Militär

  1. I. Historisch-begrifflich
  2. II. Politikwissenschaftlich

I. Historisch-begrifflich

Abschnitt drucken

Der Begriff M. leitet sich aus dem lateinischen Wortfeld militia, mililtaris, miles (Kriegswesen, zum Kriege gehörig, Kriegsmann, Streiter) ab und findet sich im angelsächsischen Sprachraum (miltary, milice) ebenso wie im romanischen (milice, militaire, militare, militar) und slawischen (milícija, milicja). Die weite Verbreitung verweist auf die antiken Wurzeln des neuzeitlichen europäischen Heerwesens. Eine frühe Verwendung findet sich in römischen militärischen Rechtskodifikationen der späten Republik (1. Jh. v. Chr.). Die spätantiken militärischen Lehrschriften („Epitoma rei militaris“ [Vegetius Renatus, um 390 n. Chr.]), die ihrerseits ältere Überlieferungen (Cato, Polybios) einbeziehen, erhielten erst im Renaissancehumanismus eine kanonische Bedeutung, die ihnen bis zum Ausgang des 18. Jh. erhalten blieb.

Im Früh- und Hochmittelalter wurden die Begriffe miles und militia zunächst in erster Linie als geistliche Metapher verwendet (miles christianus, militia Dei). Im Kontext von Investiturstreit und Kreuzzugsbewegung erhielt das metaphorische Idealkonstrukt des miles christianus eine auf die Gesamtheit der weltlichen Streiter bezogene Bedeutung (militia saecularis).

Mit dem Aufkommen größerer selbständig agierender Fußtruppenkontingente während des Hundertjährigen Krieges fand das Adjektiv militaire (1355) Eingang ins Mittelfranzösische. Erst 1475 erschien die erste deutsche Übersetzung des Vegetius. Res militaris wurde hier mit Kriegskunst übersetzt. Bis zur Mitte des 18. Jh. blieben militarisch/militairisch im deutschen Sprachgebrauch daher eher die Ausnahme und militärischen Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorbehalten (disciplina militaris, corpus juris militaris, Militar-Verbrechen, Militar-Monat).

Der Gattungsbegriff Militar/Militair brachte also in erster Linie eine Rechtsbeziehung zum Ausdruck und stand damit in einem Spannungsverhältnis zu der auf einer persönlichen Treuebeziehung zwischen dem Fürsten als Kriegsherrn und seinen Offizieren beruhenden ständisch-sozialen Beziehung. Daher wurde in Preußen 1718 der Begriff Militair ausdrücklich verboten und bis zum Ende der Monarchie 1918 nur in Komposita (Militairrecht, M.-Akademie) verwendet.

Seit den 1770er Jahren erschien M. zur Kennzeichnung von Einzelpersonen bisweilen auch in aufgeklärt-kritischen Veröffentlichungen. Als Fremdzuschreibung findet er sich mit dieser Akzentuierung in der liberalen Publizistik des Vormärz. Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz der M.-Organisation des Kaiserreichs wurde der Begriff seltener verwendet und galt 1914 als veraltet. Deutlich negativ aufgeladen wurde er zum Kampfbegriff in der völkisch-nationalen Auseinandersetzung über die Ursachen der Kriegsniederlage 1918. Die höhere militärische Führung, als kriegsferne Hof- und Bürogenerale denunziert, wurde als „Militärs“ gekennzeichnet, denen der charismatische Frontoffizier, der Frontkämpfer, gegenübergestellt wurde. Die damit einhergehende nationalsozialistische Kampfmetapher verschwand mit der Katastrophe von 1945.

Der Begriff „M.“, zur Bezeichnung der Gesamtheit der bewaffneten Macht oder einzelner ihrer Angehörigen wird im Deutschen in erster Linie bezogen auf die M.-Organisationen fremder Staaten verwendet, seltener mit Bezug auf die Streitkräfte der BRD.

Miliz (lateinisch militia): Im Zuge des Hundertjährigen Krieges entstand zur Beschreibung des gesamten Heerwesens in Frankreich der Begriff milice. Mit Blick auf die Auseinandersetzung zwischen den Banden der geworbenen Condottieri und den Aufgeboten der italienischen Stadtstaaten unterschied Niccolò Machiavelli mit milizia ausiliaria e mercenaria zwischen den Formationen ausgehobener Landeseinwohner und denen geworbener Söldner. In diesem Sinne wurde im deutschen Sprachraum seit dem 16. Jh. das nur für den Kriegsfall (Krieg) und als offensives Instrument geworbene extraordinari Kriegsvolck der in der Tradition der Landfolge unter ständischer Kontrolle als defensives Instrument der Landesverteidigung aufgebotenen Landesdefension (Landfahnen oder Landmiliz) gegenübergestellt.

