Menschenrechte

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  1. I. Philosophisch-ethische Perspektive
  2. II. Entwicklung im positiven Recht
  3. III. Perspektiven christlicher Ethik

I. Philosophisch-ethische Perspektive

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1. Begriff und Geschichte

Die M. sind Ansprüche, also gerechtfertigte Forderungen, die ein Mensch allein auf Grund seines Menschseins und ungeachtet seiner sonstigen wechselnden Eigenschaften gegen eine politische Gemeinschaft und deren Funktionsträger (bzw. erweitert auch gegen sonstige Gemeinschaften) auf ein Tun oder Unterlassen hat. Beispiele sind das Recht auf Achtung des Lebens und der geistigen wie körperlichen Unversehrtheit sowie auf Glaubens-, Gewissens- (Gewissen, Gewissensfreiheit) und Meinungsfreiheit. Die klassischen M. sind individuelle „subjektive“ Rechte, also Ansprüche des menschlichen Subjekts im Unterschied zum „objektiven“ Recht der Regelungen einer Gemeinschaft. Die M. berechtigen unbedingt, gleich sowie alle Menschen. Sie sind also individuell, kategorisch, egalitär und universell.

Die M. haben zwei analytisch strikt zu unterscheidende Dimensionen: eine ethisch-moralische, vorpositivrechtliche bzw. vorstaatliche Dimension einer angeborenen, unverzichtbaren und unantastbaren Fähigkeit des Menschen und eine politische bzw. staatliche Dimension der anerkannten und statuierten M. als einer positivrechtlich festgestellten und verliehenen Befugnis. Beide Dimensionen sind jedoch historisch, faktisch und legitimatorisch in vielfältiger Weise miteinander verbunden. Um beide zu differenzieren, bezeichnet man die ethisch-moralische Dimension auch als M. im engeren Sinn und die politische bzw. positivrechtliche Dimension als „Grundrechte“. So unterscheidet etwa Art. 1 des deutschen GG sehr klar zwischen beiden, den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ (Art. 1 Abs. 2 GG) und den „nachfolgenden Grundrechten“, welche „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“ binden (Art. 1 Abs. 3 GG). Die M. im engeren Sinn berechtigen als ethisch-moralische Rechte alle Menschen weltweit sowie unabhängig von jeder politischen Gemeinschaft, also universell in allen Zeiten und Kulturen. In gleichem Umfang verpflichten sie jede politische Gemeinschaft zu ihrer Anerkennung und Durchsetzung. Dagegen können die Grundrechte als subjektive, öffentliche Rechte nur partikular statuiert werden, nämlich nur für eine bestimmte rechtliche bzw. politische Ordnung zu einer bestimmten Zeit (das könnte aber auch eine politische Weltgemeinschaft sein). Manche dieser statuierten Grundrechte sind sogar nur Bürgerrechte, berechtigen also nur die Bürger des jeweils regelnden Staates. In Deutschland spricht man dann auch von „Deutschenrechten“, z. B. Art. 11 GG: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet“ (in Abgrenzung zu den nicht auf Deutsche beschränkten Grundrechten, z. B. Art. 3 GG: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, die in der juristischen Literatur gelegentlich in einem engsten, verwirrenden Sinn auch als „M.“ bezeichnet werden). Ein Teil der Bürgerrechte sind schließlich die sog.en staatsbürgerlichen Rechte (Art. 33 Abs. 1 GG) auf aktive Mitwirkung im Staat, etwa das Recht auf freien Zugang zu jedem öffentlichen Amt (Art. 33 Abs. 2 GG) oder das Wahlrecht (Art. 38 GG).

Als politisch und rechtlich anerkannte und statuierte subjektive Rechte sind die M. sowohl in der allg.en Menschheitsgeschichte als auch der bes.n Rechtsgeschichte eine späte, mit vielen blutigen Opfern bes. im 18. Jh. in Nordamerika und Frankreich erkämpfte Errungenschaft. In deutschen Erklärungen und Verfassungen setzten sich die M. nach Vorformen im 19. Jh. auf gesamtstaatlicher Ebene erst in der WRV von 1919 durch, dort allerdings nur hinter dem organisationsrechtlichen Teil und in der Praxis lediglich als Programmsätze. Erst das GG vom 23.5.1949 stellte die M. als Grundrechte vor den organisationsrechtlichen Teil der Verfassung, erklärte sie zur Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft und damit auch des Staates, garantierte sie als unmittelbar geltendes Recht und eröffnete 1969 durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mit der Individualverfassungsbeschwerde zum BVerfG (nachdem das BVerfGG diese bereits 1951 einfachgesetzlich etabliert hatte) jedem Menschen und Bürger einen einklagbaren Rechtsanspruch gegen den Staat auf Achtung und Schutz seiner Grundrechte.

Vor dem 18. Jh. finden sich erste Ansätze und Spuren der Einschränkung staatlicher Macht nur in Freiheitsbriefen und Wahlkapitulationen, etwa in der „Carta Magna Leonesa“ Alfons IX. von 1188 mit der Bestätigung einiger, von der Cortes de León geforderten, politischen Freiheitsrechte, in der „Magna Carta Libertatum“ von 1215 mit der Gewährung einiger Freiheitsgarantien und Privilegien durch den englischen König an den Adel, in Art. 3 der „Zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern“ von 1525 mit der Forderung nach Befreiung von der Leibeigenschaft, in der britischen „Petition of Right“ von 1628 mit der Sicherung der Freien vor willkürlicher Verhaftung, welche 1679 in der Habeas-Corpus-Akte erweitert wurde, schließlich in der „Bill of Rights“ von 1689 mit der Straffreiheit bei der Eingabe von Petitionen und dem Verbot grausamer Bestrafungen. Vergleichbare Freiheitsbriefe und Privilegierungen gab es in einigen Ländern Europas.

Ab Ende des 17. Jh. erscheinen ethische bzw. philosophische und damit nicht-religiöse Schriften, welche das Bestehen individueller M. konstatieren und den Staat auf die Beachtung dieser Rechte verpflichten. Zu nennen sind – von weniger spezifischen, naturrechtlichen Schriften z. B. bei Hugo Grotius, Samuel Freiherr von Pufendorf und Christian Wolff abgesehen – etwa John Lockes „Two Treatises of Government“ von 1689/90, Jean-Jacques Rousseaus „Discours sur l’origine et les fondaments de l’inégalité parmi les hommes“ von 1755, Thomas Paines „Rights of Man“ von 1791/92 und Immanuel Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ von 1797. Mit diesen Schriften beginnen die Versuche, die M. säkular-ethisch bzw. philosophisch, also nicht religiös und damit für alle Menschen, gleich welcher Religion, Kultur oder Gesellschaft, d. h. universell, festzustellen und zu begründen sowie ihre positivrechtliche Anerkennung zu fordern. Zwar geschieht dies zu Beginn noch auf der Grundlage des Naturrechts, dann aber zunehmend mit Verweis auf den Menschen als autonomes Individuum (Autonomie) und auf allgemeinethische Prinzipien.

