Medienethik

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Die M. ist eine wissenschaftliche Disziplin, die auf praktische Orientierung und Beurteilung von konkreten Handlungen und Strukturen im Bereich von medienvermittelter (öffentlicher) Kommunikation ausgerichtet ist. Mit M. wird alltagssprachlich z. T. aber auch die moralische Einstellung etwa einer Zeitung oder eines Senders bezeichnet. In diesem Beitrag wird die M. als wissenschaftliche Disziplin verstanden.

1. Medienethik als Reflexion auf Medienmoral

Sich mit (öffentlicher) Kommunikation und Medien ethisch zu beschäftigen, ist ein anderer Zugang zu diesem Themenfeld, als wenn man sich ihm empirisch-sozialwissenschaftlich nähert (ohne dass beide Perspektiven einander ausschließen). In ihrem Urteil über gute (bzw. schlechte) und richtige (bzw. falsche) Handlungen und Strukturen macht die M. als Ethik immer Vernunftgründe geltend, von denen sie erwarten kann, dass diese allg. nachvollzogen werden können. In diesem Sinne ist sie professionelle, nach wissenschaftlichen Standards arbeitende Medienkritik.

Im Verhältnis zum Medienrecht geht es der M. zum einen v. a. um Einstellungen, Handlungen, Werte und Verhaltensweisen, die juristisch nicht direkt regelbar sind oder nicht geregelt werden sollen (wie etwa Werteinstellungen von Journalisten, die in einer spezifischen Bildauswahl zum Tragen kommen), und zum anderen um Einschätzungen, ob die rechtlichen Regelungen der (öffentlichen) Kommunikation über Medien moralischen Grundsätzen entsprechen (etwa ob die Gesetze zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im Hinblick auf Bildberichterstattung moralisch gerechtfertigt werden können).

Der Medienmoral kann man sich auch empirisch nähern. Eine empirische M. richtet sich in ihrer deskriptiven (beschreibenden) Variante auf das tatsächlich vorhandene Ethos (etwa der Journalisten) mit dem Ziel einer Darstellung, und in ihrer explanatorischen (erklärenden) Variante auf die Herkunft und die Funktionen der tatsächlichen Moral mit dem Ziel einer Erklärung, wozu sie auf eine größere (Handlungs-, Gesellschafts-, etc.)Theorie angewiesen ist. Diese Art und Weise der Beschäftigung mit dem Bereich der Medienmoral herrscht in den Kommunikationswissenschaften vor. Das eigentliche Geschäft der Ethik ist aber durch ein normatives Erkenntnisinteresse bestimmt: Die M. kann zunächst als eine bewertende, evaluierende Ethik beschrieben werden, die eine gegebene Moral im Bereich der Medien und der öffentlichen Kommunikation anhand einer (mit rechtfertigbaren Gründen) zu Recht geltenden Moral beurteilt. Dieses Urteil über moralische Fragen ist das Kerngeschäft der M. Darüber hinaus gibt es einen zweiten Teil der normativen Aufgabe, die man präskriptive (vorschreibende) Ethik nennt: Menschen handeln in den Medien nicht immer gemäß (zu Recht geltenden) moralischen Normen, sodass eine Bewertung dieser Handlung im Modus einer Sollensaussage vorgebracht wird.

2. Zum Gegenstand und zu den Bereichen der Medienethik

Es bleibt für jede Bereichsethik schwierig bzw. eine Herausforderung, ihren Gegenstand und ihre Probleme zu bestimmen. Der gemeinhin mit dem Begriff Medien bezeichnete Phänomen-, Sach- oder Handlungsbereich ist äußerst heterogen. Der Begriff des Mediums als Ausdruck für eine Vermittlungs- und Übertragungsfunktion eines Dazwischen, welches Sender und Empfänger verbindet, ist zur Bestimmung des Gegenstandes der M. nur bedingt hilfreich. Üblicherweise geht es der M. um medial vermittelte öffentliche Kommunikation. In heutigen Zeiten spielen Medien aber auch in privaten oder teilöffentlichen Bereichen eine wichtige Rolle, sodass der Begriff der Öffentlichkeit nicht mehr zwingend im Zentrum der M. steht. Mit einer Veränderung des Medienbegriffes im Zuge des digitalen Wandels ändert sich der Gegenstandsbereich der M., sodass Informationsethik und M. nicht mehr klar getrennt werden können.