Für die nach dem Westfälischen Frieden wenngleich reduzierten, so doch nun dauerhaft unter Waffen gehaltenen Truppen der armierten Reichsstände, als nur dem Herrscher verpflichtete Instrumente der Außenpolitik, wurde der Begriff Miliz bewusst vermieden. In den gelehrten Enzyklopädien des 18. Jh. blieb Miliz in der doppelten Bedeutung von Heerwesen insgesamt und zur Landesverteidigung ausgehobenen Untertanen jedoch erhalten. In Frankreich wurden die durch Losverfahren ausgehobenen Angehörigen der milices provinciales in den Kriegen des 18. Jh. zunehmend als Ersatzorganisation des stehenden Heeres verwendet und galten daher der aufgeklärten Kritik als Symbol der Willkür fürstlichen Despotismus. Mit der Französischen Revolution verschwand diese Organisationsform und mit ihr der Begriff milice. Im deutschen Sprachraum wurden bis zur Mitte des 19. Jh. lokale Ordnungsformationen als Bürgerwehr oder Bürgermiliz bezeichnet und weisen in dieser Funktion auf Polizeiorgane (Polizei) hin, die in einigen ostmitteleuropäischen Staaten und in der russischen Förderation noch heute als milicija (russisch)/milicja (polnisch) bezeichnet werden.

Militarismus (französisch: militarisme): In der Anfangsphase der Französischen Revolution (1790) wurde militarisme zur Kennzeichnung einer Herrschaft verwendet, die sich fortgesetzt zu Lasten ihrer Untertanen des M.s und des Krieges bedient, um ausschließlich dynastische Interessen mit Gewalt durchzusetzen.

In den Kriegen der Revolution und des Kaiserreichs verschwand der Begriff, um nach der Abdankung Napoleons I. kurzzeitig mit geringer Wirksamkeit wieder aufgenommen zu werden. Während des Zweiten Kaiserreichs fand er als politischer Kampfbegriff zur Akzentuierung der Herrschaft Napoleons III. als einer M.-Diktatur/M.-Herrschaft in Kreisen seiner zumal sozialistischen Gegner Verbreitung. Von hier aus gelangte er in die politische Publizistik der süddeutsch-kleindeutschen katholischen Gegner der Bismarck’schen Reichsgründung und der Dominanz des preußischen M.s. Im 20. Jh. verwendete die sozialistische Agitation den Begriff. Gleichzeitig entwickelte er sich zu einem Forschungsbegriff, der „eine politische Mentalität beschreibt, die militärische Verhaltensweisen auf andere gesellschaftliche Bereiche als das Militär überträgt und zu einer allgemeinen handlungsleitenden Norm macht“ (Jansen 2004: 12). Als analytisches Instrument wurde er in differenzierender Absicht begrifflich erweitert (doppelter M., bürgerlicher M., Integrations-M.).

Militärische Revolution, fiscal-military-state, militärisch-industrieller Komplex: Zur Kennzeichnung eines fundamentalen Modernisierungsprozesses im neuzeitlichen Kriegswesen in technischer und taktisch-operativer Beziehung wurde in der angelsächsischen Forschung in den 1960er Jahren der Begriff Military Revolution entwickelt, der inzwischen mehrfach ergänzt und erweitert die verschiedenen grundsätzlichen evolutionären Innovationen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jh. aufeinander bezogen in den Blick nimmt (Artillerie, Festungswesen, Kriegsschiffbau, Mannschaftsstärken usw.). Damit rücken die administrativen und fiskalischen Voraussetzungen eines frühneuzeitlichen Bellizismus als Impulse eines mit unterschiedlicher Intensität vorangetriebenen Staatsbildungsprozesses in den Blick der historischen Forschung (fiscal-military-state).