Wie weit gedankliche Grundlagen vor das 17. und 18. Jh. zurückreichen, ist umstritten und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Genannt werden als Quellen u. a. das mittelalterliche Recht, das mittelalterliche Kirchenrecht, die englische Rechtstradition, der Humanismus, die Reformation, die Barokscholastik (Scholastik) sowie, noch weiter zurückreichend, das römische Recht, die stoische Philosophie mit ihrem Universalismus sowie das Christentum mit seiner Annahme individueller Freiheit, Personalität (Person) und einem transzendenten Ziel bis hin zum Subjektivismus der antiken Polis sowie der Sophisten und der Tradition des antiken Naturrechts. Die Stoa hat etwa die Gleichheit aller Menschen betont und das Christentum aufgrund der Gotteskindschaft und Gottesebenbildlichkeit den bes.n, unverfügbaren Wert jedes individuellen Menschen.

2. Allgemeine geistige Hintergründe und Erweiterungen

Allg.e geistige Hintergründe bzw. Entwicklungen, welche neben religiösen Einflüssen zur allmählichen Erkenntnis, Anerkennung und schließlich universellen Begründung der M. führten waren wenigstens die fünf folgenden:

a) Im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit wurde der einzelne Mensch in zunehmendem Maße neben bzw. unabhängig von sozialen Kollektiven wie Familie, Sippe, Volk, Dorf, Stadt oder Imperium als singuläres Individuum wahrgenommen und beschrieben (deskriptiver Individualismus bzw. Humanismus). Er tauchte im 15. und 16. Jh. als zentraler Gegenstand in der wissenschaftlichen und allg.en Literatur auf, etwa bei Bartolomeo Facio, Giannozzo Manetti und Giovanni Pico della Mirandola („Oratio“ von 1487, nach seinem Tod 1504 unter dem Titel „De hominis dignitate“ veröffentlicht). Wesentliches Ziel dieser Literatur war die Widerlegung der Auffassung Papst Innozenz III. in „De miseria humanae conditionis“ (1194/95) des irdischen menschlichen Lebens als bloßem Elend. Das irdische Leben hat danach positiven Wert und ist nicht wie für Innozenz III. auf Grund der Erbsünde elend und unwert. Das Bild des Menschen wandelte sich also zu einer optimistischen Sicht. Die Begründung verlässt allerdings bei B. Facio und G. Manetti die religiös-metaphysischen Annahmen des Christentums noch nicht. G. Pico della Mirandola postuliert dann eine inhärente Fähigkeit jedes einzelnen Menschen zur Selbstvervollkommnung. Die neue Wahrnehmung und Beschreibung des einzelnen Menschen als singulärem Individuum tauchte auch in der Kunst der italienischen Renaissance in Plastiken und Gemälden auf, etwa bei da Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael.

b) Auf dieser zunehmenden Wahrnehmung und Beschreibung baute die Annahme bzw. Forderung auf, diesen einzelnen Menschen auch normativ als letzte Quelle von Verpflichtungs- und Wertungsordnungen wie Moral, Recht und Ethik anzusehen sowie anzuerkennen (normativer Individualismus bzw. Humanismus), etwa mit Einschränkungen schon in der spanischen Spätscholastik sowie bei H. Grotius, Thomas Hobbes, S. von Pufendorf, dann aber v. a. bei J. Locke, J.-J. Rousseau, T. Paine, I. Kant, Wilhelm von Humboldt, Jeremy Bentham, John Stuart Mill usw. Diese Entwicklung mündete politisch in die Forderung nach Volkssouveränität.

c) Die normative Berücksichtigung der Individuen wurde durch die Anerkennung subjektiver Rechte formalisiert sowie positiviert und so wesentlich verstärkt. Der Einzelne gewann auf diese Weise einen anerkannten und schließlich rechtlich durchsetzbaren Anspruch, in seinen individuellen Belangen berücksichtigt zu werden. Er wurde vom bloßen Objekt zum Subjekt der Durchsetzung der eigenen Interessen. Wann subjektive Rechte im Privatrecht bzw. allg.en Recht zum ersten Mal auftauchten, ist umstritten. Während einige ein Verständnis von ius als Anspruch schon im römischen Recht lokalisieren, erkennen andere dies erst im Hoch- oder Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit.

d) Der nächste, wesentliche Schritt war jedenfalls die ethische und politisch-rechtliche Wendung dieser privat- oder allgemeinrechtlichen Rechte zu natürlichen, vorstaatlichen Rechten gegen den Staat bzw. die politische Gemeinschaft. Diese Wendung trat in eindeutiger, systematischer und wirkungsmächtiger Art und Weise erst im 17. und 18. Jh. in den oben erwähnten philosophischen Schriften und M.s-Erklärungen ein.

e) Schließlich wurde der Kreis der Menschen, die man als Träger von M. ansah, allmählich ausgeweitet, d. h. universalisiert, da sich eine Beschränkung nicht rational rechtfertigen ließ: Während es bei den Privilegien der Feudalordnungen (Feudalismus) noch v. a. Adlige und dann eine beschränkte Gruppe von Freien waren, sollen es nach den amerikanischen und französischen Erklärungen nominell alle freien Menschen sein. Real waren es aber zunächst nur alle freien, erwachsenen, weißen, christlichen und europäischstämmigen Männer. Olympe de Gouges Forderung nach Rechten der Frauen von 1791 trug mit zu ihrer Hinrichtung bei. Die Erstreckung der M. auf Frauen, Kinder, Nichtweiße, Nichtchristen und Nichteuropäer war ebenso wie die Abschaffung von Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit ein Prozess, der weitere 200 Jahre dauerte und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. zu einem gewissen rechtlichen, nicht aber faktischen Abschluss kam, etwa in der AEMR von 1948.

