital durch andere Kapitalgüter kompensiert wird.

Die Schlussfolgerung der Vertreter der starken N. lautet, dass das Naturkapital als limitierende Größe mindestens konstant gehalten werden soll. Dies bedeutet eine verstärkte Investition in Naturkapital, die sich aus der Komplementarität von Natur- und Sachkapital und der Verpflichtung zur intergenerationellen Gerechtigkeit ableiten. Auch wird darauf hingewiesen, dass das Naturkapital in der Vergangenheit durch den Menschen schon stark in Anspruch genommen, degradiert und vermindert worden sei, so dass es jetzt unbedingt geschützt werden müsse, um kritische Zustände des Erdsystems (z. B. Kippeffekte ökologischer Systeme, kritische Klimaveränderungen) zu verhindern (Erdsystemforschung).

2. Die Rolle der Diskontierung

Für die Frage, ob ein Kapitalbestand in der Gegenwart erhalten bleiben soll, ob etwa Investitionen in das Naturkapital erforderlich sind, damit auch zukünftig Ökosystemleistungen (Leistungen, die den Menschen einen Nutzen bringen) aus ihm fließen, ist die Diskontierung essentiell. Mit Hilfe der Diskontierung werden zukünftige Nutzen und Kosten eines Kapitalbestandes auf den gegenwärtigen Zeitpunkt bezogen, um unterschiedliche Größen vergleichbar zu machen und so gesellschaftliche Entscheidungen treffen zu können (Kosten-Nutzen-Analyse). Durch die Diskontierung werden zukünftige Nutzen und Kosten auf ihren Gegenwartswert abgezinst. Schwierig ist dabei die Wahl des Zinssatzes, der sog. Diskontrate. Bei einer hohen Diskontrate werden in ferner Zukunft liegende Nutzen und Kosten wie mit einem Brennglas zu einem geringen Gegenwartswert „verkleinert“, was die Gefahr in sich birgt, dass sie möglicherweise bei gesellschaftlichen Entscheidungen „abgewählt“ werden. Die Diskussionen über Diskontierung haben in der Vergangenheit insb. im Klimaschutz und im Bereich des Biodiversitätsverlustes (Biodiversität) eine bes. Rolle gespielt, weil hier ökonomische Studien zu den Klimaschäden (und damit der Notwendigkeit, möglichst sofort zu handeln) allein aufgrund der Diskontrate zu ganz unterschiedlichen Handlungsempfehlungen gelangten.

Begründet wird die Wahl einer Diskontrate mit folgenden Argumenten:

a) Individuen besitzen eine soziale Zeitpräferenz, d. h. sie ziehen heutigen Konsum zukünftigem Konsum vor (etwa weil sie nur eine begrenzte Zeit leben).

b) Anhaltend hohes Wirtschaftswachstum sorgt dafür, dass es zukünftigen Generationen besser geht. Wer auf Wachstum setzt, wird einen zukünftigen Kapitalbestand daher heute niedriger bewerten.

c) Es besteht Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen und die Präferenzen zukünftiger Generationen.

Doch alle drei Begründungen sind umstritten:

a) die soziale Zeitpräferenzrate bezieht sich auf ein Individuum mit begrenzter Lebenszeit. Die Minderschätzung der Wohlfahrt anderer, in der Zukunft lebender Individuen wird so zu einer Minderschätzung des zukünftigen eigenen Zustands, was unzulässig erscheint.

b) Das Wachstumsargument bezieht sich auf die Gesamtheit der Güterbündel. Bes. das Sachkapital dürfte zukünftig wachsen. Fraglich ist aber, ob auch das Naturkapital, was in Zukunft wahrscheinlich knapper wird, wächst und daher diskontiert werden darf.

c) Bei Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen und Präferenzen muss es den Individuen in der Zukunft keinesfalls besser gehen, was eine Diskontierung rechtfertigen würde. Unsicherheit kann auch bedeuten, dass zukünftige Generationen höhere Umweltschäden zu erleiden haben und es ihnen schlechter geht. Eine Diskontierung – zumal mit einem hohen Diskontsatz – wäre dann fraglich.

Aus alledem folgt, dass eine Diskontierung zukünftiger Nutzen und Kosten umstritten ist. Die Diskontierung ist zwar nicht zwangsläufig abzulehnen, aber es dürften vermutlich nur sehr moderate Diskontraten begründbar sein.

3. Entscheidungs- und Handlungsregeln für ökonomische Nachhaltigkeit

Für die starke N., die das Primat des Naturkapitals in den Vordergrund stellt, sind entspr.e Entscheidungs- und Handlungsregeln entwickelt worden. Sie lauten:

a) Erneuerbare Ressourcen sollen nur in dem Maße genutzt werden, in dem sie sich auch regenerieren – die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen soll geringer sein als die Regenerationsrate.

b) Erschöpfbare Ressourcen (nicht-erneuerbare Energieträger und Rohstoffe) sollen nur in dem Umfang genutzt werden, wie andere physisch und funktionell gleichwertige Ressourcen geschaffen werden können. Dies kann durch neu erschlossene Vorräte, erneuerbare Ressourcen oder eine höhere Produktivität der Ressourcen geschehen.

c) Die Senkenfunktion der Umwelt darf für die Einträge von Stoffen und Emissionen nur soweit genutzt werden, dass die Aufnahmekapazität (Assimilationskapazität) der Umwelt nicht überschritten wird – die Emissionsrate soll unterhalb der Assimilationsrate liegen.

Diese Handlungs- und Entscheidungsregeln beziehen sich primär auf die Inanspruchnahme von Naturressourcen und den Umgang mit der Natur.

Wie jedoch das wirtschaftliche System, als eine der drei N.s-Säulen, ausgestaltet werden soll und welche Entscheidungs- und Handlungsregeln hierfür zu empfehlen sind, wird kontrovers diskutiert. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass wirtschaftliche N. auf die Zunahme und Sicherung des Wohlstandes der Menschen abzielt und eine langfristige Perspektive einzunehmen ist. Hierzu wird eine Entwicklung und Verstärkung intelligenter, weitsichtiger Formen des Wirtschaftens für erforderlich gehalten. Im Besonderen wird eine Verbindung zwischen Ressourcenschonung und Lebensqualitätssicherung oder -mehrung für notwendig erachtet.

Unter den konkreten wirtschaftlichen Zielgrößen und Indikatoren, auf die Bezug genommen wird, werden Stabilisierung des Preisniveaus, Vermeidung von wirtschaftlichen (konjunkturellen) Schwankungen, geringe Arbeitslosigkeit sowie Sicherung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts genannt. Diese Ziele entsprechen weitgehend den Zielsetzungen, wie sie in Deutschland bereits im StabG von 1967 verankert wurden. Darüber hinausgehend gibt es jedoch keine Einigkeit hinsichtlich von Entscheidungs- und Handlungsregeln. Dies gilt insb. mit Blick auf das Wirtschaftswachstum. Hier stehen sich Ansätze eines quantitativen Wachstums von Sozialproduktgrößen und solche eines qualitativen Wachstums, die stärker auf Aspekte des Wohlbefindens und der Lebensqualität eingehen, gegenüber.

Auf unternehmerischer Ebene erfährt in Zusammenhang mit der N. das Konzept der CSR eine zunehmende Beachtung. Hierunter wird die Übernahme von Verantwortung von Unternehmen hinsichtlich der ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Handelns verstanden. Es sind v. a. Handlungsweisen angesprochen, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen. Das verantwortungsvolle unternehmerische Handeln beruht auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Es wurde in Dokumenten der EU und in der ISO-Norm 26000 verankert.