Eine andere Bestimmung des Gegenstandsbereiches der M. kann mit dem Bezug auf einschlägige Berufsrollen und -felder gelingen. Auch dies ist typisch in den Bereichsethiken, die wie die Medizinethik nicht selten aus einem kodifizierten Professionsethos entstanden sind. Für den Medienbereich kommen hier die klassischen Bereiche Journalismus, Unterhaltung, Werbung und PR in Frage. Eine Ethik des Journalismus setzt vornehmlich bei seiner Rolle für die demokratische Gesellschaft an und betont in diesem Kontext auch die anwaltschaftlichen Aufgaben des Journalismus. Wichtiges Thema ist hier die Selbstkontrolle journalistischer Akteure, die einer staatlichen Kontrolle vorzuziehen ist. Die Ethik der PR (Öffentlichkeitsarbeit) sieht die PR auf einen Dienst an der Öffentlichkeit verpflichtet und unterstreicht die wirtschaftsethischen Aspekte (Wirtschaftsethik) dieses Bereichs. Die Ethik der Werbung fokussiert bspw. unangemessene Darstellungen, die diskriminierend wirken, und kritisiert manipulative Strategien. Eine Ethik der Medien-Unterhaltung mit den Gegenständen TV-Unterhaltung, Film und Kino wie auch Computerspiele unterscheidet zwischen guter und schlechter Unterhaltung, arbeitet etwa mit dem Kriterium der Menschenwürde und zielt auf einen wirksamen Jugendmedienschutz. Auch hier spielen wie in der Ethik der strategischen Kommunikation die Selbstkontrolleinrichtungen eine wichtige Rolle.

Eine andere Gliederung des Feldes wird versucht anhand der Schritte Produktion und Rezeption: Auf diese Weise gelangen Akteursgruppen und Strukturen in den Blick, die Einfluss auf die Medien haben und im Hinblick auf ihre (moralische) Qualität spezifische Verantwortung tragen. Journalisten und Programmmacher tragen Verantwortung für die Produktion. Der Bereich der Rezeption rückt so erst in den Blick und wird als Ethik der Medienrezeption eigens behandelt.

Zentral sind auch die Bereiche des Jugendschutzes und generell der Medienregulierung. Die Überlegungen der M. zielen oftmals in Richtung einer entspr.en Regulierung des Mediensystems (Medienpolitik, regulierte Selbstkontrolle) und in Richtung der verbesserten Medienbildung, wobei das Konzept der Medienkompetenz ein Querschnittsthema von Medienpädagogik und M. darstellt.

3. Grundnormen der Medienethik

Ein normativer Begriff der Öffentlichkeit bleibt wichtigstes Kriterium zur moralischen Beurteilung der Medienkommunikation. Im Hintergrund stehen die deliberative Demokratietheorie und die Diskursethik von Jürgen Habermas. Insofern hat die öffentliche Kommunikation in Demokratien eine zentrale Dienstfunktion für die Selbstbestimmung der Gesellschaft. Dieser normative Begriff der Öffentlichkeit in der Tradition der Aufklärung leitet sich ab von den Werten personaler Freiheit und Autonomie. Informations- und Meinungsfreiheit (einschließlich Zensurverbot) sind wichtige Errungenschaften moderner Rechtsstaaten; diese Grundrechte können nur durch andere Grundrechte und Schutzinteressen eingeschränkt werden (Persönlichkeitsschutz, Regelungen des Jugendschutzes). Wahrheit bzw. Wahrhaftigkeit stehen in diesem politisch-ethischen Kontext, sind aber auch eigene kommunikationsethische Beurteilungskriterien etwa im Feld der Interessenkommunikation. Der Begriff der Verantwortung hilft als Element der Moraltheorie bei einer Zuordnung von Akteuren und ihren Verpflichtungen, etwa zwischen Medienpolitik, Verlegern, Journalisten und Verbänden. Der Begriff der Qualität eignet sich, z. B. in Bezug auf den Journalismus, als sozialwissenschaftlich anschlussfähiger Begriff für ein Verbesserungsbewusstsein auch in den empirisch arbeitenden Kommunikationswissenschaften. Ein anspruchsvolles Konzept der Beteiligungsgerechtigkeit im medialen Kontext bezieht auch Formen populärer Kommunikation, Wissen, Bildung und Unterhaltung mit ein.

4. Aktuelle Herausforderungen

Die jeweils aktuellen Herausforderungen der M. ergeben sich oft aus den technischen Veränderungen. Die Digitale Revolution verändert Akteure, Abläufe, Dynamiken und Auswirkungen des öffentlichen Kommunizierens. Bspw. läuft die öffentliche Kommunikation heute in Echtzeit ab, wodurch auch Entschleunigungs- und Kontrollprozesse wegfallen. Im politisch-ethischen Kontext steht zur Debatte, ob wir die normative Anforderung an eine diskursive Funktion öffentlicher Kommunikation noch aufrechterhalten können. Die Personalisierung von Kommunikationsinhalten kann Filterblaseneffekte zeitigen; die Verbreitung von aggressiver Kommunikation im Netz, etwa im Kontext von Flucht und Migration, hat desintegrative Folgen. Wichtige Aufgabe der M. bleibt es in positiver Hinsicht, die Potentiale einer auf Verständigung und Solidarität ausgerichteten Medienkommunikation zu erkennen, in die Debatte einzubringen und an ihren Realisierungen mitzuarbeiten.