Ab dem 20. Jh. wurden die M. dann sachlich von bloßen Freiheits- bzw. Abwehrrechten gegen den Staat auf Leistungs- und Teilhaberechte sowie Schutzpflichten erweitert (M. der zweiten Generation), etwa ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (BVerfGE 125, 175[222]), Arbeit (Art. 23 Nr. 1 AEMR), Nahrung, Kleidung, Wohnung, einen angemessenen Lebensstandard, soziale Sicherung (Art. 25 Nr. 1 AEMR), regelmäßigen bezahlten Urlaub (Art. 24 AEMR) oder sogar einen Studienplatz im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten (BVerfGE 33, 303). Die Menschenwürde trat als Basis und Fundamentalnorm hinzu, etwa am Anfang der UN-Charta und dann noch prägnanter in der Präambel und Art. 1 der AEMR von 1948 sowie Art. 1 Abs. 1 GG. Ein weiterer Schritt war die Erweiterung auf vorstaatliche Kollektive, etwa das Selbstbestimmungsrecht der Völker nach Art. 1, 2. der UN-Charta von 1945. Schließlich wurden die M. bzw. Grundrechte auch nichtpolitischen Kollektiven wie Kirchen, Vereinen, Universitäten und Unternehmen zuerkannt, z. B. in Art. 19 Abs. 3 GG. Manche sehen mittlerweile auch nichtpolitische Gemeinschaften wie Unternehmen oder Vereine als durch die M. Verpflichtete an. Als „M. der dritten Generation“ bezeichnet man schließlich allg.e und überwölbende Rechte, welche das Merkmal der Individualität der klassischen M. überschreiten: das Recht auf Entwicklung, Umwelt, Selbstbestimmung, Frieden usw. Seit dem Ende des 20. Jh. fordern manche sogar die Erweiterung der M. auf die großen Menschenaffen oder andere höhere Tiere.

Während die AEMR von 1948 völkerrechtlich nicht verbindlich ist, sondern allenfalls sog.es soft law darstellt, sind auf internationaler Ebene 1966 zwei große, bindende Pakte geschlossen worden, die 1976 in Kraft traten, nachdem 35 Staaten sie ratifiziert hatten: der ICCPR und der ICESCR. Heute sind mehr als 160 Staaten beigetreten. In der Folge wurden viele weitere UN-Abkommen und sonstige Pakte zu speziellen Gegenständen und Gruppen ausgehandelt, denen sich allerdings nur ein Teil der Staaten angeschlossen hat, etwa die CAT 1984 und die UN-KRK 1989. In Europa wurde 1950/53 die EMRK statuiert. Die EU hat sich 2000 eine EuGRC gegeben.

3. Ethische und damit universelle Begründungen

Angesichts der innerstaatlichen und internationalen Pluralisierung der Meinungen und Religionen stellt sich jenseits religiöser Rechtfertigungen die Frage, wie sich die M. säkular-ethisch bzw. philosophisch und damit universell rechtfertigen bzw. begründen lassen. Dazu kann es keine bloß spezifische, isolierte Ethik der M. geben, sondern erforderlich sind letztlich allgemeinethische Begründungen. Für eine säkulare, normative Ethik bestehen seit der Zurückdrängung naturrechtlicher und religiöser Rechtfertigungen zwei grundsätzliche Alternativen: Die Begründung kann entweder die betroffenen anderen Menschen als Individuen mit ihren auch altruistischen individuellen Belangen berücksichtigen oder nur als Teil eines Kollektivs und das Kollektiv selbst. Die erste Alternative lässt sich als normativer oder legitimatorischer Individualismus bzw. Humanismus bezeichnen, die zweite als normativer Kollektivismus oder Kommunitarismus. Der normative Individualismus bzw. Humanismus behauptet, dass ausschließlich Individuen letzter Ausgangspunkt einer legitimen ethischen Verpflichtung bzw. Wertung und damit als betroffene Akteure bzw. als betreffende Andere erstes Element einer adäquaten normativen Rechtsethik sein können, nicht aber Gemeinschaften oder Kollektive, wie Staat, Nation, Volk, Gesellschaft usw. Der ethisch zu berücksichtigende Andere ist also in letzter Instanz in einer säkularen Perspektive immer die bzw. der Einzelne. Dabei handelt es sich – das muss betont werden – um die Behauptung der normativen, also wertenden und verpflichtenden Berücksichtigung als Individuen. Nicht bezweifelt wird, dass die Menschen faktisch auch in mehr oder minder engen Gemeinschaften leben. Nicht verneint wird auch, dass es vorletzte Werte von Kollektiven gibt. Nicht bestritten wird schließlich, dass es jenseits der säkularen Perspektive göttliche Verpflichtungen bzw. Wertungen geben kann. Seit der Neuzeit haben sowohl die großen Strömungen der normativen Ethik als auch das Recht – mit einzelnen z. T. gravierenden retardierenden Momenten – zunehmend den normativen Individualismus anerkannt, also in säkularer Perspektive den einzelnen Menschen als letzte normative Instanz der Rechtfertigung angesehen. Viele große Ethikentwürfe stimmen zumindest im Ausgangspunkt oder in manchen Elementen mit dem normativen Individualismus überein, etwa der Kantianismus bzw. die deontologische Ethik, der Utilitarismus bzw. Konsequentialismus, aber auch die Vertragsethik/Diskursethik:

Die deontologische Ethik mit dem Kantianismus als Hauptversion hält Pflichten für ethisch wesentlich. Nach I. Kant ist der gute Wille des Einzelnen Ausgangspunkt aller Pflichten. Nur der gute Wille ist unabhängig von allen zufälligen Einflüssen und Konsequenzen allein und ohne Einschränkung gut. Einziger Maßstab des guten Willens kann das Sittengesetz in der einzelnen Person sein, also deren Autonomie. Das Sittengesetz konkretisiert I. Kant zum kategorischen Imperativ mit dem Prinzip der Verallgemeinerung als zentralem Kriterium: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Kant 1911: 421). Nach I. Kants zweiter Formel des kategorischen Imperativs dürfen sowohl der Akteur als auch jeder andere als Personen (genauer: als die Menschheit in ihnen) niemals bloß als Mittel, sondern sie müssen jederzeit zugl. als Zweck „gebraucht“ werden (Kant 1911: 429). Die Allgemeinheit des Gesetzes erfordere die Berücksichtigung aller autonomen Individuen. Allerdings grenzt I. Kant den Kreis der zu beachtenden Wesen auf vernünftige ein. Der Begriff bzw. die Aufgabe des Rechts im objektiven Sinn besteht für I. Kant darin, die „Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“ (Kant 1914: 230) zu vereinigen. I. Kant postuliert auf dieser Grundlage ein einziges umfassendes subjektives, überpositives M. aller Menschen, das „Recht der Freiheit“ (Kant 1914: 237). Dieses stützt sich, ausgehend von der individuellen Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung, auf das Prinzip der Verallgemeinerung. Eine deontologische Begründung der M. hat neben Onora O’Neill und James Griffin etwa Otfried Höffe mit seiner Theorie des transzendentalen Tausches von Interessen vorgelegt. Zentrale Interessen wie Leben, Leib, körperliche Unversehrtheit usw. sind die Grundlage aller anderen Interessen und damit notwendiges Element der wechselseitigen Tauschgerechtigkeit.