Mit Beginn der Industriellen Revolution (Industrialisierung, Industriellen Revolution), die erst die Ausrüstung und den Einsatz von Massenarmeen und Massenvernichtungsmitteln ermöglichte, stiegen Bedeutung und Einfluss der nationalen Rüstungsindustrien als Motoren technischen Fortschritts und industrieller Produktionsverhältnisse. Im Verlauf der beiden Weltkriege und des Kalten Krieges verstärkte sich die enge Interessenverbindung zwischen M., Wirtschaft und politischen Eliten und damit der Einfluss einer Rüstungslobby auf politische Entscheidungen in einer Weise, die der scheidende US-Präsident Dwight David Eisenhower 1961 als militärisch-industriellen Komplex kennzeichnete. Eine intensive Wechselbeziehung von Personal, Informationen, und finanziellen Ressourcen ließ die Befürchtung entstehen, dass dadurch die demokratischen Institutionen ihre Entscheidungen im Bereich der Sicherheitspolitik nicht mehr unabhängig zu treffen vermögen. Zunächst auf die USA bezogen wurde der militärisch-industrielle Komplex zu einem Kampfbegriff der marxistisch-leninistischen Imperialismuskritik. Gleichwohl entwickelten sich ausgehend von der Blockkonfrontation und einer damit verbundenen übersteigerten Sicherheitsideologie auch in der UdSSR vergleichbare Strukturen. Die von den Supermächten betriebene Rüstungsspirale (NATO-Doppelbeschluss, Nachrüstung) erzwang eine zunehmend expansive Fiskalpolitik, der die UdSSR schließlich nicht mehr standhalten konnte.

Angesichts der asymmetrischen Kriege des 21. Jh. und der in ihnen wirkenden heterogenen Gewaltorganisationen bildet das M. als nationale oder multinationale Streitmacht, deren Erscheinungsbild ihre Angehörigen eindeutig als Soldaten ausweist, deren Einsatz nach nationalem und internationalem Recht erfolgt, nur noch einen Akteur unter anderen. Kampfeinsätze in Failed states konfrontieren moderne M.-Organisationen mit Formen organisierter Gewalt, nicht unähnlich denen, die den europäischen Staatsbildungsprozess zu Beginn der Neuzeit begleitet haben. In diesem Sinne versteht sich auch die moderne M.-Geschichte als ein eigenständiges Forschungsfeld in einer weiter gefassten Kulturgeschichte der Gewalt.

II. Politikwissenschaftlich

Abschnitt drucken

Der Begriff M. bezeichnet die Streitkräfte eines Landes, entweder als Gesamtheit der Soldaten oder als Teil dieser Gesamtheit. Das Gewaltmonopol des modernen Staates institutionalisiert sich – neben der Polizei – gerade auch im M. In demokratisch verfassten Staaten sind dessen Funktionen und Aufgaben i. d. R. in einem Rechtskodex fixiert. Zu den zentralen Charakteristika des M.s gehören eine organisierte und hierarchisch gegliederte Personalstruktur; deren Einbindung in staatliche und gesellschaftliche Strukturen; sowie ein bes.r rechtlicher Status der Streitkräfte, welcher deren Mitglieder zur Ausübung staatlicher Gewalt legitimiert.

1. Staat und Militär

Das M. untersteht staatlicher Kontrolle und ist ein wichtiges Instrument des staatlichen Gewaltmonopols. In dieser Funktion dient es dem Schutz einer Gesellschaft und ihres Staates vor Bedrohungen von außen und vor Konflikten im Inneren, dgl. zur Durchsetzung staatlicher Interessen. Die Ausgestaltung dieser Rolle erfolgt durch die Verfassung sowie das Wehrrecht des jeweiligen Staates. Auf diese Weise unterliegt die Aufgabenwahrnehmung des M.s der gesellschaftlich-politischen Steuerung. In Demokratien erfolgt diese Kontrolle und Steuerung vorrangig durch ein Verteidigungsministerium, dem – als zivile Verwaltungsinstanz – das M. unterstellt ist. Hierdurch findet sich das M. als Teil der Exekutive in die staatliche Gewaltenteilung eingegliedert.

Die Funktionen des M.s im modernen Staat lassen sich ausdifferenzieren um den Schutz des Staates – Ordnung, Bevölkerung, Territorium – als dessen Zentralfunktion. Wesenskern des M.s ist dabei dessen Befähigung zum Kampf. Sie dient klassischerweise der Landes- oder Bündnisverteidigung, nicht selten aber auch der Prävention oder Bewältigung von Krisen. Deshalb sind sowohl die Landes- bzw. Bündnisverteidigung als auch die Bearbeitung internationaler Krisen strukturbildend für die militärischen Fähigkeiten von Streitkräften. Entspr.e Vorgaben werden durch die Regierung gemacht, meist in Form von Strategiedokumenten und Richtlinien. Zur Schutz- und Verteidigungsfunktion des M.s kommt eine Assistenzfunktion zur Unterstützung nicht-militärischer Einrichtungen hinzu, bspw. bei der Katastrophenhilfe, humanitären Hilfe oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das M. kann ferner eine Integrationsfunktion erfüllen, sofern es verschiedene gesellschaftliche Schichten unter Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel verlässlich zusammenführt. Traditionell kommen dem M. auch repräsentative Funktionen zu, etwa beim Empfang von Staatsgästen.

