Mehrebenensystem: Unterschied zwischen den Versionen

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H. Oberreuter: Mehrebenensystem, Version 11.11.2020, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Mehrebenensystem}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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H. Oberreuter: Mehrebenensystem, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Mehrebenensystem}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:22 Uhr

M.e im Staat und im Staatenverbund sind politische Ordnungssysteme mit eigener, auch rechtlich anerkannter Handlungsfähigkeit, die wenigstens zwei hierarchisch angeordnete Entscheidungsebenen mit autonomen Kompetenzen bei gleichzeitig vorausgesetzten Kooperations- bzw. Koordinierungserfordernissen umfassen. Das Zweiebenensystem des Föderalismus in Deutschland ist durch die Autorität der Rechtsetzung der EU zu einem Dreiebenensystem gewandelt worden.

Supranationalen Entscheidungszwängen aufgrund überterritorialer Problemstellungen (wie z. B. der Ökologie oder des durch ökonomische Dynamisierungen verursachten Prozesses der Globalisierung) ist die wachsende Bedeutung von M.en geschuldet, welche den Nationalstaat keineswegs eliminieren, in seiner Substanz aber doch relativieren, weil auf definierten Politikfeldern verbindliche Entscheidungen auf eine supranationale Ebene verlagert werden. Im Kern übt z. B. in der EU der Nationalstaat nach wie vor eigene Autorität aus. Zugl. konstituiert er per Vertrag mit anderen Staaten eine zusätzliche Autorität auf höherer Ebene und wirkt wiederum durch eigene Repräsentanten (z. B. in der EU Rat der Europäischen Union, Europäisches Parlament) an deren Gestaltungsprozessen mit. Während Föderalismus die Staatsqualität beider Ebenen voraussetzt, besteht dieses Erfordernis bei den ziemlich peripher in die Koordinationsprozesse der EU einbezogenen europäischen Regionen nicht.

Die Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf transnationale Institutionen löst gleichwohl die klassiche Einheit der nationalen Staatsgewalt auf, gibt diese selbst aber nicht preis. Da der Staat weiterhin, und zwar über die delegierten Kompetenzen weit hinausgehende, uneingeschränkte sektorale Souveränität besitzt (die es nach Jean Bodins Lehre von ihrer Unteilbarkeit eigentlich nicht geben kann), ist die Ansicht zwar gewöhnungsbedürftig, aber nicht von der Hand zu weisen, dass bei solchen Kompetenzübetragungen im M. Souveränität gemeinsam – oder koordiniert – ausgeübt wird. Damit gehen Positionsverluste nationaler Institutionen etwa der Parlamente (z. B. Bundestag, Landtage) oder Zweiter Kammern (z. B. Bundesrat) zwangsläufig einher. Dass derartige Systeme der Politikverflechtung eigene Dynamiken (auch solche zusätzlicher Kompetenzverlagerungen), Metamorphosen der Effektivität sowie Grauzonen der Legitimität verursachen können, ist aus dem deutschen Föderalismus geläufig. Durch die gesteigerten Komplexitäten supranationaler M.e wird all das erheblich verstärkt, bes. hinsichtlich der Verfahrenstransparenz und der Legitimation von Entscheidungen: beides im Kern unabdingbare Voraussetzungen für die Realisierung des Demokratieprinzips (Demokratie). Dem Subsidiaritätsprinzip (Subsidiarität) als Element der Rückbindung und als Bollwerk gegen die Usurpation von Zuständigkeiten seitens der höheren Ebene scheint in M.en angesichts der weithin unterstellten und akzeptierten Wirksamkeit zentralisierter Problemlösungen nur relative Bedeutung zuzukommen. Gleichwohl fordert das BVerfG nachdrücklich für alle Ebenen eine funktionierende Legitimationskette zwischen Entscheidungsträgern und Volk, weil z. B. auch der europäische Staatenverbund als M. rechtlich wie nach seinem Selbstverständnis auf der im Kern unversehrten Staatlichkeit seiner Mitglieder beruht und nicht auf einer neuen Rechtsordnung, die im übrigen ihrerseits wieder demokratischen Legitimationsprozessen zu unterwerfen wäre.

Immerhin setzt die höhere Ebene im Rahmen der Verträge auch eigenständiges Recht. Insofern kann im europäischen M. durchaus auch von einer modifizierten Rechtsordnung gesprochen werden, zumal bei vertragsbasierten Entscheidungen der EuGH sich über Regierungen, Parlamentsgesetzgebung und Verfassungen der Mitgliedsstaaten – keineswegs unkritisiert – hinwegsetzen kann. Auch das BVerfG hat seinen Anspruch auf Letzt-Zuständigkeit in Grundrechtsfragen fallen lassen.

M.e sind zweifelsohne zeitgemäße, erforderliche und grundsätzlich angemessene Instrumente zur Lösung von Problemkonstellationen, die Territorien, Regionen und Nationen überlagern. Sie konstituieren und praktizieren hochkomplexe Interessenvermittlungs- und Herrschaftsordnungen. Ohne selbst Verfassungsstaat zu sein, beruhen sie, wie ihre Mitglieder, auf entspr.en Prinzipien. Zu deren Umsetzung in die Realität bedarf es aber eigener, dem M. dienender zugl. aber auch ihren urspr.en Sinn erhaltender Modalitäten. Ein Abziehbild nationalstaatlicher Institutionen und Verfahren können sie nicht darstellen.