Für den Utilitarismus bzw. Konsequentialismus (teleologische Ethik) sind der größte Nutzen aller oder, genereller, die besten Konsequenzen einer Handlung bzw. Regelung ethisch entscheidend. Der klassische Utilitarismus von J. Bentham und J. S. Mill nimmt dabei seinen Ausgang bei Lust und Leid der betroffenen Individuen. Auf dieser Basis wird die Nutzensumme ermittelt. Im modernen Präferenzutilitarismus werden statt Lust und Leid die Präferenzen als entscheidend angesehen.

J. Bentham, der Ahnherr des Utilitarismus, hat die M. als „nonsense upon stilts“ (Bentham 2002: 330), also als „Unsinn auf Stelzen“ bezeichnet. Und nach J. S. Mill kann der Utilitarismus die M. nur indirekt und damit sekundär rechtfertigen: Um des größten Gesamtnutzens willen, soll man als sekundäre Regeln die Beachtung der M. annehmen.

Die Vertragstheorie (Kontraktualismus, Zustimmungstheorie) hält den hypothetischen Vertrag für den Kern der normativen Ethik und damit für die Begründung auch der M. Sie geht in ihren verschiedenen Varianten bei J. Locke, J.-J. Rousseau, John Rawls und Thomas Scanlon trotz gewisser Unterschiede im Einzelnen immer von Individuen aus, die in letzter Instanz als fiktiv vertragsschließend angesehen werden. Die Unterschiede liegen darin, wie die Individuen zu verstehen sind, welche ihrer Eigenschaften entscheidend sein sollen und wie der Vertragsschluss zu interpretieren ist. Nach einer modernen Version von T. Scanlon soll eine Handlung genau dann ethisch falsch sein, wenn ihre Durchführung unter den gegebenen Umständen von jeder Menge von Prinzipien zur Regelung des Verhaltens verboten würde, die niemand als Basis informierter, ungezwungener und allg.er Zustimmung vernünftigerweise zurückweisen könnte. Jürgen Habermas hat folgendes vergleichbare Diskursprinzip vorgeschlagen: Jede gültige Norm müsste die Zustimmung aller Betroffenen, wenn diese nur an einem praktischen Diskurs teilnehmen würden, finden können.

Eine Ethik des normativen Humanismus rechtfertigt jedenfalls in säkularer Perspektive sowohl die vorstaatlichen M. im engeren Sinn als auch die staatlichen Grundrechte. Und zwar gilt dies – entgegen der Skepsis eines Ethnozentrismus oder Relativismus – für alle Zeiten und Kulturen, also universell, wenn auch mit spezifischen kulturellen Differenzierungen in der Anwendung.

II. Entwicklung im positiven Recht

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1. Zur Genese (positiv-)rechtlicher Menschenrechtsgarantien

Ihrer Idee und ihrem Begriff nach kommen die M. dem Menschen schlicht kraft seines Menschseins und der damit verbundenen Würde zu. Sie hängen also nicht von einem konstitutiven Akt staatlicher Verleihung ab. Vorstaatlich und zugl. überstaatlich begründet, stehen sie weder zur Disposition des souveränen Staates noch hängt ihr Geltungsanspruch von staatlichem consensus ab. Sie bilden als solche neben dem Rechtsstaat und der Demokratie eines der maßgeblichen Konstitutionsprinzipien jeder freiheitlich orientierten politischen Gemeinschaft. M. sind in diesem grundlegenden Sinne „Grund-Rechte“, präpositive, dem Verfassungsstaat vorgegebene, ihm aufgegebene, seinen hoheitlichen Gewaltanspruch erst legitimierende Rechte. Sie bilden, wie schon terminologisch naheliegend, den Oberbriff für universale M., aber auch für nationale, an die Staatsangehörigkeit anknüpfende, kulturell durchaus partikuläre Bürgerrechte. Ohne die Chance effektiver Durchsetzung bliebe die M.s-Idee indes ein uneingelöstes Versprechen. Sie bedürfen zu ihrer Effektuierung vielmehr der Positivierung (Rechtspositivismus), d. h. der Anerkennung durch geschriebenes Recht. So sichert der nationale Verfassungsstaat im spezifischen Kontext seiner jeweiligen (Rechts-)Kultur die „Grundrechte“ seiner Bürger ebenso wie die für jedweden geltenden menschenrechtlichen Verbürgungen („Jedermannsrechte“). Er tut dies – abgesehen von seltenen Ausnahmen, wo es wie im Vereinigten Königreich an einer geschriebenen Verfassung fehlt – in den M.s-Katalogen seiner Verfassungen, in Anklang an die US-amerikanische Verfassungstradition oft als „Bill of Rights“ apostrophiert. Neben den Verfassungsstaat, den klassischen und noch immer wichtigsten Garanten vorstaatlicher M., treten seit 1945 zunehmend regionale Verantwortungsgemeinschaften (etwa der Europarat oder die EU) und die internationale Gemeinschaft. Mit der responsbility to protect hat letztere eine bes. weitreichende – indes keine rechtlichen Interventionspflichten festschreibende – „Schutzverantwortung“ für die M. übernommen, wenn der Nationalstaat seine menschenrechtlichen Verpflichtungen entweder nicht wahrnehmen kann oder will. Der Weg zu effektiven positivrechtlichen M.s-Garantien war indes lang und hindernisreich.