Alle diese Funktionen des M.s sowie die aus ihnen folgende Bedeutung der Streitkräfte für Staat und Gesellschaft bedürfen der politischen Begründung. Die aber sind nur selten ganz unumstritten. Wenngleich die Rolle des M.s als Versicherung gegen externe und interne Bedrohungen und Risiken gemeinhin akzeptiert wird, ist die konkrete gesellschaftliche Bereitschaft, die mit der Aufstellung, Ausbildung, Ausrüstung, Instandhaltung und dem Einsatz von Streitkräften verbundenen Kosten zu tragen, ganz wesentlich von der jeweils aktuellen Bedrohungswahrnehmung in einer Gesellschaft abhängig. Zudem deutet der sich wandelnde Charakter gegenwärtiger politisch-militärischer Konflikte darauf hin, dass das M. zwar ein oft unabdingbares, doch nur im Ausnahmefall hinreichendes Element zu deren Bearbeitung ist.

2. Entwicklungstendenzen im Militär

Eine wesentliche Entwicklungstendenz, v. a. in den Staaten der NATO und der EU nach dem Ende des Kalten Krieges, ist die Professionalisierung der Streitkräfte. Es setzte ein Prozess ein, in dem die bestehenden Wehrpflichtarmeen durch im Umfang kleinere Freiwilligenarmeen ersetzt werden sollten. Diese Entwicklung hatte drei maßgebliche Treiber. Erstens war das die Einschätzung, nach dem Ende der Konfrontation zwischen Ost und West habe sich die Bedrohungslage so gewandelt, dass Massenheere nun unnötig wären. Damit ging – zweitens – der Wunsch vieler Regierungen einher, eine sog.e „Friedensdividende“ einzufahren und die Verteidigungsausgaben zu senken. Drittens führte die zunehmende technische Komplexität moderner Ausrüstung und Waffensysteme zu solchen Spezialisierungen und Anforderungen an Ausbildung sowie Können bei den Soldaten, dass sie von Wehrpflichtigen – schon aufgrund ihres befristeten Engagements – kaum mehr erfüllt werden können.

Diese Professionalisierung des M.s wurde aus verschiedenen Richtungen auch kritisiert. Etwa wird befürchtet, dass sich die Bindung zwischen M. und Gesellschaft dann abschwächt, und zwar bis hin zu einer Abschottung der Streitkräfte vom Rest der Gesellschaft. Manche Beobachter befürchten zudem eine Militarisierung von Außen- und Sicherheitspolitik, wenn die direkte Einbindung des M.s in die Gesellschaft nachlässt. Durch Einsatzerfahrungen von Soldaten, die vom Rest der Bevölkerung nicht geteilt werden können, dürfte die Abgrenzung zwischen Militär und Gesellschaft noch weiter zunehmen. Insgesamt wird in der Literatur v. a. auf negative Konsequenzen der Professionalisierung für die Schutz- sowie Integrationsfunktion des M.s hingewiesen. Bislang vorliegende Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass derlei Befürchtungen zwar nicht unbegründet, aber doch überzogen sind.

Im Laufe von sich weiter entspannenden oder wieder verschärfenden Bedrohungslagen werden sich das Verhältnis zwischen Staat und M. sowie die oben umrissenen Entwicklungstendenzen wohl weiter wandeln. In Europa hat bspw. die Außenpolitik Russlands seit 2013/14 (Krim-Annexion, Konflikt in der Ost-Ukraine) – in Verbindung mit umfassenden Modernisierungsmaßnahmen beim russischen M. – ein erneutes Umdenken befördert. Einige Regierungen haben etwa begonnen, wieder Elemente einer allg.en Wehrpflicht einzuführen, aufwendige Ausrüstungsprogramme einzuleiten sowie ein Aufwachsen des Personalumfangs des M.s in Betracht zu ziehen. Gleichzeitig gewinnt, auch in Deutschland, die Landes- und Bündnisverteidigung erneute Prominenz als Kern der Schutz- und Verteidigungsfunktion des M.s, weil Aufgaben, Strukturen und gesellschaftliche Einbindung des M.s nun einmal stets im Zusammenhang des sich immer wieder wandelnden internationalen Umfelds zu verstehen sind.