2. Verfassungsrechtliche Menschenrechtsgarantien

2.1 Historische Entwicklung

Frühe Vorformen finden sich in England. Die „Magna Charta Libertatum“ (1215) ist gewiss noch kein modernes M.s-Dokument, aber sie garantiert u. a. bereits die Freiheit der Kirche vor staatlicher Einmischung sowie das Eigentums- und Erbrecht freier Bürger. Einen weiteren Entwicklungsschritt markiert die „Petition of Right“ des englischen Parlaments (1628). Sie bestätigt ältere habeas corpus-Rechte, wonach kein Herrschaftsunterworfener ohne erwiesenen Grund inhaftiert werden darf. Im Jahre 1679 unterzeichnete Karl II., allerdings nur unter äußerem Druck, den „Habeas Corpus Amendment Act“ zur Präzisierung und Verschärfung der in der Praxis oft noch missachteten Rechte. Auch die Rezeption durch andere Staaten blieb nicht aus. So übernahm 1717 Preußen den habeas corpus-Gedanken und verankerte ihn herrschaftsbegrenzend in seinem „Allgemeinen Landrecht“ aus dem Jahre 1794.

2.2 Durchbruch der Menschenrechtsidee in Nordamerika

Einen menschenrechtlichen Entwicklungssprung bedingt jedoch erst das Zeitalter des Konstitutionalismus. Nach der amerikanischen und der Französischen Revolution, beeinflusst von den staatstheoretischen Entwürfen eines John Locke oder Charles de Montesquieu, wurde die Idee menschenrechtlicher Herrschaftsbegründung und Herrschaftsbegrenzung erstmals zur unabdingbaren Voraussetzung verfasster Staatlichkeit. Programmatisch formuliert die „Virginia Bill of Rights“ von 1776: „all men are by nature equally free and independent and have certain inherent rights“ (Art. 1). Es geht hier v. a. um Freiheitsrechte: das Recht auf Leben, persönliche Freiheit, Pressefreiheit, Eigentumsschutz; Verfahrensrechte ergänzen die Trias „life, liberty, property“. Weiterreichende Schutzdimensionen (Leistungsrechte, politische Teilhaberechte) sollten erst sehr viel späteren Entwicklungen vorbehalten bleiben. Während die übrigen Neuenglandstaaten dem Beispiel Virginias folgten, kannte die US-Bundesverfassung von 1787 zunächst keinen M.s-Katalog. Schon 1791 wurde, um nicht nur die Gliedstaaten, sondern auch die Bundesregierung menschenrechtlich einzuhegen, dieses Defizit überwunden. Mit den ersten zehn Zusatzartikeln trat die „Bill of Rights“ in Kraft. Der US-Supreme Court vermittelte ihr bes. Wirkungsmacht, nachdem er in Marbury v Madison (1803), 5 United States Reports (1 Cranch), 137 (167) das Recht für sich beansprucht hatte, Parlamentsgesetze am Maßstab der Verfassung zu überprüfen und notfalls zu verwerfen (judicial review). Nach dem Bürgerkrieg etablierte im Jahre 1868 das 14. Amendment den due process of law, zunächst verfahrensrechtlich limitiert, später auch materiellrechtlich verstanden. Es kam zu einer immer umfassenderen grund-/menschenrechtlichen Bindung und Kontrolle aller öffentlichen Gewalt auf Bundes- wie gliedstaatlicher Ebene.

2.3 Parallelentwicklung in Frankreich

Für Europa schließt die französische „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789 an das freiheitliche Potential der „Virginia Bill of Rights“ an und verbindet es mit einem gleichheitsrechtlichen Anspruch. So deklariert Art. 1 in seinem ersten Abs.: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten“. Sein Abs. 2 erhebt mit universellem Geltungsanspruch die M. zur Grundlage politischer Einheitsbildung: „Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“. Ausdifferenziert werden diese Rechte in „Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung“. Aber auch dieser Meilenstein der europäischen M.s-Geschichte ist von modernem M.s-Denken noch weit entfernt. So galten etwa die politischen Rechte nicht für Frauen. Trotz dieser Defizite steht ihre kontinuierliche Wirkungsmacht und – gerade in Frankreich – identitätsstiftende Funktion für das politische Gemeinwesen außer Zweifel. Die Präambel der Französischen Verfassung von 1958 zitiert die Erklärung von 1789 und belegt damit ihre ungebrochene Relevanz für die heutige Fünfte Republik.

2.4 Deutschland

In Deutschland finden sich erste menschenrechtliche Ansätze in den Verfassungen des Frühkonstitutionalismus von 1818/19 (Baden, Bayern, Württemberg). Etwa ab 1850 enthalten alle Verfassungen mehr oder weniger umfangreiche M.s-Kataloge, die aber gerichtlich nicht durchsetzbar waren. Der Grundrechtsteil der Paulskirchenverfassung verfolgte durchaus weitergehende Ziele. Er wurde zwar am 20.12.1848 von der Frankfurter Nationalversammlung als eigenständiges Gesetz beschlossen, blieb nach dem endgültigem Scheitern der Verfassung aber ein erfolgloser Versuch. Es kam vielmehr zu restaurativen Rückschritten. Die Verfassungen des Norddeutschen Bundes (1867) und die Reichsverfassung von 1871 enthalten keine Grundrechtskataloge. Als erste demokratische Verfassung etabliert die WRV nach dem Ende des Kaiserreichs mit seinen lange nachwirkenden Reminiszenzen des monarchischen Absolutismus einen ausführlichen Grundrechtskatalog. Sie wagte sogar moderne wirtschaftliche und soziale Rechte, beließ es aber bei Programmsätzen ohne umfassende Bindung aller staatlichen Gewalten, v. a. ohne effektive individuelle Rechtsschutzmechanismen. Das GG vom 23.5.1949 zieht daraus nachdrückliche Konsequenzen und beantwortet die Menschenverachtung der NS-Diktatur mit einer umfassenden menschenrechtlichen Begründung der neuen demokratischen Herrschaftsorganisation. Das beginnt mit der Menschenwürderadzierung (Menschenwürde) des Verfassungsstaates in Art. 1 Abs. 1, findet in Art. 1 Abs. 3 mit der umfassenden Grundrechtsbindung aller drei staatlichen Gewalten seine Fortsetzung und in Art. 20 Abs. 3 rechtsstaatliche Absicherung. V. a. jedoch reiht sich das GG mit Art. 1 Abs. 2 (wieder) in die Tradition des internationalen M.s-Schutzes ein. Die extensive Grundrechte-Rechtsprechung des BVerfG sichert heute Grundrechte und M., die weit über den Wortlaut des grundgesetzlichen Grundrechtskatalogs hinausgehen (etwa ein Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums oder ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Die Lehre hat die menschenrechtlichen Schutzdimensionen vom abwehrrechtlichen status negativus über den leistungsrechtlichen status positivus bis hin zum status activus processualis (Grundrechtsschutz durch Verfahren) fortentwickelt. Darüber hinaus sind sowohl auf universell- als auch auf regional-völkerrechtlicher Ebene M.s-Garantien entstanden, die staatliche Schutzansprüche teils überlagern, teils schutzverstärkend ergänzen und in jedem Falle zur Rezeption durch die nationalen Rechtsordnungen einladen.

3. Menschenrechtskonstitutionalismus jenseits des Staates

3.1 Völkerrechtliche Pakte

Menschheitsbezüge haben eine lange Tradition im universellen Völkerrecht. Dafür steht insb. die spanische Spätscholastik (Scholastik) mit der Schule von Salamanca (Francisco de Vitoria und Francisco Suárez). Keine Unbekannte sind dem Völkerrechtsdenken der Aufklärung die menschheitsbezogenen Ansätze Immanuel Kants, die alle Formen politischer Gemeinschafts- und rechtlicher Ordnungsbildung nicht als Selbstzweck begreifen, sondern instrumental in den Dienst des Menschen stellen. Das Individuum blieb aber bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Völkerrecht mediatisiert und konnte nicht Träger völkerrechtlicher Rechte sein. Eine geschützte Rechtsposition hatte es nur, soweit verfassungsrechtlich garantiert, gegenüber dem Staat. In Reaktion auf den menschenverachtenden Nationalsozialismus wurde diese prinzipielle Beschränkung aufgegeben und das „bipolare“ Verhältnis zwischen Individuum und Staat in ein „trianguläres“ gewandelt: Staat – Einzelmensch – internationale Gemeinschaft. Art. 1 Nr. 3 der UN-Charta erhebt die „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ zum übergreifenden Ziel der Weltgemeinschaft. Die AEMR vom 10.12.1948 legt den ersten geschriebenen völkerrechtlichen M.s-Katalog vor, bleibt als Resolution der Generalversammlung aber unverbindliches soft law. Rechtverbindliche Konkretisierungen leisten erst die beiden M.s-Pakte von 1966: der IPbpR einerseits, der IPwskR andererseits. Aufgrund der ideologischen Spaltung zwischen Ost und West war ein einheitlicher Pakt, der liberale und soziale M.s-Tradition verband, damals noch nicht möglich. Ergänzt wird diese „International Bill of Rights“ um zahlreiche bereichsspezifsche und auf bes. Gefährdungslagen reagierende Spezialverbürgungen: etwa die UN-Völkermordkonvention, das „Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“, das Folterverbot (Folter), das Genfer Flüchtlingsrecht (Genfer Flüchtlingskonvention), Konventionen zu Rechten des Kindes, der Frau, von Menschen mit Behinderung, von Indigen etc. Vermehrt übernehmen unverbindliche Regelungen wie die bereits angesprochene responsibilty to protect oder, unter Einbindung privater Akteure, internationale codes of conduct eine ergänzende Schutz- bzw. Orientierungsfunktion.

3.2 Regionale Pakte

Auf regionaler Ebene übernimmt die EMRK von 1950 eine Vorreiterrolle. Progressiv und dynamisch weiterentwickelt durch die Rechtsprechung des EGMR stellt sie heute das wohl effektivste regionale M.s-Schutzsystem dar. Ihrem Vorbild folgt die „Amerikanische Menschenrechtskonvention“ (1969/78), für Afrika die „Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker“ (Banjul Charta) vom 27.6.1981. Im asiatischen Raum steht die Bangkok Declaration bei allem Universalitätsbekenntnis eher für die kulturelle Partikularität der M.: „Recognize that while human rights are universal in nature, they must be considered in the context of a dynamic and evolving process of international norm-setting, bearing in mind the significance of national and regional particularities and various historical, cultural and religious backgrounds“. Ähnliches gilt für die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ aus dem Jahre 1990.

3.3 Supranationale Entwicklung

Die EU kannte lange keine geschriebenen Grundrechte. Der EuGH entwickelte aus den mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen jedoch menschenrechtliche Garantien in Form allg.er Rechtsgrundsätze und verhalf ihnen so schrittweise zur Durchsetzung. Erst 1999/2000 wurde durch den Grundrechtskonvent unter Leitung von Roman Herzog die EuGRC erarbeitet. Sie blieb zunächst unverbindliches soft law und erstarkte schließlich mit dem Reformvertrag von Lissabon (2009) zu verbindlichem Primärrecht. Mehr denn je versteht sich Europa seither als eine auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene in den Dienst des Menschen gestellte „Grundrechtsgemeinschaft“.

III. Perspektiven christlicher Ethik

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Die M. als vorstaatliche Rechte sind an der Schnittstelle von Recht, Ethik und Politik angesiedelt. Das in ihnen zum Ausdruck kommende rechtlich-politische Verständnis von Humanität ist bleibend auf ein moralisches Fundament angewiesen. Der historische Prozess der Genese der distinktiv modernen M.s-Idee aus ethischer Perspektive ist eng mit christlichen Inhalten verbunden. M. wurden und werden zudem von den christlichen Kirchen wie anderen Religionsgemeinschaften theologisch-ethisch reflektiert, abgelehnt oder integriert, sowie teils zivilgesellschaftlich unterstützt.

1. Historisch: Menschenrechte als Resultat säkularer Rechtstransformationen

Die menschliche Würde als Begründung der M. (s. u. a. Präambel der AEMR) wurzelt in der moralischen Überzeugung, dass jeder Mensch einzigartig und zur Selbstentfaltung in Freiheit erschaffen ist. Der jüdisch-christliche Glaube an die Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen (Gen 1,26–28), die hohe Bedeutung von Recht und Gerechtigkeit in den biblischen Schriften und die Idee eines zustimmungspflichtigen Vertragsabschlusses (Bund) zwischen Gott und Mensch (u. a. Ex 34,27–28) gehören zu den kulturell-religiösen Grundlagen der M. im europäischen Kulturkreis. Zentral für die weitere Rechtsentwicklung waren zudem die aus der klassisch-griechischen Philosophie stammende Idee eines mit der Vernunft erkennbaren Naturrechts (lex naturalis), durch das der Mensch Einsicht in die normative soziale Ordnung gewinnen kann, sowie das historische Ringen der Kirche als distinkte, institutionell verfasste Gemeinschaft um innere Autonomie und kollektive Freiheitsräume (libertas ecclesiae). Neben Kontinuitäten in der Rechtsentwicklung gab es vielfältige Diskontinuitäten, so eine mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbare vormoderne Stufung von Rechten und Pflichten (Privilegienordnungen), v. a. auch im religiösen Bereich (Staatskirchentum). Zudem begünstigten die Erbsündenlehre sowie ein voluntaristisches Gottesbild die Idee der Rechtlosigkeit des Menschen vor Gott und trugen damit zur Legitimierung absolutistischer Herrschaft (Absolutismus) bei.

Die Universalisierung des Würdegedankens ist in einer (scholastischen) Anthropologie grundgelegt, die den Menschen als mit Gott analogen Eigenschaften, v. a. mit Vernunft (Vernunft – Verstand), Freiheit und Selbstmächtigkeit, begabt versteht. Im Zuge der durch die ersten außereuropäischen Eroberungen aufgeworfenen Fragen wurde sie in der spanischen Spätscholastik (Scholastik) des 16./17. Jh. (Francisco de Vitoria, Francisco Suárez) rechtsförmig interpretiert. Die naturrechtlich begründete Forderung nach Rechten der Indios gegenüber der spanischen Krone und generell dem Staat verband sich hier mit dem Humanismus der Renaissance. Etwa zeitgleich vertraten die Reformatoren die Forderung nach individueller Glaubens- und Gewissensfreiheit (Gewissen, Gewissensfreiheit), die zur Grundlage für die weitere Rechtsentwicklung in diesem Bereich wurde. Der im Gefolge der Religionskriege konzipierte säkulare, d. h. nicht durch eine Religion/Konfession legitimierte, Nationalstaat (Thomas Hobbes, John Locke) baut auf diesen Ansätzen. Er stellt eine „neue und bemerkenswerte Konstruktion [dar], die Bewunderung abverlangt“ (Taylor 2003: 62) und durchaus als „potenziertes Christentum“ (Taylor 2003: 74) verstanden werden kann.

Durch eine menschenrechtlich fundierte Verfassung als Grundlage allen positiven Rechts soll das friedliche Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen, ethnischer Gruppen und der Geschlechter auf der Basis staatsbürgerlicher Gleichheit ermöglicht werden. Die unterschiedlichen Konfessionen mit ihren je eigenen Charakteristika sowie die spezifischen historischen Kontexte führen zu bis heute divergenten nationalen M.s-Kulturen, die teils stärker säkular-vernunftorientiert (z. B. Frankreich), teils stärker religiös fundiert sind (USA, in anderer Weise die Kooperationsmodelle in europäischen Staaten).

Eine Anerkennung der säkularen Transformation des Naturrechts in individuelle M., einschließlich des Rechts auf Religions- und Gewissensfreiheit, wurde von den christlichen Großkirchen, auch politisch motiviert, bis ins 20. Jh. teils dezidiert verweigert, teils eher widerwillig akzeptiert. Eine Absolutsetzung staatsbürgerlichen Gehorsams und die Ablehnung der gewaltsamen, revolutionären Durchsetzung der M. verbunden mit christlichen Verfolgungserfahrungen im Zuge der Französischen Revolution führten in der ersten Hälfte des 19. Jh. katholischerseits zu schärfsten Verurteilungen und der Sache nach unangemessenen Frontstellungen, so u. a. bei Pius IX. (u. a. in der Enzyklika „Quanta cura“ und deren Anhang „Syllabus errorum“ von 1864). Die Weigerung, gleiche Bürgerrechte für alle Bürger gleichgültig welchen Glaubens (oder ohne einen solchen) anzuerkennen und auf staatskirchliche Privilegien zu verzichten, bedingte eine generelle Zurückweisung der Freiheitsrechte, v. a. des Rechts auf Religionsfreiheit, als mit dem katholischen Glauben unvereinbar. Das weitgehende Versagen der Großkirchen gegenüber den totalitären und autoritären Regimen in der ersten Hälfte des 20. Jh. war nicht zuletzt durch die Ablehnung bzw. Ambivalenz gegenüber den M.n bedingt. Erste Ansätze einer katholischen Neupositionierung finden sich unter Pius XI. und Pius XII. als Antwort auf massive Unrechtserfahrungen und Verletzungen der Menschenwürde in beiden Weltkriegen sowie durch nationalsozialistische und kommunistische Regime. Die Anerkennung der AEMR erfolgte durch die Enzyklika „Pacem in terris“ (1963; Nr. 143; Grundrechtekatalog Nr. 11–34) Johannes’ XXIII. Das Zweite Vatikanische Konzil knüpfte in GS (1965) daran an. Mit der Erklärung zur Religionsfreiheit, DH (1965), verabschiedete sich die katholische Kirche endgültig vom Ideal des Konfessionsstaats. Da jeglicher Zwang in der Religion der menschlichen Würde widerspreche, müsse die Religionsfreiheit staatlicherseits als ziviles Recht anerkannt werden. Dies stelle einen Rechtsfortschritt dar (DH 9), berühre jedoch nicht die Verpflichtung des Einzelnen zur Wahrheitssuche (DH 3). Diese solle vielmehr durch den so eröffneten staatlichen Freiraum erleichtert werden. Die Forderung nach Freiheit der Kirche (wie anderer Religionsgemeinschaften) von staatlichem Einfluss in inneren Angelegenheiten, sowie ein kooperatives Staat-Kirche-Modell, auch für andere Religionsgemeinschaften, wird aufgrund des von ihnen geleisteten positiven zivilgesellschaftlichen Beitrags (Zivilgesellschaft) erhoben. Ebenso und mit ähnlichen Begründungen wurden die M. nach dem Zweiten Weltkrieg von den protestantischen Großkirchen anerkannt und von ihnen sowie dem Weltrat der Kirchen in einer Vielzahl von Erklärungen unterstützt. Die Position der orthodoxen-autokephalen Kirchen hinsichtlich der M. bleibt uneinheitlich.

2. Systematisch: Ethische und theologische Begründungen

Die Anerkennung universaler menschlicher Würde, Gleichheit und Freiheit als Grundlage vorstaatlicher Rechte, die in staatlichen Grundrechten kodifiziert, durch sie gesichert und gefördert werden sollen, bildet heute in den meisten Staaten weltweit den Maßstab nationalen Rechts. Ebenso sind die M. Grundlage des Völkerrechts sowie regionaler Rechtsgemeinschaften (EMRK; EuGH). In pluralistischen Gesellschaften sind ihre Begründungen notwendig plural. Humanistisch-immanente wie religiös-transzendente Begründungsansätze hinsichtlich der Unverletzlichkeit menschlicher Würde und ihres rechtlichen Schutzes bestehen nebeneinander und sind in gleicher Weise unverzichtbar. Eine rein positivistische Sicht der M., die derartige Begründungen für überflüssig erklärt, würde ihre Grundlage erodieren lassen und ihre notwendige Weiterentwicklung blockieren. Philosophische Begründungen sollten dabei durch theologische ergänzt werden, nicht zuletzt, um die M.s-Entwicklung in anderen religiös-kulturellen Zivilisationen zu inspirieren und zu fördern. Gemeinsame Grundlage dafür bildet ein universaler Humanismus, der Menschen unabhängig von Rasse, Klasse, Geschlecht und Religion als verletzbare und in ihren Lebenschancen durch den Staat, aber auch andere Institutionen, bedrohte Wesen sieht, die für ihre individuelle Entfaltung auf moralisch-ethische, d. h. „vorpolitisch[e]“ (Habermas 2005: 23) ebenso wie rechtliche Grundlagen angewiesen sind. Eine grundsätzliche Entgegensetzung politischer Rechte und moralischer Pflichten erweist sich von daher, wiewohl ihr Verhältnis aus rechtlicher Sicht asymmetrisch ist, als grundsätzlich verfehlt. Ein säkularer Staat, der nicht der Verwirklichung der politischen Ansprüche einer Religion/Konfession verpflichtet ist, sondern durch die Verwirklichung von Freiheitsrechten für alle Bürger Freiheitsräume bereitstellt und diese gegen Gewalt schützt, bedarf zugl. deren Selbstverpflichtung zu ihrer aktiven Förderung durch Mitwirkung an der politischen Willensbildung auf der Basis demokratischer Partizipationsrechte. Dies schließt eine Fundamentalkritik an der Verfassung aus, verlangt jedoch ihre kritische Reflexion als Grundlage für ihre Weiterentwicklung auf der Basis der M. als Freiheits-, Partizipations- wie auch Sozialrechte in ihrer wechselseitigen Bedingtheit und Unteilbarkeit. Gefordert sind hier außer dem Gesetzgeber auch zivilgesellschaftliche Akteure, einschließlich der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Wichtige Themen sind gegenwärtig die Stärkung des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit sowie gleicher Frauenrechte national wie international; die Anerkennung einzelner Personen als Rechtssubjekte (Individualbeschwerden), der militärische Schutz durch die internationale Gemeinschaft bei massiven M.s-Verletzungen (humanitäre Intervention) und Ähnliche mehr. Darüber hinaus haben Kirchen und Religionsgemeinschaften die Pflicht, menschenrechtsfeindliche Ideologien zu kritisieren sowie einer selektiven Einmahnung der M. aufgrund von politischem Opportunismus entgegenzuwirken. Zu thematisieren wären zudem Grenzen der M., da auch die M.s-Ordnung unter „eschatologische[m] Vorbehalt“ (Metz 1968: 144) steht, d. h. aufgrund menschlicher wie gesellschaftlicher Kontingenzen Gerechtigkeit nie voll verwirklicht werden kann. Dies dispensiert die Kirchen und Religionsgemeinschaften jedoch nicht davon, ihre beachtliche Größe und internationalen Vernetzungen sowie ihre humanistischen Ressourcen verantwortlich für die Verbesserung von M.s-Standards einzusetzen. Dieser Einsatz ad extra verlangt, nicht zuletzt um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, eine Gewährung von Grundrechten ad intra analog zum staatlichen Recht. Hier legt sich eine Unterscheidung zwischen Binnenrechten (Grundrechte in der Kirche) für Angehörige der eigenen Gemeinschaft und den Rechten anderer nahe.

3. Interkulturell/Interreligiös: Universalitätsanspruch und religiös-kulturelle Partikularität

Die M. mit ihren Wurzeln in der Stoa, dem jüdisch-christlichen Humanismus sowie verschiedenen Formen des Naturrechts, die durch das Vertragsdenken der Aufklärung und des politischen Liberalismus ihre spezifisch moderne Form gefunden haben, können ihre westliche Genese nicht verleugnen. Diese kann jedoch nicht zuletzt angesichts einer als hegemonial erfahrenen Moderne (Imperialismus/Kolonialismus) zugl. eine Erschwernis für ihre Vermittlung in andere Kulturräume mit diversen religiösen, sozialen und politischen Traditionen darstellen. Die westliche Genese darf jedoch in keiner Weise als Ausschließungsgrund für ihre universale Geltung verstanden werden (kultureller Relativismus), da trotz unterschiedlicher kulturell-religiöser Rahmenbedingungen und historischer Kontexte Erfahrungen der Verletzung der menschlichen Würde durch staatlich-politische Organe universal sind. Zudem besteht ein breiter, der Vermittlung förderlicher overlapping consensus zwischen religiösen Ethiken (moralische Grundlagen, Würdegedanke, Gerechtigkeit und Ähnliche mehr) und der Ethik der M., der durch interkulturelle und interreligiöse Dialoge erhoben und weiterentwickelt werden soll. In jeder Kultur und Religion gibt es ideelle, theologische und/oder philosophische Ansätze für eine Rechtsordnung, die auf gleichen individuellen Rechten basiert. Diese Motive zu benennen, sie angesichts einer wachsenden Dominanz von partikulären, meist religiös begründeten Identitäten einschließlich der damit verbundenen Rechtsüberzeugungen in den Diskurs einzubringen sowie sie national wie völkerrechtlich einzubeziehen, stellt gegenwärtig eine der wichtigsten globalen Herausforderungen dar. Wesentlich geht es um die theologische Fundierung und Akzeptanz der Säkularität des Staates als unverzichtbarer Grundlage der Gleichstellung von Angehörigen aller Religionen, um die menschenrechtliche Gleichstellung von Frauen sowie um ein angemessenes Verständnis von individuellen Rechten und Pflichten und der Anerkennung des Werts politischer Freiheit angesichts von Wahrheitsansprüchen, v. a. in den Offenbarungsreligionen sowie anderen religiösen Traditionen (Hinduismus und Buddhismus). Trotz dieser Bruchlinien und der damit verbundenen Schwierigkeit einer Anerkennung der M. durch religiöse Gemeinschaften und Akteure erweist sich eine globale M.s-Kultur, einschließlich des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, zum Schutz vor staatlicher Willkür in durch Migrationen und wachsende religiös-ethnische Pluralität charakterisierten Gesellschaften als Basis sozialen Friedens als unverzichtbar.